European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00168.23D.1025.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem außerordentliche Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Rekursgericht wird die inhaltliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Begründung:
[1] Der 2022 verstorbene Erblasser setzte in einem eigenhändigen Testament aus dem Jahr 2021 für den Fall des – tatsächlich eingetretenen – gleichzeitigen Ablebens seiner zur Alleinerbin bestimmten Ehefrau den Rechtsträger eines Krankenhauses zum Ersatzerben ein (Erstersatzerbe).
[2] In einem weiteren eigenhändigen Testament aus dem Jahr 2022 widerrief er alle früheren letztwilligen Verfügungen, setzte erneut seine Ehefrau als Erbin ein und bestimmte den später vom Erstgericht eingeantworteten Erben (Zweitersatzerbe) für den Fall des gleichzeitigen Ablebens als (neuen) Ersatzerben.
[3] Ein vom Gerichtskommissär – auf Wunsch der Geschwister des Erblassers als potentielle gesetzliche Erben – eingeholtes graphologisches Gutachten bestätigte „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ die Echtheit beider letztwilliger Verfügungen.
[4] In der Tagsatzung zur Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung am 10. 8. 2022 gab (nur) der Zweitersatzerbe aufgrund des Testaments aus dem Jahr 2022 eine unbedingte Erbantrittserklärung ab, beantragte die Einantwortung und erklärte für den Fall der antragsgemäßen Erledigung auf ein Rechtsmittel und eine Zustellung zu verzichten. Der Erstersatzerbe wurde vom Termin nicht verständigt.
[5] Mit Schreiben vom 18. 8. 2022 übermittelte der Gerichtskommissär dem Erstersatzerben beide letztwillige Verfügungen und teilte mit, der Zweitersatzerbe habe eine Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass abgegeben. Allfällige Einwände mögen binnen 14 Tagen mitgeteilt werden.
[6] Mit am 29. 8. 2022 zur Post gegebenem, am 30. 8. 2022 beim Gerichtskommissär eingelangten Schreiben fragte der Erstersatzerbe nach, ob gleichzeitiges Ableben geschehen sei, weil nur dann die Ersatzerbschaft eintrete.
[7] In Unkenntnis dieser Korrespondenz antwortete das Erstgericht mit am 30. 8. 2022 zur Ausfertigung an die Geschäftsabteilung übergebenem Beschluss den Nachlass dem Zweitersatzerben ein.
[8] Mit am 16. 9. 2022 zur Post gegebenem Schreiben gab der Erstersatzerbe gestützt auf das Testament aus dem Jahr 2021 eine bedingte Erbantrittserklärung ab und erhob Rekurs gegen den Einantwortungsbeschluss.
[9] Das Rekursgerichtwiesden Rekurs des Erstersatzerben zurück, weil er mangels Abgabe einer Erbantrittserklärung vor Beschlussfassung nicht Partei des Verlassenschaftsverfahrens geworden und damit nicht rekurslegitimiert sei.
[10] Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs des Erstersatzerben, mit dem er die Aufhebung des Einantwortungsbeschlusses, hilfsweise die Aufhebung der Entscheidung des Rekursgerichts anstrebt, ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, und im Sinn einer Aufhebung der Rekursentscheidung berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Erstersatzerbe argumentiert zusammengefasst, er habe mit seiner Anfrage vom 29. 8. 2022 ausreichend Interesse am Erbantritt bekundet. Die Interessenbekundung sei rechtzeitig, vor Abgabe des Einantwortungsbeschlusses zur Ausfertigung an die Geschäftsstelle, erfolgt, weil der Postlauf zu berücksichtigen sei und gemäß § 144 Abs 2 AußStrG auch das Einlangen des Schreibens beim Gerichtskommissär ausreiche. Dieser habe es aber unterlassen, die Eingabe gemäß § 144 Abs 3 AußStrG unverzüglich an das Gericht weiterzuleiten. Wäre dem Erstersatzerben überdies entsprechend § 157 Abs 2 AußStrG nicht nur eine Frist von 14 Tagen, sondern von mindestens vier Wochen zur Abgabe einer Erbantrittserklärung gewährt worden, wäre diese unter Berücksichtigung des Postlaufs und bei Anwendung des § 144 AußStrG ebenfalls rechtzeitig gewesen.
[12] 1. § 62 AußStrG erfasst als „Revisionsrekurs“ alle Rekurse gegen „im Rahmen des Rekursverfahrens ergangene“ Beschlüsse des Rekursgerichts und damit auch die Zurückweisung des Rekurses mangels Parteistellung, Beschwer oder aufgrund des § 45 Satz 2 AußStrG (RS0120565 [T9, T16]).
[13] Das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung eines Rekurses im Außerstreitverfahren ist einseitig (RS0120614; 2 Ob 133/22f Rz 6), sodass sich die Einholung einer Revisionsrekursbeantwortung erübrigt.
[14] 2. Nach ständiger Rechtsprechung wird der potenzielle Erbe grundsätzlich erst mit Abgabe seiner Erbantrittserklärung Partei des Verlassenschaftsverfahrens. Vorher hat er keinen Einfluss auf den Gang des Verlassenschaftsverfahrens und keine Rekurslegitimation. Dem liegt der tragende Gedanke zugrunde, es könne nicht angehen, dass jemand einerseits die Erbantrittserklärung mit ihren weitreichenden Rechtsfolgen vorerst oder überhaupt unterlässt, andererseits aber Einfluss auf das Abhandlungsverfahren nehmen will (2 Ob 85/20v Rz 5 mwN). Es ist auch dem übergangenen Erben verwehrt, den Einantwortungsbeschluss mit Rekurs zu bekämpfen und darin geltend zu machen, das Erstgericht habe es verabsäumt, ihm Gelegenheit zur rechtzeitigen Abgabe einer Erbantrittserklärung zu geben (RS0126598).
[15] 3. Die Rechtsprechung erkennt aber – vom Rekursgericht nicht beachtete – Ausnahmen dieses Grundsatzes für Fälle an, in denen ein potenzieller Erbe sein aktives Interesse am Erbantritt bekundet hat und die Abgabe einer Erbantrittserklärung aus nicht in seiner Sphäre liegenden Gründen unterblieben ist. Als derartige Gründe wurden etwa Verfahrensfehler angesehen, wie beispielsweise eine unrichtigerweise unterbliebene Aufforderung zur Abgabe einer Erbantrittserklärung oder das Fehlen einer entsprechenden Belehrung durch den Gerichtskommissär (2 Ob 85/20v Rz 6 mwN). Für eine ausnahmsweise zu bejahende Parteistellung vor Erbantrittserklärung müssen beide Voraussetzungen (Interessenbekundung und Unterbleiben der Erbantrittserklärung aus nicht in der Sphäre des potenziellen Erben liegenden Gründen) kumulativ vorliegen (2 Ob 85/20v Rz 7; RS0007926 [T20]).
[16] 4.1 Der Erstersatzerbe hat durch seine am Tag der Übergabe des Einantwortungsbeschlusses zur Ausfertigung an die Geschäftsstelle beim Gerichtskommissär eingelangte Anfrage, ob gemeinsames Ableben geschehen sei, weil nur dann der Ersatzerbfall eintrete, ausreichend sein Interesse am Erbantritt bekundet, weil bei fehlendem Interesse eine derartige Nachfrage entbehrlich wäre.
[17] 4.2 Zu prüfen ist daher weiter, ob außerhalb der Sphäre des Erstersatzerben liegende Gründe für die Nichtabgabe der Erbantrittserklärung, insbesondere die behaupteten Verfahrensfehler vorliegen.
[18] 4.2.1 Gemäß § 152 Abs 2 AußStrG hat der Gerichtskommissär den Parteien und jenen, die nach der Aktenlage aufgrund des Gesetzes zur Erbfolge berufen wären, unbeglaubigte Abschriften der Urkunden über letztwillige Anordnungen (Testamente, sonstige letztwillige Verfügungen) und deren Widerruf, Vermächtnis-, Erb- und Pflichtteilsverträge, Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge und deren Aufhebung oder sonstige Erklärungen auf den Todesfall zuzustellen.
[19] Die Zustellung soll das rechtliche Gehör der von einer Verfügung Betroffenen wahren, um denjenigen, die bei Ungültigkeit der Erklärung als Erben in Frage kämen, substantielle Informationen zu geben (Schatzl/Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 152 Rz 7; Fucik/Mondel, Verlassenschaftsverfahren² Rz 224). Der Zweck der Gehörgewährung liegt insbesondere darin, die Möglichkeit zur Bestreitung der letztwilligen Verfügung zu eröffnen (Tschugguel, Zur Testamentszustellung durch den Gerichtskommissär, EF‑Z 2014/152; Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG [2019] § 152 Rz 6, 10).
[20] Im Einzelnen ist strittig, welche Urkunden wem zuzustellen sind.
[21] Tschugguel (aaO) und Winkler (aaO) plädieren unter Hinweis auf den dargelegten Gesetzeszweck und darauf, dass der Gerichtskommissär nicht über die allfällige Formgültigkeit und Wirksamkeit einer Verfügung entscheiden, sondern bloß belehren soll, für eine grundsätzlich umfassende Zustellverpflichtung. Zuzustellen seien daher auch (scheinbar) formungültige oder widerrufene Verfügungen. Auch wenn das Gesetz nur eine Zustellung an die Parteien und (ausgeschlossene) gesetzliche Erben vorsehe, sei im Hinblick auf die ratio legis und die Gleichheit der Interessenlage auch jenen testamentarischen Erben in analoger Anwendung des § 152 Abs 2 AußStrG zuzustellen, die durch eine spätere letztwillige Verfügung (scheinbar) von der Erbfolge ausgeschlossen seien. Ebenso sei eine Zustellung an Ersatz- oder Nacherben vorzunehmen.
[22] Fucik/Mondel (Verlassenschaftsverfahren² Rz 226) verweisen darauf, dass der Gesetzgeber intendiert habe, mit einfachen Mitteln auch jenen Personen Kenntnis über erbrechtsbezogene Urkunden zu verschaffen, die zwar grundsätzlich einen Anspruch aus der Erbschaft ableiten könnten, aber dem äußeren Anschein der letztwilligen Anordnung nach nicht zur Erbschaft gelangen. Es sei daher bei Vorliegen mehrerer letztwilliger Verfügungen grundsätzlich auch eine Zustellung an einen früheren Testamentserben vorzunehmen, aber – um eine Uferlosigkeit zu vermeiden – im Einzelfall anhand der bestehenden Zweifel an einer Verfügung und des Nachlassvermögens abzuwägen.
[23] Schatzl/Spruzina (in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 152 Rz 11) meinen, bei Vorliegen mehrerer Verfügungen obliege die Entscheidung über die Zustellung letztlich dem Gerichtskommissär. Frühere letztwillige Verfügungen seien bei Vorliegen einer späteren öffentlichen oder vor einem Rechtsanwalt errichteten Verfügung nicht zuzustellen. Es seien auch immer nur jene Dokumente zuzustellen, die für den Empfänger von rechtlichem Interesse sein können.
[24] Der Fachsenat hält die Ausführungen von Tschugguel (Zur Testamentszustellung durch den Gerichtskommissär, EF‑Z 2014/152) und Winkler (inSchneider/Verweijen , AußStrG [2019] § 152 Rz 6, 10) aufgrund der dargelegten teleologischen Erwägungen und der (nur belehrenden, aber nicht entscheidenden) Rolle des Gerichtskommissärs für zutreffend. Ob im Einzelfall – zur Vermeidung von Uferlosigkeit – eine Einschränkung vorgenommen werden kann, bedarf hier keiner Klärung. Jedenfalls im konkreten Fall bestand aufgrund des eingetretenen Ersatzerbfalls und des Vorliegens von (nur) zwei, dem äußeren Anschein nach formgültigen privaten Verfügungen im Hinblick auf den Zweck des § 152 Abs 2 AußStrG, Gehör zu gewähren und die Möglichkeit der Bestreitung zu eröffnen, für den Gerichtskommissär die Pflicht, beide Urkunden auch dem Erstersatzerben zuzustellen. Dieser Verpflichtung ist er auch nachgekommen.
[25] Das der Übermittlung beigefügte Schreiben des Gerichtskommissärs stellt aber – entgegen der Ansicht des Erstersatzerben – überhaupt keine Aufforderung zur Abgabe einer Erbantrittserklärung im Sinn des § 157 Abs 1 AußStrG dar. Weder enthält es eine solche Aufforderung noch findet sich der gesetzlich vorgeschriebene Hinweis auf die Rechtsfolgen des Abs 3 und – soweit diese Personen nicht von einem Rechtsanwalt oder Notar vertreten sind – eine Belehrung über die Rechtsfolgen der Abgabe der unbedingten und bedingten Erbantrittserklärung sowie über die Möglichkeit der Antragstellung nach § 184 Abs 3 AußStrG. Der Vorwurf des Revisionsrekurses, die ihm gesetzte Frist verstoße gegen § 157 Abs 2 AußStrG, geht daher schon mangels Vorliegens einer Aufforderung nach § 157 Abs 1 AußStrG ins Leere.
[26] 4.2.2 Zu prüfen ist aber, ob der Erstersatzerbe über die Verständigung nach § 152 Abs 2 AußStrG hinaus trotz des Vorliegens – auch nach Einholung eines graphologischen Gutachtens – unbedenklicher Testamente überhaupt zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufzufordern gewesen wäre, also der Personenkreis des § 157 Abs 1 AußStrG sich mit jenem des § 152 Abs 2 AußStrG deckt.
[27] Gemäß § 157 Abs 1 AußStrG hat der Gerichtskommissär die „nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen“ nachweislich aufzufordern, zu erklären, ob und wie sie die Erbschaft antreten oder ob sie diese ausschlagen wollen.
[28] Nach den Materialien beginnt damit der Kern des Abhandlungsverfahrens, nämlich die Einholung der verfahrensrechtlichen und auch materiell‑rechtlichen Willenserklärung, wonach eine Person die Gesamtrechtsnachfolge nach dem Erblasser anstrebt (ErläuRV 224 BlgNR 22. GP 102).
[29] Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des AußStrG 2003, BGBl I 2003/111 (§ 75 AußStrG idF RGBl 1854/208: „vermuthlichen Erben“) waren nach der Rechtsprechung bei der testamentarischen Erbfolge etwaige gesetzliche Erben des Verstorbenen nicht als „vermuthliche Erben“ im Sinne dieser Bestimmung zu betrachten und daher auch nicht von Amts wegen der Abhandlung beizuziehen, solange ein „mit allen gesetzlichen Förmlichkeiten versehenes unbedenkliches Testament“ vorlag (RS0007679 [T1, T2]). Bei dieser Prüfung war entsprechend dem Zweck des § 75 AußStrG aF als Schutzbestimmung zugunsten der potentiellen Erben ein strenger Maßstab anzulegen (RS0007679 [T1]). Bei Zweifeln, ob die letztwillige Verfügung in unbedenklicher Weise als Testament angesehen werden konnte, waren auch die gesetzlichen Erben vom Erbanfall mit der Aufforderung zu verständigen, die Erbserklärung beizubringen, damit die Erbverhandlung gepflogen werden könne (RS0007686 [T4]).
[30] Dem Schutz der nach der Aktenlage nur potentiell (im Fall der Unwirksamkeit einer Verfügung) Berufenen (arg: „berufen wären“) wird nun schon durch die nach § 152 Abs 2 AußStrG ohnehin vorgesehene Zustellung Rechnung getragen und ihnen so die Möglichkeit der Bekämpfung der Verfügung eröffnet. Eine – über diese Verständigung durch Zustellung hinausgehende – Aufforderung aller aufgrund der Aktenlage (nur) potentiell in Betracht kommender gesetzlicher oder (früherer) testamentarischer Erben, trotz Vorliegens eines unbedenklichen, mit allen gesetzlichen Förmlichkeiten versehenen (späteren) Testaments eine Erbantrittserklärung abzugeben, würde unter den Beteiligten nur Verwirrung stiften und auch den Belehrungspflichten des Gerichtskommissärs zuwiderlaufen. Diese gebieten es vielmehr, nur jene Personen auch zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufzufordern, die nach der Aktenlage auch tatsächlich in Frage kommen, während (nur) potentiell Berufene allenfalls auf Anfechtungsmöglichkeiten hinzuweisen sein könnten. Die zur alten Rechtslage ergangenen Grundsätze zum Kreis der aufzufordernden Personen bei Vorliegen eines „mit allen gesetzlichen Förmlichkeiten versehenen unbedenklichen Testaments“ sind daher im Ergebnis auch auf § 157 Abs 1 AußStrG übertragbar (Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 157 Rz 2 f; Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 157 Rz 1 FN 2; aA [aber ohne nähere Begründung] Schilchegger/Kieber, Österreichisches Verlassenschaftsverfahren², 103, nach denen die gesetzlichen Erben, letztwillig eingesetzte Erben, Ersatzerben, Nacherben und Noterben jedenfalls zur Abgabe einer Erbanrittserklärung aufzufordern sind).
[31] Im Hinblick auf die durch graphologische Gutachten überprüfte Echtheit beider Testamente waren daher dem Erstersatzerben zwar die Urkunden gemäß § 152 Abs 2 AußStrG zuzustellen, er aber nicht auch gemäß § 157 Abs 1 AußStrG zur Abgabe einer Erbantrittserklärung unter Fristsetzung aufzufordern.
[32] Auch im Zusammenhang mit der Anwendung des § 157 AußStrG ist daher kein Verfahrensfehler zu erblicken, der einen nicht der Sphäre des Erstersatzerben zuzurechnenden Umstand für die Nichtabgabe der Erbantrittserklärung darstellen könnte.
[33] 5. Allerdings wirft der Revisionsrekurs dem Gerichtskommissär letztlich zu Recht eine „voreilige“ Übermittlung des Verlassenschaftsakts an das Gericht zur Erlassung des Einantwortungsbeschlusses vor.
[34] Der Gerichtskommissär hat tatsächlich nicht einmal die von ihm selbst mit Schreiben vom 18. 8. 2022 gesetzte Äußerungsfrist abgewartet und den Verlassenschaftsakt noch vor deren Ablauf an das Gericht übermittelt. Jedenfalls die innerhalb der Äußerungsfrist beim Gerichtskommissär eingelangte Nachfrage des Erstersatzerben, ob der Ersatzerbfall eingetreten sei, hätte als Interessenbekundung verstanden werden und Anlass sein müssen, vor Aktenübermittlung eine Klarstellung zu erreichen, ob die Abgabe einer Erbantrittserklärung – verbunden mit der Konsequenz eines Verfahrens über das Erbrecht – beabsichtigt ist oder nicht. Durch diese (voreilige) Vorgangsweise wurde letztlich der aus § 152 Abs 2 AußStrG hervorleuchtende Zweck (vgl dazu Pkt 4.2.1; auch 1 Ob 102/23s Rz 47) untergraben.
[35] Es ist daher im Ergebnis davon auszugehen, dass die Abgabe einer Erbantrittserklärung trotz ausreichender Interessenbekundung aus nicht der Sphäre des Erstersatzerben zuzurechnenden Gründen unterblieben ist.
[36] 6. Es ist – in sinngemäßer Anwendung der für die Rechtzeitigkeit von Rechtsmitteln entwickelten Grundsätze (vgl RS0006965) – mangels gegenteiliger aktenkundiger Anhaltspunkte auch davon auszugehen, dass die ausreichende Interessenbekundung schon vor Abgabe des Einantwortungsbeschlusses an die Geschäftsabteilung zur Ausfertigung (beim Gerichtskommissär) vorlag. Die Eingabe war als Beantwortung des Schreibens des Gerichtskommissärs an diesen zu richten, sodass § 144 AußStrG, der eine Fristversäumnis bei unrichtiger Adressierung im Verhältnis Gericht und Gerichtskommissär verhindern will (vgl 10 Ob 28/11g Pkt 5.1. mwN), gar nicht zur Anwendung gelangt. Ob das Gericht Kenntnis von der zutreffend gegenüber dem Gerichtskommissär abgegeben Erklärung hatte, ist nicht maßgeblich.
[37] Zusammengefasst hat der Erstersatzerbe rechtzeitig sein Interesse am Erbantritt bekundet und wurde aus nicht seiner Sphäre zuzurechnenden Gründen an der Abgabe einer Erbantrittserklärung gehindert. Seine Rekurslegitimation ist zu bejahen.
[38] 7. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und dem Rekursgericht die inhaltliche Behandlung des Rekurses aufzutragen.
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