Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die beiden Pflegebefohlenen sind die außerehelichen Kinder des Antragstellers und der Begisa D*****. Eltern und Kinder sind jugoslawische Staatsangehörige.
Der Vater begehrt die sofortige Rückgabe seiner Kinder mit der Begründung, sie würden gegen seinen Willen von der Mutter in Linz zurückgehalten werden.
Die Mutter wendete ein, sie habe den gewöhnlichen Aufenthalt gemeinsam mit den Kindern in Linz genommen. Der Vater habe sie und die Kinder verlassen.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Rückführung der Kinder ab, wobei es folgende Feststellungen traf:
Die Familie lebte vorerst zusammen in Belgrad. Die Eltern der Mutter wohnen bereits seit drei Jahren in Linz. Da die Eltern der Pflegebefohlenen Angst um ihr Leben und die Sicherheit der Familie hatten, vereinbarten sie, dass die Mutter mit den Kindern mit einem österreichischen Visum nach Linz zu den mütterlichen Großeltern reist, der Vater nachkommt und sie in Österreich Asylanträge stellen werden. Am 25. 9. 2001 gab der Vater die schriftliche Erklärung, dass die Mutter mit den Kindern zu Besuch nach Österreich reisen darf und zwar für die Dauer von einem Monat nach der Ausstellung des Visums. Die Mutter kam mit den Kindern am 19. 11. 2001 nach Linz und lebt seither bei ihren Eltern. Am 20. 12. 2001 stellte sie einen Asylantrag. Am 19. 1. 2002 kam der Vater nach Linz und zog ebenfalls in die Wohnung der Eltern der Mutter. Am 21. 1. 2002 stellte er einen Asylantrag. Die Familie erhielt die vorläufige Aufenthaltsbewilligung. Dem Vater gefiel es in Linz nicht. Es kam zu Streitigkeiten zwischen den Eltern, in deren Verlauf der Vater die Mutter misshandelte. Gegen den Vater wurde nach § 38a Abs 2 SPG ein Betretungsverbot verhängt. Am 30. 7. 2002 zog der Vater seinen Asylantrag zurück und reiste nach Jugoslawien. Seither sahen sich die Eltern nicht mehr. Der Vater ruft die Mutter zweimal im Monat an und redet ihr zu, gemeinsam mit den Kindern zu ihm nach Belgrad zu kommen.
Das Erstgericht vertrat die Ansicht, es liege keine widerrechtliche Verbringung oder Zurückhaltung der Kinder vor.
Das vom Vater angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig.
Das Rekursgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, nach dem Übereinkommen vom 25. 10. 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Haager Kindesentführungsübereinkommen BGBl 512/1988) solle das im Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes tatsächlich bestehende Sorgerecht geschützt werden. Das gesetzliche Sorgerecht richte sich nach dem Recht des Staates, auf welches das staatsvertragliche oder autonome österreichische Kollisionsrecht verweise. Für die Vertragsstaaten des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA) besage dies, dass das gesetzliche Sorgerecht dem Heimatrecht des Kindes (Jugoslawien) unterstehe.
Gemäß Art 123 des serbischen Gesetzes über die Ehe und Familienbeziehungen üben die Eltern das Elternrecht gemeinsam und einvernehmlich aus.
Art 3 HKÜ definiere das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich wenn
a) dadurch das Sorgerecht verletzt werde, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle alleine oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zustehe, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens alleine oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt worden sei oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden habe.
Auch das Verbringen eines Kindes durch einen gemeinsamen Sorgeberechtigten ohne die Genehmigung des anderen sei widerrechtlich (SZ 63/131).
Der Tatbestand eines Verbringens scheide hier schon begrifflich aus, weil die Mutter ja unbestrittenerweise mit Zustimmung des Vaters mit den Kindern nach Österreich gekommen sei. Es liege aber auch kein widerrechtliches Zurückhalten vor, wenn die Kinder nunmehr aufgrund der Entscheidung der Mutter den Vater nicht mehr in die Heimat nachfolgten. Im vorliegenden Fall habe die Familie gemeinsam ab dem Eintreffen des Vaters am 19. 1. 2002 bis 17. 7. 2002 in Linz gelebt und unter anderem auch durch Stellung der Asylanträge für alle vier Familienmitglieder deutlich dokumentiert, dass der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt im Sinne eines Mittelpunktes der Lebensinteressen in Linz sei. Dass die Lebensgemeinschaft zwischen den Eltern am 17. 7. 2002 geendet habe, indem ein Betretungsverbot gegen den Vater verhängt worden sei, könne nicht der Mutter angelastet werden. Ebensowenig habe es die Mutter zu vertreten, dass sich der Antragsteller zur Rückziehung seines Asylantrages und zur Rückkehr in seine Heimat entschlossen habe. Die Mutter habe den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder nicht einseitig verändert, lediglich der Vater habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich beendet. Es sei daher nicht erforderlich, eine durch die Mutter als "Entführerin" veränderte Situation wiederherzustellen.
Den ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht für zulässig, weil zur Frage, ob auch das Zurückbleiben eines mitsorgeberechtigten Elternteiles mit den Kindern in einem anderen als dem Heimatland gegen den Willen des anderen als widerrechtliches Zurückhalten im Sinn des Art 3 HKÜ zu subsumieren sei, nicht vorliege.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rückführung der Kinder nach Belgrad anzuordnen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Revisionsrekurs ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Rekursgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Erklärtes Ziel des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung ist es, die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen (Art 1 lit a HKÜ; 1 Ob 51/02k). Ein Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt - wie schon das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat - als widerrechtlich, wenn
a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.
Ein widerrechtlich verbrachtes oder zurückgehaltenes Kind ist an den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts zurückzugeben (Schütz, Zwischenstaatliche Vereinbarungen, die für Familienrichter bedeutsam sein könnten, RZ 2001, 54 [56]). Aus der Präambel des Übereinkommens (... um eine sofortige Rückgabe in "den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts sicherzustellen" ...) ergibt sich, dass das sicherzustellen ist, dass das Kind in den Staat seines (bisherigen) gewöhnlichen Aufenthalts zurückkehrt (1 Ob 51/02k). Das Kind, das sich an seinem gewöhnlichen Aufenthalt befindet, kann daher dorthin weder verbracht noch dort iSd Art 3 HKÜ zurückgehalten werden. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes im Art 3 HKÜ ist gleich auszulegen wie in den diesen Begriff enthaltenden Bestimmungen der JN und des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens (1 Ob 220/02p). Demgemäß kommt es für die Ermittlung des "gewöhnlichen Aufenthaltes" darauf an, ob jemand tatsächlich einen Ort zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehung macht. Der Aufenthalt bestimmt sich ausschließlich nach tatsächlichen Umständen. Die Dauer des Aufenthaltes ist für sich allein kein ausschlaggebendes Moment doch ist im Allgemeinen nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten anzunehmen, dass ein "gewöhnlicher Aufenthalt" vorliegt. Ein gewöhnlicher Aufenthalt kann auch gegen den Willen eines Sorgeberechtigten begründet werden, weil es auf den tatsächlichen Daseinsmittelpunkt ankommt (1 Ob 220/02p mwN). Ob ein "gewöhnlicher Aufenthalt" vorliegt, kann aber nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden, weshalb insoweit die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG nicht gegeben sind. Eine krasse Fehlbeurteilung, die aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit wahrzunehmen wäre, kann in der Annahme der Vorinstanzen, die Pflegebefohlenen hätten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Linz gehabt, im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes nicht erblickt werden.
Die vom Rekursgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt sohin nicht die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG. Da auch im Rechtsmittel des Vaters keine anderen erheblichen Rechtsfragen dargetan werden, ist dessen Revisionsrekurs zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)