OGH 2Ob200/04g

OGH2Ob200/04g20.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel und Dr. Veith, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Musger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Nora G*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs des Vaters Mag. Rudolf G*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom 15. Juni 2004, GZ 23 R 133/04p-23, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 25. März 2004, GZ 1 P 26/02x-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 16 Abs 3 AußStrG (aF) - das neue Außerstreitgesetz ist nach seinem § 203 Abs 7 im vorliegenden Revisionsrekursverfahren noch nicht anzuwenden - ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Revisionsrekurses an den Zulassungsausspruch des Rekursgerichtes nicht gebunden. Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich gemäß § 16 Abs 4 AußStrG (aF) iVm § 510 Abs 3 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

2. Das Rekursgericht begründete den Zulassungsausspruch (aus damaliger Sicht zutreffend) mit dem Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen erfolgen könne, wenn der Unterhaltsschuldner auf eigenen Antrag gemäß § 22g Abs 4a des Bundesbediensteten-Sozialplangesetzes idF BGBl I Nr 71/2003 in den Ruhestand versetzt wurde. Im konkreten Fall hatte dies zu einer Reduktion des monatlichen Einkommens von EUR 3.142,43 auf EUR 1.688,17 (jeweils inklusive anteiliger Sonderzahlungen) geführt; eine Ruhestandsversetzung durch Erklärung wäre erst nach einer weiteren Dienstzeit von 79 Monaten möglich gewesen.

3. Der Oberste Gerichtshof hat sich inzwischen in der Entscheidung 7 Ob 210/05s (vgl auch 3 Ob 237/05g), die nach jener des Rekursgerichtes ergangen ist, ausführlich mit der unterhaltsrechtlichen Beurteilung eines Pensionsantrittes nach dem Bundesbediensteten-Sozialplangesetz auseinandergesetzt. Demnach führt ein solcher Pensionsantritt zur Anwendung der Anspannungstheorie. Diese Entscheidung beruht auf der ständigen Rechtsprechung des Höchstgerichtes, wonach ein Unterhaltsschuldner seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen hat, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Tut er das nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (1 Ob 599/90 = SZ 63/74; RIS-Justiz RS0047686, zuletzt 9 Ob 8/05z; vgl Stabentheiner in Rummel3 § 140 ABGB Rz 6; Neuhauser in Schwimann3 § 140 ABGB Rz 65; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 246 ff; Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 136; Schwimann/Kollmasch, Unterhaltsrecht3 68, jeweils mwN). Dieser Grundsatz kommt immer dann zum Tragen, wenn dem Unterhaltspflichtigen ein höheres als das tatsächlich erzielbare Einkommen zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0047550). Maßstab ist das Verhalten eines pflichtbewussten Elternteils in der Lage des konkreten Unterhaltspflichtigen (1 Ob 614/92 = SZ 65/126; RIS-Justiz RS0047421; zuletzt etwa 1 Ob 2/02d). Eine solche Anspannung ist bei Zumutbarkeit einer entsprechenden Beschäftigung auch über den Regelbedarf des Unterhaltsberechtigten hinaus möglich (6 Ob 639/90; RIS-Justiz, RS0047487; zuletzt mwN 7 Ob 210/05s).

Aus diesen Grundsätzen wurde in der Entscheidung 7 Ob 210/05s abgeleitet, dass ein pflichtbewusster Familienvater eine nach § 22g Abs 1 Bundesbediensteten-Sozialplangesetz mögliche, aber mit massiven Einkommenseinbußen verbundene Pensionierung mit vollendetem 55. Lebensjahr mit Rücksicht auf seine Unterhaltsverpflichtungen nicht beantragt hätte.

4. Ob eine erhebliche Rechtsfrage vorliegt, ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (3 Ob 322/99w; RIS-Justiz RS0112921; zuletzt 1 Ob 187/05i). Wenn es in diesem Zeitpunkt bereits eine eingehend begründete Vorentscheidung des Obersten Gerichtshofes gibt, ist die Erheblichkeit zu verneinen (Zechner in Fasching², § 502 ZPO Rz 29 mwN). Das muss umso mehr gelten, wenn mit einer solchen Entscheidung einer ständigen und im Schrifttum unbestrittenen Rechtsprechungslinie nur eine weitere Fallgruppe hinzugefügt wird. Das ist hier der Fall.

5. Die Argumente des Revisionsrekurses bieten keinen Anlass, von der in 7 Ob 210/05s vertretenen Auffassung abzugehen.

Bereits das Rekursgericht hat zutreffend auf die Unterschiede zwischen einer Ruhestandsversetzung nach dem Bundesbediensteten-Sozialplangesetz einerseits und einer Frühpensionierung wegen langer Versicherungsdauer oder geminderter Erwerbsfähigkeit andererseits hingewiesen. In den letztgenannten Fällen kann aus der Ermöglichung eines früheren Pensionsantrittes abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber eine weitere Erwerbstätigkeit wegen gesundheitlicher Probleme oder langer Beschäftigungsdauer als nicht mehr zumutbar ansieht. Diese gesetzgeberische Wertung ist ein wesentliches Element bei der Beurteilung der Frage, ob dem Unterhaltspflichtigen aus unterhaltsrechtlicher Sicht die Erzielung eines höheren (Aktiv-)Einkommens zugemutet werden kann. Die Regelung im Bundesbediensteten-Sozialplangesetz diente demgegenüber anderen Zwecken, nämlich der Verbesserung der Altersstruktur im öffentlichen Dienst und der Erzielung von Einsparungen durch eine sozialverträgliche Personalreduktion. Die Inanspruchnahme der damit verbundenen Möglichkeiten hatte somit nichts mit der (Un-)Zumutbarkeit einer weiteren Tätigkeit im Bundesdienst zu tun. Es mag zwar zutreffen, dass es im relevanten Zeitraum auch für Angehörige anderer Berufsgruppen die Möglichkeit einer Frühpensionierung mit 55 Jahren gab. Auch in solchen Fällen wäre aber die Frage zu stellen gewesen, ob eine weitere Erwerbstätigkeit zumutbar und möglich gewesen wäre oder nicht. Bei dieser Prüfung wäre - wie auch im vorliegenden Fall - die jeweilige Intention des Gesetzgebers als wesentliches (wenn auch nicht unbedingt als einziges) Kriterium heranzuziehen gewesen. Ob auf dieser Grundlage tatsächlich jede Aufgabe einer Erwerbstätigkeit, die mit der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Alterspension verbunden ist, eine Anwendung des Anspannungsgrundsatzes ausschließt, muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden.

6. Da die Vorinstanzen zutreffend von einer Anspannung auf das Aktivgehalt ausgingen, sind die Erwägungen des Revisionsrekurses zum Durchschnittsbedarf und zur Leistungsfähigkeit nach Abzug des (vom Ruhegenuss berechneten) Unterhaltsexistenzminimums nicht entscheidungswesentlich.

7. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt somit nicht (mehr) vor. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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