Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils zu lauten hat:
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 14.598,30 EUR samt 4 % Zinsen seit 17. 2. 2010 binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Das auf die Zahlung weiterer 7.066,31 EUR samt 4 % Zinsen aus 21.664,61 EUR vom 17. 12. 2009 bis 16. 2. 2010 und aus 7.066,31 EUR seit 17. 2. 2010 lautende Leistungsmehrbegehren wird abgewiesen.
Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für die Hälfte sämtlicher zukünftiger, derzeit nicht bekannter Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 7. 6. 2009 haften, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der im KFZ-Haftpflichtversicherungsvertrag genannten Ver-sicherungssumme begrenzt ist.
Das Feststellungsmehrbegehren auf Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand im Ausmaß eines weiteren Sechstels wird abgewiesen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 8.051,92 EUR (darin 856,15 EUR USt und 2.942,06 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 7. 6. 2009 ereignete sich um 9:30 Uhr im Ortsgebiet von Seefeld auf der Leutascher Landesstraße (L 14) ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker seines Motorrads und der Erstbeklagte als Lenker eines von einem Dritten gehaltenen und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws beteiligt waren. Der nach links Richtung östlicher Einfahrt des „Gschwandtkopf-Parkplatzes“ abbiegende Erstbeklagte kollidierte mit dem überholenden Kläger, wodurch letzterer zu Sturz kam und sich schwer verletzte.
Die Fahrbahn der L 14 beschreibt in Annäherung an die Unfallstelle eine Linkskurve und ist 6,8 m breit. In der Fahrbahnmitte ist eine Leitlinie angebracht. Aus einer Entfernung von 140 m (Ausfahrt Pfarrbichltunnel) ist die besagte Parkplatz-Einfahrt noch nicht erkennbar.
Der Erstbeklagte fuhr mit dem 1,87 m breiten Beklagtenfahrzeug in einer Kolonne, die sich hinter einer Reihe von „Unimog-Oldtimern“ gebildet hatte; seine Fahrgeschwindigkeit betrug ca 20 km/h. Nach Passieren des Tunnels - im Bereich einer durch eine Baustelle bedingten, in „einiger Entfernung von der Unfallstelle“ wieder aufgehobenen Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h - blickte der Erstbeklagte in den Rückspiegel und über die Schulter nach hinten. Es konnte aber nicht festgestellt werden, „dass er sich zur Mitte hin eingeordnet oder den linken Blinker gesetzt hätte“. Der Erstbeklagte reduzierte weiter seine Geschwindigkeit und lenkte schließlich nach links aus, „ohne sich durch einen weiteren Blick über die Schulter zu vergewissern, ob dies gefahrlos möglich ist“. Hätte er dies getan, hätte er den auf der linken Fahrbahnhälfte in Überholposition befindlichen Kläger gesehen und er hätte noch in der rechten Fahrbahnhälfte im Bereich der Leitlinie anhalten können. Durch Blicke in den Außenspiegel war es ihm „auf Grund der Linkskurve“ hingegen nicht möglich, das herannahende Klagsfahrzeug wahrzunehmen. Dessen Annäherungsgeschwindigkeit hatte nicht mehr als 47 km/h betragen, die Kollisionsgeschwindigkeit betrug 30 bis 35 km/h.
Der Kläger begehrte unter ausdrücklichem Zugeständnis eines Mitverschuldens von einem Drittel Schadenersatz in Höhe von zuletzt 21.664,61 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für zwei Drittel aller künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall. Der Erstbeklagte sei ohne Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers und ohne den gebotenen „Schulterblick“ nach links abgebogen, seine Abbiegeabsicht sei nicht erkennbar gewesen.
Die beklagten Parteien wandten das Alleinverschulden des Klägers ein, der in einer unübersichtlichen, für ihn nicht einsehbaren Linkskurve mit überhöhter Geschwindigkeit ein Überholmanöver vorgenommen habe. Der Erstbeklagte habe kurz nach dem Tunnel begonnen, sich nach links einzuordnen und gleichzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Er habe sich kurz vor dem Abbiegemanöver vergewissert, dass er gefahrlos abbiegen könne. Bei seinem Blick in den Rückspiegel und dem Kontrollblick nach hinten sei das Klagsfahrzeug für ihn nicht wahrnehmbar gewesen.
Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren des Klägers im Umfang von 19.464,39 EUR sA und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Das Leistungsmehrbegehren von 2.200,22 EUR sA wurde ebenso wie ein weiteres Zinsenmehrbegehren abgewiesen.
Das Erstgericht stützte sich - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - auf den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt und erörterte rechtlich, dass dem eine langsam fahrende Kolonne trotz Unübersichtlichkeit der vor ihm liegenden Fahrbahn überholenden Kläger ein Verstoß gegen § 16 StVO vorzuwerfen sei. Dem stehe das Fehlverhalten des Erstbeklagten gegenüber, der ohne Blinkzeichen und ohne (weiteren) Blick über die Schulter nach links abgebogen sei. Darin liege ein Verstoß gegen § 11 StVO. Es sei von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten auszugehen. Nach der bei einigen Teilansprüchen (Haushaltsschaden, Kleiderschaden, Heilbehelfe) vorzunehmenden Kürzung der Anspruchshöhe verbleibe ein Gesamtschaden des Klägers von 29.196,59 EUR, wovon zwei Drittel zuzusprechen seien. Wegen zu befürchtender Dauerfolgen sei auch das Feststellungsinteresse zu bejahen.
Der abweisende Teil dieser Entscheidung erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Das im Übrigen von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht (dessen Zuständigkeit der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 10. 11. 2011, AZ 2 Nc 25/11s, gemäß § 30 JN bestimmt hatte) änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, die ordentliche Revision jedoch nicht zulässig sei.
Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, dem beweispflichtigen Kläger sei in Anbetracht der getroffenen Negativfeststellung der Nachweis misslungen, dass der Erstbeklagte, ohne sich eingeordnet und den linken Blinker gesetzt zu haben, nach links abgebogen sei. Zu einem „zweiten Blick“ sei der Abbiegende aber nur in Ausnahmefällen verpflichtet, etwa dann, wenn nach den Umständen mit dem Entstehen einer unklaren Verkehrslage, insbesondere damit zu rechnen sei, dass die folgenden Verkehrsteilnehmer nicht ausreichend erkennen könnten, dass und wo nach links abgebogen werden solle. Dem für das Verschulden des Erstbeklagten behauptungs- und beweispflichtigen Kläger sei auch der Nachweis der einen Kontrollblick erfordernden Umstände oblegen. Solche Umstände habe der Kläger weder behauptet, noch könnten sie den Feststellungen entnommen werden. Mangels Notwendigkeit eines Kontrollblicks müsse auf die Frage der Notwendigkeit eines „Schulterblicks“ nicht eingegangen werden. Da sich der Kläger ein Mitverschulden anrechne, bestehe auch kein Anlass zur Prüfung einer allfälligen Gefährdungshaftung der beklagten Parteien.
Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, die erstinstanzliche Entscheidung (in ihrem stattgebenden Teil) wiederherzustellen.
Die beklagten Parteien beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine im Sinne der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist auch teilweise berechtigt.
Der Kläger macht sinngemäß geltend, der Kurvenbereich selbst stelle den zu einem weiteren Kontrollblick verpflichtenden „Ausnahmefall“ dar. Bei der gegebenen Kurvenkrümmung seien die Sichtverhältnisse äußerst eingeschränkt gewesen.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu wurde erwogen:
1. Bei der Verletzung eines Schutzgesetzes trifft den Geschädigten die Beweislast für den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes, wobei der Nachweis der Tatsache ausreichend ist, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde. Der Schädiger hat dagegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung der Schutznorm nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, etwa weil ihn an der Übertretung kein Verschulden traf (2 Ob 152/11h; RIS-Justiz RS0112234).
Konnte bei einer behaupteten Verletzung der §§ 11 und 12 StVO nicht festgestellt werden, dass der Unfallgegner iSd § 11 Abs 2 StVO die Änderung seiner Fahrtrichtung nicht rechtzeitig anzeigte bzw sich rechtzeitig einordnete (§ 12 Abs 1 StVO), so wurde der Nachweis einer objektiven Übertretung dieser Schutznormen nicht erbracht (2 Ob 36/00h).
Das Berufungsgericht hat die erstinstanzliche Feststellung über das Einordnen des Beklagtenfahrzeugs zur Fahrbahnmitte und zum Setzen des linken Blinkers als Negativfeststellung (im Sinne eines non liquet) interpretiert. Davon ausgehend stimmen seine Ausführungen zur Beweislastverteilung mit der zitierten Rechtsprechung überein. Der Kläger lässt diese Rechtsansicht nicht nur unbekämpft, sondern pflichtet ihr in seinem Rechtsmittel ausdrücklich bei. Unter diesen Umständen ist dem Erstbeklagten jedenfalls kein Verstoß gegen die Schutznormen des § 11 Abs 2 und des § 12 Abs 1 StVO vorwerfbar.
2. Anders verhält es sich allerdings mit der ihm ebenfalls angelasteten Verletzung der Schutznorm des § 11 Abs 1 StVO:
Nach ständiger Rechtsprechung begründet die Unterlassung eines weiteren Rückblicks unmittelbar vor dem Einbiegen (ua) dann ein Verschulden des abbiegenden Lenkers, wenn dieser damit rechnen musste, dass ein nachfolgender Verkehrsteilnehmer die Stelle, an der abgebogen werden soll, nicht ausreichend erkennen kann (vgl 2 Ob 205/09z; RIS-Justiz RS0079255 [T4, T14, T15], RS0073581).
Das Erstgericht hat festgestellt, dass aus 140 m Entfernung (Tunnelausfahrt) noch keine Sicht auf die vom Erstbeklagten angesteuerte Parkplatz-Einfahrt bestand. Eine genaue Feststellung, aus welcher Entfernung der Kläger nun tatsächlich erstmals Sicht auf diese Einfahrt erlangen konnte, liegt zwar nicht vor. Die beklagten Parteien haben sich aber in ihrem Prozessvorbringen selbst darauf gestützt, dass die Linkskurve unübersichtlich und für den Kläger nicht einsehbar (AS 17) bzw „die Sicht durch Baumbewuchs zur Einfahrt hin, in die der Erstbeklagte hineinfahren wollte, nicht gegeben“ war (AS 25). Die starke Kurvenkrümmung wird überdies durch die aktenkundigen Lichtbilder belegt. Im Zusammenhalt mit der Feststellung über die Sichteinschränkung des Erstbeklagten „aufgrund der Kurve“ liegen somit ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die von links einmündende Parkplatz-Einfahrt für den sich auf der linken Fahrbahnhälfte annähernden Kläger schwer und erst spät erkennbar war.
3. Unter diesen örtlichen Gegebenheiten war der Erstbeklagte im Sinne der erörterten Rechtsprechung unmittelbar vor dem Beginn seines Abbiegemanövers zu einer nochmaligen Beobachtung des Nachfolgeverkehrs verpflichtet. Dass es dazu wegen der Kurvenkrümmung eines Blicks über die Schulter bedurft hätte (vgl dazu 2 Ob 159/03a; VwGH, 17. 4. 1991, 90/02/0209), musste ihm schon nach seinem ersten Kontrollblick (im Bereich der Baustelle) bewusst gewesen sein. Den ihm obliegenden Entlastungsbeweis hat der Erstbeklagte nicht erbracht. Es ist ihm daher als Verschulden anzulasten, dass er seiner Verpflichtung zur nochmaligen Beobachtung des Nachfolgeverkehrs nicht ausreichend entsprochen hat.
4. Bei der Verschuldensabwägung ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der erwähnten Negativfeststellung auch dem Kläger das an sich stets schwerwiegende Übersehen eines Blinkers (RIS-Justiz RS0073783) nicht vorgeworfen werden kann. Im Übrigen hat der Kläger, der schon in erster Instanz ein Mitverschulden zugestand, den gegen ihn gerichteten Schuldvorwurf eines unzulässigen Überholmanövers nicht in Frage gestellt. Dieses - vom Obersten Gerichtshof nicht weiter zu überprüfende - Fehlverhalten wiegt unter den konkreten Umständen nicht schwerer als jenes des Erstbeklagten. Es ist daher von gleichteiligem Verschulden auszugehen.
5. Die Urteile der Vorinstanzen sind demnach in teilweiser Stattgebung der Revision wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.
Die neu zu fassende Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 1 und 2 erster und zweiter Fall, § 50 ZPO.
Dem Grunde nach ist der Kläger in allen drei Instanzen mit drei Viertel seines Klagebegehrens durchgedrungen, weshalb ihm die Hälfte seiner Verfahrenskosten sowie drei Viertel der von ihm getragenen Pauschal- und Sachverständigengebühren zu ersetzen sind.
Dabei wirkten sich im Verfahren erster Instanz weder die Einschränkung des Schmerzengeldbegehrens noch die vom Erstgericht vorgenommenen Kürzungen beim Kleiderschaden und den Kosten der Haushaltshilfe (§ 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO) sowie bei den Heilbehelfen (§ 43 Abs 2 erster Fall ZPO) auf den Prozesserfolg des Klägers nachteilig aus. Im ersten Verfahrensabschnitt betrug der solcherart bereinigte Gesamtschaden 27.916,59 EUR; zwei Drittel davon sind 18.611,06 EUR, woraus sich unter Berücksichtigung des Feststellungsbegehrens eine (fiktive) Bemessungsgrundlage von 20.611,06 EUR ergibt. Im zweiten Abschnitt belief sich der Gesamtschaden auf 29.196,59 EUR; zwei Drittel davon sind 19.464,39 EUR, sodass die (fiktive) Bemessungsgrundlage 21.464,39 EUR beträgt. Dies war auch die Bemessungsgrundlage in zweiter und dritter Instanz.
Für die Berufung gebührt den beklagten Parteien ein Viertel der Pauschalgebühr.
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