Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt wird.
Text
Begründung
Mit dem am 27. Juni 1990 erhobenen Antrag begehrte Karin K*** die Bewilligung des abgesonderten Wohnsitzes, weil ihr wegen des rücksichtslosen und gewalttätigen Verhaltens ihres Ehemannes ein weiteres gemeinsames Wohnen nicht zumutbar sei.
Nachdem die Antragstellerin am 2. Juli 1990 die Ehewohnung verlassen hatte, modifizierte sie ihr Begehren auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der am 2. Juli 1990 durchgeführten gesonderten Wohnungnahme.
Der Antragsgegner sprach sich nicht gegen die gesonderte Wohnungnahme seiner Frau aus, bestritt jedoch das ihm zur Last gelegte Verhalten.
Das Erstgericht gab dem modifizierten Antrag statt. Es ging dabei im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:
Die zwischen den Parteien Ende 1982 geschlossene Ehe blieb kinderlos. In letzter Zeit kam es zwischen den Eheleuten häufig zu Streitigkeiten mit gegenseitigen Beschimpfungen und zum Teil auch mit Gewalttätigkeiten seitens des Mannes. Mitte Mai schlug er die Antragstellerin mit einem Schuh; verletzt wurde sie dabei nicht. Seit diesem Vorfall lebten die Ehegatten in der gemeinsamen Wohnung im wesentlichen getrennt. In der Nacht vom 20. zum 21. Juni 1990 kam es neuerlich zu einer Auseinandersetzung, weil die Antragstellerin bis 4 Uhr morgens ausgeblieben war. Der Antragsgegner, der die im Freundeskreis aus Anlaß der von der Antragstellerin bestandenen Meisterprüfung veranstaltete Feier gegen 24 Uhr allein verlassen hatte, beschimpfte seine Frau ("Drecksau, Du hurst umeinander") würgte sie, als sie ein Bad nahm, und tauchte ihren Kopf mehrmals unter Wasser; dann zerrte er sie aus dem Badezimmer ins Schlafzimmer und drohte ihr, sie werde die Wohnung nicht lebend verlassen; schließlich warf er sie aufs Bett und schlug sie; dabei erlitt sie eine Rippenprellung sowie Rötungen im Halsbereich. Nach anwaltlicher Beratung verließ die Antragstellerin am 2. Juli 1990 die Ehewohnung und zog zu ihren Eltern. Sie fühlt sich bedroht, will nicht mehr mit dem Antragsgegner zusammenwohnen und strebt die Scheidung der Ehe an.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß der Antragsgegner - der seine Frau auch mit dem Umbringen bedroht habe - ein Verhalten gesetzt habe, das der Antragstellerin ein weiteres Zusammenleben unzumutbar mache. Dies habe die gesonderte Wohnungnahme gerechtfertigt.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs des Antragsgegners Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß es den Antrag abwies, wobei es den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig erklärte. Das Rekursgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und ging bei Erledigung der Rechtsrüge des Rekurses davon aus, daß das Vorbringen der Antragstellerin und deren Aussage das Bild einer zerrütteten Ehe und die fehlende Bereitschaft der Frau ergebe, in einen gemeinsamen Haushalt mit dem Mann zurückzukehren. Wenngleich die Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens einer Entscheidung nach § 92 Abs 3 ABGB nicht entgegenstehe (EFSlg 35.156, 55.895), so könne doch ein echter Dauerzustand nicht zum Gegenstand einer solchen Entscheidung gemacht werden (EFSlg 35.156, 44.823). Im Hinblick auf die fehlende Bereitschaft der Antragstellerin, in die eheliche Wohnung zurückzukehren, sei der Antrag trotz Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen des § 92 Abs 2 ABGB abzuweisen gewesen. In der Entscheidung EFSlg 50.160 vertrete ein anderes Gericht zweiter Instanz die Ansicht, daß auch dann, wenn die Scheidung angestrebt werde, dem einen Teil die Entscheidung nach § 92 Abs 3 ABGB nicht verwehrt werden dürfe, weil gerade im Stadium der Einleitung des Scheidungsverfahrens das Zusammenleben ganz besonders unerträglich sein könne. Ferner sei in den zitierten Entscheidungen des Höchstgerichtes - soweit überblickbar - nicht geprüft worden, ob der Zeitraum zwischen der tatsächlichen Vornahme der getrennten Wohnung und der Rechtskraft eines Scheidungsurteiles nicht auch "vorübergehend" im Sinne des § 92 Abs 2 ABGB sein könne. Es entspräche der Natur der Ehescheidung, daß nach Eintritt ihrer Rechtskraft getrennte Lebensbereiche der (vormaligen) Ehegatten die übliche Folge seien und für diese Zeit könne ein Antrag nach § 92 Abs 3 ABGB nicht ernsthaft gedacht sein. In diesem Sinne sei auch der Zeitraum vom tatsächlichen Vollzug der gesonderten Wohnungnahme bis zur Rechtskraft der Scheidung ein "vorübergehender". Danach stünde es der Frau sogar frei, im Verfahren nach §§ 81 ff EheG die Zugeisung der vormaligen Ehewohnung zu beantragen, wonach sie (den Erfolg dieses Antrages vorausgesetzt) auch wieder in die Wohnung zurückkehren könnte, die sie bis dahin "vorübergehend" verlassen habe. Das in der Entscheidung EFSlg 50.160 angezogene Argument, gerade im Stadium des Scheidungsverfahrens könne das Zusammenleben ganz besonders unerträglich sein, sei lebensnah. Gerade für diesen Zeitraum sei auch ein Rechtsschutzinteresse des antragstellenden Ehegatten an der Feststellung, daß sein Verhalten rechtmäßig sei, nicht von der Hand zu weisen. Gegenüber der durch § 382 Abs 1 Z 8 lit. b und Abs 2 EO geschaffenen Möglichkeit sei diese Vorgangsweise (§ 92 Abs 3 ABGB) auch der weniger schwerwiegende Eingriff in die persönlichen Verhältnisse der Parteien. Sehe es der Gesetzgeber nunmehr als zulässig an, auch ohne Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe für einen auf höchstens drei Monate befristeten Zeitraum den Auftrag an einen Ehegatten zum Verlassen der Ehewohnung zu erteilen (§ 382 Abs 2 EO), so wäre die Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 92 Abs 3 ABGB auch bei Vorliegen eines Dauerzustandes nicht unvertretbar. Da über diese Argumente vom Höchstgericht, soweit überblickbar, noch nicht abgesprochen worden sei, hänge die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der zur Wahrung der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme, dies auch dann, wenn das Rekursgericht von der zitierten Judikatur nicht abgewichen sei.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese rekursgerichtliche Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin, der zulässig und berechtigt ist.
Nach § 92 Abs 2 ABGB kann ein Ehegatte vorübergehend gesondert Wohnung nehmen, solange ihm ein Zusammenleben mit dem anderen Ehegatten unzumutbar ist oder wichtige persönliche Gründe die gesonderte Wohnungnahme rechtfertigen. Mit einer solchen Maßnahme sollen die allgemeinen Grundsätze des § 90 ABGB in Ansehung der Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen nicht völlig aufgehoben, sondern nur aus triftigen Gründen auf Zeit ausgesetzt werden. Die Rechtsprechung hat daraus gefolgert, daß mit Gründen dauernder Natur ein Begehren iS des § 92 Abs 2 ABGB nicht gerechtfertigt werden könne. Dieser Grundsatz wurde weiters dahin konkretisiert, daß nur ein echter Dauerzustand einer solchen Entscheidung des Außerstreitrichters entgegensteht (4 Ob 601/87 und 6 Ob 687/88, beide veröffentlicht in EFSlg 55.895). Von einem (echten) Dauerzustand in diesem Sinn kann aber - wie der Oberste Gerichtshof auch schon wiederholt ausgesprochen hat - dann keine Rede sein, wenn die für die gesonderte Wohnungnahme ins Treffen geführten Gründe zumindest theoretisch wieder wegfallen können, wie sich etwa das Verhalten eines Ehegatten, das einen wichtigen Grund iS des § 92 Abs 2 ABGB für den anderen Ehegatten bildet, ändern könnte (EFSlg 37.515; 4 Ob 518/90). Ein solcher Grund liegt hier vor, denn es erscheint theoretisch möglich, daß der Antragsgegner sein ehewidriges Verhalten ändert und auch die Antragstellerin an ihrer Wunschvorstellung, zu ihrem Mann "eigentlich" nicht mehr zurückkehren und sich scheiden lassen zu wollen, nicht mehr festhält. Der Annahme des Vorliegens eines solchen echten, unveränderlichen, einer Entscheidung iS des § 92 Abs 2 bzw. 3 ABGB entgegenstehenden Dauerzustandes kann daher nicht beigepflichtet werden.
Daß die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für die vorübergehende gesonderte Wohnungnahme gegeben sind, wurde von den Vorinstanzen übereinstimmend und mit Recht bejaht, weil ein Ehegatte - selbst wenn er sich durch das vorangegangene Verhalten des anderen Eheteiles gekränkt erachtet - sich nicht zu Mißhandlungen, wie die hier festgestellten, hinreißen lassen darf, die bei verständiger Würdigung der Gesamtsituation ihrer Art nach und im Zusammenhang mit der Drohung, der Ehegatte werde die Wohnung nicht lebend verlassen, das weitere Zusammenleben als für die Antragstellerin unzumutbar erscheinen lassen, zumal diesen Tätlichkeiten schon andere Gewalttätigkeiten vorangegangen waren.
Das Erstgericht hat daher mit Recht ausgesprochen, daß die gesonderte Wohnungnahme der Antragstellerin rechtmäßig war. Damit erweist sich der Revisionsrekurs als berechtigt, weshalb ihm Folge zu geben und der rekursgerichtliche Beschluß iS der Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung abzuändern war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)