OGH 2Ob212/09d

OGH2Ob212/09d12.11.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Pensionsversicherungsanstalt Landesstelle Wien, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Mag. Christoph Hatvagner, Rechtsanwalt in Oberwart, gegen die beklagte Partei Z*****Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Ing. Mag. Dr. Roland Hansely, Rechtsanwalt in Wien, wegen 65.049,41 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Juni 2009, GZ 11 R 101/09t-49, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. März 2009, GZ 10 Cg 156/07w-39, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

2. Die Rekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Bei einem Verkehrsunfall am 15. Juli 2003 wurde ein Motorradlenker infolge eines Zusammenstoßes mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW getötet. Mit Teilurteil vom 5. März 2009 gab das Erstgericht dem auf Feststellung der Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen im Ausmaß von zwei Dritteln statt. Dieses Urteil wurde dem Vertreter der Beklagten am 24. März 2009 zugestellt. Am 21. April 2009 brachte der Vertreter der Beklagten einen Schriftsatz im elektronischen Rechtsverkehr ein, der neben dem Datum, der Übermittlungsstelle, dem Anschriftscode und dem Aktenzeichen nur die Bezeichnung der Rechtssache (Klägerin, Beklagte, Klagevertreter, Beklagtenvertreter, Streitwert), die Vermerke „Berufung (siehe Anhang)", „Vollmacht erteilt einschließlich Vollmacht gemäß § 19a RAO" und ein Kostenverzeichnis enthält. Ein PDF-Anhang, die Berufungsschrift, ist weder auf diesem Deckblatt ausgewiesen noch mit diesem tatsächlich auf elektronischem Weg eingelangt.

Aufgrund eines vom Erstgericht eingeleiteten Verbesserungsverfahrens überreichte die Beklagte am 23. April 2009 eine Berufungsschrift mit einem Begleitschreiben und einem „ERV-Übermittlungsprotokoll". Aus diesem Ausdruck vom 21. April 2009, 15:55 Uhr, geht hervor, dass „1" Schriftsatz übermittelt und mit „OK" bestätigt wurde. Dem Übermittlungsprotokoll ist nicht zu entnehmen, dass auch ein PDF-Dokument übersandt worden wäre (das wie die zufolge des Verbesserungsauftrags auf herkömmlichen Weg eingebrachte Berufungsschrift 38 Seiten umfasst hätte).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Berufung als verspätet zurück. Gemäß § 89c Abs 1 GOG würden für Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr die Bestimmungen über den Inhalt schriftlicher Eingaben gelten. Gemäß § 5 Abs 1 Satz 2 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2006) idF BGBl II 2007/333 könnten Eingaben und Erledigungen grundsätzlich auch als PDF-Anhang übermittelt werden. Die Berufungswerberin habe innerhalb der vierwöchigen Berufungsfrist nur ein Deckblatt mit den genannten Angaben, nicht jedoch eine Rechtsmittelschrift übermittelt. Nach der Judikatur dürfe im Zivilprozess eine inhaltliche Verbesserung eines „Rechtsmittels" nur dann verfügt werden, wenn sich der Schriftsatz nicht in der bloßen Benennung des Rechtsmittels oder in der Erklärung erschöpfe, die Entscheidung zu bekämpfen. Andernfalls bestünde nämlich die Gefahr, dass durch eine bewusst unvollständige Erhebung des Rechtsmittels eine Verbesserungsfrist erschlichen und damit eine vom österreichischen Zivilprozess grundsätzlich abgelehnte Teilung von Anmeldung des Rechtsmittels und späterer Rechtsmittelausführung innerhalb eigener Frist erreicht würde. Die Einbringung eines „leeren" Rechtsmittels oder die bloße Übermittlung eines „Deckblatts" des Rechtsmittels sei daher nicht verbesserungsfähig (RIS-Justiz RS0036478; 9 Ob 78/08y; 10 Ob 34/04d). Diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze würden auch dann gelten, wenn - wie hier - im elektronischen Rechtsverkehr nur das „Deckblatt" rechtzeitig eingebracht worden sei. Der unzulässig erteilte Verbesserungsauftrag des Erstgerichts sei daher nicht geeignet gewesen, die Notfrist des § 464 Abs 1 ZPO zu verlängern (9 Ob 78/08y).

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung in der Sache selbst aufzutragen. Hilfsweise wird beantragt, die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Hilfsweise stellt die Beklagte weiters einen Wiedereinsetzungsantrag.

Die klagende Partei hat eine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Zu 1:

Der Rekurs ist zulässig (RIS-Justiz RS0098745), aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des angefochtenen Beschlusses für zutreffend, weshalb es ausreicht, die Rechtsmittelwerberin darauf und insbesondere auf die Entscheidung 9 Ob 78/08y zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 iVm § 528a ZPO).

Die Rekursausführungen sind durchwegs nicht stichhaltig:

Ein Verstoß gegen Art 6 Abs 1 MRK und somit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt schon deshalb nicht vor, weil nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung Art 6 MRK kein Recht auf einen Instanzenzug gewährt (RIS-Justiz RS0074613 [T1]; RS0074833 [T2]; RS0043962 [T12, T14]).

Auch ein entscheidungsrelevanter Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 182a ZPO liegt nicht vor. Die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts kann nämlich nur dann einen Verfahrensmangel darstellen, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten. Werden hingegen nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zugrundelagen, rechtlich anders gewertet, kann eine Verletzung des § 182a ZPO keine Rechtsfolgen haben (1 Ob 160/07x = RIS-Justiz RS0037300 [T44]).

Im vorliegenden Fall hat die Rekurswerberin auch im Rekurs kein neues (relevantes) Tatsachenvorbringen erstattet, das eine andere rechtliche Beurteilung der Sache ergeben könnte. Das Berufungsgericht hat jene oberstgerichtliche Rechtsprechung zitiert, wonach aufgrund der Gefahr der Erschleichung einer längeren Rechtsmittelfrist die im vorliegenden Fall erfolgte Einbringung eines „leeren" Rechtsmittels nicht verbesserungsfähig ist. Damit wird aber im vorliegenden Fall der Rekurswerberin entgegen ihren Rekursausführungen keineswegs dieser Rechtsmissbrauch konkret unterstellt.

Schließlich liegt in der Entscheidung des Berufungsgerichts auch kein Verstoß gegen den in Art 2 StGG und Art 7 Abs 1 B-VG verankerten Gleichheitsgrundsatz. Der vom Berufungsgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung lässt sich nicht im Ansatz entnehmen, dass hier in gleichheitswidriger Weise zwischen anwaltlich vertretenen und unvertretenen Parteien unterschieden würde.

In Hinblick auf einen möglichen (und von der Rekurswerberin hilfsweise auch gestellten) Wiedereinsetzungsantrag besteht im Übrigen auch keine Rechtsschutzlücke.

Zu 2:

Da im vorliegenden Fall das Datum der Entscheidung erster Instanz nicht nach dem 31. März 2009 liegt, ist § 521a ZPO noch idF vor Inkrafttreten der ZVN 2009 (BGBl I 2009/30) anzuwenden (Art XIV Abs 2 leg cit). Nach ständiger Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten von § 521a ZPO idF der ZVN 2009 ist der Rekurs gegen einen Beschluss, mit dem eine Berufung aus formellen Gründen gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zurückgewiesen wurde, einseitig (RIS-Justiz RS0043760; RS0098745), weshalb die Rekursbeantwortung zurückzuweisen war.

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