OGH 2Ob28/21p

OGH2Ob28/21p25.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Parzmayr und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** 2020 verstorbenen M***** W*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Enkeltochter T***** L*****, vertreten durch Dr. Felix Karl Vogl, Rechtsanwalt in Schruns, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 10. Dezember 2020, GZ 2 R 277/20f‑27, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00028.21P.0325.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die am ***** 2020 verstorbene Erblasserin hinterließ als potenzielle gesetzliche Erben zwei Kinder und die Revisionsrekurswerberin (im Folgenden: Enkeltochter) als Tochter eines vorverstorbenen Kindes. In einem Testament hatte sie als Erben ihres gesamten Nachlasses (anteilig) ihre beiden Kinder und drei andere Enkelkinder eingesetzt.

[2] Auf Antrag der präsumtiven Testamentserben nahm das Erstgericht die Bevollmächtigung deren gemeinsamen Rechtsanwalts zur Kenntnis, bewilligte ihnen die Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung auf schriftlichem Wege und räumte ihnen zur Abgabe der Erbantrittserklärungen und Stellung der Schlussanträge eine Frist ein.

[3] Das Rekursgericht wies den gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs der Enkeltochter mangels Rekurslegitimation zurück.

Rechtliche Beurteilung

[4] In ihrem dagegen gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Enkeltochter keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf:

[5] 1. Der Oberste Gerichtshof hat auch zum AußStrG 2003 an der zum AußStrG 1854 ergangenen Judikatur festgehalten, wonach die Abhandlung nur entweder durch einen Gerichtskommissär oder durch die Erbengemeinschaft – meist durch einen gemeinsamen Vertreter – durchgeführt werden kann und die Durchführung der schriftlichen Abhandlungspflege das Einvernehmen aller Parteien voraussetzt (2 Ob 53/09x; RS0059375).

[6] 2. Nach ständiger Rechtsprechung wird der potenzielle Erbe grundsätzlich erst mit Abgabe seiner Erbantrittserklärung Partei des Verlassenschaftsverfahrens. Vorher hat er keinen Einfluss auf den Gang des Verlassenschaftsverfahrens und keine Rekurslegitimation (2 Ob 85/20v; 2 Ob 32/19y; RS0006398 [T14, T17]). Die Rechtsprechung erkennt Ausnahmen dieses Grundsatzes an, und zwar unter anderem den Fall, dass ein potenzieller Erbe sein aktives Interesse am Erbantritt deutlich zum Ausdruck gebracht hat und die Abgabe einer Erbantrittserklärung aus nicht in seiner Sphäre liegenden Gründen unterblieb. Als derartige Gründe wurden etwa Verfahrensfehler angesehen, wie beispielsweise eine unrichtigerweise unterbliebene Aufforderung zur Abgabe einer Erbantrittserklärung oder auch der Umstand, dass sonst aufgrund des Verfahrensstandes noch keine Veranlassung für den potenziellen Erben bestanden hatte, bereits eine Erbantrittserklärung abzugeben (2 Ob 32/19y mwN). Für die ausnahmsweise zu bejahende Parteistellung vor Erbantrittserklärung müssen demnach beide Voraussetzungen (Interessenbekundung und Unterbleiben der Erbantrittserklärung aus nicht in der Sphäre des potenziellen Erben liegenden Gründen) kumulativ vorliegen (2 Ob 85/20v; 2 Ob 32/19y).

[7] Die Eigenschaft als potenzielle gesetzliche Erbin, auf die sich die Enkeltochter in ihrem Rekurs stützte, ließ jedoch keinen Rückschluss darauf zu, ob sie das Erbe auch tatsächlich antreten will (vgl 2 Ob 53/18k [ErwGr 3.2 lit a]). Daher mangelte es ihr im Zeitpunkt der Rekursentscheidung an einer Parteistellung als potenzielle Erbin.

[8] 3. Pflichtteilsberechtigte sind in ihrer Parteistellung nach ständiger Rechtsprechung auf die Rechte nach den §§ 778, 804 und 812 ABGB beschränkt (2 Ob 20/18g; vgl RS0006519; RS0012909). Es entspricht ferner der nunmehr ständigen jüngeren (die gegenteilige ältere Rechtsprechung ausdrücklich ablehnenden) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die schriftliche Abhandlungspflege in die genannten Rechte des Pflichtteilsberechtigten nicht eingreift. Die schriftliche Abhandlungspflege bedarf daher weder seiner Zustimmung noch kommt ihm gegen ihre Bewilligung ein Rekursrecht zu (4 Ob 202/02p; 6 Ob 161/99s; 3 Ob 560/92; 2 Ob 513/88; RS0112539). Argumente, die Anlass gäben, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzugehen, zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf.

[9] 4. Die Ansicht des Rekursgerichts, der Rechtsmittelwerberin komme gegen die Bewilligung der schriftlichen Abhandlungspflege kein Rekursrecht zu, steht somit im Einklang mit der erörterten Rechtsprechung.

[10] 5. Die erstmalig im außerordentlichen Revisionsrekurs abgegebene Erbantrittserklärung kann der Enkeltochter nicht rückwirkend die Legitimation für einen vorher erhobenen Rekurs verschaffen (10 Ob 13/10z; 2 Ob 65/99v1 Ob 202/98g; RS0006456).

[11] Im Hinblick auf die mittlerweile abgegebene Erbantrittserklärung der Enkeltochter und ihren gleichzeitig eingebrachten Antrag auf Durchführung der Abhandlung durch den Gerichtskommissär wird es im fortgesetzten Verfahren der Beurteilung des Erstgerichts obliegen, ob es die Voraussetzungen für eine schriftliche Abhandlungspflege (vgl oben Punkt 1.) weiterhin als gegeben erachtet.

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