OGH 2Ob200/15y

OGH2Ob200/15y12.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solè und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Christian Slana, Dr. Thomas Loidl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 11.225,97 EUR sA und Feststellung (2.000 EUR) über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 1. Juli 2015, GZ 22 R 111/15b‑13, womit über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 11. März 2015, GZ 5 C 797/14w‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00200.15Y.0412.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen, dem die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen wird.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die klagende Partei macht gemäß § 332 ASVG übergegangene Entschädigungsansprüche der Witwe des am 24. 11. 1972 verstorbenen Lenkers eines LKW geltend, der auf einer Eisenbahnkreuzung von einem Eilzug erfasst wurde, nachdem ein Fahrdienstleiter der Rechtsvorgängerin der beklagten Partei die Schrankenanlage zu früh geöffnet hatte.

Zur derzeit allein verfahrensgegenständlichen Zuständigkeitsfrage brachte die klagende Partei vor, den Gerichtsstand des Schadensortes gemäß § 92a JN in Anspruch zu nehmen, der nach ständiger Rechtsprechung auch für den Legalzessionar gelte. Die Beklagte hafte als Eisenbahnunternehmung nach den Bestimmungen des EKHG sowie für das Verschulden ihres Fahrdienstleiters. Auch habe nach Beendigung des Strafverfahrens gegen den Genannten wegen dieser Sache die beklagte Partei mit Schreiben vom 27. 11. 1973 zur Haftung mitgeteilt: „Wir erklären uns sohin dem Grund nach bereit, ihre Regressforderungen, soweit ihre Leistungen rechtmäßig sind und nachgewiesen werden, zu liquidieren.“ Mit einem weiteren Schreiben vom 27. 5. 1975 habe die Beklagte weiters erklärt, aus dem bezeichneten Schadensfall die Einrede der Verjährung nicht zu erheben bzw zur Kenntnis zu nehmen, dass eine dennoch erhobene Verjährungseinrede den Grundsatz von Treu und Glauben verletze. Erstmals bei Geltendmachung der Regressansprüche für das Kalenderjahr 2013 habe die Beklagte die Zahlung verweigert mit der Begründung, dass es an einem übergangsfähigen Deckungfonds fehle; zuletzt sei sogar ein mindestens 50%iges Mitverschulden des LKW‑Lenkers eingewandt worden.

Die klagende Partei stütze sich primär auf Schadenersatzansprüche aus dem Unfall selbst und sekundär auf das von der beklagten Partei abgegebene Haftungsanerkenntnis.

Die beklagte Partei wendete die örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts ein. Die klagende Partei beziehe sich auf die Verletzung eines außergerichtlichen Haftungsanerkenntnisses der Beklagten aus dem Jahr 1973 und keinen unmittelbaren Schadenersatzanspruch gemäß § 1327 ABGB. Der Gerichtsstand des § 92a JN stehe daher nicht zur Verfügung. In der Sache bestritt die beklagte Partei allerdings ausdrücklich, ein konstitutives Anerkenntnis gegenüber der klagenden Partei abgegeben zu haben. Es liege lediglich ein deklaratives Anerkenntnis vor, was sich bereits daran zeige, dass sich die beklagte Partei nur bereit erklärt habe, die Forderung der Klägerin zu liquidieren „soweit die Leistungen rechtmäßig sind“.

Das Erstgericht schränkte die Rechtssache auf die Erörterung seiner Zuständigkeit ein und wies in der Folge die Klage mangels Vorliegens des Gerichtsstands des § 92a JN zurück. Die Beklagte habe mit der 1973 abgegebenen Erklärung offenbar einen Prozess über den Klagegrund verhindern wollen, sodass ein konstitutiver Vergleich anzunehmen sei. Auch die Zahlungen über einen langen Zeitraum sprächen dafür. Handle es sich aber um ein konstitutives Anerkenntnis, werde ein neuer Rechtsgrund geschaffen. Die klagende Partei mache somit keinen unmittelbaren Schadenersatzanspruch geltend, sondern begehre die Einhaltung des Anerkenntnisses, wofür der Gerichtsstand des § 92a JN nicht zur Verfügung stehe.

Dem dagegen erhobenen Rekurs der klagenden Partei gab das Rekursgericht nicht Folge. Die Klage werde in erster Linie auf die Verletzung der Verpflichtungen der Beklagten aus dem ‑ nach den Behauptungen der Klägerin konstitutiven ‑ Anerkenntnis gestützt, im Ergebnis also auf eine Vertragsverletzung. Die Klägerin mache keinen unmittelbaren Schadenersatzanspruch nach § 1327 ABGB geltend, sondern einen reinen Vermögensschaden. Es bleibe daher auch der Zweck des § 92a JN, die Klärung der Schadensverursachung an Ort und Stelle zu ermöglichen, nicht als Grund für die Anwendung der Bestimmungen im konkreten Fall, weshalb dem Rekurs nicht Folge zu geben sei.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs erst nachträglich zu, weil die höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach dann, wenn ein Anspruch auf zwei Rechtstitel gestützt werde, die ‑ jeder für sich ‑ bei verschiedenen Gerichten geltend zu machen sind, dem Kläger das Wahlrecht zustehe, seiner Entscheidung „möglicherweise“ widersprechen könnte.

Die klagende Partei stützt sich in ihrem Revisonsrekurs auf eben diese Judikatur und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Die klagende Partei stütze ihren Entschädigungsanspruch auf das EKHG, einen gesetzlichen Schadenersatzanspruch und zusätzlich auf ein Anerkenntnis, somit auf verschiedene Rechtsgründe, sodass es ihr nach der zitierten Judikatur freistehe, am allgemeinen Gerichtsstand oder am Gerichtsstand des Schadensortes zu klagen. Die gegenteilige Rechtsansicht der Vorinstanzen widerspreche der Judikatur des Obersten Gerichtshofs.

Die beklagte Partei strebt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels, in eventu die Bestätigung der zweitinstanzlichen Entscheidung an. Wie das Vorbringen einer Partei zu beurteilen sei und auf welchen Titel ein Anspruch gestützt werde, sei keine erhebliche Rechtsfrage. Der von der klagenden Partei ins Treffen geführten Judikatur, wonach bei Stützung des Anspruchs auf zwei Rechtstitel ein Wahlrecht bestehe, sei nicht zu folgen. Nach der Formulierung der Klage stütze sich die Klägerin lediglich hilfsweise auf die Bestimmungen des EKHG, ihre Ausführungen zur Haftung der Beklagten dem Grunde nach beschränkten sich auf das behauptete konstitutive Anerkenntnis, sodass dieses als alleiniger Klagegrund anzusehen sei.

Der Revisionsrekurs ist zulässig , weil es einer Klarstellung der Rechtslage durch den Obersten Gerichtshof bedarf; er ist auch berechtigt :

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 20 EKHG, der auch für die Ansprüche von Zessionaren gilt (RIS‑Justiz RS0058524, Danzl EKHG 9 § 20 E 3), ist für Klagen, die aufgrund dieses Bundesgesetzes erhoben werden, auch das Gericht zuständig, in dessen Sprengel sich der Unfall ereignet hat. Bei diesem Gericht können nach dem zweiten Satz der Bestimmung auch anderweitige aus dem Schadensfall abgeleitete Klageansprüche gegen den Betriebsunternehmer oder Halter oder einen sonst Ersatzpflichtigen erhoben werden.

Bei diesem Gerichtsstand können daher nach der Judikatur beliebige Schadenersatzansprüche, zB auch solche, die sich auf das ABGB stützen, gegen alle an einem Eisenbahn- oder Kfz-Unfall beteiligten Personen geltend gemacht werden ( Danzl aaO E 2, mit Verweis auf 2 Ob 367/64 ZVR 1965/171 und 2 Ob 242/68 ZVR 1969/151).

Zweck der Bestimmung ist es ‑ neben Zweckmäßigkeitsüberlegungen, Schadenersatzansprüche bei dem Gericht abzuführen, in dessen Sprengel sich der Unfall ereignet hat, weil die Klärung des Unfallgeschehens an Ort und Stelle in aller Regel einfacher und schneller durchgeführt werden kann (RIS‑Justiz RS0108909, zuletzt 2 Nc 29/12f und 2 Nc 19/13m) ‑ ebenso, alle Ansprüche aus einem Verkehrsunfall bei diesem Gericht zu konzentrieren.

Das hat auch für gerade in Verkehrssachen häufig (zusätzlich) behauptete vertragliche Ansprüche, zB aus Vergleichen oder wie hier aus einem konstitutiven Anerkenntnis, zu gelten.

Dass sich die Klägerin in ihrer Klage nicht ausdrücklich auf den Gerichtsstand des § 20 EKHG berufen hat, schadet ihr nicht, weil es ausreichend ist, dass bzw wenn sie ‑ wie im hier vorliegenden Fall ‑ jene Tatsachen behauptet hat, die den maßgeblichen Gerichtsstand begründen (RIS‑Justiz RS0046204; Scheuer in Fasching/Konecny³ I § 41 JN Rz 7, Mayr in Rechberger ZPO 4 , § 41 JN Rz 2).

Auf die von der Rechtsmittelwerberin aufgeworfenen Rechtsfragen zum Wahlrecht eines Klägers bei Geltendmachung mehrerer Rechtsgründe (RIS‑Justiz RS0046229 und RS0038063, vgl dagegen aber in der neueren Judikatur 4 Ob 80/08f SZ 2008/112 und 4 Ob 154/12v SZ 2012/106) kommt es daher im vorliegenden Fall nicht entscheidend an.

Dem Erstgericht war daher die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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