European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00164.17I.1122.000
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss der nicht bekämpften und der bestätigten Teile zu lauten haben:
„Das Hauptklagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 56.419,16 EUR samt 4 % Zinsen seit 16. 11. 2015 an rückständigem Unterhalt für den Zeitraum 1. 4. 2012 bis 30. 11. 2015 und 407,13 EUR an monatlichem laufenden Unterhalt seit 1. 12. 2015 jeweils am Monatsersten im Voraus zu zahlen, wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 20.082,50 EUR samt 4 % Zinsen seit 16. 11. 2015 an rückständigem Unterhalt für den Zeitraum 1. 4. 2012 bis 30. 11. 2015 und 695 EUR an monatlichem laufenden Unterhalt seit 1. 12. 2015 jeweils am Monatsersten im Voraus zu zahlen.
Das hilfsweise erhobene Mehrbegehren von 23.334,94 EUR sA an rückständigem Unterhalt für den Zeitraum 1. 4. 2012 bis 30. 11. 2015 und 236,14 EUR an monatlichem laufenden Unterhalt seit 1. 12. 2015 wird hingegen abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.466,43 EUR bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (darin 1.070,78 EUR USt und 1.041,75 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 1.225 EUR bestimmten anteiligen Barauslagen des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile sind verheiratet und wohnten bis Weihnachten 2013, als der Beklagte die häusliche Gemeinschaft durch seinen Auszug endgültig aufhob, in dem als Ehewohnung dienenden und im gleichteiligen Miteigentum der Streitteile stehenden Einfamlienhaus.
Bis einschließlich Jänner 2015 trug der Beklagte die monatlich anfallenden Betriebskosten von durchschnittlich 400 EUR – auch während Zeiten, in denen er nicht im ehelichen Haushalt wohnte – zur Gänze allein. Seit Februar 2015 bezahlt er lediglich die Eigenheimversicherungsprämie von 806,50 EUR jährlich und die Kreditraten von zweimal jährlich 1.272,88 EUR für den seinerzeitigen Hausbau.
Das monatliche Nettoeinkommen des Beklagten beträgt (auch) seit April 2012 (weiterhin) 4.017,83 EUR. Es setzt sich aus Pensions‑ und anteiligen Abfertigungszahlungen zusammen; hinzu kommen 145 EUR monatliche Pachteinnahmen.
Die haushaltsführende Klägerin erhält eine laufende monatliche Unfallrente von 60 EUR, seit März 2014 eine durchschnittliche Pension von 1.088 EUR monatlich sowie monatliche Pachteinnahmen von 38 EUR.
Die Klägerin begehrte zuletzt rückständigen Unterhalt für den Zeitraum von 1. 4. 2012 bis 30. 11. 2015 von 56.419,16 EUR und laufenden Unterhalt ab 1. 12. 2015 von monatlich 407,13 EUR, hilfsweise rückständigen Unterhalt von 43.417,44 EUR und laufenden Unterhalt von 931,14 EUR, je nachdem, auf welchen Zeitraum die vom Beklagten anlässlich seiner Pensionierung erhaltene Abfertigung rechnerisch aufzuteilen sei. Die vom Beklagten für die gemeinsame Ehewohnung bis einschließlich Jänner 2015 geleisteten Zahlungen seien zur Hälfte als Naturalunterhalt anzurechnen, während er ab Februar 2015– abgesehen von der Zahlung der Versicherungsprämie – keine weiteren als Naturalunterhalt anrechenbaren Leistungen für die Ehewohnung erbracht habe.
Der Beklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung – ein, die Klägerin müsse sich ab dem Zeitpunkt seines Auszugs die Hälfte des fiktiven Mietzinses für das ganze Haus (von insgesamt 800 EUR monatlich) als Naturalunterhalt abziehen lassen. Darüber hinaus habe der Beklagte weitere Zahlungen für die Klägerin geleistet, welche anzurechnen seien.
Das Erstgericht wies das Hauptklagebegehren ab und verpflichtete den Beklagten zur Leistung rückständigen Unterhalts für den Zeitraum von 1. 4. 2012 bis 30. 11. 2015 von 11.282,50 EUR sA und zu monatlich laufendem Unterhalt ab 1. 12. 2015 von 495 EUR und wies das Eventualmehrbegehren von 32.134,94 EUR sA für rückständigen Unterhalt und von 436,14 EUR an monatlichem laufenden Unterhalt ab. Die Abfertigung des Beklagten habe dem Erhalt des letzten Nettoeinkommens gedient, weshalb sie in diesem Sinn monatlich aufzuteilen sei. Ausgehend von dem in dieser Weise erstreckten monatlichen Nettoeinkommen des Beklagten von 4.017,83 EUR bemesse sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin von April 2012 bis einschließlich Februar 2014 mit 33 % des monatlichen Nettoeinkommens des Beklagten unter Berücksichtigung ihres Eigeneinkommens von 198 EUR und ab März 2014 mit 40 % des gemeinsamen Nettoeinkommens unter Abzug ihres Eigenverdienstes. Auf den so ermittelten Unterhaltsanspruch seien nicht nur die tatsächlich gezahlten Betriebskosten für die Ehewohnung und die Lebenshaltung der Klägerin anzurechnen, sondern auch die Hälfte des fiktiven monatlichen Mietwerts für das Einfamilienhaus, der gemäß § 273 ZPO mit 800 EUR monatlich zu bemessen sei.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach (nachträglich) aus, dass die ordentliche Revision (doch) zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei Anrechnung des fiktiven Mietwerts des als Ehewohnung überlassenen Einfamilienhauses nicht nur der Miteigentumsanteil des Beklagten sondern auch dessen ungerechtfertigter Auszug aus der Ehewohnung zu berücksichtigen sei.
Im Übrigen billigte das Berufungsgericht nicht nur die erstgerichtliche Unterhaltsbemessung ausgehend von den festgestellten Einkommen, sondern auch die Höhe und das anteilige Ausmaß der Berücksichtigung des fiktiven Mietwerts des im Miteigentum stehenden Einfamilienhauses (400 EUR als Hälfte des insgesamt einzuschätzenden Mietwerts von monatlich 800 EUR) als Naturalunterhalt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin, mit der sie einen Unterhaltsrückstand von 34.289 EUR sA für den Zeitraum 1. 4. 2012 bis 30. 11. 2015 und 895 EUR an monatlichem laufenden Unterhalt seit 1. 12. 2015 weiterverfolgt, ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und auch teilweise berechtigt.
Im Revisionsverfahren ist ausschließlich die Frage zu beantworten, ob und in welchem Ausmaß sich die Klägerin fiktiven Mietzins für das von ihr allein weiter bewohnte, im Miteigentum der Streitteile stehende und seinerzeit als Ehewohnung dienende Einfamilienhaus als Naturalunterhalt anrechnen lassen muss. Zu ihrem darüber hinaus für den Zeitraum April 2012 bis einschließlich Februar 2014 in ihrem Gesamtbegehren enthaltenen Unterhaltsmehrbegehren von monatlich 200 EUR, dessen Berechtigung das Berufungsgericht ausdrücklich verneinte, führt die Beklagte inhaltlich nichts mehr aus, weshalb dieses Teilbegehren jedenfalls scheitern muss.
Grundsätzlich ist nach Aufhebung der ehelichen Hausgemeinschaft der gesamte angemessene Unterhalt in Geld zu leisten (RIS‑Justiz RS0009414). Hat der Unterhaltsberechtigte aber nicht für die Kosten der Wohnversorgung aufzukommen, so bedarf er regelmäßig nicht mehr des gesamten festgesetzten Geldunterhalts, um seinen vollständigen Bedarf zu decken (RIS‑Justiz RS0047254). Die sich wirtschaftlich ergebende Wohnkostenersparnis ist angemessen zu berücksichtigen und als Naturalunterhalt in einem Umfang anzurechnen, der dem persönlichen (individuellen) Bedarf des Unterhaltsberechtigten entspricht (RIS‑Justiz RS0047254 [T1]).
Zu prüfen ist aber, ob es durch die Anrechnung nicht zu einer fiktiven Überalimentierung im Teilbereich „Wohnen“ und damit verbunden zu einer unangemessenen Verkürzung des Geldunterhalts käme. Naturalunterhalt ist grundsätzlich nur im angemessenen Umfang anzurechnen; dem Unterhaltsberechtigten hat stets ein in Geld zu leistender Unterhalt zuzukommen, weil er ja von der Wohnung allein nicht leben kann (9 Ob 48/13v; 4 Ob 42/10w; 6 Ob 90/11w ua). Zumindest bei durchschnittlichen Verhältnissen lässt die Rechtsprechung eine Kürzung des Geldunterhaltsanspruchs aus dem Titel der Wohnversorgung daher lediglich um rund ein Viertel zu (6 Ob 43/12k; 4 Ob 42/10w, je mwN). Steht dabei jenem Ehegatten, der die Wohnung benutzt, aufgrund eigenen Einkommens nur ein Ergänzungsunterhalt zu, ist dieses Viertel nicht aus diesem zu ermitteln, sondern aus dem Eigeneinkommen und dem (ungekürzten) Ergänzungsunterhalt: Kommt es maßgeblich doch darauf an, dass diesem Ehegatten ausreichend Geldmittel zur Verfügung stehen, um seine Bedürfnisse jenseits des Wohnens angemessen befriedigen zu können; dabei ist aber auch sein Eigeneinkommen zu berücksichtigen (6 Ob 43/12k).
Der Geldunterhaltspflichtige leistet durch die Bestreitung von Wohnungsbenützungskosten Naturalunterhalt. Die Wohnungsbenützungskosten sind daher nach Köpfen auf alle die Wohnung benutzenden Personen, die in einer unterhaltsrechtlichen Beziehung zum Unterhaltspflichtigen stehen, zu gleichen Teilen aufzuteilen und auf deren Unterhaltsansprüche anzurechnen (RIS‑Justiz RS0123487). Steht die Wohnung im Miteigentum der Ehegatten, ist die fiktive Mietersparnis im Ausmaß der Miteigentumsanteile zu berücksichtigen (4 Ob 142/06w). Für die Frage, welcher Vorteil dem Unterhaltsberechtigten zukommt, ist der anteilige „Mietwert“ der Wohnung maßgeblich (1 Ob 203/14f).
Verlässt der unterhaltspflichtige Ehegatte bei aufrechter Ehe grundlos die Ehewohnung und bleibt der Unterhaltsberechtigte dort allein zurück, dann ist der Unterhaltspflichtige so zu behandeln, als wäre er in der Wohnung verblieben, weshalb die von ihm (allein) geleisteten Mietzinszahlungen nur zur Hälfte als Naturalleistung auf den Geldunterhaltsanspruch des anderen Ehegatten anzurechnen sind (RIS‑Justiz RS0114742). Wird die Wohnung von mehreren zueinander in einer unterhaltsrechtlichen Beziehung stehenden Personen benutzt, ist der Betrag nach Köpfen aufzuteilen (RIS‑Justiz RS0123487). In diesem Zusammenhang ist dem freiwilligen Auszug auch eine Wegweisung oder eine entsprechende einstweilige Verfügung gleichzuhalten (4 Ob 42/10w). Der ausziehende Ehegatte ist so zu behandeln, als ob er in der Wohnung verblieben wäre, es sei denn, ein Weiterverbleib in der Wohnung war ihm aus in der Person des Unterhaltsberechtigten liegenden Gründen nicht zumutbar oder er hat mit dem Unterhaltsberechtigten eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Für diese Ausnahmetatbestände ist der Unterhaltspflichtige beweispflichtig (4 Ob 42/10w). Das Verlassen der Ehewohnung durch den unterhaltspflichtigen Gatten führt nicht in jedem Fall dazu, dass er bei der (fiktiven) Aufteilung der Aufwendungen nicht mehr zu berücksichtigen wäre. Entscheidend ist vielmehr, weshalb er die Ehewohnung verlassen hat. Wenn kein Einvernehmen der Ehegatten nach § 90 ABGB vorliegt und es dem Unterhaltspflichtigen auch nicht gelingt, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 92 ABGB zu beweisen, ist er weiter in die Aufteilung einzubeziehen. Er kann nämlich den Anteil der anzurechnenden Leistungen nicht dadurch zu seinen Gunsten erhöhen, dass er die Wohnung verlässt und an den Aufwendungen nicht mehr teilhat (4 Ob 203/10x mwN; RIS‑Justiz RS0123488).
Von diesen Grundsätzen ausgehend ist im vorliegenden Fall sowohl zu berücksichtigen, dass die von der Klägerin weiter benützte Ehewohnung im Miteigentum der Streitteile steht, der Beklagte ihr daher die Wohnung nur im Ausmaß seines (Hälfte‑)Miteigentumsanteils zur Verfügung stellt, andererseits ist aufgrund seines aus eigenem erfolgten Auszugs bzw der zwischenzeitigen Wegweisung auch er selbst in die Kostenaufteilung einzubeziehen. Dies muss dazu führen, dass nur ein Viertel des fiktiven Mietwerts der im Einfamilienhaus gelegenen Wohnung als gewährter Naturalunterhalt vom aufgrund der Einkommensverhältnisse ermittelten Geldunterhaltsanspruch der Klägerin abzuziehen ist. In diesem Sinn billigt der Oberste Gerichtshof auch die bereits von den Vorinstanzen vorgenommene doppelte Berücksichtigung sowohl des Miteigentums an der Wohnung als auch der anteiligen Berechnung nach Kopfteilen (4 Ob 85/16b).
Die Unterhaltsbemessung der Vorinstanzen ist daher insoweit abzuändern, als lediglich ein Viertel des fiktiven Mietwerts als Naturalunterhalt zu berücksichtigen und daher lediglich 200 EUR monatlich von den aufgrund der Einkommensverhältnisse bemessenen Geldunterhaltsbeträgen abzuziehen sind.
Die Kostenentscheidung gründet sich für das erstinstanzliche Verfahren auf § 43 Abs 1 ZPO. Die Klägerin ist mit etwa drei Viertel ihres (laufenden) Unterhaltsbegehrens durchgedrungen, weshalb ihr der Beklagte die Hälfte ihrer – entsprechend reduzierten (vgl die Einwendungen des Beklagten gegen die Kostennote des Klagevertreters [S 10 in ON 19]) – Prozesskosten sowie drei Viertel der allein von ihr getragenen Pauschalgebühren zu ersetzen hat. Für das Rechtsmittelverfahren gründet sich die Kostenentscheidung auf § 43 Abs 1 und § 50 ZPO. Die Klägerin war mit dem von ihr weiterverfolgten (laufenden) Unterhaltsbegehren nur zur Hälfte erfolgreich, weshalb die Verfahrenskosten gegeneinander aufzuheben sind und der Beklagte zum Ersatz der Hälfte der von der Klägerin allein getragenen Pauschalgebühren zu verpflichten ist.
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