OGH 2Ob25/07a

OGH2Ob25/07a9.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Rudolf Lessiak Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Daniel B*****, *****, vertreten durch Dr. Raimund Madl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2006, GZ 39 R 219/06d-16, womit infolge der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 28. März 2006, GZ 8 C 1393/05z-12, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird als nichtig aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Beklagte ist seit 14. 6. 2002 Mieter der Wohnung in 1220 Wien, *****.

Mit Aufkündigung vom 24. 10. 2005 begehrte die Klägerin als Vermieterin, dem Beklagten aufzutragen, das genannte Objekt bis 31. 1. 2006 geräumt der Klägerin zu übergeben. Die Klägerin stützte sich auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 1 und § 30 Abs 2 Z 3 zweiter und dritter Fall MRG.

Der Beklagte bestritt die von der Klägerin erhobenen Vorwürfe und beantragte Klagsabweisung.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung vom 24. 10. 2005 für rechtswirksam und trug dem Beklagten auf, die Wohnung binnen 14 Tagen geräumt von eigenen Fahrnissen der Klägerin zu übergeben. Es traf unter anderem folgende Feststellung:

Der Beklagte zeigte seinen Nachbarn Dr. R***** unter anderem am 10. 3. 2005 wegen fahrlässiger Körperverletzung durch mangelhafte Hundehaltung an. Diese Anzeige führte zu einer rechtskräftigen Verurteilung des Beklagten zu einem Monat bedingter Freiheitsstrafe wegen Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB.

Rechtlich bejahte das Erstgericht das Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG auf Grund unleidlichen Verhaltens. Dieses liege unter anderem infolge der rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung des Beklagten wegen Verleumdung vor. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab, ohne die vom Beklagten (nicht auch von der Klägerin) beantragte Berufungsverhandlung durchgeführt zu haben. Es führte unter anderem aus, aus der bloßen Tatsache der Verurteilung des Beklagten wegen Verleumdung könne noch nicht geschlossen werden, dass der Tatbestand der Verleumdung in objektiver und subjektiver Sicht erfüllt worden sei. Es ergäben sich insgesamt Zweifel daran, dass der Beklagte dem Mitbewohner Dr. R***** wissentlich und fälschlich ein strafbares Verhalten, nämlich eine fahrlässige Verletzung durch Hundebiss, angelastet habe. Selbst wenn der Tatbestand der Verleumdung erfüllt wäre, wäre die Straftat jedenfalls als geringfügig zu beurteilen. Insgesamt sei das Verhalten des Beklagten nicht geeignet, den herangezogenen Kündigungsgrund zu erfüllen.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen Nichtigkeit des Berufungsurteils zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Die Revisionswerberin meint, das Berufungsurteil sei aus zwei Gründen nichtig: Einerseits habe das Berufungsgericht gegen die Bindungswirkung eines rechtskräftigen strafgerichtlichen verurteilenden Erkenntnisses hinsichtlich der rechtskräftigen Verurteilung des Beklagten wegen Verleumdung verstoßen. Andererseits sei das Berufungsurteil nichtig, weil das Berufungsgericht über die Berufung ohne Abhaltung der vom Beklagten als Berufungswerber beantragten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden habe.

Hiezu wurde erwogen:

1. Bindungswirkung der rechtskräftigen strafgerichtlichen

Verurteilung:

Der Missachtung der Bindungswirkung einer materiell rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung ist das Gewicht eines von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrundes beizumessen (RIS-Justiz RS0074239).

Die im vorliegenden Fall erfolgte Verleumdung fällt nicht unter die Delikte des dritten Falls von § 30 Abs 2 Z 3 MRG. Es kommt daher insoweit auf die Verurteilung bzw die Geringfügigkeit der Tat nicht an. Der zweite Fall von § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt aber einerseits keine Straftat voraus, andererseits führt eine strafgerichtliche Verurteilung nicht bindend zur Bejahung dieses Kündigungsgrundes. Darüber hinaus hätte das Berufungsgericht auch insofern nicht gegen eine Bindungswirkung verstoßen, als es ausführt, dass auch unter Zugrundelegung der Verleumdung der Kündigungsgrund nicht verwirklicht sei.

2. Unterbliebene Berufungsverhandlung:

Die vom Berufungsgericht zur Begründung, warum eine mündliche Berufungsverhandlung nicht erforderlich sei, angeführten Entscheidungen (5 Ob 139/75; 1 Ob 183/75; vgl RIS-Justiz RS0042172) sind nicht einschlägig, weil sie das - hier nicht vorliegende - Verfahren im zweiten Rechtsgang nach Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofes und Rückverweisung an das Berufungsgericht nach bereits im ersten Rechtsgang abgehaltener Berufungsverhandlung betreffen. Entscheidet das Berufungsgericht trotz Antrages auf Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung, begründet dies die Nichtigkeit der Entscheidung nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (RIS-Justiz RS0042118, RS0042245).

In der Revisionsbeantwortung hat sich der Beklagte zur Frage der Berufungsverhandlung undeutlich geäußert: Einerseits führt er aus, eine Berufungsverhandlung sei entbehrlich gewesen, weil das Berufungsgericht nicht von den Feststellungen des Erstgerichts abgegangen sei, die Berufungsentscheidung sei nicht mit Nichtigkeit belastet. Andererseits meint er, der von der Klägerin behauptete Nichtigkeitsgrund könnte bestenfalls zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen, da sonst erst recht das rechtliche Gehör der gekündigten Partei verletzt werde.

Nach der Rechtsprechung sind zweifelhafte Parteienerklärungen zugunsten der Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs auszulegen (RIS-Justiz RS0042208 [T4, 6]). Auch im Privatrecht ist ein (schlüssiger) Verzicht nur bei eindeutigem, zweifelsfreiem Verhalten des Verzichtenden anzunehmen (vgl nur RIS-Justiz RS0014146 [T2, 5, 7]). Daher können diese Äußerungen des Beklagten in der Revisionsbeantwortung im Zweifel nicht als nachträglicher Widerruf des Antrags (und somit Verzicht, § 492 Abs 1 ZPO) auf Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung gewertet werden. Eine Heilung der Nichtigkeit durch nachträglichen Verzicht auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung scheidet somit jedenfalls aus. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob ein einseitiger Widerruf des Antrags auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung zulässig ist (dafür Fasching, Lehrbuch2 Rz 1799, und Pimmer in Fasching/Konecny2 § 492 Rz 17, unter Berufung auf ZBl 1930/236; dagegen EvBl 1959/301; 6 Ob 257/00p = RIS-Justiz RS0042208 [T3]; 6 Ob 251/03k).

Wegen der vorliegenden Nichtigkeit des Berufungsurteiles war es aufzuheben und war dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung (Berufungsverhandlung) aufzutragen. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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