OGH 2Ob198/71

OGH2Ob198/712.12.1971

SZ 44/183

Normen

ABGB §1325
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §253
ZPO §226
ZPO §269
ABGB §1325
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §253
ZPO §226
ZPO §269

 

Spruch:

Nimmt der Kläger eine unselbständige Erwerbstätigkeit über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus bis an sein Lebensende als Grundlage seines Rentenbegehrens an, dann muß er besondere Tatsachen behaupten und unter Beweis stellen, die eine derartige Annahme rechtfertigen, weil es eine offenkundige Tatsache ist, daß unselbständig erwerbstätige Männer mit Vollendung des 65. Lebensjahres in Pension gehen

OGH 2. 12. 1971, 2 Ob 198/71 (OLG Linz 3 R 55/71; LG Linz 5 Cg 80/69)

Text

Das Erstgericht sprach dem Kläger, der am 26. 8. 1968 bei einem Verkehrsunfall aus dem Verschulden des Erstbeklagten als Lenker eines dem Zweitbeklagten gehörigen, bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten LKW verletzt wurde, unter Abweisung des Mehrbegehrens von S 491.53 den Betrag von S 131.296.47 - davon S 100.000.- Schmerzengeld - sowie ab 1. 3. 1971 eine monatliche Rente von S 1240.- zu. Es stellte ferner die solidarische Haftung der Beklagten für künftige Unfallschäden des Klägers - bezüglich der Drittbeklagten mit der Beschränkung auf die Höhe "der derzeit geltenden gesetzlichen Haftpflichtversicherungssumme" - fest.

Der nur gegen den Kapitals- und Rentenzuspruch gerichteten Berufung der Beklagten gab, das Berufungsgericht nur insoweit Folge, als es das Schmerzengeld um S 15.000.- auf S 85.000.- herabsetzte, demgemäß die Beklagten in diesem Punkte zur ungeteilten Hand schuldig erkannte, dem Kläger S 116.296.47 zu bezahlen, und das Mehrbegehren von S 15.491.60 abwies.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und beschränkte die Dauer der dem Kläger gebührenden Rente mit der Vollendung des 65. Lebensjahres.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Zusammenhang mit dem Zuspruch der Rente (Differenz zwischen dem Arbeitsverdienst vor und nach dem Unfall) ab 1. 3. 1971 hielt das Erstgericht fest, daß eine Begrenzung dieser Rente auf ein bestimmtes Lebensalter bzw auf das Erreichen des Pensionsalters nicht beantragt und von Amts wegen nicht wahrzunehmen gewesen sei, wobei es auf die in SZ 36/140 veröffentlichte Entscheidung verwies.

Die Beklagten machten in der Berufung dagegen geltend, daß die aus dem Titel des Verdienstentganges begehrte Rente nur für die Zeit gebühre, in der der Kläger einer Beschäftigung nachgehe. Nach Erreichen des Pensionsalters und Zuspruch einer Rente aus der Sozialversicherung könne mit Rücksicht auf die Ruhensbestimmung des § 94 ASVG ein Verdienstentgang nicht mehr bestehen.

Das Berufungsgericht begegnete diesem Einwand mit dem Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, wonach die zeitliche Begrenzung der Rente, insbesondere auch auf das Pensionsalter, einen entsprechenden Antrag in erster Instanz voraussetze, der hier nicht gestellt worden sei.

Die Revision der Beklagten wendet sich gegen die Richtigkeit dieser Rechtsprechung. Der grundsätzlich für die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruches beweispflichtige Beschädigte hätte, so führt sie aus, die zur Schadenshöhe gehörige Dauer des Bestehens eines Verdienstentganges unter Beweis stellen müssen. Mit Rücksicht auf die nach der Sozialversicherungsgesetzgebung für den Anspruch auf Altersrente maßgebliche Vollendung des 65. Lebensjahres sei nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen, daß mit der Fortsetzung einer Berufstätigkeit nach diesem Zeitpunkt bei einem Arbeiter nicht zu rechnen sei. Der Kläger hätte daher besondere Umstände geltend machen müssen, die die zeitlich unbegrenzte Zuerkennung der Rente gerechtfertigt hätten (Hinweis auf ZVR 1958/13).

Diese Ausführungen geben Anlaß, die Richtigkeit der bisherigen Rechtsprechung in diesem Belang zu überprüfen.

Diese Rechtsprechung bietet, soweit überschaubar, folgendes Bild: In den Gründen der Entscheidung vom 26. 9. 1956, 2 Ob 457/56. mit der der Zuspruch einer Rente für Verdienstentgang an die bei einem Verkehrsunfall verletzte Klägerin bestätigt wurde, führte der Oberste Gerichtshof aus, daß nicht feststehe, ob und wann der Klägerin die Ausübung eines ihr zumutbaren Erwerbes wieder möglich sein werde, weshalb - iS der Entscheidung SZ 25/104 - die Rente ohne zeitliche Begrenzung zuzusprechen gewesen sei. In der von der vorliegenden Revision zitierten Entscheidung vom 3. 7. 1957, 2 Ob 361/57, wurde der Standpunkt vertreten, daß bei einem Arbeiter mit der Fortsetzung der Berufstätigkeit über das 65. Lebensjahr hinaus nicht zu rechnen sei, sofern nicht Umstände geltend gemacht würden, die für die gegenteilige Annahme sprächen. In 2 Ob 457/60 vom 20. 1. 1961, ZVR 1961/176 wendeten sich die Beklagten erstmalig im Rechtsmittelverfahren gegen den dem Klagebegehren entsprechenden zeitlich unbegrenzten Rentenzuspruch. Der Oberste Gerichtshof lehnte die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Beklagten hätten die diesfällige Einwendung schon in erster Instanz erheben müssen, mit der Begründung ab, es handle sich in diesem Belang um einen vom Antrag auf Klagsabweisung umfaßten, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wahrzunehmenden Umstand, und beschränkte die Rente auf den Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin. Hiezu wurde ausgeführt, daß diese Rente, da sie im wesentlichen Sicherungscharakter trage, der Klägerin grundsätzlich für die Zeit gebühre, in der sie genötigt sein könne, auf dem Arbeitsmarkt als Arbeitsuchende aufzutreten, was mangels entgegenstehender Feststellungen nach Erreichen der für den Bezug der Altersrente erforderlichen Altersgrenze nicht mehr der Fall sein werde. Soweit feststellbar erstmalig sprach der Oberste Gerichtshof in der nicht veröffentlichten Entscheidung vom 19. 12. 1961, 2 Ob 498/61, dem Standpunkt des Berufungsgerichtes, eine zeitliche Begrenzung der Rente habe mangels Antrages des Beklagten zu unterbleiben, beipflichtend aus, daß die Rente schon mangels eines entsprechenden Vorbringens in erster Instanz nicht auf die Zeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zu beschränken sei und daß der allgemeine Antrag auf Klagsabweisung ein Vorbringen nicht ersetzen könne, aus dem geschlossen werden könnte, daß der Kläger auch ohne die unfallsbedingte Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes mit Vollendung des 65. Lebensjahres seine Erwerbstätigkeit aufgegeben und sich auf den Genuß der Sozialrente beschränkt hätte. Auf diese Entscheidung verwies der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 23. 3. 1962, 2 Ob 95/62, ZVR 1962/303, in der er die Erledigung der Berufungsinstanz billigte, die dem erstmalig in der Berufung erhobenen Einwand des Beklagten, der Zuspruch der Rente wäre mit der Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers zu begrenzen gewesen, mit dem Hinweis auf das im Rechtsmittelverfahren geltende Neuerungsverbot begegnet war. In dem der Entscheidung 2 Ob 67/63 vom 28. 3. 1963, ZVR 1963/243, zugrundeliegenden Fall erachtete sich der Kläger in dritter Instanz deshalb beschwert, weil das Berufungsgericht die in erster Instanz unbegrenzt zuerkannte Rente mit der Vollendung des 65. Lebensjahres begrenzt hatte. Der Oberste Gerichtshof befand die Beschwerde für berechtigt, stellte das Ersturteil in diesem Belange wieder her und verwies zur Begründung auf die beiden zuletzt erwähnten Entscheidungen. Der Hinweis auf die Rechtsprechung, wonach es Sache des Beklagten sei, in erster Instanz die zeitliche Begrenzung einer Rentenleistung ausdrücklich geltend zu machen, diesfällige Behauptungen aufzustellen und Beweise anzubieten, wiederholt sich seither in zahlreichen Entscheidungen (SZ 36/140 EvBl 1964/103 = ZVR 1964/79; ZVR 1968/93; ZVR 1969/145; 2 Ob 118/70; 2 Ob 345/70 ua).

Der erkennende Senat kann diese Rechtsansicht nicht aufrecht erhalten.

Bestimmend für die Dauer einer Rentenleistung sind tatsächliche Umstände (vgl hiezu die bereits zitierte Entscheidung ZVR 1969/145), mögen diese zum Teil auch in der Zukunft liegen und daher bloß hypothetischer Natur sein, wie die Lebenserwartung eines Menschen oder der Zeitpunkt, in dem er in den Genuß der Sozialrente gelangen wird. Nun ist es gemäß § 226 ZPO Sache des Klägers, neben einem bestimmten Begehren die Tatsachen, auf welche sich sein Anspruch grundet, im einzelnen kurz und vollständig anzugeben und die Beweismittel genau zu bezeichnen. Im jetzigen Fall hat der Kläger zeitlich unbegrenzt, dh auf Lebensdauer, Ersatz für Verdienstentgang in Rentenform begehrt. Die österreichische Sozialgesetzgebung sieht für den Regelfall vor, daß Männer mit Vollendung des 65. Lebensjahres einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen (§ 253 ASVG), und es ist eine offenkundige Tatsache (§ 269 ZPO), daß unselbständig Erwerbstätige von dieser Möglichkeit in der Regel Gebrauch machen, Schlußfolgerungen, die aus der alltäglichen Erfahrung hergeleitet werden können, bedürfen weder einer Behauptung noch eines Beweises. Solche offenkundige Tatsachen hat das Gericht seiner Entscheidung auch dann zugrunde zu legen, wenn sie nicht vorgebracht wurden (Fasching III 265). Wenn der Kläger eine Erwerbstätigkeit über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus bis an sein Lebensende als Grundlage seines Rentenbegehrens annahm, dann hätte er besondere Tatsachen behaupten und unter Beweis stellen müssen, die eine derartige Annahme rechtfertigten. Daß die Zuerkennung einer Rente auf Lebenszeit einer besonderen Begründung bedarf, ist auch die Ansicht der Lehre (vgl Soergel - Siebert[10], Anm 14 zu § 843).

Der Kläger, den somit die Behauptungs- und Beweislast trifft, hat Umstände der erwähnten Art nicht vorgebracht. Auf nicht vorgebrachte, obgleich zur Begründung des Klagsanspruches erforderliche Tatsachenbehauptungen brauchten die Beklagten nicht zu erwidern.

Aus diesen Erwägungen war der Revision der Beklagten Folge zu geben und das angefochtene Urteil spruchgemäß abzuändern.

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