Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Die Minderjährigen entstammen einer aufrechten Ehe. Die Mutter wurde - ebenso wie der Vater - in Mazedonien geboren, ist aber österreichische Staatsbürgerin. Der Vater ist australischer Staatsangehöriger. Die Kinder besitzen sowohl die österreichische wie auch die australische Staatsbürgerschaft. Zumindest bis Anfang Dezember 2000 wohnten die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern in Östereich. In der Folge waren sie bis Dezember 2001 in Australien aufhältig; dann kehrten die Kinder gemeinsam mit ihrer Mutter nach Österreich zurück. Der Vater verblieb in Australien.
Der Vater begehrte die Veranlassung der sofortigen Rückgabe der Kinder an ihn im Sinne des Haager Übereinkommens vom 25. 10. 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Das Sorgerecht für die Kinder stehe ihm gemeinsam mit der Mutter zu, der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Kinder und auch der Eltern sei ein Ort in Australien gewesen. Die Familie habe sich am 8. 12. 2000 in Australien angesiedelt; es sei ein Haus angemietet worden und ein zumindest zweijähriger Aufenthalt in Australien beabsichtigt gewesen. Ende 2001 habe die Mutter unter dem Vorwand, ihren kranken Vater in Österreich besuchen zu wollen, gemeinsam mit den Kindern und im Einverständnis mit dem Vater einen Flug nach Wien gebucht, doch sei beabsichtigt gewesen, dass die Mutter mit den Kindern am 31. 1. 2002 wieder nach Australien zurückkehren solle. Die Mutter habe allerdings in der Folge erklärt, sie lehne eine solche Rückkehr ab. Einem Verbleib der Kinder in Österreich habe der Vater nie zugestimmt, vielmehr seien die Kinder in Australien glücklich gewesen und "gut gediehen".
Die Mutter gab an, es sei lediglich eine Urlaubsreise nach Australien geplant gewesen, weshalb alles Hab und Gut in Österreich zurückgelassen worden sei. Erst nach der Ankunft in Australien habe der Vater erklärt, dort bleiben zu wollen. Die Mutter sei faktisch etwa ein Jahr lang in Australien "einfach festgehalten" worden, es sei ihr erst auf Grund der finanziellen Unterstützung durch ihren Vater möglich gewesen, nach Österreich zurückzukehren. Diese Rückkehr habe nach ihrem Plan für immer erfolgen sollen. Eine Rückkehr nach Österreich habe der Vater nicht gestattet, sodass die Mutter unter dem Vorwand, ihren Vater besuchen zu wollen, gemeinsam mit den Kindern die Rückreise nach Österreich angetreten habe.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters auf Rückführung der Kinder ab. Es stellte fest, dass die Eltern samt den Kindern auch im Jahre 2001 lediglich zu Urlaubszwecken nach Australien geflogen seien, und der Vater habe erst dort seine Absicht mitgeteilt, dauernd dort zu bleiben. Aus finanziellen Gründen sei es der Mutter nicht möglich gewesen, gemeinsam mit den Kindern nach Österreich zurückzukehren. Sie habe erst nach entsprechender finanzieller Unterstützung durch ihren Vater unter dem Vorwand, eine Urlaubsreise nach Österreich machen zu wollen, die Einwilligung des Vaters hiezu erhalten. Sie habe aber von vornherein geplant, nicht mehr nach Australien zurückzukehren.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass das HKÜ hier nicht anzuwenden sei, zumal der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Kinder in Österreich liege. Die Kinder seien faktisch an einer Rückkehr nach Österreich gehindert gewesen; ein Aufenthalt in Australien sei seitens der Kinder und der Mutter nie freiwillig begründet worden. Für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des HKÜ sei aber neben einer längeren Aufenthaltsdauer auch die Freiwilligkeit des Aufenthalts maßgeblich.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es sei unstrittig, dass die Eltern bis zur Abreise der Mutter und der Kinder aus Australien die Obsorge für die Kinder gemeinsam ausgeübt hätten und dass die Mutter dem Vater die tatsächliche Obsorge entzogen habe. Nach Lehre und Judikatur werde der "gewöhnliche Aufenthalt" einer Person ausschließlich durch tatsächliche Umstände, nicht aber durch ein Willenselement bestimmt; es käme auf die Erlaubtheit oder auf die Freiwilligkeit des Aufenthalts nicht an. Diese Leitsätze bezögen sich aber nur auf Fälle der Anhaltung auf Grund behördlicher Anordnung oder eines unerlaubten Aufenthalts an einem bestimmten Ort, nicht aber auf einen Fall wie den hier vorliegenden, wo einseitig (durch den Vater) der Aufenthalt der Kinder festgelegt worden sei. Andernfalls kämen die Schutzbestimmungen des HKÜ jenem Elternteil zugute, der die ursprünglich bestehende Obsorgesituation ohne Zustimmung des anderen Elternteils und der Kinder einseitig und unter Vorspiegelung falscher Vorstellungen faktisch abgeändert habe. Der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder sei daher - ungeachtet des Aufenthalts in Australien - weiterhin in Österreich gelegen, weshalb der Antrag des Vaters auf sofortige Rückgabe der Kinder zu Recht abgewiesen worden sei.
Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Art 3 HKÜ lautet auszugsweise:
"Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn
a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte".
Unbestrittenermaßen wurde das Sorgerecht für die Kinder im Zeitpunkt deren Verbringens von Australien nach Österreich von den Eltern gemeinsam "tatsächlich" ausgeübt. Das Sorgerecht des Vaters wäre demnach dann verletzt worden, wenn ihm nach australischem Recht das Sorgerecht für die Kinder (allein oder gemeinsam) zugestanden sein sollte und die Kinder unmittelbar vor dem Verbringen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Australien gehabt haben sollten.
Nun haben die Vorinstanzen den Rückführungsantrag des Vaters allein deshalb abgewiesen, weil es schon am "gewöhnlichen Aufenthalt" der Kinder in Australien gemangelt habe. Der Oberste Gerichtshof ist nicht in der Lage, darüber zu befinden, ob die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Australien begründet hatten, weil es an entsprechenden Feststellungen mangelt:
Grundsätzlich kommt es für die Ermittlung des "gewöhnlichen Aufenthalts" im Inland nicht auf die Absicht, dauernd an einem Ort verbleiben zu wollen, an, aber doch darauf, ob jemand tatsächlich einen Ort zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehungen macht. Maßgeblich sind dauerhafte Beziehungen einer Person zu ihrem Aufenthaltsort (vgl ZfRV 2001, 111). Der Aufenthalt einer Person bestimmt sich ausschließlich nach tatsächlichen Umständen (vgl ZfRV 1996, 161). Die Dauer des Aufenthalts ist für sich allein kein ausschlaggebendes Moment, wesentlich ist stets, ob Umstände vorliegen, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihren Aufenthalt anzeigen (RZ 1990/52). Ein "gewöhnlicher Aufenthalt" ist im Allgemeinen nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten anzunehmen, doch ist die genaue Prüfung der jeweiligen Umstände erforderlich (EFSlg 60.657), insbesondere wenn der Aufenthalt des Kindes mehr oder weniger zwangsweise begründet wurde (SZ 60/212). Ein gewöhnlicher Aufenthalt kann auch gegen den Willen eines Sorgeberechtigten begründet werden, weil es auf den tatsächlichen Daseinsmittelpunkt des Minderjährigen ankommt. Der entgegenstehende Wille des (anderen) Sorgeberechtigten wirkt sich aber rein tatsächlich häufig dahin aus, dass der Aufenthalt des Minderjährigen in dem anderen Staat noch nicht als auf Dauer angelegt angesehen werden kann. Das Bestehen eines gewöhnlichen Aufenthalts darf jedoch nicht mehr verneint werden, wenn der Aufenthalt über einen längeren Zeitraum gewährt hat und das Kind sozial integriert ist (SZ 71/61; ZfRV 1998, 208; ZfRV 1996, 246, ÖA 1990, 19; EFSlg 60.658 f).
Diese Grundsätze gelten auch bei Anwendung des Art 3 HKÜ (vgl nur ZfRV 1998, 208; ÖA 1990, 19), und es ist kein Grund zu erkennen, warum der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" im Art 3 HKÜ anders auszulegen wäre als in den diesen Begriff enthaltenden Bestimmungen der JN oder gar des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens (MSA). Auch im Fall eines allenfalls widerrechtlich bzw zumindest gegen den Willen des anderen Sorgeberechtigten begründeten Aufenthalts kann durchaus ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Art 3 HKÜ begründet werden. Es genügt jedenfalls nicht, nur darauf abzustellen, dass der Aufenthalt der drei Minderjährigen in Australien nicht freiwillig begründet worden sei, und schon deshalb dort ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht bestanden haben könne. Vielmehr wird das Erstgericht Feststellungen dahin zu treffen haben, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne obiger Ausführungen begründet wurde, was insbesondere durch den Aufenthalt über einen längeren Zeitraum und die soziale Integration der Kinder indiziert wäre. Entsprechendes Vorbringen hat der Vater erstattet; auf diese Tatumstände wird einzugehen sein.
Wenngleich es erklärtes Ziel des HKÜ ist, die sofortige Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder sicherzustellen (1 Ob 51/02k), darf bei der zu treffenden Entscheidung - sofern ein gewöhnlicher Aufenthalt in Australien begründet gewesen sein sollte - schließlich aber auch nicht übersehen werden, dass das konkrete Kindeswohl den Vorzug vor dem vom HKÜ angestrebten Ziel, "Kindesentführungen" ganz allgemein zu unterbinden, hat (ZfRV 2001, 30), und es muss der Mutter daher Gelegenheit gegeben werden, Vorbringen in Richtung eines allenfalls vorliegenden Ausnahmetatbestands (zB Art 13 Abs 1 lit b HKÜ) zu erstatten, insbesondere wenn sich herausstellen sollte, dass der "entführende Elternteil" auf einen allenfalls zwangsweisen (gewöhnlichen) Aufenthalt in Australien reagierte.
Mangels Spruchreife sind in Stattgebung des vom Vater erhobenen Revisionsrekurses die vorinstanzlichen Entscheidungen aufzuheben und hat das Erstgericht neuerlich zu entscheiden.
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