OGH 2Ob281/02s

OGH2Ob281/02s12.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A*****, und 2. P*****, beide vertreten durch Dr. Heinrich Kellner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 2.141,67 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert EUR 3.667,80 erstklagende Partei) und EUR 1.219,14 sA (zweitklagende Partei), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. Juni 2002, GZ 36 R 268/02g-32, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 7. Februar 2002, GZ 9 C 504/99p-28, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Revision der zweitklagenden Partei wird zurückgewiesen. Der Revision der erstklagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 305,36 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 26. 9. 1997 wurde der bei den klagenden Parteien sozialversicherte Christian M***** in Sittendorf durch einen Stromunfall getötet, als er mit einem von ihm bedienten, an einem LKW befestigten Kranausleger in den Stromkreis geriet.

Die erstklagende Partei bezahlte der Witwe des Getöteten neben einem Teil der Bestattungs- und Überführungskosten ab dem 26. 9. 1997 monatlich eine Witwenrente, die zweitklagende Partei monatlich eine Hinterbliebenenpension.

Die erstklagende Partei begehrte letztlich S 29.470,09 sA für ihre vom Deckungsfonds umfassten Leistungen an die Witwe des Getöteten vom 26. 9. 1997 bis Ende September 2001 unter Einräumung eines Mitverschuldens des Getöteten von drei Viertel sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei zum Ersatz jener künftigen Leistungen, die die erstklagende Partei aus Anlass des tödlichen Unfalles des Christian M***** vom 26. 9. 1997 aufgrund der jeweils in Geltung stehenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung zu erbringen habe, soweit diese Leistungen in dem Schaden Deckung fänden, dessen Ersatz die Hinterbliebenen nach Christian M***** ohne Rechtsübergang gemäß § 332 ASVG von der beklagten Partei unmittelbar zu fordern berechtigt wären, wobei die Haftung der beklagten Partei mit den Haftungshöchstgrenzen nach den §§ 7, 7a RHPflG begrenzt sei und von einem Mitverschulden des Christian M***** im Ausmaß von drei Viertel auszugehen sei.

Die zweitklagende Partei begehrte letztlich S 16.775,77 sA für ihre vom Deckungsfonds umfassten Leistungen vom 26. 9. 1997 bis 31. 1. 2001. Ein Feststellungsbegehren wurde nicht gestellt. Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung der geltend gemachten Begräbnis- und Überführungskosten von EUR 484,66 sA an die erstklagende Partei und wies das darüber hinausgehende Leistungsbegehren bezüglich beider klagenden Parteien sowie das Feststellungsbegehren der erstklagenden Partei ab.

Es stellte - zusammengefasst - fest, das Jahreseinkommen der Witwe habe 1997 S 145.600, das des Getöteten S 122.642 betragen und erörterte daraus rechtlich, dass im Hinblick auf das Einkommen der Eheleute im Jahr 1997 kein Raum für eine kongruente Deckung, die zu einem Forderungsübergang im Sinn des § 332 ASVG führen könnte, gegeben sei, weil dieser nur dann und insoweit eintrete, als den erbrachten Sozialleistungen entsprechende Forderungen des Verletzten nach Schadenersatzrecht gegenüberstünden. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Einkommen der Eheleute sei auszuschließen, dass die Witwe Unterhaltsansprüche gegen ihren Ehemann geltend machen hätte können. Der beklagten Partei seien lediglich die von der erstklagenden Partei bezahlten Begräbnis- und Überführungskosten im Ausmaß von einem Viertel anzulasten.

Das von den klagenden Parteien gegen den klagsabweisenden Teil dieses Urteils angerufene Berufungsgericht gab lediglich der Berufung der erstklagenden Partei teilweise im Sinne der Stattgebung des Feststellungsbegehrens Folge und bestätigte im Übrigen das Ersturteil bezüglich der Abweisung des Leistungsmehrbegehrens. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt EUR 4.000, nicht aber EUR 20.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Es erachtete weitere Feststellungen über die Höhe der Fixkosten der Witwe für entbehrlich, weil die beklagte Partei nicht aus Verschulden hafte, sondern nur von der Gefährdungshaftung nach dem Reichshaftpflichtgesetz betroffen sei. Der Umfang ihrer Haftung bestimme sich nicht nach § 1327 ABGB, sondern nach § 3 RHPflG. Während nach § 1327 ABGB den Unterhaltsberechtigten gebühre, was ihnen durch die Tötung entgangen sei, habe nach § 3 Abs 2 RHPflG ebenso wie nach § 12 Abs 2 EKHG der Ersatzpflichtige bloß insoweit Schadenersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung eines Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde. Daraus sei abzuleiten, dass auf die gesetzliche Verpflichtung und nicht auf darüber hinausgehende Unterhaltsleistungen des Getöteten bzw Leistungen von Unterhaltscharakter abzustellen sei und daher bloß ein Mindestanspruch in Höhe des gesetzlichen Unterhalts gewährt werde. Diese Beschränkung des Umfanges des Ersatzes ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut des § 12 Abs 2 EKHG bzw § 3 Abs 2 RHPflG, die eine Unterhaltsverpflichtung des Getöteten voraussetzen und nicht wie § 1327 ABGB den Ersatz all dessen anordnen, was "entgangen ist". So ordneten § 12 EKHG und § 3 RHPflG bei Tötung einer Person als weitere ersatzpflichtige Kosten die Kosten einer angemessenen Bestattung bzw der Beerdigung an, während § 1327 ABGB dazu anführe, dass "alle Kosten" zu ersetzen seien. Da es durchaus gerechtfertigt erscheine, aus einer Gefährdungshaftung weniger Last aufzuerlegen, und die nach dem ABGB gegebenen Ansprüche - bei Vorliegen der Voraussetzungen dafür - neben jenen aus der Gefährdungshaftung aufrecht blieben, sei bei einer Haftung nach § 3 RHPflG auf die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung des Getöteten abzustellen, unabhängig davon, ob er tatsächlich mehr geleistet habe. Ein Anspruch der Witwe nach § 3 Abs 2 RHPflG für die Vergangenheit sei aufgrund ihres höheren Einkommens zu verneinen.

Hingegen sei das Feststellungsbegehren berechtigt, weil auch ein potentieller künftiger Regress eines Sozialversicherungsträgers ein solches rechtfertige.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage der Beschränkung des Umfanges des Ersatzes nach § 12 Abs 2 EKHG oder nach § 3 Abs 2 RHPflG auf das Mindestmaß keine höchstgerichtliche Judikatur existiere.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision beider klagenden Parteien mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Hilfsweise wird der Antrag gestellt, das angefochtene Urteil zur Gänze im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, die Revision der klagenden Parteien zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Die klagenden Parteien führen in ihrem Rechtsmittel aus, die Witwe habe jedenfalls Anspruch auf Schadenersatz auch im Ausmaß der entgangenen, ihren bloß gesetzlichen Unterhaltsanspruch übersteigenden Unterhaltsleistungen ihres beim Unfall getöteten Ehemannes; es sei daher jedenfalls auf den tatsächlich geleisteten Unterhalt des Getöteten abzustellen.

Die Revision der zweitklagenden Partei ist unzulässig, die der erstklagenden Partei zwar aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision der zweitklagenden Partei:

Die zweitklagende Partei macht zuletzt ein reines Leistungsbegehren von EUR 1.219,14 geltend. Der von der zweitklagenden Partei erhobene Anspruch übersteigt daher nicht EUR 4.000. Die Ansprüche der klagenden Parteien sind nach ständiger Rechtsprechung nicht im Sinne des § 55 JN zusammenzurechnen (RIS-Justiz RS0035615; insbesondere SZ 42/47; ZVR 1985/170; zuletzt 2 Ob 62/01), weshalb die Revision der zweitklagenden Partei jedenfalls unzulässig ist und zurückzuweisen war.

Zur Revision der erstklagenden Partei:

Unstrittig ist, dass die beklagte Partei im Sinne der Gefährdungshaftung nach dem RHPflG für die Folgen des Stromunfalls einzustehen hat.

§ 3 dieses Gesetzes hatte zum Unfallstag (26. 9. 1997) folgenden Wortlaut:

"Im Falle der Tödtung ist der Schadenersatz (§§ 1, 1a und 2) durch Ersatz der Kosten einer versuchten Heilung sowie des Vermögensnachtheils zu leisten, den der Getödtete dadurch erlitten hat, dass während der Krankheit seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert oder eine Vermehrung seiner Bedürfnisse eingetreten war. Der Ersatzpflichtige hat außerdem die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, dem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen.

Stand der Getödtete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tödtung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten insoweit Schadenersatz zu leisten, als der Getödtete während der muthmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung erzeugt, aber noch nicht geboren war."

Zutreffend hat das Berufungsgericht auf die nahezu wörtlich inhaltsgleiche Bestimmung des § 12 EKHG verwiesen, deren Abs 2 wie folgt lautet:

"(2) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis vermöge dessen er diesem kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten insoweit Schadenersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen wäre. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung gezeugt, aber noch nicht geboren war."

Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, dass aufgrund der nahezu wörtlich übereinstimmenden Bestimmungen sowohl Lehre als auch Rechtsprechung zu § 12 EKHG zu berücksichtigen sind. Dies erscheint umso mehr geboten, als § 3 RHPflG in der durch die Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1997 (WGN) 1997 BGBl I Nr 140/1997 vorgenommenen Fassung ausdrücklich anordnet, dass für die in diesem Gesetz vorgesehenen Ersatzansprüche die §§ 12 und 13 EKHG über den Gegenstand des Ersatzes sinngemäß anzuwenden sind. Diese Neufassung ist zwar nach Art 32 Z 5 WGN 1997 nur auf Schadenereignisse anzuwenden. Durch diesen Verweis in § 3 RHG idF WGN 1997 auf die §§ 12 und 13 EKHG ist aber jedenfalls in Ansehung des Schadenersatzanspruches wegen Unterhaltsentganges keine Änderung eingetreten, weil hier nur an die Stelle der wortgleichen Bestimmung der allgemeine Hinweis auf die entsprechenden Vorschriften des EKHG getreten ist.

Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass nach der Lehre der Anspruch auf Ersatz des entgangenen Unterhalts (§ 12 Abs 2 EKHG) zwar weitgehend jenem nach § 1327 ABGB entspricht und es sich dabei um einen Schadenersatzanspruch und nicht um einen Unterhaltsanspruch handelt, dass aber gewisse Formulierungsunterschiede zwischen § 12 Abs 2 EKHG und § 1327 ABGB in manchen Punkten ein unterschiedliches Verständnis nahelegen. Aus der Formulierung, dass nach § 12 Abs 2 EKHG Ersatzpflichtige bloß "insoweit Schadenersatz zu leisten haben, als der Getötete zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen wäre" folgern Reischauer (in Rummel² § 1327 Rz 22 [712] und ebenso Apathy (Kommentar zum EKHG § 12 Rz 20; derselbe, Fragen der Haftung nach dem EKHG JBl 1993, 71 [75]), dass der unterhaltsberechtigte Hinterbliebene, dem nur nach § 12 Abs 2 EKHG Ersatz zu leisten sei, den Betriebsunternehmer oder Halter nur wegen des ihm entgehenden gesetzlichen Unterhalts in Anspruch nehmen könne. Ein Wertungswiderspruch zu § 1327 werde dabei vermieden, wenn davon ausgegangen werde, das EKHG gewähre nur Mindestansprüche und schließe entsprechend § 19 höhere Ansprüche bei Verschuldenshaftung nicht aus. Danzl (EKHG7 § 12 Anm 9 und 10) hält diese Meinung für zutreffend. Schauer (in Schwimann ABGB² § 14 EKHG Rz 12) zieht aus den erwähnten Formulierungsunterschieden den Schluss, dass die Schadenersatzpflicht betraglich durch den gesetzlich geschuldeten Unterhalt begrenzt ist und freiwillige Mehrleistungen nicht zu ersetzen sind. Koziol (Haftpflichtrecht² II 155 f) vertritt im Übrigen auch beim Ersatzanspruch nach § 1327 ABGB die Meinung, dass der Ersatzanspruch im Fall des § 1327 ABGB nicht höher sein könne als der "nach dem Gesetz" bestehende Unterhaltsanspruch.

Nach ständiger Rechtsprechung ist im Fall des § 1327 der tatsächlich geleistete Unterhalt auch dann zu ersetzen, wenn er höher war als die gesetzliche Unterhaltspflicht, soweit der geleistete Unterhalt nach den Umständen nur einigermaßen mit der gesetzlichen Unterhaltspflicht ins Verhältnis gesetzt werden kann (RIS-Justiz RS0031410, zuletzt 2 Ob 157/00b = ZVR 2001/23).

Der erkennende Senat schließt sich der - soweit überblickbar - einhelligen Lehre an, wonach im Falle der bloßen Gefährdungshaftung nach § 12 Abs 2 EKHG und § 3 RHPflG der Ersatzanspruch nach dem gesetzlichen Unterhaltsanspruch zu beurteilen ist und es nicht darauf ankommt, ob der tatsächlich geleistete Unterhalt höher war als der gesetzliche.

Die Entscheidung 2 Ob 157/00b steht damit nicht im Widerspruch, weil bei dem dort zu beurteilenden Sachverhalt das Alleinverschulden des Schädigers unstrittig war und daher die weitergehenden Ersatzansprüche nach § 1327 ABGB im Sinne des § 19 EKHG aufrecht blieben. Die dort allenfalls angedeutete Gleichstellung durch die Worte im Klammerausdruck ("und gleichermaßen § 12 Abs 2 EKHG") ist bloß ein obiter dictum und könnte nach dem vorher Gesagten auch nicht aufrecht erhalten werden.

Da die gleichen Überlegungen zu § 12 Abs 2 EKHG nach den eingangs wiedergegebenen Überlegungen auch auf § 3 RHPflG in der zum Unfallszeitpunkt geltenden Fassung anzuwenden sind, musste der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat einerseits auf die Unzulässigkeit der Revision der zweitklagenden Partei hingewiesen, andererseits die Revision der erstklagenden Partei erfolgreich abgewehrt.

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