European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00037.20K.0806.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Redlichkeit nach § 326 ABGB verlangt nicht den Glauben, Eigentümer zu sein, sondern nur den Glauben an einen gültigen Titel, also an die rechtmäßige Zugehörigkeit einer Sache im weiteren Sinn, im Gegensatz zum unredlichen Besitzer, der vermuten muss, dass die Sache einem anderen gehört (RS0010172). Redlich ist derjenige, der eine Sache aus wahrscheinlichen Gründen für die Seinige hält. Maßgeblich ist der gute Glaube an die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung, also das Vertrauen auf einen gültigen Titel (4 Ob 78/17z; 6 Ob 246/01x). Die Redlichkeit des Besitzes wird gemäß § 328 ABGB vermutet, sodass dem Ersitzungsgegner der Beweis der Unredlichkeit obliegt (RS0010185). Die Kenntnis des Besitzers von der fehlenden Eintragung des in Anspruch genommenen Rechts im Grundbuch ist kein Indiz für dessen Schlechtgläubigkeit (5 Ob 270/03x; RS0118606). Die Beurteilung der Redlichkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (3 Ob 54/16m; RS0010184 [T13]).
[2] Im vorliegenden Fall ist nicht mehr strittig, dass der Vater der Klägerin das streitgegenständliche Grundstück seit dem Jahr 1950 aufgrund eines gültigen Schenkungsvertrags mit dessen Vater besaß. Schon deshalb hält sich die Ansicht des Berufungsgerichts, der Vater der Klägerin habe trotz unterbliebener Eintragung seines Eigentumsrechts im Grundbuch darauf vertrauen dürfen, dass sein Besitz rechtmäßig sei, und sei daher redlicher Besitzer gewesen, im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung. Eines Vorbringens der Klägerin, weshalb ihr Vater trotz des ihm bekannten abweichenden Grundbuchstandes aus anderen Gründen als redlich einzustufen wäre, bedurfte es nicht.
[3] Die von der Revisionswerberin herangezogene Entscheidung 1 Ob 74/14k ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Denn nach dem dort zu beurteilenden Sachverhalt wusste der Kläger, dass er aufgrund der Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung mangels gültigen Titels nicht rechtmäßiger Besitzer war.
[4] 2. Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall wirft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0118891).
[5] Nach den erstgerichtlichen Feststellungen übernahm die Klägerin durch den mit ihrer Schwester abgeschlossenen Vertrag das von dieser ererbte „Vermögen des verstorbenen Vaters“ gegen Übernahme von Zahlungsverpflichtungen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, davon sei auch das ersessene Grundstück umfasst gewesen, findet Deckung in diesen Feststellungen. Der zusätzlichen Bezugnahme auf den (unstrittigen) Wortlaut der die Vereinbarung nur teilweise enthaltenden Vertragsurkunde durch das Berufungsgericht bedurfte es angesichts dieser Tatsachengrundlage nicht.
[6] 3. Um den Liegenschaftserwerber des Schutzes des § 1500 ABGB teilhaftig werden zu lassen, ist erforderlich, dass diesem sowohl im Zeitpunkt des Erwerbsgeschäfts als auch des Ansuchens um Einverleibung die etwa vom Grundbuchstand abweichende wahre Sachlage unbekannt war (RS0034776). Besteht der indizierte Verdacht, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht dem Grundbuchstand entsprechen, löst dies Nachforschungspflichten des Erwerbers aus (RS0034776 [T22]). Für einen Fahrlässigkeitsvorwurf genügt bereits die Kenntnis einer nicht völlig geklärten Rechtslage (2 Ob 11/10x; RS0034776 [T9]). Wann ein Anlass zur Überprüfung gegeben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0034776 [T17]).
[7] Die Beklagte hat ihre Miteigentumsanteile an der Liegenschaft, in der das streitgegenständliche Grundstück neben anderen Grundstücken inneliegt, teilweise von ihrem Ehemann (einem Onkel der Klägerin) geschenkt erhalten und teilweise selbst von Personen käuflich erworben, denen diese Anteile im Erbwege zugekommen waren. Der Ehemann der Beklagten hat die an diese verschenkten Miteigentumsanteile zum Teil selbst im Erbwege erhalten, zum Teil ebenfalls von Personen erworben, denen diese Anteile im Erbwege zugekommen waren. Da die Bestimmung des § 1500 ABGB auf den Erwerb durch Erbgang nicht anwendbar ist (RS0034880), kann dahinstehen, ob die Rechtsvorgänger der Beklagten und ihres Ehemanns auf den Grundbuchstand vertrauen durften.
[8] Die Revisionswerberin bestreitet nicht, dass sie und ihr Ehemann über die vom Grundbuchstand abweichenden Besitzverhältnisse und über die nach dem Tod des Vaters der Klägerin darüber erfolgten Zerwürfnisse unter den im Grundbuch eingetragenen Miteigentümern der Liegenschaft Bescheid wussten, sondern gesteht dieses Wissen in ihrer Revision ausdrücklich zu. Auch das Berufungsgericht hat diese bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Umstände seiner Entscheidung als unstrittig zugrunde gelegt und ausgehend davon einen gutgläubigen Erwerb des Miteigentums auch am bereits zuvor ersessenen streitgegenständlichen Grundstück nach § 1500 ABGB durch die Beklagte verneint. Damit hat es die dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze nicht verlassen. Eine Erörterung der von der Revisionswerberin nicht in Frage gestellten Rechtsprechung, nach der – entgegen der überwiegenden Auffassung in der Lehre (dazu Gusenleitner-Helm in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang³ § 1500 Rz 9 und FN 36) – im Vertrauen auf das Grundbuch nur der entgeltliche Erwerber geschützt ist (RS0117411), kann unterbleiben.
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