European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00068.17I.0427.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.
Begründung:
Das Landesgericht Salzburg wies als Erstgericht die auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage mit Urteil ab. In der Begründung führte es aus, nach ständiger Rechtsprechung könne eine Wiederaufnahmsklage nicht auf nachträgliche Umstände gestützt werden, aus denen sich die Unrichtigkeit eines Sachverständigengutachtens ergebe. Ein jüngeres, vom ursprünglichen Gutachten abweichendes Gutachten begründe zwar dann einen Wiederaufnahmsgrund, wenn das erste Gutachten auf einer unzulänglichen Grundlage beruht habe. Das im wiederaufzunehmenden Verfahren erstattete Gutachten über den Verdienstentgang des Wiederaufnahmsbeklagten habe aber nicht auf einer unzulänglichen Grundlage beruht. Die Wiederaufnahmskläger hätten die von ihnen als neue Tatsachen titulierten Erkenntnisse bereits im Hauptverfahren geltend machen und hinterfragen können.
Das mit Berufung der Wiederaufnahmskläger angerufene Oberlandesgericht Linz sprach als Rekursgericht aus, der als Berufung bezeichnete Rekurs werde zurückgewiesen; der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig. Es führte aus, das Erstgericht habe inhaltlich ein Unschlüssigkeitsurteil gefällt. In Verdienstentgangsprozessen müsse immer mit einem Wahrscheinlichkeitsurteil das Auslangen gefunden werden, weil in Bezug auf einen hypothetischen Geschehensablauf eine objektive Wahrheit niemals in Betracht komme. Die Methodenwahl zur Beantwortung dieser hypothetischen Fragestellung bleibe prinzipiell dem Sachverständigen überlassen. Schriebe das Gericht dem Sachverständigen eine bestimmte Methode der Begutachtung vor, verhinderte es die Nutzbarmachung von Expertenwissen. Daher habe es primär der Sachverständige im wiederaufzunehmenden Verfahrenselbst zu entscheiden gehabt, welche Befundgrundlagen und wie detailliert er diese für sein Gutachten benötige und wie er sich diese beschaffe. Seine fachliche Ansicht, dass dem Wegfall von Großkunden der Zugewinn neuer Großkunden gegenüberstehe, erfordere nicht zwingend die Heranziehung des nunmehr in der Wiederaufnahmsklage dargestellten Zahlenmaterials (Umsatzrückgänge bei einigen Großkunden der GmbH des Wiederaufnahmsbeklagten infolge der Wirtschaftskrise 2008). Davon abgesehen dürften schon benützbare Beweismittel nicht einem Wiederaufnahmsverfahren vorbehalten werden. Jahresabschlüsse von Kapitalgesellschaften seien zufolge § 277 UGB öffentlich und somit auch den Wiederaufnahmsklägern zugänglich gewesen. Die in der Wiederaufnahmsklage dargestellten bilanzierten Verluste und Umsatzrückgänge wären daher auch den Wiederaufnahmsklägern als Beklagten im Vorprozess zugänglich gewesen und hätten von ihnen behauptet werden können. Allfällige wirtschaftliche Schwierigkeiten und Umsatzrückgänge von Großkunden der GmbH des Wiederaufnahmsbeklagten seien für den Sachverständigen im wiederaufzunehmenden Prozessnicht schwieriger zu erheben als später für denjenigen Sachverständigen, auf dessen Gutachten die Wiederaufnahmsklage gestützt werde. Da der Sachverständige im wiederaufzunehmenden Prozessbereits den Verlust von Großkunden in seinem Gutachten dargestellt und verwertet gehabt habe, sei es den Beklagten oblegen, wenn sie dieses Thema ausführlicher dargestellt hätten haben wollen, diesbezügliche Behauptungen aufzustellen oder eine Gutachtensergänzung durch den Sachverständigenzu beantragen. Dass sich aus späteren Tatumständen die Unrichtigkeit eines Gutachtens ergeben solle, sei kein tauglicher Wiederaufnahmsgrund. Ein nachträglich beigebrachtes Gutachten sei keine neue Tatsache, wenn das Thema des Gutachtens bereits im Hauptprozess bekannt gewesen sei. Die in der Berufung zitierte oberstgerichtliche Entscheidung 10 ObS 169/03f sei wesentlich anders gelagert. Sie habe einen Fall betroffen, in dem ein als Zeuge vernommener Arzt seine Aussage widerrufen und das Gutachten auf dieser Zeugenaussage aufgebaut habe. Dass in einem solchen Fall die Wiederaufnahme zulässig sei, liege auf der Hand. Für den vorliegenden Fall ließen sich daraus ebenso wie aus 2 Ob 230/06x und 9 Ob 7/05b keine Rückschlüsse auf das Vorliegen eines gesetzlichen Wiederaufnahmsgrundes ziehen. Die Wiederaufnahmsklage sei daher tatsächlich unschlüssig.
Unschlüssige Wiederaufnahmsklagen seien in jeder Lage des Verfahrens mit Beschluss zurückzuweisen. Dies gelte auch dann, wenn der Zurückweisungsgrund erst bei der mündlichen Verhandlung hervorkomme. Wenn sich das Gericht in der Entscheidungsform vergreife und mit Urteil erkenne, liege in Wahrheit dennoch ein Beschluss vor, welcher mit Rekurs anzufechten sei. Die Bezeichnung des Rechtsmittels als Berufung schade gemäß § 84 Abs 2 ZPO nicht, jedoch betrage die Rekursfrist gemäß § 521 Abs 1 ZPO seit der ZVN 2009 14 Tage. Die erstinstanzliche Entscheidung sei den Wiederaufnahmsklägern am 2. 12. 2016 zugestellt worden. Der letzte Tag der Rekursfrist sei demnach der 16. 12. 2016. Das erst am 29. 12. 2016 eingebrachte Rechtsmittel sei verspätet.
Dagegen richtet sich der rechtzeitige „Rekurs/außerordentlicher Revisionsrekurs“ der Wiederaufnahmskläger mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem „Berufungsgericht“ die Fortsetzung des Verfahrens über die Berufung der Wiederaufnahmskläger unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Hilfsweise stellen sie einen Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Rekurses gegen die als Beschluss zu qualifizierende Entscheidung des Erstgerichts.
Rechtliche Beurteilung
Das gegen diese Entscheidung erhobene und als Revisionsrekurs zu behandelnde Rechtsmittel der Wiederaufnahmskläger ist zwar nicht absolut unzulässig (RIS‑Justiz RS0023346 [T13]; 2 Ob 8/06z ua), aber wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Die Revisionsrekurswerber relevieren als erhebliche Rechtsfragen eine zweifache grobe Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht:
1. Die Kläger hätten behauptet, das im wiederaufzunehmenden Verfahren erstattete Gutachten habe auf einer unzulänglichen Grundlage beruht, was die Vorinstanzen zu Unrecht verneint hätten. Das Erstgericht habe die Schlüssigkeit der Wiederaufnahmsklage bejaht und deshalb zu Recht mit Urteil entschieden, weshalb die dagegen erhobene Berufung innerhalb der vierwöchigen Berufungsfrist und somit rechtzeitig erhoben worden sei.
2. Selbst wenn sich das Erstgericht in der Entscheidungsform vergriffen haben sollte und seine Entscheidung daher als Beschluss zu werten sei, hätte das „Berufungsgericht“ den Klägern die Möglichkeit einer Schlüssigstellung einräumen müssen. Die angefochtene Entscheidung verstoße auch gegen jene Rechtsprechung, wonach in den Fällen, in denen ein Beschluss oder ein Urteil mehrere Entscheidungen enthalte, jeweils die längere Rechtsmittelfrist für alle Entscheidungsteile gelte.
Hierzu wurde erwogen:
Zu 1. Aus § 543 ZPO ergibt sich, dass eine unschlüssige Wiederaufnahmsklage in jeder Lage des Verfahrens mit Beschluss zurückzuweisen ist (RIS‑Justiz RS0044620). Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden. Ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, stellt daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage dar. Dies gilt auch für die Prüfung der Schlüssigkeit einer Wiederaufnahmsklage (RIS‑Justiz RS0037780; 2 Ob 8/06z mwN).
Die dargestellten Ausführungen des Rekursgerichts, in denen die Schlüssigkeit der Wiederaufnahmsklage und somit implizit der Wiederaufnahmstatbestand, das Gutachten im Vorprozess habe auf einer unzulänglichen Grundlage beruht, verneint wurden, stellen keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts dar.
Zu 2. Aus der Begründung zu 1. folgt, dass das „Urteil“ des Erstgerichts als Beschluss zu werten ist (§§ 538, 543 ZPO; RIS-Justiz RS0044620; RS0041880 [T1]), der mit Rekurs innerhalb der 14-tägigen Rekursfrist (§ 521 Abs 1 ZPO) angefochten werden konnte. Demnach ist auch die Beurteilung des Rekursgerichts, die „Berufung“ (richtig: Rekurs) sei verspätet, nicht zu beanstanden. Die von den Rechtsmittelwerbern ins Treffen geführten Argumente sind unzutreffend: Die Versäumung einer Notfrist im Rechtsmittelverfahren hat nichts mit der Ermöglichung der Schlüssigstellung zu tun. Der angefochtene Beschluss enthält auch nicht mehrere Entscheidungen.
Über den hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag wird das Erstgericht zu entscheiden haben (RIS-Justiz RS0007129).
Die Kostenentscheidung beruht auf den im Spruch zitierten Gesetzesstellen.
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