European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00185.23D.1121.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Festsetzung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags in Höhe von 462 EUR von 1. Jänner 2023 bis 31. März 2023 und von 423 EUR ab April 2023 sowie der Abweisung eines Erhöhungsmehrbegehrens von monatlich 10 EUR ab dem 1. Jänner 2023 als unbekämpft in Rechtskraft erwachsen unberührt bleiben, werden im Umfang des Zuspruchs des übrigen Unterhaltsmehrbegehrens aufgehoben und die Pflegschaftssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
[1] Der Vater war aufgrund des mit der Mutter im Februar 2018 geschlossenen Scheidungsvergleichs zuletzt zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 400 EUR an die Minderjährige verpflichtet. Im Vergleich übertrug der Vater seine Eigentumshälfte an der Liegenschaft samt Haus (der früheren Ehewohnung) der Mutter, die dort mit der Minderjährigen lebt. Die Mutter verpflichtete sich zur alleinigen Rückzahlung der pfandrechtlich sichergestellten Darlehen, die zum 31. Dezember 2017 mit rund 216.000 EUR aushafteten.
[2] In dritter Instanz ist eine Unterhaltsbemessungsgrundlage (ohne Kreditkosten) von monatlich rund 3.950 EUR hinsichtlich des unterhaltspflichtigen Vaters ebenso unstrittig wie seine monatlichen Kreditrückzahlungskosten von zuletzt 1.783,98 EUR.
[3] Die Minderjährige begehrt eine Erhöhung des monatlichen Unterhaltsbetrags auf 800 EUR ab Jänner 2023. Die vom Vater geltend gemachten Kreditraten seien von der Bemessungsgrundlage nicht abzuziehen. Er habe in den letzten fünf Jahren weniger als den gesetzlichen Unterhalt gezahlt. Im Übrigen habe auch die Mutter Kredite übernommen, die sie zurückzahlen müsse.
[4] Der Vater wandte ein, er habe nach der Scheidung Kredite von insgesamt rund 310.000 EUR zur Finanzierung einer Eigentumswohnung samt Einrichtung aufgenommen. Er zahle dafür bis März 2023 monatlich 1.591,35 EUR und seit April 2023 monatlich 1.783,98 EUR zurück. Diese Raten seien von der Bemessungsgrundlage abzuziehen, woraus sich ein Anspruch der Minderjährigen von 462 EUR (von Jänner 2023 bis März 2023) bzw von 423 EUR (ab April 2023) ergebe. Der Vater habe nach der Scheidung über keine anderweitige Wohnversorgung verfügt, weshalb die Anschaffung der Eigentumswohnung für ihn jedenfalls existenznotwendig gewesen sei. Das Objekt sei bei einem Kaufpreis von 196.500 EUR, einer Wohnungsgröße von ca 84 m² und zwei Pkw-Abstellplätzen keinesfalls ein Luxusobjekt. Der Aufwand sei bei den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen angemessen. Zu berücksichtigen sei, dass der Vater die gegenständliche Eigentumswohnung auch deshalb erworben habe, damit er in örtlicher Nähe (ca 25 km) zur Minderjährigen wohne und sie auch regelmäßig bei ihm aufnehmen könnte, weil ein entsprechend ausgedehntes Kontaktrecht im Scheidungsvergleich vereinbart worden sei.
[5] Das Erstgericht erhöhte den monatlichen Unterhalt auf monatlich 630 EUR und wies das Erhöhungsmehrbegehren ab. Die Kreditraten seien nicht zu berücksichtigen, weil der damit angeschaffte Wohnraum nicht der Minderjährigen zugute komme.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht, hingegen jenem der Minderjährigen teilweise Folge und erhöhte den monatlichen Unterhaltsbetrag auf 790 EUR. Die Entscheidung des Rekursgerichts erwuchs in Höhe von monatlich 462 EUR für die Zeit von Jänner 2023 bis März 2023 und von monatlich 423 EUR ab April 2023 und in der Abweisung des Erhöhungsmehrbegehrens von monatlich 10 EUR in Rechtskraft.
[7] Nach Ansicht des Rekursgerichts seien (entgegen der höchstinstanzlichen Judikatur zu scheidungsbedingten Wohnraumbeschaffungskosten, vgl RS0047502) im Sinne der Lehre und der zweitinstanzlichen Judikatur nur solche Kosten abzugsfähig, die dadurch entstehen, dass die Schaffung einer neuen Wohnmöglichkeit unter besonderem Zeitdruck erfolgen musste (weil die frühere Ehewohnung zu verlassen war). Der Vater habe nicht nachgewiesen, dass ihm (im Zusammenhang mit der Anschaffung seiner Wohnung) Mehrkosten entstanden wären, die nicht als Ausgaben des täglichen Lebens oder als Aufwendungen für Vermögensbildung anzusehen seien. Die von ihm für den Kauf und die Einrichtung der neuen Wohnung nach der Scheidung eingegangenen Verbindlichkeiten seien daher bei der Unterhaltsfestsetzung nicht zu berücksichtigen.
[8] Die Frage der Berücksichtigung von Kreditraten für die Beschaffung von Wohnraum des Unterhaltspflichtigen nach der Scheidung sei eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung, weshalb der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen sei.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der von der Minderjährigen beantwortete Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, weil das Rekursgericht von höchstgerichtlicher Judikatur abgewichen ist. Das Rechtsmittel ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
[10] 1. Nach gesicherter Rechtsprechung bilden Wohnkosten (etwa Betriebskosten, Miete, Kaution, Wohnkreditraten, Wohnungseinrichtungskosten, Wohnungsverbesserungskosten) des Unterhaltsschuldners für die eigene Wohnung als Ausgaben des täglichen Lebens grundsätzlich keinen Abzugsposten der Unterhaltsbemessungsgrundlage (RS0047508; RS0085255).
[11] 1.1 Ausnahmsweise reduzieren scheidungsbedingte Wohnungsbeschaffungskosten die Unterhaltsbemessungsgrundlage (RS0047502; RS0007202 [T9, T15]; 8 Ob 1674/92; 6 Ob 109/21d; zust Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht2 § 94 ABGB Rz 172 mwN; Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 481; krit Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht10 52). Entsprechendes gilt für die Kosten der Anschaffung einer Wohnungseinrichtung (vgl 1 Ob 1666/95; 10 Ob 265/02x) und der Wohnungsadaptierung (6 Ob 165/07v). Diese Judikatur betrifft nur die angeführten scheidungsbedingten Kosten (der Wohnungsanschaffung, -adaptierung und -einrichtung).
[12] 1.2 Die Abzugsfähigkeit wird (insb) dann bejaht, wenn der Unterhaltspflichtige die Ehewohnung dem Unterhaltsberechtigten überlässt (RS0047502 [T1]), sein diesbezüglicher nunmehriger Aufwand seinen Lebensverhältnissen angemessen ist (1 Ob 599/95 [keine zu luxuriösen Zwecken bzw grundlos aufgenommenen Schulden]; RS0047502 [T4]), zwischen der Ehescheidung und der Anschaffung der Wohnung ein gewisses zeitliches Naheverhältnis besteht (1 Ob 599/95; 1 Ob 1666/95; 10 Ob 265/02x; 6 Ob 165/07v) und die Anschaffung der nunmehrigen Wohngelegenheit des Unterhaltspflichtigen existenznotwendig war (vgl 6 Ob 298/03x; 3 Ob 193/07i; vgl RS0085255 [T5]; vgl RS0007202), der Unterhaltspflichtige sich also wegen notwendiger und nicht anders finanzierbarer Anschaffungen für die allgemeine Lebensführung verschuldete (1 Ob 599/95; 10 Ob 265/02x; 3 Ob 182/05v; 6 Ob 165/07v; RS0085255 [Kredite zur Bestreitung unabwendbarer außergewöhnlicher Belastungen]). Die Anrechnung setzt damit voraus, dass die Anschaffung nicht nur scheidungsbedingt, sondern auch existenznotwendig war, was der Unterhaltsschuldner zu behaupten und zu beweisen hat (6 Ob 298/03x).
[13] 2.1 Vorliegend ist unstrittig, dass die bisherige Ehewohnung der Mutter überlassen wurde, in deren Pflege und Erziehung die unterhaltsberechtigte Minderjährige verblieb. Auch der zeitliche Zusammenhang zwischen Scheidung und (der im selben Halbjahr erfolgten) Kreditaufnahmen liegt vor.
[14] 2.2.1 Die Problematik, ob sich der unterhaltspflichtige Vater – wie von ihm behauptet – wegen notwendiger und nicht anders finanzierbarer Anschaffungen verschuldet hat, die Kreditaufnahme zur Anschaffung der Wohnung also existenznotwendig (bzw unabwendbar) war, kann hingegen mangels ausreichender Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden.
[15] 2.2.2 Vielmehr blieb bisher offen, ob die mit einer Kreditaufnahme verbundene Anschaffung der Wohnung im Sinn der Judikatur tatsächlich notwendig bzw unabwendbar und damit alternativlos war.
[16] 2.3 Neben der Frage der Existenznotwendigkeit der Anschaffung bleibt auch offen, ob die Aufnahme eines Kredits in der Höhe von 310.000 EUR angemessen war, zumal der Kaufpreis der Wohnung nach den Behauptungen des Vaters (nur) 196.500 EUR betragen haben soll. Bei der Bestreitung unabwendbarer außergewöhnlicher Belastungen können zwar – wie zu 1.2 ausgeführt – auch Wohnungseinrichtungskredite abzugsfähig sein, mangels entsprechender Feststellung kann aber die Angemessenheit der behaupteten Anschaffung der Einrichtung nicht beurteilt werden, zumal nicht ausgeschlossen ist, dass der Vater für den neuen Wohnraum neben der (hohen) Kreditsumme auch Eigenkapital zur Verfügung hatte.
[17] 3. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Entscheidungsgrundlage (hinsichtlich der behaupteten Existenznotwendigkeit und der Angemessenheit der Anschaffung) wie aufgezeigt zu verbreitern haben, damit die Frage der Abzugsfähigkeit der Kreditraten umfassend beurteilt werden kann.
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