OGH 1Ob599/95

OGH1Ob599/9529.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj.Nicole N*****, geboren am *****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien als Unterhaltssachwalter, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Günter N*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 23.Februar 1995 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25.April 1995, GZ 43 R 994/94-87 und 89, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 3.November 1994, GZ 1 P 339/92-78, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden - ausgenommen die in Rechtskraft erwachsene Abweisung

a) des Antrages auf Unterhaltserhöhung von monatlich 3.000 S auf 4.300 S ab 1.August 1993 im Teilbetrag von monatlich 400 S,

b) des Antrages auf Unterhaltsherabsetzung von monatlich 3.000 S auf 1.000 S ab 1.April 1994 im Teilbetrag von 450 S für den Zeitraum vom 1.April bis 30.Juni 1994, im Teilbetrag von 650 S für den Zeitraum vom 1.Juli bis 30.September 1994 und des gesamten Herabsetzungsbegehrens ab 1.Oktober 1994 -

aufgehoben.

Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen und diesem aufgetragen, insoweit über die Anträge auf Unterhaltserhöhung und -herabsetzung nach Ergänzung des Verfahrens neuerlich zu entscheiden.

Text

Begründung

Der Vater ist verpflichtet, der Minderjährigen ab 1.Jänner 1993 einen Unterhaltsbeitrag von monatlich 3.000 S zu bezahlen (ON 19). Am 1.April 1994 beantragte er, seine Unterhaltsverpflichtung ab diesem Tag herabzusetzen (ON 52) und präzisierte dieses Begehren am 23.August 1994 dahin, ihm ab 1.April 1994 nur noch eine Unterhaltsverpflichtung von monatlich 1.000 S aufzuerlegen (ON 67). Zur Begründung dieses Antrages brachte er im wesentlichen vor, seit 1.April 1994 arbeitslos zu sein; für die Jahre 1992/93 werde er im übrigen eine „Steuernachzahlung“ von etwa 150.000 S zu leisten haben. Sein Arbeitslosengeld betrage täglich 341,80 S. Da er eine Wohnung benötigt habe, habe er sich „auf Kredit“ eine Eigentumswohnung angeschafft. Sein Bankkonto sei mit einem Betrag von S 80.000 überzogen.

Die Minderjährige begehrte dagegen mit Schriftsatz vom 22.Juli 1993 eine Erhöhung des vom Vater zu bezahlenden Unterhalts auf monatlich 6.000 S offenbar ab dem Zeitpunkt der Antragstellung (ON 25); dieses Begehren wurde schließlich mit Schriftsatz vom 22.Juni 1994 auf einen Betrag von monatlich 4.300 S ab 1.August 1993 eingeschränkt (ON 60). Es beruht auf der Annahme eines durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens des Vaters im Jahr 1993 von 27.000 S. Die schließlich eingetretene Arbeitslosigkeit des Vaters sei für das Erhöhungsbegehren unerheblich. Dieser habe für den Kauf einer Eigentumswohnung einen Kredit von 1,100.000 S aufgenommen und müsse dafür allein eine monatliche Rückzahlungsrate von 8.914 S leisten. Er sei im übrigen in der Lage, für eine abgeschlossene Lebensversicherung eine Jahresprämie von 9.360 S zu bezahlen. Das lasse - unabhängig von seiner Arbeitslosenunterstützung - auf „gute Lebensverhältnisse“ schließen. Es werde daher auch der vom Vater begehrten Herabsetzung seiner monatlich zu erbringenden Unterhaltsleistung entgegengetreten.

Das Erstgericht wies den Antrag des Kindes auf Unterhaltserhöhung ab und gab dem Begehren des Vaters auf Unterhaltsherabsetzung teilweise statt. Es erkannte ihn schuldig, der Minderjährigen für den Zeitraum vom 1.April bis 30.Juni 1994 „nur einen mtl. Unterhaltsbeitrag von 1.450 S“ und für den Zeitraum vom 1.Juli bis 30.September 1994 „nur mehr einen mtl. Unterhaltsbeitrag von 1.650 S“ zu bezahlen; der Abweisung verfiel dagegen das Unterhaltsherabsetzungsbegehren für den Zeitraum ab 1.Oktober 1994 und das Mehrbegehren für den Zeitraum vom 1.April bis 30.Juni 1994 (monatlich 450 S) und für den Zeitraum vom 1.Juli bis 30.September 1994 (monatlich 650 S). Diese Entscheidung beruht auf folgenden Feststellungen:

Das Kind befinde sich in der Obsorge der Mutter. Der Vater beziehe derzeit ein Arbeitslosengeld von täglich 341,80 S (rund 10.254 S monatlich); bis „zur rk.Ehescheidung (7.6.1994)“ sei er „noch für die Kindesmutter mit mtl. 2.500 S sorgepflichtig“ gewesen. Er habe sich „zu einer Kreditrate von 8.914 S“ verpflichtet. Im Jahr 1993 habe er ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 21.500 S bezogen. Unter Abzug der Unterhaltszahlung an die Kindesmutter sei für den Zeitraum bis zum 31.März 1994 ein Betrag von 19.000 S monatlich als Unterhaltsbemessungsgrundlage heranzuziehen. Die „vom Vater zu entrichtenden Steuern sind bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen“. Ab 1.Oktober 1994 wäre der Vater in der Lage gewesen, eine Beschäftigung zu finden, die ihm die Erzielung eines monatlichen Durchschnittsnettoeinkommens von zumindest 18.750 S ermöglicht hätte.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, der Vater habe der Minderjährigen „für die Dauer der teilweisen Sorgepflicht für die Mutter“ einen Unterhaltsbetrag von 14 % seines durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens zu bezahlen. Nach Wegfall der Sorgepflicht für die Mutter erhöhe sich der Unterhaltsanspruch des Kindes auf 16 % der bezeichneten Bemessungsgrundlage. Die vom Vater eingewendeten Kreditbelastungen könnten zu keiner Minderung des Unterhaltsanspruches des Kindes führen, weil die Anschaffung einer Eigentumswohnung der Vermögensbildung des Unterhaltspflichtigen diene und nicht der Minderjährigen zugute komme. Ab 1.Oktober 1994 sei „von einem fiktiven Einkommen des Unterhaltspflichtigen in Anwendung des Anspannungsgrundsatzes auszugehen“ gewesen.

Das Rekursgericht wies den Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters zur Gänze ab; dem Unterhaltserhöhungsantrag gab es dagegen - im Umfang des im Rechtsmittelverfahren noch aufrecht erhaltenen Begehrens - statt und erkannte, „daß die bisherige monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1.8.1993 von bisher 3.000 S aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 11.6.1993, ON 19, um 900 S auf insgesamt 3.900 S erhöht“ werde. Es sprach im übrigen aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, und erwog im wesentlichen: Der Vater beziehe seit 1.April 1994 ein Arbeitslosengeld von monatlich etwa 10.000 S. Er bezahle aber seit 15.Juni 1994 für einen Kreditbetrag von 1 Mio S monatliche Pauschalraten von 8.914 S, die mittels Dauerauftrages von seinem Bankkonto abgebucht würden; außerdem habe er am 1.Juni 1994 eine Prämienzahlung für eine Lebensversicherung von 10.302 S geleistet. Das lasse „auf gehobene Lebensverhältnisse des Vaters“ schließen, an welchen „das Kind anteilig teilnehmen“ solle. Der Vater könne nämlich „seinen Lebensunterhalt nicht nur aus dem von ihm bezogenen Arbeitslosengeld“ bestreiten. Es müsse daher davon ausgegangen werden, daß es dem Vater möglich sei, „den nunmehr vom Kind begehrten erhöhten monatlichen Unterhalt von insgesamt 3.900 S ab 1.8.1993 finanziell aufzubringen“.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Dem angefochtenen Beschluß kann nicht entnommen werden, von welcher Unterhaltsbemessungsgrundlage das Rekursgericht bei Festsetzung der vom Vater für sein Kind monatlich zu erbringenden Leistung von 3.900 S ausging. Fehlt es aber in diesem zentralen Punkt an einer Begründung, ist nicht nachprüfbar, ob die durchgeführte Unterhaltsbemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen entspricht (2 Ob 509/95). Die Argumentation des Rekursgerichtes beschränkt sich ausschließlich auf die durch keine Beweisergebnisse gestützte Vermutung „gehobener Lebensverhältnisse des Vaters“, weil dieser seit 15.Juni 1994 Kreditrückzahlungsraten von monatlich 8.914 S leisten könne und am 1.Juni 1994 auch eine Lebensversicherungsprämie von 10.302 S bezahlt habe, obwohl sein Einkommen als Arbeitsloser ab 1.April 1994 monatlich nur etwa 10.000 S betrage. Unbeachtet blieb dabei das vom Vater bereits im Verfahren erster Instanz erstattete Vorbringen einer „Kontoüberziehung in Höhe von 80.000 S“ (ON 67). Wäre es aber dem Vater nur durch laufende „Kontoüberziehungen“ möglich gewesen, seinen monatlichen Kreditverbindlichkeiten für die angeschaffte Eigentumswohnung nachzukommen, sprächen solche Tatsachen gegen die Mutmaßungen des Rekursgerichtes. Zu diesem Thema fehlt es aber an Feststellungen; insoweit wurde auch kein Beweisverfahren durchgeführt. Dabei ist zu betonen, daß für die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage wesentliche Schätzungen überhaupt erst in Betracht kämen, wenn das Gericht aufgrund amtswegiger Beweisaufnahmen außerstande wäre, eine ausreichende Tatsachengrundlage zu schaffen (2 Ob 509/95; ZfRV 1993, 246; EvBl 1992/20).

Der Unterhaltspflichtige rügt, das Rekursgericht habe nicht gewürdigt, daß er infolge Ehescheidung und eines noch nicht abgeschlossenen Aufteilungsverfahrens gemäß §§ 81 ff EheG genötigt gewesen sei, sich „eine neue Wohnung zu nehmen“; er brachte dazu schon im Verfahren erster Instanz vor, „im Zuge der Scheidung die Wohnung verloren“ zu haben (ON 31), eine Wohnung benötigt und eine Eigentumswohnung auf Kredit angeschafft zu haben (ON 67).

Die durch eine Scheidung bedingten Kosten der Beschaffung einer Wohnung - etwa auch in Form monatlicher Kreditrückzahlungsraten - können eine Abzugpost bei Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage bilden, vor allem dann, wenn die bisherige Ehewohnung jenem Elternteil überlassen wurde, in dessen Pflege und Erziehung das unterhaltsberechtigte Kind verblieb (EFSlg 68.296). Das gilt jedoch dann nicht, wenn der Unterhaltspflichtige leichtfertig und ohne verständigen Grund oder zu luxuriösen Zwecken Schulden einging; solche Belastungen können nicht als einkommensmindernd berücksichtigt werden. Für die vorzunehmende Interessenabwägung, inwieweit Schulden eine Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage darstellen, sind daher ua der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, der Zweck, für den sie eingegangen wurden und die Dringlichkeit der Bedürfnisse des Schuldners maßgebend. Nur wenn diese Interessenabwägung zum Ergebnis führt, der Unterhaltspflichtige habe sich wegen notwendiger und nicht anders finanzierbarer Anschaffungen für den Beruf oder die allgemeine Lebensführung verschuldet, kann die Begründung von Schulden in Kenntnis einer bestehenden Unterhaltsverpflichtung die Unterhaltsbemessungsgrundlage mindern (ÖA 1994, 62).

Berücksichtigt man, daß der Unterhaltspflichtige im vorliegenden Fall seit 1.April 1994 ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 10.000 S an Arbeitslosengeld hatte, aber am 25.April 1994 dennoch, wie im Revisionsrekurs zugestanden wird, einen Kredit im Betrag von 1,100.000 S aufnahm und dafür monatliche Rückzahlungsraten von 8.914 S aufzubringen hat, ist - nach den bisherigen Verfahrensergebnissen - eine in keinem vernünftigen Verhältnis zum Einkommen stehende und daher leichtfertige Verwendung von Kredit ohne verständigen Grund anzunehmen. Eine wirtschaftliche Fehlentscheidung dieser Art kann nicht zu Lasten eines unterhaltsberechtigten Kindes gehen. Vom Unterhaltspflichtigen wurde auch gar nicht behauptet, er habe sein dringendes Wohnbedürfnis nur durch die Anschaffung der mit einem Kredit von 1,100.000 S finanzierten Eigentumswohnung befriedigen können. Es ist daher insoweit dem Erstgericht zu folgen, daß die Kreditbelastung für die offenbar in erster Linie der Vermögensbildung des Unterhaltspflichtigen dienende Anschaffung einer Eigentumswohnung bei Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage außer Betracht zu bleiben hat.

Unzutreffend geht der Unterhaltspflichtige aber auch davon aus, es seien bei Errechnung der Unterhaltsbemessungsgrundlage aus der Zeit seiner „Selbständigkeit....noch Schulden bei Finanzamt und Sozialversicherung“ von etwa 150.000 S zu berücksichtigen. Der Revisionsrekurs übersieht, daß das vom Erstgericht festgestellte durchschnittliche Monatsnettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen als selbständig Erwerbstätiger (21.500 S unter anteiliger Berücksichtigung der Sonderzahlungen und der Hälfte der Diäten) auf einer Berechnung „nach Steuern“ entsprechend dem eingeholten Sachverständigengutachten beruht (ON 55 S 6). Daß das monatliche Nettoeinkommen mindernde Sozialversicherungsbeiträge zu leisten seien, wurde bisher nicht behauptet. Im Verfahren erster Instanz war lediglich von einer „Steuernachzahlung“ von etwa 150.000 S die Rede (ON 52). Das erst im Revisionsrekurs in unsubstantiierter Weise angeschnittene Thema von Schulden bei der „Sozialversicherung“ bedarf keiner Erörterung, weil § 10 AußStrG so zu verstehen ist, daß nur zu bisher unbewiesen gebliebenen Behauptungen neue Beweismittel angeboten werden können und die Möglichkeit besteht, das bereits vorliegende Tatsachenmaterial zu berichtigen oder zu ergänzen (EvBl 1992/54).

Trotz dieser Erwägungen ist die Rechtssache allerdings noch nicht spruchreif. Ohne nähere Feststellungen über die Lebens- und Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen läßt sich nämlich weder der noch nicht rechtskräftig erledigte Teil des Begehrens auf Unterhaltserhöhung noch jener auf Unterhaltsherabsetzung abschließend beurteilen. Der bisher bekannte Sachverhalt legt nämlich tatsächlich die Vermutung nahe, der Unterhaltspflichtige habe seit 1.August 1993 nicht nur die festgestellten Einkünfte bezogen. Im fortgesetzten Verfahren wird es daher erforderlich sein, zunächst den Unterhaltspflichtigen detailliert zu seinen Lebens- und Einkommensverhältnissen zu vernehmen und sodann jene weiteren sachdienlichen Erhebungen zu veranlassen, die durch die Vernehmungsergebnisse allenfalls nahegelegt werden.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

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