OGH 2Ob196/12f

OGH2Ob196/12f21.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin B* D*, vertreten durch Dr. Roland Gastenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beklagten A* M*, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in St. Jakob in Haus, wegen 18.700 EUR sA und Feststellung (Streitwert 7.500 EUR), über die Revision der Klägerin gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. Juni 2012, GZ 4 R 88/12g-13, womit das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg vom 18. Februar 2012, GZ 7 Cg 48/11m-7, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00196.12.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, dass das Teil- und Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten binnen 14 Tagen 1.510,01 EUR (darin enthalten 251,67 EUR USt) an Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen einen mit 324 EUR bestimmten Teil ihrer Barauslagen des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte spazierte am 23. 10. 2009 auf einer Gemeindestraße. Vor ihm ging sein 13 Jahre alter Dackel. Die Klägerin fuhr mit ihrem Mountainbike als Dritte einer vierköpfigen Radfahrergruppe in dieselbe Richtung. Als sich die Gruppe dem Beklagten von hinten näherte, bewegte sich der Dackel immer mehr nach links. Die vor der Klägerin fahrende Radfahrerin sowie die Klägerin selbst bremsten. Die Klägerin kam dabei zu Sturz und verletzte sich.

Die Klägerin begehrt 18.700 EUR an Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden. Der Hund sei nicht angeleint gewesen und habe plötzlich die Fahrbahn von rechts nach links überquert. Die ersten beiden Radfahrer hätten dem Hund noch ausweichen können. Die Klägerin als Dritte habe eine Vollbremsung durchführen müssen, um ein Auffahren auf die zweite Radfahrerin zu vermeiden. Der Beklagte habe seine Verwahrungs- bzw Beaufsichtigungspflicht verletzt.

Der Beklagte wendete ein, der Hund sei kontrolliert neben ihm gegangen. Am Unfallsort bestehe keine Anleinepflicht. Der erste Radfahrer der Gruppe habe offensichtlich eine Bewegung des Hundes falsch eingeschätzt und überraschend gebremst. Die Klägerin sei zu dicht aufgefahren und habe auf die Situation zu spät reagiert. Unfallursache sei die überhöhte Geschwindigkeit, der zu geringe Sicherheitsabstand und die unrichtige und verspätete Reaktion der Klägerin.

Das Erstgericht erkannte mit Teil- und Zwischenurteil das Leistungsbegehren dem Grunde nach mit einem Viertel zu Recht bestehend und wies das darüber hinausgehende Zahlungsbegehren von 14.025 EUR ab. Es stellte fest: Die Straße verläuft im Bereich der Unfallstelle über einige 100 m in fast gerader Richtung. Der asphaltierte Bereich ist 4 bis 5 m breit, die Sicht uneingeschränkt. Die Radfahrergruppe fuhr mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 30 km/h und der voran Fahrende bemerkte den Beklagten und dessen Hund aus einer Entfernung von 60 bis 70 m. Als sich die Gruppe dem Beklagten samt Hund näherte, ging letzterer langsam von der rechten Fahrbahnseite in Richtung Fahrbahnmitte. Der an der Spitze fahrende Radfahrer fuhr links am (in diesem Moment in Fahrbahnmitte befindlichen) Hund vorbei, die ihm nachfolgende Radfahrerin bremste kurz scharf, fuhr dann aber ebenfalls am Hund vorbei. Die Klägerin nahm den Beklagten und seinen Hund aus zumindest 30 m Entfernung wahr. Sie erschrak durch die Bremsung ihrer voran fahrenden Tochter und führte eine Vollbremsung durch, wodurch sie stürzte.

In der rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Beklagte habe seine Verwahrungspflicht nicht vollständig erfüllt. Er hätte dafür sorgen müssen, dass der Hund zur Gänze am rechten Fahrbahnrand bleibe, oder sich durch einen Blick nach hinten davon überzeugen müssen, ob sich der Hund gefahrlos zur Fahrbahnmitte hin bewegen könne. Der Hauptvorwurf am Zustandekommen des Unfalls treffe jedoch die Klägerin, sodass eine Schadensteilung von 3 : 1 zu Gunsten des Beklagten gerechtfertigt sei.

Das Berufungsgericht wies die Klage hinsichtlich des Zahlungsbegehrens mittels Teilurteils zur Gänze ab, weil der Sturz der Klägerin vom Fahrrad nicht auf das Freilaufen des Hundes des Beklagten, sondern auf ihre eigene Unachtsamkeit zurückzuführen gewesen sei. Die Klägerin habe nämlich elementarste Vorsichtsmaßnahmen unterlassen und auf die Verkehrssituation in keiner Weise reagiert. Sie habe nicht nur dem Beklagten und seinem Hund keine Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch zu ihrer vor ihr fahrenden Tochter einen für ihre Geschwindigkeit oder den Grad ihrer Aufmerksamkeit zu geringen Abstand eingehalten. Schließlich müsse sie auch noch unsachgemäß gebremst haben, weil ein Sturz nicht zwangsläufig Folge einer Vollbremsung sei. Es wäre eine Überspannung der Verwahrungspflicht eines Tierhalters, wenn man auf einer schnurgeraden, mehrere 100 m übersichtlichen Straße einen „13 Jahre alten, gutmütigen und ortskundigen Dackel“ nicht frei, ohne Leine, gehen lassen dürfte. Die Revision sei jedoch zulässig, weil „keine höchstgerichtliche Judikatur zu einem vergleichbaren Fall aufgefunden“ worden sei.

In ihrer Revision beantragt die Klägerin, der Klage zur Gänze oder unter Anrechnung eines nur geringfügigen Mitverschuldens stattzugeben. Sie macht geltend, dass hier von einer sorgfältigen Beaufsichtigung des Tieres keine Rede sein könne. Der Beklagte hätte zumindest auf den Umstand, dass sein Hund die Fahrbahn überquerte, reagieren müssen. Der Tierhalter hafte gemäß § 1320 ABGB, wenn ihm der Beweis der ordnungsgemäßen Verwahrung und Beaufsichtigung misslinge, für rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung der Beaufsichtigungspflicht eines Hundehalters unterlaufen ist; sie ist zum Teil berechtigt.

1. Es trifft nicht zu, dass ein Hund in ländlicher Umgebung stets frei herumlaufen darf. Welche Maßnahmen bei der Verwahrung oder Beaufsichtigung eines Tieres notwendig sind, richtet sich nach den dem Tierhalter bekannten oder erkennbaren Eigenschaften des Tieres und den jeweiligen Umständen. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter zumutbar sein. Maßgeblich ist die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung und eine Abwägung der betroffenen Interessen (RIS-Justiz RS0030567; RS0030058; RS0030157; RS0030081 [T16]).

2. Da es zu den Eigenschaften eines Hundes, und zwar auch eines an sich gutmütigen Tieres gehört, sich auf der Straße unachtsam zu verhalten, weil er eben die damit verbundenen Gefahren nicht erkennt, stellt ein auf einer Straße frei herumlaufender Hund ein erhebliches Gefahrenmoment dar, und zwar im besonderen Maße für die Benützer einspuriger Fahrzeuge (RIS-Justiz RS0030156). Grundsätzlich bedeutet das freie Umherlaufenlassen eines Hundes auf der Straße, ohne dass der Hund von einem Tierhalter oder von einer von diesem beauftragten Person unter Kontrolle gehalten wird, eine Vernachlässigung der Verwahrungspflicht, wobei es gleichgültig ist, ob der Hund geradezu bösartig ist oder nicht (RIS-Justiz RS0030079).

3. Der Beklagte hat dadurch, dass er seinen Hund nicht (durch Anleinen oder Zurückrufen) daran gehindert hat, von der rechten Fahrbahnseite zur Fahrbahnmitte zu gehen, die objektiv für einen Tierhalter gebotene Sorgfalt verletzt. Diese Verletzung der Verwahrungs- bzw Beaufsichtigungspflicht ist keineswegs zu vernachlässigen, weil das Freilaufen eines Hundes auf der Straße eine erhebliche Unfallgefahr für den Fahrzeugverkehr darstellt.

Die Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten ist jedoch der Sorglosigkeit der Klägerin in eigenen Angelegenheiten gegenüber zu stellen. Festgestellt wurde, dass die Klägerin den Beklagten mit seinem Hund bereits aus einer Entfernung von zumindest 30 m wahrnahm, dass sich der Hund langsam vom rechten Fahrbahnrand in Richtung Fahrbahnmitte bewegte, dass die vor der Klägerin fahrende Tochter stark bremste und die Klägerin, um nicht auf das Fahrrad ihrer Tochter aufzufahren, eine Vollbremsung durchführte, wobei sie offensichtlich durch das Blockieren des Vorderrades nach vor auf die Fahrbahn stürzte. Zutreffend hat das Berufungsgericht dieses Verhalten (zu hohe Geschwindigkeit und/oder zu geringer Tiefenabstand bzw zu geringe Aufmerksamkeit und jedenfalls unsachgemäße Bremsung) als grob sorgfaltswidrig beurteilt. Zutreffend ist auch, dass diese Sorgfaltswidrigkeit jene des Beklagten überwiegt.

Der Senat hält daher ‑ im Sinne des Erstgerichts ‑ eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zugunsten des Beklagten für angemessen. Das angefochtene Teilurteil ist folglich dahin abzuändern, dass das erstgerichtliche Teil- und Zwischenurteil wiederherzustellen ist.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 43 Abs 1 und § 50 ZPO.

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