OGH 2Ob5/03d

OGH2Ob5/03d27.2.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Jeannine N*****, geboren 1. Oktober 1988, und der mj Tamara N*****, geboren 16. Juni 1990, *****, beide vertreten durch die Mutter Hannelore Eva-Maria N*****, diese vertreten durch Dr. Herbert Klinner, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs des Vaters Heribert Josef N*****, vertreten durch Dr. Günter Tews und Mag. Christian Fischer, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 4. Dezember 2002, GZ 37 R 39/02i-82, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Tulln vom 6. Februar 2002, GZ 1 P 54/96d-74, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der Minderjährigen wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Tulln vom 11. 1. 1996, 1 C 108/95x-12, gemäß § 55a EheG geschieden. Mit der Obsorge ist auf Grund der dabei abgeschlossenen Vereinbarung gemäß § 55a EheG die Mutter allein betraut. Der Vater verpflichtete sich zu Unterhaltsleistungen von S 6.000,-- pro Kind sowie zu einem Betrag von S 1.500,-- pro Kind an Sonderbedarf für Schulgeld. Ab 1. 7. 1999 sollten sich die Unterhaltsbeiträge auf S 6.200,-- pro Kind erhöhen. Ziffernmäßig ist die Bemessungsgrundlage nicht festgehalten.

Die letzte Unterhaltsbemessung erfolgte mit Beschluss des Bezirksgerichtes Tulln vom 9. 9. 1999 mit S 9.350,-- für Jeannine und S 8.125,-- für Tamara, ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von S 75.812,22 bei keinen weiteren Sorgepflichten. Der vom Vater gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs blieb erfolglos.

Am 27. 8. 2001 langte beim Erstgericht der Antrag des Vaters auf Herabsetzung der Unterhaltsbeiträge ein. Dieser Antrag wurde ausschließlich damit begründet, dass sich auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 6. 2001, B 1285/00, die bisherige Rechtsprechung zu § 12a FLAG nicht mehr aufrecht erhalten lasse und die Familienbeihilfe daher teilweise auf den Unterhalt anzurechnen sei, soweit es zur Erzielung der notwendigen steuerlichen Entlastung erforderlich sei. Der Vater begehrte die Herabsetzung der Unterhaltsbeiträge für Tamara für den Zeitraum 1. 10. 1999 bis 30. 6. 2000 auf S 6.620,- -, für den Zeitraum 1. 7. 2000 bis 30. 6. 2001 auf S 6.820,-- und für den Zeitraum ab 1. 7. 2001 auf S 7.700,- -, sowie für Jeannine für den Zeitraum 1. 10. 1999 bis 30. 6. 2000 auf S 7.360,-- und ab 1. 7. 2000 auf S 7.590,- -.

Die Mutter sprach sich in ihrer Äußerung gegen diesen Antrag aus.

Nach Einholung aktueller Bezugsauskünfte wies das Erstgericht die Anträge des Vaters ab. Es stellte fest, der Vater habe im Jahr 1999 ein monatliches Durchschnittseinkommen von EUR 6.117,73 (S 84.099,30), im Jahr 2000 ein solches von EUR 6.493,01 (S 89.345,74) und im Jahr 2001 von EUR 6.467,29 (S 88.991,87) bezogen. Sorgepflichtig sei er nur für die beiden Minderjährigen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, eine Bindung der Gerichte an die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes sei nicht gegeben. Das Erstgericht wendete daher § 12a FLAG in der im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Fassung an und nahm keine Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Unterhalt vor. Die Verhältnisse hätten sich nur insofern geändert, als sich die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen erhöht habe.

Das Rekursgericht stellte zunächst an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 12a FLAG als verfassungswidrig aufzuheben. Über diesen sowie mehrere gleichgelagerte Anträge anderer Gerichte hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. 6. 2002, G 7/02 ua (diese Rechtssache betreffend: G 68/02), dahingehend entschieden, dass in § 12a FLAG die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig aufgehoben wurde.

In der Folge gab das Rekursgericht dem Rekurs des Vaters nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Es bezweifelte (nach umfangreichen Darlegungen) zunächst, ob das System des Unterhaltsstopps angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung noch aufrecht erhalten werden könne. Sodann ermittelte es die auf Grund der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes vorzunehmende - auf die Leistungsfähigkeit bezogene - steuerliche Entlastung. Diese werde mehr als aufgewogen durch den Umstand, dass infolge des ausschließlich in der Bedarfseite begründeten Unterhaltsstopps die prozentuell ermittelten Unterhaltsbeiträge selbst unter Berücksichtigung der herbeizuführenden steuerlichen Entlastung ohnedies bei weitem nicht ausgeschöpft würden. Für eine zusätzliche steuerliche Entlastung der im Wege des Unterhaltsstpopps ermittelten Unterhaltsbeiträge bestehe daher kein Anlass.

Zur Frage, wie sich die zitierten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes auf die Unterhaltsbemessung konkret auswirkten, liege noch keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor. Insbesondere zur Frage, ob bei Unterhaltsbeiträgen, die nicht primär durch die Leistungsfähigkeit und das Einkommen des Unterhaltspflichtigen, sondern lediglich von der Bedarfseite her durch den von der Rechtsprechung entwickelten "Unterhaltsstopp" bestimmt würden, dennoch eine weitere Reduktion der Unterhaltsbeiträge auf Grund der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zu erfolgen habe, habe der Oberste Gerichtshof bislang - soweit dem Rekursgericht zugänglich - nicht Stellung genommen. Dabei handle es sich aber jeweils um Fragen von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung, weshalb der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Gegen diese Rekursentscheidung richtet der Revisionsrekurs des Vaters wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die vorinstanzlichen Beschlüsse aufzuheben und die Rechtssache an die erste Instanz zurückzuverweisen; hilfsweise wird ein Abänderungsantrag auf Unterhaltsherabsetzung gestellt.

Die Minderjährigen haben hiezu eine Äußerung abgegeben und beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rekursentscheidung der jüngsten einschlägigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes teilweise widerspricht; er ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rechtsmittelwerber macht im Wesentlichen geltend, der Unterhalt sei im ersten Schritt mit der Luxusgrenze zu bemessen und sodann sei eine Kürzung durch (teilweise) Anrechnung der Familienbeihilfe vorzunehmen.

Hiezu wurde erwogen:

Mit der Frage, wie nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. 6. 2002, G 7/02 ua, die Bemessung des Unterhaltes von Kindern getrennt lebender Eltern erfolgen muss, hat sich der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals auseinandergesetzt (RIS-Justiz RS0117015, RS0117016, RS0117023; 2 Ob 191/02f ua). Es kann folgende Formel herangezogen werden:

Der wie bisher nach rein unterhaltsrechtlichen Aspekten bemessene Geldunterhalt dividiert durch zwei, mal (um ca 20 %) verminderter Grenzsteuersatz des Geldunterhaltspflichtigen (also 25 % bei 31 %, 33 % bei 41 %, 40 % bei 50 % Grenzsteuersatz; vgl § 33 Abs 1 EStG 1988), minus Unterhaltsabsetzbetrag, ergibt jenen (Teil)-Betrag der Transferleistungen, der auf die Geldunterhaltspflicht anzurechnen ist.

Im vorliegenden Fall lässt schon das festgestellte Nettoeinkommen des Vaters erkennen, dass hier ein (auf 40 % verminderter) 50 %-iger Grenzsteuersatz maßgebend ist.

Bei mehreren Kindern ist noch Folgendes zu beachten: Der gesamte Unterhaltsabsetzbetrag für alle Kinder ist pro Kind nach Kopfteilen zu berücksichtigen. Differiert die Höhe der Unterhaltsansprüche mehrerer Kinder wesentlich, ist die ermittelte Gesamtentlastung jedem der Kinder proportional zuzurechnen.

Der Oberste Gerichtshof hat auch schon - unter Ablehnung von Gitschthaler, Familienbeihilfe und deren Anrechnung auf Kindesunterhaltsansprüche, JBl 2003, 9, 16 - ausgesprochen, dass der Geldunterhaltspflichtige auch dann darauf Anspruch hat, durch entsprechende Berücksichtigung der Transferzahlungen steuerlich entlastet zu werden, wenn die Prozentkomponente auf Grund des Unterhaltsstopps bei überdurchschnittlichen Einkommen nicht voll ausgeschöpft wird (2 Ob 37/02h; 4 Ob 52/02d; RIS-Jusitz RS0117017).

Der Unterhaltsstopp wurde im vorliegenden Fall anlässlich der letzten Unterhaltsbemessung im Jahr 1999 beim 2,5-fachen des Regelbedarfes gesetzt, wie dies einer verbreiteten Übung entspricht (vgl die Nachweise bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 254/2). Allerdings stellt dieses Vielfache keine absolute Obergrenze dar (2 Ob 37/02h; 7 Ob 193/02m; Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 254/3; Stabentheiner in Rummel, ABGB I3 § 140 Rz 5d). Es gibt also keinen allgemeinen, für jeden Fall geltenden Unterhaltsstopp etwa beim 2-, 2,5- oder 3-fachen des Regelbedarfs. Die konkrete Ausmittlung hängt vielmehr immer von den Umständen des Einzelfalles ab (5 Ob 526/94; 2 Ob 76/99m). Maßgebend ist hiebei die Verhinderung einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung (5 Ob 526/94; 2 Ob 37/02h mwN). Ab welcher Betragshöhe eine solche im vorliegenden Fall zu befürchten wäre, kann anhand der vorinstanzlichen Feststellungen aber nicht verlässlich beurteilt werden. Jede (deutliche) Abweichung vom Ergebnis der Prozentsatzmethode bedarf aber einer besonderen Rechtfertigung (5 Ob 526/94). Die hiefür maßgeblichen Umstände werden daher zunächst mit den Beteiligten zu erörtern sein.

Die Pflegschaftssache war somit unter Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse an das Erstgericht zurückzuverweisen.

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