European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00153.20V.1218.000
Spruch:
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der Kläger wurde am 31. 8. 1994 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Das Alleinverschulden traf den Lenker eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws, der bei dem Unfall getötet wurde. Aufgrund seiner unfallskausalen Verletzungen wurde der Kläger, ein Polizeibeamter, ab dem 1. 10. 1995 in den Ruhestand versetzt.
[2] In einem Vorprozess begehrte der Kläger zunächst Schmerzengeld sowie den Ersatz von Heilbehandlungskosten und seines mit einem Kapitalbetrag geltend gemachten Verdienstentgangs für den Zeitraum von Oktober 1995 bis November 2002. Weiters stellte er ein Feststellungsbegehren. Nachdem er im Zuge des Verfahrens auch ein Rentenbegehren zur Abgeltung des Verdienstentgangs ab 1. 12. 2002 erhoben hatte, wandte die beklagte Partei den Deckungskonkurs ein. Letztlich wurde dem Kläger (ua) eine monatliche Rente von 1.599,62 EUR ab 1. 12. 2002 bis zum Erreichen des Pensionsalters rechtskräftig zuerkannt. Überdies wurde festgestellt, dass die beklagte Partei dem Kläger für sämtliche zukünftige kausale Schäden aus dem Verkehrsunfall im Rahmen des für das näher bezeichnete Fahrzeug abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrags haftet.
[3] Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung weiterer 9.959,81 EUR sA an Verdienstentgang. Aufgrund der Gehaltsentwicklung im öffentlichen Dienst hätte er ab dem Jahr 2009 wesentlich höhere Bezüge erhalten, als sie der Berechnung im Urteil des Vorprozesses zugrunde gelegt worden seien. Konkret stünden ihm 1.167,39 EUR für die Monate November und Dezember 2011 sowie 8.792,42 EUR für das Jahr 2012, insgesamt daher der Klagsbetrag zu. Auf § 155 VersVG gestützte Einwände hätte die beklagte Partei schon im Vorprozess erheben müssen.
[4] Die beklagte Partei wandte ein, dass die verbleibende Versicherungssumme durch die bis zum fiktiven Pensionsantritt des Klägers noch zu leistenden Rentenzahlungen in der im Vorprozess festgesetzten Höhe bereits überschritten werde. Die Haftung der beklagten Partei sei mit der Höhe der Versicherungssumme begrenzt. Im Übrigen werde die vom Kläger behauptete Gehaltsentwicklung bestritten.
[5] Im ersten Rechtsgang wiesen die Vorinstanzen das Klagebegehren übereinstimmend aufgrund des für zulässig und berechtigt erachteten Einwands der Unzulänglichkeit der Deckungssumme iSd § 155 VersVG ab.
[6] Der Oberste Gerichtshof hob diese Urteile auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück (2 Ob 142/16w). Eingangs (in P II) seiner Begründung erläuterte er die Voraussetzungen für die Anpassung einer rechtskräftig zuerkannten Rente im Falle geänderter Umstände. Er stellte in diesem Zusammenhang klar, dass nur dort, wo nach allgemeiner Lebenserwartung schon im Vorhinein mit einer Änderung der Verhältnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt zu rechnen war, schon im Vorprozess bei der Bemessung der Rente auf künftige Verhältnisse Bedacht genommen hätte werden müssen. Die Frage, ob für den Kläger die von ihm behauptete Gehaltsentwicklung schon im Vorprozess (zumindest teilweise) konkret vorhersehbar war, könne aber – so der Senat – letztlich unerörtert bleiben, weil die beklagte Partei in erster Instanz keinen entsprechenden Einwand gegen das Erhöhungsbegehren erhoben habe. In P IV der Begründung führte der Senat aus, dass der Einwand der unzureichenden Deckungssumme auch noch in einem Rechtsstreit über die Erhöhung einer rechtskräftig zuerkannten Verdienstentgangsrente möglich sei, sofern er sich auf die mangelnde Deckung der geforderten Erhöhungsbeträge beziehe und die Erhöhung für einen sorgfältigen Versicherer nicht schon im Vorprozess mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehbar gewesen sei, wobei es nicht (wie beim Kläger) auf die Änderungswahrscheinlichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt ankomme. Wäre die Vorhersehbarkeit zu bejahen, hätte die beklagte Partei schon damals die objektive Möglichkeit gehabt, das Rückstellungskapital durch Schätzung zu ermitteln und ihren Einwand der unzureichenden Deckungssumme auch insoweit zu präzisieren. Unter dieser Prämisse wäre der nunmehr neuerlich erhobene Einwand, die Deckungssumme reiche nicht aus, präkludiert.
[7] Auf dieser Grundlage trug der Oberste Gerichtshof dem Erstgericht die Nachholung der zu Unrecht für entbehrlich gehaltenen Feststellungen zu der vom Kläger behaupteten Gehaltsentwicklung und deren Vorhersehbarkeit für die beklagte Partei, bezogen auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im Vorprozess, auf.
[8] Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang dem Klagebegehren im Wesentlichen statt. Die Gehaltssteigerung des Klägers sei für die beklagte Partei bereits im Vorprozess vorhersehbar gewesen.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die in 2 Ob 142/16w erörterte Präklusion sei gegeben, weil die fiktive Gehaltsentwicklung für die beklagte Partei vorhersehbar gewesen sei. Auf die in der Berufung aufgestellte Behauptung, auch der Kläger habe gewusst, wie sich das fiktive Gehalt eines Beamten seiner Verwendungsgruppe entwickeln würde, ging das Berufungsgericht nicht ein, weil die beklagte Partei auch im fortgesetzten Verfahren keinen entsprechenden Einwand gegen das Erhöhungsbegehren erhoben habe.
[10] Das Berufungsgericht ließ allerdings die ordentliche Revision nachträglich zu, weil doch nicht ausgeschlossen werden könne, dass ein näher bezeichnetes Vorbringen der beklagten Partei für eine Prüfung nach obigem Gesichtspunkt noch ausreichend gewesen wäre.
Rechtliche Beurteilung
[11] Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der beklagten Partei nicht zulässig. Die Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer erheblichen, für die Entscheidung auch präjudiziellen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:
[12] 1. Gemäß dem nach § 513 ZPO auch im Revisionsverfahren anzuwendenden § 496 Abs 2 ZPO hat sich im Fall einer Entscheidung nach dieser Gesetzesstelle das Verfahren vor dem Prozessgericht auf die unerledigt gebliebenen oder vom Mangel betroffenen Teile des erstinstanzlichen Verfahrens oder Urteils zu beschränken. Diese inhaltliche Beschränkung gilt nach der Rechtsprechung auch nach Aufhebungsbeschlüssen wegen des Vorliegens von Feststellungsmängeln. Die Verfahrensergänzung ist auch hier auf den durch die Aufhebung betroffenen Teil einzugrenzen (RS0042031 [T18]; RS0042411). Auch wenn gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO mit einer Aufhebung vorgegangen wird, können abschließend erledigte Streitpunkte nicht wieder aufgerollt werden (2 Ob 26/20t; RS0042435 [T7]; Lovrek in Fasching/Konecny³ § 511 Rz 4; Pimmer in Fasching/Konecny³ § 496 Rz 77). Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes wird nur für Tatsachen anerkannt, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im vorangegangenen Rechtsgang entstanden sind (RS0042031 [T19]; RS0042435 [T8]), was hier nicht vorliegt.
[13] 2. Wie dem oben wiedergegebenen Inhalt der Entscheidung 2 Ob 142/16w SZ 2017/70 zu entnehmen ist, wurde darin die Berechtigung des Klägers, die Anpassung der ihm im Vorprozess zuerkannten Verdienstentgangsrente an die von ihm behauptete hypothetische Entwicklung seines Gehalts als Polizeibeamter zu begehren, abschließend und für das weitere Verfahren bindend bejaht. Die Rechtssache war nur deshalb nicht entscheidungsreif, weil zur Beurteilung des Einwands der Unzulänglichkeit der Deckungssumme Feststellungen zu der vom Kläger behaupteten Gehaltsentwicklung und deren Vorhersehbarkeit für die beklagte Partei fehlten. Nur die Berechtigung dieses Einwands galt es daher im zweiten Rechtsgang zu klären. Dieser Vorgabe haben die Vorinstanzen entsprochen.
[14] 3. Ein im zweiten Rechtsgang die Berechtigung des Klägers zur Rentenanpassung erstmals in Frage stellendes Vorbringen der beklagten Partei hatte demnach unberücksichtigt zu bleiben. Es erübrigt sich daher, auf die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage einzugehen und das erstattete Vorbringen einer Prüfung auf seine Tauglichkeit in diese Richtung zu unterziehen. Insoweit fehlt es dieser Rechtsfrage an der für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderlichen Präjudizialität (RS0088931). Der in diesem Zusammenhang gerügten Aktenwidrigkeit käme, selbst wenn sie vorläge, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu (RS0043265; RS0043271).
[15] 4. Auch die weiteren Ausführungen der Revision zeigen keine Korrekturbedürftigkeit der angefochtenen Entscheidung auf:
[16] Rechtsmissbrauch liegt nach der Judikatur dann vor, wenn unlautere Motive der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund stehen und daher andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten bzw wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen Teils ein krasses Missverhältnis besteht (9 Ob 6/01z; 1 Ob 121/19d; RS0026271 [T24]; RS0026265 [T33]). Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (4 Ob 233/02x; RS0026271 [T26]).
[17] Inwiefern im vorliegenden Fall die Verfolgung höherer Rentenzahlungen rechtsmissbräuchlich in diesem Sinn sein sollte, ist nicht nachvollziehbar und hat in den Feststellungen keine Grundlage. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird daher nicht dargelegt.
[18] 5. Die Revision ist aus diesen Gründen zurückzuweisen.
[19] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Da der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels iSd § 502 Abs 1 ZPO hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)