OGH 2Ob82/08k

OGH2Ob82/08k28.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Margarethe N*****, vertreten durch Dr. Edmund Kitzler, Rechtsanwalt in Gmünd, wider den Gegner der gefährdeten Partei Edmund P*****, vertreten durch Mag. Johann Juster, Rechtsanwalt in Zwettl, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 28. Februar 2008, GZ 1 R 289/07s-22, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 78 EO und § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Streitteile wohnen im selben Ort. Das Einfamilienhaus des Antragsgegners liegt in Sichtweite gegenüber dem Anwesen der Antragstellerin. Auch das Wochenendhaus eines ihrer Söhne liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses des Antragsgegners. Seit dem Jahr 2001 belästigt der Antragsgegner die Antragstellerin. Eine (auch) von der Antragstellerin eingebrachte Unterlassungsklage führte zu dem Vergleich vom 3. 4. 2006, der den Antragsgegner verpflichtete, die Bezeichnung der Antragstellerin mit bestimmten Schimpfworten (zB „alte Hure", „verfluchte Teufelssau") zu unterlassen. Trotzdem setzte der Antragsgegner die Belästigungen fort. Er beobachtete die Antragstellerin mit dem Fernglas, fotografierte sie unzählige Male und filmte sie, wenn sie an seinem Haus vorbeiging. Seine Beschimpfungen setzte er fort und verwendete dabei auch Bezeichnungen, die nicht im Unterlassungsvergleich angeführt waren. Die Antragstellerin empfindet dieses Verhalten als Erniedrigung und leidet sehr unter den Beschimpfungen.

Die nach § 382g EO erlassene (vom Rekursgericht insoweit bestätigte) einstweilige Verfügung verbot dem Antragsgegner die persönliche Kontaktaufnahme und Verfolgung der Antragstellerin, die briefliche, telefonische oder sonstige Kontaktaufnahme, den Aufenthalt auf der Liegenschaft der Antragstellerin und beim Wochenendhaus ihres Sohnes sowie einen Dritten zur Aufnahme von Kontakten mit der Antragstellerin zu veranlassen.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners ist unzulässig.

1. Eine (im Revisionsrekurs vermisste) Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Rekursgericht ist bei derartigen Streitigkeiten über Verletzung höchstpersönlicher Rechte, die einer Bewertung in Geld unzugänglich sind, nicht vorzunehmen (6 Ob 148/00h = SZ 73/105 = RIS-Justiz RS0042418 [T9]; 6 Ob 221/06b = RIS-Justiz RS0042418 [T10]).

Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses hängt daher davon ab, ob eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn der §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 528 Abs 1 ZPO vorliegt.

2. Am 1. 7. 2006 trat das Strafrechtsänderungsgesetz 2006 (BGBl I Nr 56/2006) in Kraft, das nicht nur mit § 107a StGB einen neuen Straftatbestand der „beharrlichen Verfolgung" schuf, sondern mit § 382g EO neue Regelungen über einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre brachte.

Der Oberste Gerichtshof hat in der ausführlich begründeten

Entscheidung 8 Ob 155/06m = JBl 2007, 663 = EvBl 2007/81 = Zak

2007/170 = EF-Z 2007/89 = iFamZ 2007/78 erstmals zu § 382g EO

Stellung genommen. In Übereinstimmung mit der Lehre (Wolfrum/Dimmel,

Das „Anti-Stalking-Gesetz", Neuerungen im Straf- und Zivilrecht zum Schutz vor „Stalking", ÖJZ 2006/29, 475 f; vgl weiters C. Graf, Die einstweilige Verfügung nach § 382g EO zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre ["Stalking"], Zak 2006/521, 303; Hager-Rosenkranz,

Das neue „Anti-Stalking-Gesetz" und seine Auswirkungen auf einstweilige Verfügungen, EF-Z 2006/65) hat er Folgendes klargestellt:

Bereits vor Inkrafttreten des § 382g EO war der zivilrechtliche Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre durch § 16 ABGB bzw durch die mit BGBl I Nr 91/2003 eingefügte Bestimmung des § 1328a ABGB gewährleistet, weshalb die neuen Regelungen über einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre keine neue Anspruchsgrundlage schaffen. Die Bescheinigung des Anspruchs auf Unterlassung weiterer „Stalking"-Handlungen erfüllt gleichzeitig auch die Anforderungen des § 381 Z 2 EO, weil bei Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten, die einen Unterlassungsanspruch begründen, eine einstweilige Verfügung durchwegs zur Abwehr eines drohenden Schadens im Sinn des § 381 Z 2 EO notwendig sein wird. § 382g Abs 1 EO zählt - in Ergänzung des § 382 EO - typische Sicherungsmittel auf, die für diese einstweiligen Verfügungen in Betracht kommen. Für die Berechtigung des Unterlassungsbegehrens reicht schon ein drohender Eingriff aus. Es muss daher nicht jeweils eine konkrete Verletzungshandlung abgewartet werden.

Da § 382g EO somit keine neue Kategorie einer einstweiligen Verfügung schafft (C. Graf aaO), hat der für das Provisorialverfahren entwickelte Grundsatz zu gelten, dass die Überprüfung der Beweiswürdigung durch das Rekursgericht bei unmittelbarer Beweisaufnahme ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0012391). Der als bescheinigt angenommene Sachverhalt gründet sich im konkreten Fall auch auf das Ergebnis unmittelbarer Beweisaufnahmen. An diesen Sachverhalt ist der Oberste Gerichtshof, der auch im Sicherungsverfahren nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ist (vgl RIS-Justiz RS0002192), gebunden.

Es hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, ob ein Anspruch gefährdet ist (RIS-Justiz RS0005118) und ein unwiederbringlicher Schaden droht (7 Ob 187/07m = RIS-Justiz RS0005275 [T17]). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts lässt sich hier nicht erkennen: Nicht einmal der 2004 geschlossene Unterlassungsvergleich hat den Antragsgegner dazu veranlasst, die jahrelange, intensive Verfolgung der Antragstellerin einzustellen. Diese ständige Belästigung stellte eine erhebliche psychische Belastung der Antragstellerin dar.

Ebenso wenig begründet die Beurteilung, welche Sicherungsmittel im Einzelfall (vgl C. Graf aaO) notwendig sind, um die Verletzung des Rechts auf Privatsphäre zu verhindern, eine erhebliche Rechtsfrage. Zweck der „Anti-Stalking-Regelung" des § 382g EO ist die Verbesserung des Schutzes für Opfer, denen rasche Abhilfe gegen Belästigungen durch „Stalker" geboten werden soll (8 Ob 155/06m; Hager-Rosenkranz aaO). Mit dieser gesetzgeberischen Absicht ist die im Revisionsrekurs an das Opfer gestellte Forderung, eine konkrete Verfolgungshandlung abzuwarten und dann nur diese Handlung mit einer einstweiligen Verfügung verhindern zu können, nicht vereinbar. Um ein Ausweichen des „Stalkers" auf andere, bisher noch nicht konkret eingesetzte Methoden, das Opfer zu „terrorisieren", zu verhindern, kann im Einzelfall ein Verbot bisher noch nicht verwendeter, aber naheliegender Mittel zur Kontaktaufnahme durchaus zulässig sein. Die Auffassung des Rekursgerichts, die bisher unterbliebene briefliche und telefonische Kontaktaufnahme sowie die noch nicht erfolgte Veranlassung eines Dritten zur Kontaktaufnahme hinderten aufgrund der jahrelangen, intensiven und direkten Verfolgung ein entsprechendes Verbot nicht, ist vertretbar.

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