OGH 2Ob21/93

OGH2Ob21/9317.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Niederreiter, Dr.Graf und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Michael T*****, vertreten durch Dr.Christoph Raabe, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei I***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Hans Litschauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 58.250,-- S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2. Dezember 1992, GZ 16 R 241/92-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 24.Juli 1992, GZ 31 Cg 721/90-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 4.348,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 724,80 S an Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 17.Jänner 1989 ereignete sich in Niederösterreich auf der Kreuzung der Gutensteinerstraße (Landesstraße 4070) mit der Bundesstraße B 21a ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem PKW Peugeot (W *****) und Johann H***** mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Sattelkraftfahrzeug (N *****) samt Anhänger beteiligt waren. An dieser Kreuzung setzt die Gutensteinerstraße die Bundesstraße, die ihre Richtung im Kreuzungsbereich um 30 Grad ändert, völlig geradlinig fort. Beide Straßen sind asphaltiert und nach der Gabelung annähernd gleich breit, sodaß die Gutensteinerstraße als natürliche Fortsetzung der Bundesstraße wirkt. Die Gutensteinerstraße ist gegenüber der Bundesstraße durch das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" mit der Zusatztafel "Vorrangstraße mit besonderem Verlauf" benachrangt. Der Kläger näherte sich der Kreuzung auf der Gutensteinerstraße und wollte geradeaus auf der Bundesstraße in Richtung Osten weiterfahren. Der Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Sattelkraftfahrzeuges fuhr auf der Bundesstraße in entgegengesetzter Richtung und hatte die Absicht, die Fahrt auf der Bundesstraße - die aus seiner Sicht im Kreuzungsbereich in einer Linkskurve nach Südwesten weiterführt - fortsetzen. Er reduzierte wegen der Linkskurve die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges auf den letzten 310 m vor der Kreuzung konstant auf 51,3 km/h und setzte etwa 20 bis 30 m vor der Kreuzung den linken Blinker, der bis zum Zusammenstoß höchstens 3mal aufgeleuchtet hat. Als sich der Kläger der Kreuzung näherte, verlangsamte er die Geschwindigkeit seines Wagens, um einen von rechts kommenden LKW passieren zu lassen, und beschleunigte dann sein Fahrzeug im dritten Gang wieder, bis er vor Beginn der Einmündung - etwa 40 m vor der Unfallsstelle - eine Geschwindigkeit von etwa 60 km/h erreichte. Er sah den entgegenkommenden Sattelzug noch ohne eingeschalteten Blinker und fuhr in die Kreuzung ein, weil er davon überzeugt war, daß der Sattelzug gerade in die Gutensteinerstraße weiterfahren werde.

Mit der am 13.April 1990 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte der Kläger von der Beklagten - aus prozessualer Vorsicht - von einem Mitverschulden des Lenkers des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges ausgehend den Ersatz der Hälfte des ihm bei diesem Unfall entstandenen Schadens (Schmerzengeld und Kfz-Schaden) im Betrag von 58.250,-- S sA. Da der LKW-Lenker es unterlassen habe, rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen, habe der Kläger angenommen, der LKW werde geradeaus weiterfahren. Erst als der Lenker des LKW gemerkt habe, daß er, Kläger, nicht anhalten werde, habe er im Abbiegen den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt. Trotz sofortiger Bremsung habe der Kläger die Kollision nicht mehr verhindern können. Ein Mitverschulden des LKW-Lenkers liege auch darin, daß er auf die Annäherung des Fahrzeuges des Klägers falsch und erheblich verspätet reagiert habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Unfall einzig und allein darauf zurückzuführen gewesen sei, daß der Kläger den Vorrang des LKW-Zuges mißachtet und auf das zusätzliche - durch den Straßenverlauf nicht notwendige - rechtzeitige Blinken des LKW-Lenkers nicht reagiert habe. Für den Lenker des bei ihr haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges sei die Kollision unvermeidbar gewesen.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß die eingeklagte Forderung dem Grunde nach zu Recht bestehe.

Bei der rechtlichen Beurteilung des bereits wiedergegebenen Sachverhaltes ging das Erstgericht davon aus, daß ein Kraftfahrzeuglenker verpflichtet sei, die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer darauf einstellen könnten. Fahrtrichtung im Sinne des § 11 StVO sei nicht eine Bewegungsrichtung im geographischen Sinn, sondern die sich aus dem natürlichen oder besonders vorgeschriebenen Verlauf einer Fahrbahn ergebende Richtung. Bei einer Straßengabelung sei die geradlinige Fortsetzung der natürliche Verlauf, wenn die andere Straße eine erhebliche Krümmung aufweise und ihre Fahrbahn nicht in einem solchen Ausmaß breiter sei, daß dadurch der Eindruck der natürlichen Fortsetzung durch die geradlinig weiterverlaufende Straße ausgeschlossen werde. In einem solchen Fall sei die mit der Weiterbenützung der gekrümmten Straße verbundene Fahrtrichtungsänderung rechtzeitig anzuzeigen. Dies gelte auch dann, wenn die gekrümmte Straße eine Vorrangstraße sei, weil sich aus der Anordnung des Vorrangs allein nicht die Vorschreibung einer Fahrtrichtung ergebe. Die Gutensteinerstraße bilde nach den gegebenen Verhältnissen aus der Sicht des LKW-Lenkers die natürliche Fortsetzung der Bundesstraße, weshalb der LKW-Lenker zur rechtzeitigen Anzeige der mit der Weiterfahrt auf der Bundesstraße verbundenen Fahrtrichtungsänderung verpflichtet gewesen wäre. Mit einem höchstens dreimaligen Aufleuchtenlassen des Blinkers unmittelbar vor der Kreuzung sei er dieser Verpflichtung nicht ausreichend nachgekommen. Den LKW-Lenker treffe wegen der Übertretung des § 11 Abs 2 StVO ein Verschulden an diesem Unfall, das die vom Kläger zugrundegelegte Verschuldensteilung 1 : 1 rechtfertige. Dem Kläger sei ein Fehlverhalten erst überhaupt ab dem Zeitpunkt vorwerfbar, ab dem er nicht mehr darauf habe vertrauen dürfen, daß der LKW-Zug geradeaus in die Gutensteinerstraße weiterfahren werde.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm den von den Parteien außer Streit gestellten und vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt zur Gänze und nahm zu der als nicht berechtigt erkannten Rechtsrüge im wesentlichen wie folgt Stellung:

Gemäß § 11 Abs 2 StVO sei die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich die anderen Verkehrsteilnehmer darauf einstellen könnten. Unter "Fahrtrichtung" werde nach ständiger Rechtsprechung nicht eine Bewegungsrichtung im geographischen Sinn, sondern grundsätzlich die sich aus dem natürlichen oder besonders vorgeschriebenen Verlauf einer Fahrbahn ergebende Richtung verstanden (richtig ZVR 1979/59). Es entspräche auch ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes, daß eine gemäß § 11 Abs 2 StVO anzuzeigende Fahrtrichtungsänderung auch dann vorliegt, wenn ein Fahrzeug eine knieförmig verlaufende Vorrangstraße befährt, die - von der ursprünglich befahrenen Richtung aus gesehen - geradlinig von einer Nebenstraße fortgesetzt werde (ZVR 1979/12 uva). Im vorliegenden Fall sei zu beachten, daß die Bundesstraße von der gleich breiten Landesstraße geradlinig fortgesetzt werde, während die Vorrangstraße eine 30-grädige Krümmung aufweist. Sei aber die Krümmung einer Straße so erheblich, daß ihre geradlinige Fortsetzung durch eine andere Straße als der natürliche Verlauf der bisherigen Fahrtrichtung angesehen werden müsse, so sei die mit der Weiterbenützung der gekrümmten Straße verbundene Fahrtrichtung rechtzeitig anzuzeigen (ZVR 1967/138, ZVR 1976/313). Da es sich bei der vorliegenden Kreuzung um eine Straßengabelung handle, wäre der Lenker des Beklagtenfahrzeuges bei der festgestellten Krümmung der von ihm befahrenen Straße verpflichtet gewesen, rechtzeitig die Fahrtrichtungsänderung anzuzeigen, zumal eine geradlinige Fortsetzung der Fahrt des Beklagtenfahrzeuges in die Landesstraß ebenso möglich und zulässig gewesen wäre wie die Weiterfahrt auf der Bundesstraße. Die erst 20 bis 30 m (ergänze) vor der Kreuzung erfolgte Anzeige der Einbiegeabsicht sei verspätet gewesen (ZVR 1974/208, ZVR 1976/249). Soweit die Berufung darauf verweise, daß der Kläger das Verkehrszeichen "Vorrang geben" mit der Zusatztafel "Vorrangstraße mit besonderem Verlauf" zu beachten gehabt hätte, weshalb der Kläger zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen wäre und davon hätte ausgehen müssen, daß der Lenker des Beklagtenfahrzeuges den "rechten" Fahrtrichtungsanzeiger betätigen werde, falls er die Landeshauptstraße befahren wollte, sei dem entgegenzuhalten, daß von einem besonders vorgeschriebenen Verlauf der Fahrbahn nicht gesprochen werden könne, weil die geradlinige Fortsetzung der Fahrt des Beklagtenfahrzeuges möglich und zulässig gewesen wäre und daher der Lenker des Beklagtenfahrzeuges verpflichtet gewesen sei, seinen "linken" Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen. Auch gegen die Ausmessung des beiderseitigen Verschuldens bestünden keine Bedenken. Berücksichtige man, daß der Kläger zunächst darauf habe vertrauen können, daß der Lenker des Beklagtenfahrzeuges seine Fahrt geradlinig fortsetzen werde, dann sei das von ihm selbst eingeräumte Mitverschulden nicht zu gering bewertet. Der Berufung sei daher insgesamt ein Erfolg zu versagen gewesen.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß es zwar der angeführten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs über die Verpflichtung, die Fahrtrichtungsänderung anzuzeigen, gefolgt sei, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aber darüber, ob ein entgegenkommender Verkehrsteilnehmer aus der Nichtbetätigung des Fahrtrichtungsanzeigers auf die Geradeausfahrt des anderen schließen dürfe, fehle.

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt und in letzter Linie die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Verschuldensteilung im Ausmaß 4 : 1 zu Lasten des Klägers beantragt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

In ihrer Revision hält die Beklagte an ihrer Rechtsansicht fest, den Lenker des bei ihr haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges könne kein Mitverschulden angelastet werden. Das Berufungsgericht habe nämlich zu Unrecht das Vorliegen einer "Straßengabelung" angenommen, es hätte vielmehr im Hinblick darauf, daß die Bundesstraße lediglich eine Richtungsänderung im Ausmaß von 30 Grad aufweise, zur Ansicht gelangen müssen, daß eine Fahrtrichtungsänderung im Sinne des § 11 StVO nicht gegeben gewesen sei, zumal auch keine Änderung der Fahrtrichtung vorliege, wenn die Straße selbst ihre Richtung ändere oder wenn ein Verkehrsteilnehmer den von ihm benützten Fahrstreifen nicht verlasse. Dem kann nicht gefolgt werden.

Aus den weitwendigen Ausführungen der Revisionswerberin darüber, unter welchen Voraussetzungen eine Straße als "knieförmig" verlaufend gilt, und von einer "Straßengabelung" gesprochen werden kann, ist für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen, weil es sich dabei nicht um gesetzlich normierte Begriffe handelt, an deren Vorliegen bestimmte Rechtsfolgen geknüpft wären, sondern lediglich um von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes bei der Auslegung des im § 11 StVO verwendeten, jedoch nicht näher umschriebenen Begriffes "Änderung der Fahrtrichtung" gebrauchte Bezeichnungen. Streitentscheidend ist daher - wie die Vorinstanzen auch zutreffend erkannten - in erster Linie die Beantwortung der Frage, ob dem Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges in Verfolgung seiner Absicht, mit dem Fahrzeug dem Verlauf der Bundesstraße zu folgen, eine Änderung der Fahrtrichtung bevorstand, die er gemäß § 11 Abs 2 StVO so rechtzeitig anzuzeigen verpflichtet gewesen wäre, daß sich der Kläger auf diesen Vorgang hätte einstellen können.

Das Berufungsgericht ist bei Auslegung des Begriffes "Änderung der Fahrtrichtung" richtig von den von der Rechtsprechung dazu entwickelten wesentlichen Merkmalen ausgegangen und im Sinne dieser Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, daß unter Fahrtrichtung nicht eine Bewegungsrichtung im geographisch-geometrischen Sinn, sondern grundsätzlich die aus dem natürlichen oder besonders vorgeschriebenen Verlauf einer Fahrbahn sich ergebende Richtung zu verstehen ist und eine Änderung der Fahrtrichtung somit dann vorliegt, wenn vom natürlichen oder besonders gekennzeichneten Verlauf der Fahrbahn abgewichen wird (vgl Dittrich-Stolzlechner, StVO, Rz 5 zu § 11 StVO samt Rechtsprechungshinweisen). Nach den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen kann nicht davon ausgegangen werden, daß auf der Fahrbahn der Bundesstraße im Kreuzungsbereich - auch bei einer Straßengabelung handelt es sich um eine Kreuzung im Sinne des § 2 Abs 1 Z 17 StVO (ZVR 1978/96) - Bodenmarkierungen angebracht oder ein Abbiegegebot aufgestellt gewesen wäre, denen zufolge der Lenker des Sattelkraftfahrzeuges zur Weiterfahrt auf der Bundesstraße verpflichtet gewesen wäre (§ 9 Abs 6 StVO bzw Gebotszeichen nach § 52 lit b Z 15 StVO). Es verbleibt somit nur zu klären, ob der Lenker des Sattelkraftfahrzeuges die Absicht hatte, vom "natürlichen Verlauf" der Bundesstraße abzuweichen. Da der "natürliche Verlauf" einer Straße häufig nur schwer zu erkennen ist, ist es notwendig, die Fahrtrichtung im Einzelfall nach "vernünftiger Verkehrsauffassung" festzustellen, wobei vor allem dem geradlinigen Verlauf einer Straße bzw ihrer geradlinigen Fortsetzung in eine andere Straße entscheidende Bedeutung zukommt (vgl Dittrich-Stolzlechner, aaO, Rz 6 zu § 11 StVO). Eine Beurteilung der Unfallskreuzung unter diesem Gesichtspunkt ergibt aber eindeutig, daß die Gutensteinerstraße - aus der Fahrtrichtung des Lenkers des Sattelkraftfahrzeuges betrachtet - den "natürlichen Verlauf" der Bundesstraße darstellt, weil diese Landesstraße die geradlinige Fortsetzung der Bundesstraße bildet und beide Straßen asphaltiert und annähernd gleich breit sind, die Bundesstraße hingegen in einer Linkskurve in einem Winkel von etwa 30 Grad weiterführt, ihrem Erscheinungsbild somit nicht als natürliche Fortsetzung der Bundesstraße angesehen werden kann. In der vom Berufungsgericht unter Hinweis auf eine Mehrzahl von Entscheidungen (vgl. dazu auch die in Dittrich-Stolzlechner, aaO, Rz 8 zu § 11 StVO angeführte weitere Rechtsprechung, insbesondere ZVR 1979/59, welcher Entscheidung ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag) vertretenen Ansicht, der Lenker des Sattelkraftfahrzeuges wäre verpflichtet gewesen, die Fortsetzung seiner Fahrt auf der abbiegenden Vorrangstraße gemäß § 11 Abs 2 StVO anzuzeigen, kann somit kein Rechtsirrtum erblickt werden.

Die Revisionswerberin bekämpft in ihrer Rechtsrüge weiters die vom Berufungsgericht zur Frage, ob ein Verkehrsteilnehmer aus der Nichtbetätigung des Fahrtrichtungsanzeigers an einem entgegenkommenden Kraftfahrzeug darauf vertrauen darf, dieses Kraftfahrzeug werde geradeaus weiterfahren, vertretene Rechtsansicht. Insoweit sie in diesem Zusammenhang aus der besonderen Vorrangregelung an der Unfallskreuzung die Verpflichtung des Klägers zu besonderer Vorsicht ableiten und daraus den Schluß ziehen möchte, der Kläger hätte als benachrangter Verkehrsteilnehmer, solange er an dem entgegenkommenden Fahrzeug keinen Fahrtrichtungsanzeiger wahrgenommen habe, überhaupt keinen Anlaß für die Annahme gehabt, das entgegenkommende Kraftfahrzeug werde in die Landesstraße einfahren, kann ihr ebenfalls nicht beigepflichtet werden.

Aufgrund des im Straßenverkehr geltenden, im § 3 StVO normierten Vertrauensgrundsatzes darf jeder Straßenbenützer darauf vertrauen, daß andere Personen die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften kennen und auch befolgen. Eine Ausnahme davon macht das Gesetz selbst nur für jene Fälle, in welchen derjenige, der den Vertrauensgrundsatz in Anspruch nehmen will, erkennen muß, daß es sich um Kinder, Seh- oder Hörbehinderte mit weißem Stock oder gelber Armbinde, offensichtlich Körperbehinderte oder Gebrechliche oder um Personen handelt, aus deren augenfälligem Gehaben geschlossen werden muß, daß sie unfähig sind, die Gefahren des Straßenverkehrs einzusehen oder sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten. In Ausformung dieser Ausnahmen wurde von der Rechtsprechung der Standpunkt vertreten, daß eine erfolgreiche Berufung auf den Vertrauensgrundsatz unter anderem dann nicht möglich ist, wenn eine Verpflichtung zu erhöhter Aufmerksamkeit besteht, vom Verkehrsteilnehmer also die Anwendung besonderer Sorgfalt verlangt wird (vgl Dittrich-Stolzlechner, aaO, Anm 27b zu § 3 StVO). Ein solcher Fall liegt aber entgegen den Revisionsausführungen hier nicht vor. Die von der Revisionswerberin offenbar angesprochene Verpflichtung eines nach § 19 StVO Wartepflichtigen zur gehörigen (besonderen) Beobachtung des begünstigten Verkehrs in seiner tatsächlichen Gestaltung hat nämlich das Vorliegen einer Vorrangsituation zur Voraussetzung. Eine solche lag aber hier nicht vor, weil der Kläger auch unter besonderer Berücksichtigung des ihm entgegenkommenden Sattelkraftfahrzeuges, dem ja der Vorrang nach § 19 Abs 4 StVO unabhängig davon zukam, ob es der Vorrangstraße folgen oder sie verlassen werde, nicht damit rechnen mußte, das Fahrzeug werde nach links einbiegend der Vorrangstraße folgen. Solange der Lenker des Sattelkraftfahrzeuges seine Absicht, die Fahrtrichtung im Sinne des Verlaufes der Bundesstraße zu ändern, nicht angezeigt hatte, war der Kläger zur Annahme berechtigt, das Fahrzeug werde seine Fahrtrichtung nicht ändern, also geradeaus in der Gutensteinerstraße weiterfahren, weil er darauf vertrauen durfte, daß der Lenker des ihm entgegenkommenden Fahrzeuges andernfalls seine Absicht, dem Verlauf der Bundesstraße im Sinne einer bevorstehenden Änderung seiner Fahrtrichtung zu folgen, im Sinne des § 11 Abs 2 StVO rechtzeitig angezeigt hätte. Die im § 11 Abs 2 StVO normierte Verpflichtung rechtfertigt im Sinne des Vertrauensgrundsatzes nämlich nicht nur die Annahme, ein Verkehrsteilnehmer werde die angezeigte Änderung der Fahrtrichtung auch tatsächlich durchführen, sondern kraft Umkehrschluß auch das Vertrauen darauf, er werde bei Unterlassung der Anzeige einer Richtungsänderung eine solche nicht vornehmen, also der gegebenen Verkehrssituation entsprechend seine Fahrt geradeaus fortsetzen.

Da nach den Feststellungen der Vorinstanzen kein Zweifel daran besteht - und von der Revision auch gar nicht bekämpft wird - daß die beabsichtigte Fahrtrichtungsänderung vom Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges nicht rechtzeitig angezeigt wurde, sind die Vorinstanzen mit Recht von einer Haftung der Beklagten für die Unfallsfolgen des Klägers ausgegangen.

Die Beklagte kann sich aber auch durch die aus den Entscheidungen der Vorinstanzen sich ergebende Schadensteilung nicht beschwert erachten, denn das vom Kläger selbst eingeräumte Mitverschulden erscheint im Hinblick darauf, daß der Kläger ja vorerst darauf vertrauen durfte, der Lenker des Sattelkraftfahrzeuges werde seine Fahrt geradlinig fortsetzen, nicht als zu gering bewertet.

Damit erweist sich aber die Revision als unberechtigt, weshalb ihr kein Erfolg beschieden sein konnte.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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