Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 765,50 EUR (darin 127,58 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Am 23. 12. 2006 ereignete sich in Lauterach an der Kreuzung der Scheibenstraße mit der unbenannten Zufahrtsstraße zu einem Firmengelände ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin und die Erstbeklagte als PKW-Lenkerinnen beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist Halterin, die drittbeklagte Partei Haftpflichtversicherer des von der Erstbeklagten gelenkten PKWs.
Die Erstbeklagte befuhr die 7,6 m breite, durch eine Leitlinie geteilte Fahrbahn der Scheibenstraße, die - aus ihrer Sicht - im Kreuzungsbereich mit der besagten Zufahrtsstraße eine Linkskurve von 90° beschreibt. Die im Kurvenscheitel von rechts einmündende Zufahrtsstraße stellt die annähernd geradeaus führende Verlängerung der Scheibenstraße dar. Der Straßenverlauf der Scheibenstraße ist durch kurvenaußenseitig angebrachte, durchbrochene Bodenmarkierungen („Pflasterlinie") gekennzeichnet. Für die sich aus der Fahrtrichtung der Erstbeklagten annähernden Fahrzeuglenker ist erkennbar, dass die Einfahrt zu dem Firmengelände mittels eines - im Unfallszeitpunkt geöffneten - Schrankens und eines darauf befestigten Vorschriftszeichens gemäß § 52 lit a Z 1 StVO („Fahrverbot") gesichert ist.
Die Klägerin kam vom Firmengelände und beabsichtigte, in die Scheibenstraße geradlinig einzufahren. Vor Einfahrt in die Kreuzung hatte sie das Vorrangzeichen „Vorrang geben" mit einer den besonderen Verlauf der Scheibenstraße anzeigenden Zusatztafel zu beachten. Sie hielt vor der „Pflasterlinie" an, um das herannahende Beklagtenfahrzeug abzuwarten. Da die Erstbeklagte keinen Blinker setzte, fuhr die Klägerin in die Scheibenstraße ein. Nach wenigen Metern Fahrt kam es zur Kollision mit dem die Kurve durchfahrenden Beklagtenfahrzeug.
Die Klägerin begehrte unter Anrechnung eines Mitverschuldens den Ersatz von zwei Drittel ihres Sachschadens mit der Begründung, die Erstbeklagte sei nicht dem natürlichen Straßenverlauf gefolgt und hätte die Fahrtrichtungsänderung durch Abgabe von Blinkzeichen angeben müssen.
Die Vorinstanzen verneinten ein Verschulden der Erstbeklagten und wiesen das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht vertrat dazu die Rechtsansicht, der im Einzelfall nach „vernünftiger Verkehrsauffassung" zu beurteilende natürliche Straßenverlauf führe nach dem festgestellten Gesamtbild der Unfallsörtlichkeit in der beabsichtigten Fahrtrichtung der Erstbeklagten bogenförmig nach links. Da die Erstbeklagte daher keine Fahrtrichtungsänderung vorgenommen habe, sei sie zur Anzeige einer solchen nicht verpflichtet gewesen.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage fehle, „inwieweit vor allem eine offene Schranke mit einem Fahrverbotszeichen auf einer Zufahrt zu einem Firmengelände einen entscheidenden Hinweis dafür bildet, dass der Straßenverlauf nicht in diese Richtung weiter führt."
Rechtliche Beurteilung
1.) Die von der Klägerin erhobene Revision ist nicht, wie die beklagten Parteien in ihrer Revisionsbeantwortung relevieren, schon deshalb (jedenfalls) unzulässig, weil sie nicht im elektronischen Rechtsverkehr eingebracht wurde und der einbringende Rechtsanwalt auch nicht das Fehlen der konkreten technischen Möglichkeiten dafür glaubhaft gemacht hat.
Der mit dem Berufsrechts-Änderungsgesetz für Notare, Rechtsanwälte und Ziviltechniker 2006 (BRÄG 2006), BGBl I 2005/164, neu eingefügte und am 1. 7. 2007 in Kraft getretene § 89c Abs 5 GOG sieht in Verbindung mit § 11 Abs 1a ERV 2006 idF BGBl II 2007/130 für Rechtsanwälte und Notare bei Eingaben, welche elektronisch eingebracht werden dürfen, eine entsprechende Vorgangsweise zwar verpflichtend vor. Diese Vorschriften, mit denen der im Jahr 1990 eingeführte und seither ständig vertiefte elektronische Rechtsverkehr zwischen Gerichten und den Verfahrensbeteiligten bzw deren Vertretern, um einen weiteren wesentlichen Schritt ausgebaut worden ist (so etwa Blocher/Zisak, Elektronischer Rechtsverkehr: Rechtliche Regelung und praktische Anwendung elektronischer Signaturen, RdW 2006, 612 ff [617]) regeln die elektronische Kommunikation zwischen Rechtsanwälten und Notaren und jenem Gericht, bei dem die Eingabe einzubringen ist. Im Falle einer Revision ist dies das Gericht erster Instanz (§ 505 Abs 1 ZPO), dem bei Einbringung im elektronischen Rechtsverkehr sofort mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung bearbeitbare formatierte Daten zur Verfügung stehen (vgl Gitschthaler in Rechberger, ZPO3 § 74 Rz 11 mwN). Im vorliegenden Fall hat sich das Erstgericht zur Erteilung eines Verbesserungsauftrags an die Klägerin nicht veranlasst gesehen, was hier keiner weiteren Würdigung bedarf. In dritter Instanz begründet der Umstand, dass die Revision anstatt im elektronischen Rechtsverkehr auf dem Postweg eingebracht worden ist, trotz der fehlenden Glaubhaftmachung im Sinne des § 11 Abs 1a ERV 2006 jedenfalls keinen die Erledigung des Rechtsmittels hindernden Form- oder Inhaltsmangel, den der Oberste Gerichtshof durch Einleitung von Verbesserungsmaßnahmen wahrnehmen müsste. Er berührt auch nicht die Rechtzeitigkeit der Revision.
2.) Das Rechtsmittel ist jedoch entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Eine solche wird auch dadurch nicht begründet, dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht entschieden wurde (RIS-Justiz RS0107773). Aber auch in der Revision werden keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dargetan. Eine Änderung der Fahrtrichtung im Sinne des § 11 StVO liegt nur vor, wenn vom natürlichen Verlauf der Fahrbahn abgewichen wird (RIS-Justiz RS0073604). Ob dies zutrifft, richtet sich nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen, somit den konkreten Umständen des Einzelfalls (vgl 2 Ob 21/93 = ZVR 1994/146; 2 Ob 166/06k; 2 Ob 117/05b). Dabei ist maßgebend, wie sich der Verlauf einer Straße in ihrem gesamten Erscheinungsbild präsentiert. Die Fahrtrichtung ist nach „vernünftiger Verkehrsauffassung" festzustellen, wobei vor allem (nicht aber ausschließlich) der geradlinige Verlauf der Straße bzw ihre geradlinige Fortsetzung in eine andere Straße von wesentlicher Bedeutung sein kann (vgl 2 Ob 21/93). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, eine gemäß § 11 Abs 2 StVO anzuzeigende Fahrtrichtungsänderung liege auch dann vor, wenn ein Fahrzeug eine knieförmig verlaufende Vorrangstraße befährt, die - von der ursprünglich befahrenen Richtung aus betrachtet - geradlinig von einer anderen Straße fortgesetzt wird (ZVR 1979/12; ZVR 1979/59; 2 Ob 166/06k; RIS-Justiz RS0073882).
Diese Rechtsprechung schließt aber eine abweichende Beurteilung des natürlichen Straßenverlaufs nicht aus, wenn die fortgesetzte Straße ihrem Erscheinungsbild nach nicht als natürliche Fortsetzung der bisherigen Straße angesehen werden kann. So wurde etwa in der Entscheidung ZVR 1981/82 für die Bestimmung des natürlichen Straßenverlaufs auch auf die angebrachten Bodenmarkierungen (Leit- und Begrenzungslinien) und in der Entscheidung 2 Ob 21/93 (ua) auf die Art des Fahrbahnbelags und die Fahrbahnbreite als zusätzliche Kriterien abgestellt.
Vor diesem Hintergrund ist dem Berufungsgericht nicht vorwerfbar, wenn es in seine Beurteilung den Umstand miteinbezog, dass die (annähernd) geradlinige Fortsetzung der im Kreuzungsbereich in einer Linkskrümmung verlaufenden Scheibenstraße zu einem, wie auch aus dem Lichtbild in ON 9 ersichtlich ist, unmittelbar angrenzenden, durch einen - wenngleich zur Unfallszeit geöffneten - Schranken und eine Fahrverbotstafel gesicherten Firmengelände führt. Seine Rechtsansicht, dass die Erstbeklagte unter den gegebenen Umständen dem natürlichen Straßenverlauf folgte und keine nach § 11 Abs 2 StVO anzuzeigende Fahrtrichtungsänderung vorgenommen hat, hält sich im vorliegenden Einzelfall im Rahmen der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur und lässt keine Fehlbeurteilung erkennen, die der Oberste Gerichtshof zwecks Wahrung der Rechtssicherheit aufgreifen müsste. Die in der Revision angestellten Überlegungen zu der im Kurvenbereich bei eisglatter Fahrbahn und beim Passieren von LKWs möglichen Geschwindigkeit können schon deshalb auf sich beruhen, weil das Erstgericht weder Eisglätte noch die Beteiligung eines LKWs festgestellt hat.
Da es somit der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht bedurfte, war die Revision der Klägerin zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihrer Revisionsbeantwortung auch auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO hingewiesen.
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