OGH 1Ob614/92

OGH1Ob614/927.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Jochen K*****, und Oliver K*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter Evelyn K*****, vertreten durch Dr. Heimo Jilek, Rechtsanwalt in Leoben, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Leoben als Rekursgerichtes vom 11. Mai 1992, GZ R 394/92-143, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Leoben vom 7. April 1992, GZ 1 P 12/88-140, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 25.1.1989, 1 C 74/88-7, aus dem Alleinverschulden des Mannes rechtskräftig geschieden. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 29.3.1990, ON 64, wurde die Obsorge für die beiden ehelichen Kinder dem Vater übertragen. Mit weiterem Beschluß vom 13.5.1991, ON 118, bestätigt mit Beschluß des Kreisgerichtes Leoben vom 8.7.1991, R 570/91-123, wurde die Mutter zu Unterhaltsleistungen von monatlich S 600,-- je Kind verpflichtet. Dabei wurde von einem monatlichen Einkommen als Büglerin in der Höhe von S 6.700,-- ausgegangen.

Die Mutter wurde am 29.5.1991 von dem unehelichen Sohn Michael entbunden. Sie bezieht derzeit gemäß §§ 26 f ALVG ein Karenzurlaubsgeld von monatlich S 8.913,- -. Darin sind Familienzuschläge für die beiden ehelichen Kinder, denen sie unterhaltspflichtig ist, von je S 661,-- monatlich enthalten. Die Mutter bewohnt der Aktenlage nach eine ca. 70 m2 große Mietwohnung in V*****, für die sie eine monatliche Miete von S 5.400,-- zu bezahlen hat. Sie bezieht eine Mietzinsbeihilfe von S 4.400,-- monatlich.

Der Unterhaltssachwalter der beiden Kinder beantragte, den von der Mutter zu leistenden Unterhalt ab 1.3.1992 auf S 1.200,-- pro Kind zu erhöhen.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Bei geringem Einkommen sei nach ständiger Rechtsprechung nicht die Prozentberechnungsmethode anzuwenden, sondern vielmehr danach zu trachten, daß der unterhaltspflichtigen Mutter zur eigenen Lebensführung bzw. zur Versorgung ihres weiteren Kindes ein ausreichender Betrag verbleibe. Beim Bezug von Karenzurlaubsgeld betrage das Existenzminimum nach dem Lohnpfändungsgesetz derzeit S 7.500,-- monatlich, für eine weitere Sorgepflicht werde noch ein Betrag von S 1.200,-- monatlich hinzugerechnet; ein Betrag von S 8.700,-- monatlich sei im vorliegenden Fall unpfändbar. Es sei davon auszugehen, daß der Mutter zumindest das Existenzminimum nach dem Lohnpfändungsgesetz zur eigenen Lebensführung verbleiben solle, weshalb eine Anhebung des Unterhaltsbetrages von S 600,-- monatlich nicht möglich sei. Dieser Unterhaltsbetrag entspreche in etwa dem Familienzuschlag, der vom Arbeitsamt geleistet werde. Eine darüber hinausgehende Auferlegung von Unterhaltsbeträgen sei derzeit aufgrund des Karenzgeldbezuges nicht möglich. Auch ein Vorgehen nach der Anspannungstheorie sei aussichtslos, zumal man einer alleinerziehenden Mutter mit einem 10 Monate alten Kind die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wohl nicht zumuten könne.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kinder Folge. Es änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß es antragsgemäß den von der Mutter zu leistenden Unterhalt ab 1.3.1992 auf monatlich S 1.200,-- pro Kind erhöhte. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für nicht zulässig. Entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichtes ließen die Bestimmungen der Exekutionsordnungsnovelle 1991 keine zwingenden Rückschlüsse auf den im Einzelfall auszumessenden Alimentationsbetrag zu. Selbst unter Berücksichtigung sämtlicher Sorgepflichten erlaube es die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mutter durchaus, ihr die von den Kindern begehrten S 1.200,-- monatlich, das seien jeweils nur etwas über 13 % der Bemessungsgrundlage, abzuverlangen.

Der Revisionsrekurs der Mutter ist zwar zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vor Inkrafttreten der EO-Novelle 1991, BGBl. 628 mit 1.3.1992, konnten alle Ansprüche auf Leistungen nach dem ArbeitslosenversicherungsG, also auch Ansprüche auf Karenzurlaubsgeld nach § 26 Abs 1 ALVG zur Deckung gesetzlicher Unterhaltsansprüche gegen den Anspruchsberechtigten unter sinngemäßer Anwendung des § 6 LPfG 1985 rechtswirksam übertragen, verpfändet oder gepfändet werden (§ 68 ALVG aF). Im Revisionsrekurs wird zutreffend darauf hingewiesen, daß sich die das Karenzurlaubsgeld betreffende Rechtslage entgegen den Ausführungen in der RV 181 BlgNR 18.GP 24 mit Inkrafttreten der EO-Novelle 1991 grundlegend geändert hat. Nunmehr verweist § 68 Abs 2 ALVG auf die Bestimmungen der Exekutionsordnung: Diese regelt, inwieweit Ansprüche auf Leistungen nach dem ArbeitslosenversicherungsG pfändbar sind. Nach § 290 Abs 1 Z 10 EO sind alle gesetzlichen Leistungen, die aus Anlaß der Geburt eines Kindes zu gewähren sind, ausgenommen Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft unpfändbar. Beispielsweise wird das Karenzurlaubsgeld aufgezählt. Eine Ausnahme zugunsten gesetzlicher Unterhaltsansprüche wird, anders als für Leistungen nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz und dem Opferfürsorgegesetz im § 290 Abs 3 EO nicht gemacht. Das bedeutet, daß selbst die der Revisionsrekurswerberin gemäß §§ 28 und 20 Abs 2 ALVG gewährten zwei Familienzuschläge für die beiden mj. ehelichen Kinder in der Höhe von derzeit je S 661,-- monatlich absolut unpfändbar sind.

Damit stellt sich aber die Frage, ob durch die Anordnung der gänzlichen Unpfändbarkeit des Karenzurlaubsgeldes entgegen der früheren Rechtsprechung der Rekursgerichte (zuletzt KG Krems, EFSlg. 62.179) dieses nunmehr überhaupt nicht mehr in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist. Dies ist aber zu verneinen. Bei Vermögenslosigkeit bildet allein das tatsächliche Einkommen des Unterhaltspflichtigen den Maßstab für seine nach § 140 Abs 1 ABGB als Bemessungskomponente zu berücksichtigenden Lebensverhältnisse. Unter Einkommen wird die Summe aller dem Unterhaltsschuldner tatsächlich zufließenden verfügbaren Mittel, allenfalls unter Berücksichtigung unterhaltsrechtlich beachtlicher Abzüge und Aufwendungen verstanden (vgl. Kalthöner - Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts4 Rz 611; Köhler in Münchener Kommentar2 Rz 11, 11 a zu § 1603 BGB). Bei Leistungen nach dem ArbeitslosenversicherungsG sprach der Oberste Gerichtshof bereits aus, das Arbeitslosengeld als eine das entgangene Arbeitseinkommen ersetzende Versicherungsleistung sei bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen. Dies gilt auch für die Notstandshilfe (5 Ob 505/91). Wird unter Einkommen die Summe aller verfügbaren Mittel verstanden, folgt, daß auch öffentlich-rechtliche Leistungen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen sind. Die in der Leistung liegende Zweckbestimmung allein führt noch nicht zum Ausscheiden aus der Unterhaltsbemessungsgrundlage (vgl. NJW 1989, 524; FamRZ 1986, 780; Kalthöner-Hüttner aaO Rz 613). Wie sich aus den Materialien zur 3.Novelle zum ArbeitslosenversicherungsG 1958, BGBl 1960/242, mit der das Karenzurlaubsgeld eingeführt wurde, ergibt (AB 298 BlgNR 9.GP, StenProt. über die 45.Sitzung des Nationalrates in der 9.GP insbesondere 1761 ff), lag der Zweck dieser familienpolitischenMaßnahme darin, durch eine finanzielle Absicherung auch jenen berufstätigen Müttern, die auf den Arbeitsverdienst und auf die damit verbundene Krankenversicherung angewiesen sind, die Möglichkeit zu geben, von dem im Mutterschutzgesetz vorgesehen Karenzurlaub (also einer Beurlaubung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes bei Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses) Gebrauch zu machen und beim Kind zu bleiben, um nicht gezwungen zu sein, entweder ihre Tätigkeit nach Ablauf des gesetzlichen Wochengeldanspruches wieder aufzunehmen und das Kind anderen Personen anzuvertrauen oder, wenn solche nicht vorhanden seien, das Arbeitsverhältnis zu lösen und ihren Unterhalt aus dem Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu decken. Diesem Beim-Kind-bleiben sei deshalb so großes Gewicht beizumessen, da Mediziner und Psychologen darin übereinstimmten, daß die persönliche Betreuung des Kindes in seinem ersten Lebensjahr durch die Mutter von entscheidender Bedeutung für seine Entwicklung sei. Dennoch hat der Gesetzgeber durch die Bestimmungen des § 26 Abs 4 lit.a bis e ALVG von diesem selbst erklärten Ziel Abstriche gemacht. Eine Beschäftigung der Mutter mit einer Entlohnung unter der Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs 2 lit.a bis c ASVG (derzeit S 2.924,-- monatlich) führt ebenso wie die Bewirtschaftung eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes mit einem Einheitswert unter S 54.000,-- nicht zum Verlust des Anspruches auf Karenzurlaubsgeld. Der Verwaltungsgerichtshof hat daher in seinem Erkenntnis VwSlg 10.144/A ausgeführt, daß selbst ein Schulbesuch der anspruchsberechtigten Mutter mit 5 Vormittagsstunden an Werktagen dann nicht den Anspruch auf Karenzurlaubsgeld vernichtet, wenn die Mutter in der Lage ist, die meisten der zur Pflege zu rechnenden Verrichtungen körperlicher Art selbst vorzunehmen und sich während der Wachstunden des Kindes mit ihm intensiv zu beschäftigen und sie dies auch tatsächlich tut.

Beurteilungsmaßstab für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten ist das Verhalten eines pflichtgetreuen Elternteiles. Es ist zu prüfen, wie sich ein solcher in der Situation des Unterhaltspflichtigen verhalten würde (Schlemmer/Schwimann, ABGB, Rz 42 zu § 140; vgl SZ 63/74). Ein solcher würde aber alle unterhaltspflichtigen Kinder im gleichen Maße an dem ihm gewährten Karenzurlaubsgeld teilnehmen lassen. Aus der dem Gesetzgeber offenbar gar nicht bewußt gewordenen Änderung der Pfändbarkeit von Karenzurlaubsgeldern kann, zumal die Mutter Beträge von S 661,-- monatlich pro Kind als Familienzuschlag erhält und sie die gesetzliche Möglichkeit hat, den Fehlbetrag von S 539,-- monatlich pro Kind ohne Gefährdung ihres Anspruches auf Karenzurlaubsgeld ins Verdienen zu bringen, daher nicht der Schluß gezogen werden, Karenzurlaubsgeld dürfe unterhaltsrechtlich nicht mehr als Einkommensbestandteil eines Unterhaltsverpflichteten gewertet werden.

Der Umstand, daß die unterhaltsberechtigten Kinder derzeit, käme die Mutter nicht freiwillig der ihr obliegenden Unterhaltspflicht nach, auf dieses Einkommen nicht exekutiv greifen könnten, ist kein Grund, eine Unterhaltsbemessung oder Unterhaltserhöhung abzulehnen, liegt es doch durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen, daß die Mutter innerhalb der Verjährungsfrist der zuerkannten Unterhaltsbeträge der Pfändung unterworfenes Einkommen erzielen wird.

Dem Revisionsrekurs ist der Erfolg zu versagen.

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