OGH 2Ob215/17g

OGH2Ob215/17g17.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien I. I***** B***** (AZ 5 Cg 37/16v – führendes Verfahren) und II. Mag. B***** B***** (AZ 40 Cg 34/16k – verbundenes Verfahren), beide *****, vertreten durch Heiss & Heiss Rechtsanwälte OG in Innsbruck, gegen die jeweils beklagte Partei I***** M*****, vertreten durch Dr. Christian Margreiter, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, wegen I.) 17.000 EUR sA und II.) 22.155,01 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. Juli 2017, GZ 1 R 64/17x‑27, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 9. März 2017, GZ 5 Cg 37/16v, 40 Cg 34/16k‑23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00215.17G.1217.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei des führenden Verfahrens ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.043,03 EUR (darin enthalten 173,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei des verbundenen Verfahrens ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.382,61 EUR (darin enthalten 230,43 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 22. 8. 2013 führte die Beklagte als Pilotin einen Ballonflug mit dem Ballon ***** durch, bei dem der als „Verfolger“ tätige J***** B***** (in der Folge auch: Verfolger bzw Verstorbener), der Ehemann der Klägerin des führenden Verfahrens (Erstklägerin) und Vater der Klägerin des verbundenen Verfahrens (Zweitklägerin), getötet wurde.

Die Beklagte ist seit März 1998 Inhaberin des Freiballonfahrscheins 262 mit den besonderen Berechtigungen für gewerbliche Beförderung. Im Unfallszeitpunkt war sie geringfügig als Pilotin bei der B***** GmbH, der Halterin des unfallbeteiligten Ballons, angestellt. Sie fungierte in diesem Unternehmen auch als technische Leiterin und Balloneinsatzleiterin und verfügte über eine hohe Flugerfahrung.

Bereits am 21. 8. 2013 wollte sie J***** B***** für eine Ballonfahrt am nächsten Tag als Verfolger gewinnen. Da sie ihn an diesem Abend nicht erreichte, rief sie ihn am 22. 8. 2013 um 8:10 Uhr neuerlich an. Er verließ darauf sofort sein Wohnhaus, fuhr mit seinem PKW zum Unternehmen der Halterin des Ballons, holte dort ein Firmenfahrzeug samt entsprechendem Anhänger ab und fuhr zum angekündigten Landeplatz, wo er kurz nach 9 Uhr eintraf. Währenddessen führte die Beklagte als befugte Pilotin für das Unternehmen eine (gewerbliche) Ballonfahrt mit fünf Passagieren durch. Als flugdurchführende Pilotin („Pilot in Command“) hatte die Beklagte ein Weisungsrecht gegenüber den Passagieren und dem Verfolger für alle Belange in Zusammenhang mit der Führung des Luftfahrzeugs.

Am in Aussicht genommenen Landeort angekommen, gelang es der Beklagten aber nicht, den Ballon auf dem gewünschten Weg zu landen, sondern nur etwa 10 bis 12 m entfernt in etwas abschüssigem Gelände, das unterhalb des Fahrbahnniveaus lag. Die Beklagte beabsichtige deshalb, den Ballon nicht dort abzubauen, sondern ihn auf den Weg „zu versetzen“. Sie löschte daher nach der Landung weder die Pilotflamme noch schloss sie die Gaszylinderventile, weil sie den Ballon in einen leichten Schwebezustand bringen wollte, sodass er mit Hilfe der Passagiere auf den Weg gezogen hätte werden können (sogenannter „Vorgang des Versetzens“). Sie wies die Passagiere an, nacheinander auszusteigen, jedoch am Ballon zu verbleiben und sich nach dem Ausstieg mit dem gesamten Oberkörper so weit wie möglich über den am oberen Rand des Ballonkorbes befindlichen Lederwulst in den Korb „hineinzuhängen“, um diesen zu beschweren und sein Aufsteigen zu verhindern. Nachdem die Passagiere bereits ausgestiegen und den Ballon – wie ihnen aufgetragen – beschwert hatten, kam auch der Verfolger hinzu und beschwerte über Aufforderung der Beklagten ebenfalls den Ballon. Um ihn leicht ins Schweben zu bringen, betätigte die Beklagte mehrmals den Heizer, worauf der Ballon – welcher infolge des Aussteigens der Passagiere wieder einen Auftriebsüberschuss hatte und noch nicht ausreichend abgekühlt war – zunächst langsam und nach etwa 10 bis 20 Sekunden mit äußerst rascher Geschwindigkeit aufstieg. Die weiblichen Passagiere erkannten sofort, dass sie nicht mehr die Kraft hatten, den Ballon niederzudrücken, weshalb sie losließen. Der männliche Passagier und der Verfolger versuchten ungeachtet des vorhandenen Auftriebsüberschusses den Ballon nach wie vor am Boden zu halten, wobei der männliche Passagier in eine Höhe von 1,5 bis 2 m gezogen wurde und sich dort entschloss abzuspringen.

Die Beklagte rief sofort bei Erkennen des neuerlichen Ansteigens des Ballons laut: „Loslassen, sofort den Ballon loslassen!“. Einige Sekunden nach Abheben des Ballons, wobei nicht festgestellt werden konnte, in welcher Höhe sich der Ballon befand, erkannte die Beklagte den noch am Korb hängenden Verfolger. Sie rief neuerlich, er solle loslassen, woraufhin er erwiderte, dass er „ihn (den Ballon) habe und ihn halte“. Aufgrund dieser Aussage rief die Beklagte dem Verfolger neuerlich zu, den Ballon sofort loszulassen, welcher Aufforderung dieser jedoch nicht nachkam. In welcher Höhe sich der Verfolger im Zeitpunkt dieses Wortwechsels befunden hat und warum er der Aufforderung der Beklagten, den Ballon loszulassen, nicht nachkam, steht nicht fest. Die Zeit für ein zielgerichtetes Handeln in dieser Situation war für eine unausgebildete Person sehr gering.

Die Beklagte warf dem Verfolger sodann eine Manövrierleine zu und versuchte, ihn in den Korb zu ziehen, was ihr jedoch nicht gelang. In einer Höhe von cirka 50 bis 70 m konnte er sich an der Außenseite des Ballons nicht mehr halten, weshalb er zu Boden stürzte und sich dabei tödliche Verletzungen zuzog.

Der Verstorbene war davor fünf‑ bis achtmal als Verfolger tätig gewesen, aber immer unter Anleitung und Aufsicht eines zweiten erfahrenen und ausgebildeten Verfolgers. Er hatte dabei im Wesentlichen nur das dem Ballon nachfahrende Auto gelenkt und beim Zusammenpacken des Ballons geholfen. Er hatte auch an einem Versetzungsvorgang mitgewirkt. Er hatte keine Unterweisung in die Tätigkeit als Verfolger erhalten, wusste aber, dass den Anweisungen der Beklagten als flugausführender Pilotin unbedingt Folge zu leisten war und war grundsätzlich auch bereit, diesen Anweisungen zu folgen. Darüber hinausgehende Kenntnisse, wie beispielsweise den „Hands-On-Hands-Off-Drill“ und Wissen um die Grundregel, dass bei einem Steigen des Ballons dieser sofort losgelassen werden muss, hatte er nicht.

Die Beklagte hatte sich weder beim Verfolger noch sonst erkundigt, ob er eine Ausbildung oder Unterweisung als Verfolger erhalten hatte. Sie ging davon aus, dass er über die entsprechenden Kenntnisse verfügte.

In dem Zeitpunkt, als die Beklagte erkannte, dass der Verfolger am Ballon hing, hätte eine sofortige Betätigung der „parachute valve“ den Unfall nicht vermieden, da dieses System zu träge gewesen wäre. Ein Betätigen des „RDS“ (Rapid Deflation System) wäre innerhalb der ersten Sekunden möglich gewesen, maximal bis zu einer Steighöhe des Ballons von 5 bis 6 m. Dadurch hätte die Beklagte den Ballon wieder rasch zum Sinken bringen können. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Beklagte mit Sicherheit die tödlichen Verletzungen des Verfolgers verhindern können, mit großer Wahrscheinlichkeit auch schwere Verletzungen. Mit zunehmender Höhe des Ballons über 5 m hätte auch die Betätigung dieses „RDS“ zu schweren Verletzungen und/oder den Tod des Verfolgers geführt.

Der Beklagten waren im Unfallzeitpunkt die einschlägigen Bestimmungen des Luftfahrtgesetzes sowie die Bestimmungen im Flughandbuch und Flugbetriebshandbuch bekannt. Obwohl in diesen Bestimmungen zwingend nach einer Landung alle Pilotflammen und Zylinderventile (und Gasleitungen) ab- bzw zuzudrehen sind, hielt sich die Beklagte nicht daran, weil sie beabsichtigte, den Ballon zu einem günstigeren Verpackungsplatz hin zu „versetzen“. Die Beklagte hätte erkennen können und müssen, dass sie durch dieses Verhalten die einschlägigen Vorschriften missachtet und dadurch andere Personen (schwer) verletzen oder töten kann. Dieses Handeln der Beklagten war auch kausal für den Tod des Verfolgers.

Die Beklagte handelte selbst unter Zugrundelegung des Umstands, dass sich der Vorgang des „Versetzens“ in der Praxis als offenbar übliche und praktizierte Vorgehensweise eingebürgert hat, um einen bereits gelandeten Heißluftballon zu einer günstigeren Stelle zu verbringen, auch im Rahmen des „Versetzens“ nicht sach- und fachgerecht: Sie hätte erkennen können und müssen, dass sie durch ihr Verhalten – nämlich das Betätigen des Brenners und das Beginnen des Versetzungsmanövers zu einem Zeitpunkt, in dem der Heißluftballon nach dem Ausstieg der Passagiere noch einen Auftriebsüberschuss hatte und noch nicht ausreichend abgekühlt war und nur durch die massive Beschwerung der hierzu nicht geschulten Passagiere und des Verfolgers am Boden gehalten werden konnte – nicht sach- und fachgerecht handelt und dadurch andere Personen schwer verletzen oder töten kann. Ein sach- und fachgerecht handelnder Ballonpilot hätte das Versetzungsmanöver nicht bei noch vorhandenem, zu großen Auftrieb und ohne ausreichende Fixierung des Ballons durchgeführt. Ebenso hätte er einen Helfer, der von ihm zum ersten Mal als Verfolger eingesetzt wird, nach dessen Ausbildung befragt und zumindest die elementarsten Grundkenntnisse, wie den „Hands-On-Hands-Off-Drill“ und die Regel, dass bei einem Steigen des Ballons dieser sofort losgelassen werden muss, überprüft bzw nachgefragt, ob ihm diese Dinge bekannt sind.

Die Beklagte wurde mit Urteil des Landesgerichts ***** zu AZ ***** rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB idF BGBl I 2015/112 für schuldig erkannt, weil sie am 22. 8. 2013 in ***** als Pilotin des Heißluftballons mit dem Kennzeichen ***** im Zuge einer gewerbsmäßigen Ballonfahrt von ***** nach ***** fahrlässig durch Außerachtlassen der einschlägigen Bestimmungen des Luftfahrtgesetzes sowie der im Flugbetriebshandbuch und Flughandbuch vorgeschriebenen Betriebsgrenzen und Außerachtlassung der Bestimmungen für die Landung, indem sie nach der Endlandung die Passagiere […] aus dem Ballon aussteigen ließ und die Genannten sowie […] (Anm: den Verfolger), ohne vorangehende entsprechende Einweisung aufforderte, den ungesicherten und noch nicht ausreichend abgekühlten Ballon durch ihr Körpergewicht am Boden zu halten, und sodann unter mehrmaliger Betätigung des Brenners begann, einen vorschriftswidrigen Versetzungsvorgang vorzunehmen, wobei es durch die geringe Masse und das Anheizen zu einem unkontrollierten raschen Steigen des ungesicherten Ballons kam, den Tod […] (Anm: des Verfolgers) herbeigeführt, der am Ballon hängend mit diesem in die Höhe gezogen wurde, sich letztlich in einer Höhe von cirka 50 bis 70 m nicht mehr halten konnte, zu Boden stürzte und sich dabei tödliche Verletzungen zuzog.

Beim verwendeten Luftfahrzeug, welches im Luftfahrtregister mit dem Kennzeichen ***** registriert ist, handelt es sich um einen Heißluftballon der Herstellerfirma C*****, der im Unfallszeitpunkt über ein gültiges Zertifikat über seine Lufttüchtigkeit besaß. Für den Heißluftballon war zum Unfallzeitpunkt eine Haftpflichtversicherung bis zu einer Versicherungssumme von 5 Mio EUR, eine Fluggast‑Haftpflichtversicherung für fünf Fluggäste, sowie eine Fluggast‑Unfallversicherung abgeschlossen. Der Versicherungsnachweis lautete auszugsweise:

 

„Der Versicherungsschutz entspricht den Anforderungen des österreichischen Luftfahrtgesetzes sowie den Bestimmungen gemäß §§ 151, 164, 165 und 168 (1) LFG sowie der EU-Verordnung 1008/2008 , EU‑Verordnung 2027/1997 […] und EU‑Verordnung 785/2004 [...]

Es gilt österreichisches Recht. […] “

Der Haftpflichtversicherung lagen die Haftpflichtversicherungs-Bedingungen EA 01,11/03 zu Grunde. In diesen fanden sich folgende Bestimmungen:

„§ 1 Gegenstand der Versicherung

1. Der Versicherer bietet Versicherungsschutz, wenn der Versicherungsnehmer wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadenereignisses von einem Dritten aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen des Todes, der Verletzung oder Gesundheitsschädigung von Menschen (Personenschaden) oder der Beschädigung oder Vernichtung von Sachen (Sachschaden) auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird.

[…]

3. Der Versicherungsschutz umfasst die gesetzliche Haftpflicht

3.1 aus dem Gebrauch von Luftfahrzeugen wegen Schäden von Personen und Sachen, die nicht im Luftfahrzeug befördert werden (Halter-Haftpflichtversicherung);

3.2 aus der Beförderung oder Mitnahme von Personen und den Sachen, die sie an sich tragen oder mit sich führen sowie Reisegepäck und Luftfracht ohne Wertdeklaration (Luftfrachtführer-Haftpflichtversicherung);

3.3 als vertragsschließender Luftfrachtführer aus einer selbst veranstalteten Beförderung von Personen incl. Gepäck ohne Wertdeklaration (Reiseveranstalter- Haftpflichtversicherung).

[...]

§ 2 Mitversicherte Personen

1. Der Versicherungsschutz umfasst auch die persönliche gesetzliche Haftpflicht

1.1. des Halters sowie aller Personen, die mit Wissen und Willen des Halters an der Führung und Bedienung der Luftfahrzeuge beteiligt sind, einschließlich der Personen, die berechtigt sind, die Fernsteuerungsanlage eines Flugmodells zu bedienen;

[…]

§ 4 Ausschlüsse

1. Kein Versicherungsschutz besteht

[… ]

1.9 für Haftpflichtanspruche

1.9.1 aus Personenschäden, bei denen es sich um Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten im Betrieb des Versicherungsnehmers [...] handelt;

[…]“.

Die Klägerinnen begehren Trauerschmerzengeld in Höhe von je 17.000 EUR, die Zweitklägerin auch die Begräbniskosten, und bringen im Wesentlichen vor, die Beklagte habe als Pilotin mehrere – näher dargestellte – unfallskausale Verstöße zu verantworten und hafte nach den Bestimmungen der §§ 1295 ff ABGB für ihr grob fahrlässiges Verhalten, wobei sie gegen mehrere Schutzgesetze verstoßen habe. Es bestehe kein Mitverschulden des Verstorbenen. Er habe mangels ausreichender Einschulung und Erfahrung das Risiko des Aufsteigens des Ballons nicht abschätzen können. Eine Reaktion im Sinne eines Absprungs in vernünftiger Höhe sei ihm nicht mehr möglich und zumutbar gewesen. Der Verstorbene sei nicht in den Betrieb eingegliedert gewesen, weil er aus reiner Gefälligkeit für die Beklagte tätig geworden sei, weshalb kein Arbeitsunfall vorliege. Selbst in diesem Fall trete überdies die Ausnahme vom Haftungsprivileg gemäß § 333 Abs 3 ASVG ein. Die Ballonhalterin habe keine Haftpflichtversicherung gemäß § 164 Abs 1 LFG abgeschlossen. In solchen Fällen sei aufgrund einer Verletzung der Fürsorgepflicht auf jenen Betrag anzuspannen, den der Arbeitnehmer bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Pflichten durch den Arbeitgeber erhalten hätte. Auf den Aufseher im Betrieb sei diese Bestimmung analog anzuwenden.

Die Beklagte wendet ein, der Verstorbene habe sich als erfahrenes Crewmitglied den berechtigten Anordnungen der Beklagten als Pilotin widersetzt, indem er es unterlassen habe, den Ballon loszulassen, als dieser von einer thermischen Böe angehoben worden sei. Durch dieses für die Beklagte objektiv und subjektiv nicht vorhersehbare vorschriftswidrige Verhalten sei er in die Höhe gezogen worden. Es fehle an der Kausalität und der Schuldhaftigkeit ihres Verhaltens und es liege weder eine grobe Fahrlässigkeit noch Vorsatz als Voraussetzung für den Zuspruch von Trauerschmerzengeld vor. Die Beklagte habe ein übliches Manöver durchgeführt, für das die Luft in der Hülle erhitzt werden müsse, weshalb die Pilotflamme und die Gasleitungen nicht abzudrehen gewesen seien. Es gehöre zur allgemeinen Betriebsgefahr, dass unvorhergesehene Manöver erforderlich werden und die Pilotin darauf mit Befehlen an die Crewmitglieder reagiere. Auch bei einem allfälligen Verschulden scheitere das Begehren an § 333 Abs 1 und 4 ASVG. Der Verstorbene sei bei einem Arbeitsunfall zu Tode gekommen, weil er in die Unternehmensstruktur der Ballonhalterin eingegliedert gewesen sei und die Beklagte den Flug in Erfüllung von Dienstpflichten durchgeführt habe. Die Beklagte sei ihm gegenüber Aufseherin im Betrieb gewesen, weshalb ihr das Dienstgeberhaftungsprivileg zugute komme. Für den Verstorbenen als Crewmitglied bestehe keine erhöhte gesetzliche Haftpflicht, sodass § 333 Abs 3 ASVG nicht zur Anwendung gelange. Ebenso sei das Mitverschulden des Verstorbenen zu berücksichtigen.

Das Erstgericht wies beide Klagebegehren ab. Die Beklagte habe grob fahrlässig gehandelt, ein allfälliges Mitverschulden des Getöteten sei vernachlässigbar. Er sei aber konkret in den Betrieb, in welchem die Beklagte arbeite, eingegliedert gewesen, weshalb die Beklagte ihm gegenüber als Aufseherin im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG einzustufen sei. Die Anwendung des § 333 Abs 3 ASVG setze voraus, dass der Schaden tatsächlich von einer Haftpflichtversicherung gedeckt sei. Ein Verstoß gegen eine Versicherungspflicht schade nur, wenn er vom Dienstgeber vorsätzlich begangen worden sei. Der Freiballon sei gemäß § 11 LFG ein Luftfahrzeug. Die in § 164 Abs 1 LFG normierte Versicherungspflicht des Halters für Drittschäden beziehe sich auf § 148 LFG. Der Getötete sei allerdings nicht an Bord des Luftfahrzeugs gewesen und als Crew-Mitglied auch kein „Dritter“, weil der Wortlaut des § 148 Abs 1 LFG insofern im Sinne des § 3 Z 3 EKHG teleologisch zu reduzieren sei. Es habe daher keine gesetzliche Haftpflicht für den Verstorbenen bestanden und somit auch keine erhöhte gesetzliche Haftpflicht nach § 333 Abs 3 ASVG. Das bedeute, dass der Beklagten das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG zugute komme und die Klagebegehren abzuweisen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung teilweise aus den vom Erstgericht angeführten Gründen, vermochte jedoch dem Analogieschluss zu § 3 Z 3 EKHG nicht „ohne weiteres“ zu folgen. Eines Analogieschlusses bedürfe es aber gar nicht, weil sich die Ausnahme der Betriebsgehilfen von der erhöhten Haftpflicht bereits aus der Ratio der VO (EG) 785/2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber ergebe. Nach deren Erwägungsgrund 14 schütze die Versicherungspflicht Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte, wobei Art 3 lit h der Verordnung „Dritte“ als jede Person mit Ausnahme der Fluggäste und der diensthabenden Flug- und Kabinenbesatzungsmitglieder definiere. Die Crew falle daher nicht unter die Versicherungspflicht der Verordnung, was darauf beruhen könnte, dass sie beim Betrieb des Luftfahrzeugs tätig sei. Nach dieser Wertung müsse dies aber auch für andere beim Betrieb tätige Personen gelten, die sich nicht an Bord befänden. Dies entspreche auch der Auffassung in Deutschland, wo der BGH die Haftung eines Halters gegenüber einem Landehelfer verneint habe. Die Ausnahmebestimmung des § 333 Abs 3 ASVG „greife daher nicht“, sodass sich die Beklagte auf das Haftungsprivileg nach § 333 Abs 1 und 4 ASVG berufen könne.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Frage zu, ob für eine mit einem Flugzeug iSd LFG nicht beförderte und nicht zu befördernde, aber beim Betrieb tätige Person die erhöhte Haftpflicht nach § 333 Abs 3 ASVG bestehe.

Dagegen richtet sich die Revision beider Klägerinnen aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben, hilfsweise, sie dahin abzuändern, dass den Klagebegehren stattgeben werde.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht auf die Rechtsstellung der Beklagten als Pilotin nicht ausreichend Bedacht genommen hat. Sie ist aber dennoch nicht berechtigt.

Die Klägerinnen verweisen darauf, dass Art 3 lit h VO (EG) 785/2004 „Dritte“ als jede Person mit Ausnahme von Fluggästen und diensthabenden Flug- und Kabinenbesatzungsmitgliedern definiere, denen der Verstorbene aber nicht angehört habe. Er sei nicht befördert worden, habe sich nicht an Bord befunden und sei auch nicht bei der Ausübung seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit getötet worden, was aber für eine die (analoge) Anwendbarkeit des EKHG ausschließende „Tätigkeit beim Betrieb“ erforderlich sei.

Hiezu wurde erwogen:

1. Mit der LFG-Novelle BGBl I 2006/88 wurde der das Haftungs- und Versicherungsrecht regelnde X. Teil (§§ 146 bis 168) des LFG den europa- und völkerrechtlichen Entwicklungen im Luftfahrtrecht angepasst. Dabei wurde dem Anwendungsvorrang der gemeinschafts- und völkerrechtlichen Regelungswerke mit dem Ergebnis Rechnung getragen, dass der Anwendungsbereich der nationalen Bestimmungen stark eingeschränkt ist (2 Ob 58/15s; Aufner, Das österreichische Luftfahrt-Haftpflichtrecht auf neuem Kurs, ZVR 2006/120, 349 [352]). Die diesbezügliche Klarstellung erfolgt in § 146 Abs 1 LFG, wonach die Bestimmungen des X. Teils ua insoweit nicht anzuwenden sind, als die Versicherungspflicht in der Verordnung (EG) 785/2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen oder Luftfahrzeugbetreiber geregelt wird. In den Gesetzesmaterialien wird dazu ausgeführt, dass den vorgeschlagenen Bestimmungen des Luftfahrtgesetzes die unmittelbar anwendbaren EU-Verordnungen vorgingen (ErläutRV 1429 BlgNR XXII. GP 9 f).

2. Auf europäischer Ebene wird die Versicherungspflicht mit der am 1. 5. 2005 in Kraft getretenen Verordnung (EG) 785/2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber geregelt. Nach ihr müssen Luftfahrtunternehmen (das sind Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung) bzw Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft sowie Luftfahrzeugbetreiber hinsichtlich ihrer „luftverkehrsspezifischen Haftung“ versichert sein (2 Ob 58/15s; Aufner, ZVR 2006, 352; vgl Erwägungsgrund 14 der Verordnung).

3. Dass der hier verwendete Freiballon gemäß § 11 Abs 1 LFG als Luftfahrzeug gilt und in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 785/2004 fällt, ist nicht bestritten (die Ausnahme in Art 2 Abs 2 lit d VO gilt nur für Fesselballons).

4. Der Zweck der genannten Verordnung liegt nach ihrem Art 1 in der Festlegung von Mindestversicherungsanforderungen für Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte. Dass der Verstorbene unter den gegebenen Umständen nicht Fluggast im Sinn der Definition in Art 3 lit g VO war und nicht befördert wurde bzw werden sollte, ist im Revisionsverfahren ebenfalls unbestritten. Die genannten Versicherungsanforderungen könnten den Verstorbenen daher nur umfassen, wenn er im Sinne der Revisionsbehauptungen als „Dritter“ anzusehen wäre.

5. Als „Dritten“ definiert Art 3 lit h VO „jede juristische oder natürliche Person mit Ausnahme der Fluggäste und der Dienst habenden Flug- und Kabinenbesatzungsmitglieder“. Der Verstorbene war als Verfolger tätig, er befand sich nicht im Korb des Ballons, sondern sollte von außerhalb helfend eingreifen. Der Revision ist daher zuzugestehen, dass seine Tätigkeit nach dem Wortlaut der Bestimmung des Art 3 lit h VO nicht unter die– von den Fluggästen abgesehen – auf die „Dienst habenden Flug‑ und Kabinenbesatzungsmitglieder“ beschränkte Ausnahme von der Definition des „Dritten“ fällt (vgl aber BGH VersR 1991, 341; Strauch in Geigel, Der Haftpflichtprozess27, Kap 29 Rn 4 und Rn 22, wonach national und international die Haftung des Luftfahrzeughalters aus Gefährdung und Delikt zwar gegenüber Dritten greift, die nicht am Betrieb des schadenstiftenden Luftfahrzeugs beteiligt waren, nicht aber gegenüber seinen Bediensteten in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit; vgl ferner Sigl in MünchKomm VVG2 [2017] Rn 20, Rn 207 und Rn 217). Die nähere Prüfung dieser Frage kann aber unterbleiben, weil auch bei Beurteilung des Verstorbenen als „Dritten“ aus folgenden Überlegungen für die Klägerinnen nichts gewonnen wäre:

6. Beklagt ist hier nicht der Halter des Luftfahrzeugs, sondern dessen Pilotin persönlich aufgrund deren Verschuldens (§ 162 LFG). Als Pilotin des Ballons war sie auch dem Verfolger gegenüber weisungsbefugt, der dies auch wusste und grundsätzlich bereit war, den Anweisungen zu folgen. Die Eingliederung des Verfolgers in den Betrieb des Ballonunternehmens und die Stellung der Beklagten als Aufseherin im Betrieb wird in der Revision nicht mehr in Frage gestellt.

7. Nach § 333 Abs 4 ASVG gilt aber die Bestimmung des § 333 Abs 1 ASVG, wonach der Dienstgeber dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalls entstanden ist, nur verpflichtet ist, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hat, auch für Ersatzansprüche der Versicherten oder ihrer Hinterbliebenen gegen Vertreter des Unternehmers und Aufseher im Betrieb.

8. Von diesem Haftungsprivileg macht § 333 Abs 3 ASVG eine Ausnahme, wenn der Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel (auch Luftfahrzeuge sind Verkehrsmittel iSd dieser Bestimmung – vgl 2 Ob 58/15s = RIS-Justiz RS0085140 [T7]) eingetreten ist, für dessen Betrieb aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht besteht. Dann haftet der Dienstgeber, und, weil für ihn die Haftungsbefreiung wie für den Dienstgeber gilt (8 ObA 287/94; vgl Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek 4 VII § 333 ASVG Rz 69 und 85 f mwN), auch der Aufseher im Betrieb, nur bis zur Höhe der aus einer bestehenden Haftpflichtversicherung zur Verfügung stehenden Versicherungssumme – außer er hätte vorsätzlich gehandelt.

Zwar stellt der Wortlaut des § 333 Abs 3 ASVG nicht darauf ab, dass eine erhöhte Haftpflicht spezifisch in Bezug auf den Verunfallten bestanden haben muss. Aus der weiteren Regelung erhellt aber, dass aus einer Haftpflichtversicherung eine Versicherungssumme konkret zur Verfügung stehen muss. Die Ausnahmeregelung des § 333 Abs 3 ASVG setzt also voraus, dass der zu ersetzende Schaden von einer Haftpflichtversicherung tatsächlich gedeckt ist (RIS-Justiz RS0085140, RS0109871; vgl Auer-Mayer in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV-Komm [Stand 1. 8. 2015] § 333 ASVG Rz 76).

Dies ist hier nicht der Fall, weil nach den festgestellten Versicherungsbedingungen – das Versicherungsverhältnis unterliegt unstrittig österreichischem Recht – Arbeitsunfälle aus der Versicherung ausdrücklich ausgenommen sind. Mangels zur Verfügung stehender Haftpflichtversicherungssumme ist daher § 333 Abs 3 ASVG nicht anzuwenden, weshalb der Beklagten das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG zugute kommt.

9. Auf die Frage, ob auch für Arbeitsunfälle eine Versicherungspflicht bestanden hätte, und auf jene Judikatur, die sich mit der unterlassenen Versicherungsdeckung bzw dem fahrlässig herbeigeführten Verlust dieser Deckung und ihren haftungsrechtlichen Folgen beschäftigt (9 ObA 48/11s und 9 ObA 147/12a; RIS-Justiz RS0127018), muss hier nicht eingegangen werden. Adressaten der Versicherungspflicht sind nach Art 1 Abs 1 VO die Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber, während die Beklagte als Pilotin die einschlägige Versicherungspflicht nicht traf.

10. Die Revision muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO, wobei die unterliegenden Klägerinnen im Verhältnis der Streitwerte ihrer Begehren in den verbundenen Verfahren zum Kostenersatz zu verpflichten sind.

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