OGH 2Ob140/11v

OGH2Ob140/11v22.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann L*, vertreten durch Dr. Cornelia Mazzucco, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Otmar M*, 2. Diana H*, und 3. Verband der Versicherungsunternehmen Österreich, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 9.356,67 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 9. Juni 2011, GZ 53 R 418/10t‑28, womit das Urteil des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 26. Oktober 2010, GZ 5 C 23/10s‑22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:E99666

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Erstgerichts wird wiederhergestellt.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 2.286,22 EUR (darin enthalten 262,77 EUR USt und 709,60 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 16. 4. 2008 fuhr der Erstbeklagte auf der Haunsberg Landesstraße trotz des Vorschriftszeichens „Fahrverbot (in beide Richtungen)“ gemäß § 52 lit a Z 1 StVO und eines Umleitungsschildes in eine andere Richtung in einen Baustellenbereich der Landesstraße ein. Dort befand sich ein Bagger im Betrieb. Ebenfalls anwesend war der Kläger, ein Vorarbeiter der Straßenmeisterei, der einige Meter vom Bagger entfernt auf der anderen Straßenseite arbeitete. Als er das KFZ des Erstbeklagten bemerkte, ging er auf dieses zu. Der Erstbeklagte hielt an und der Kläger machte ihm Vorhaltungen darüber, dass die Straße gesperrt sei. Während dessen wurde er von dem in Drehung versetzten Heck des Baggers erfasst, gegen den PKW gedrückt und verletzt.

Der Kläger begehrt Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden im Umfang von zwei Drittel. Der Erstbeklagte sei trotz Totalsperre rechtswidrig in die Baustelle eingefahren.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Erstbeklagte sei davon ausgegangen, dass das Fahrverbot nur für LKW gelte. Bei Annäherung an die Unfallstelle sei der Bagger nicht in Betrieb gewesen. Vielmehr habe der Fahrer des Baggers diesen in Betrieb genommen, ohne auf den Kläger zu achten, und somit den Unfall alleine verursacht und verschuldet. Die Vorschriften des § 52 StVO hätten nicht den Zweck, Verkehrsunfälle mit Arbeitnehmern in einem Baustellenbereich zu verhindern.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren und einem Teil des Zahlungsbegehrens statt. Das Verbotszeichen diene auch dazu, Unfälle mit Bauarbeitern in einem Baustellenbereich zu verhindern. Dem Kläger sei aber ein Mitverschulden von einem Drittel anzulasten, weil er sich in den Gefahrenbereich des Baggers begeben habe.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsabweisenden Sinne ab. Unter Zitierung von Judikatur zum Fahrverbot nach § 52 lit a Z 6a und 6c StVO gelangte es zu dem Ergebnis, dass das Fahrverbot nach § 52 lit a Z 1 StVO dazu diene, die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Ob es auch Bauarbeiter im abgesperrten Bereich schützen solle, könne dahingestellt bleiben, weil der Kläger nicht im Rahmen von Bauarbeiten zu Schaden gekommen sei. Er habe sich vielmehr in Anbetracht des gegen das Fahrverbot verstoßenden Erstbeklagten dazu aufgerufen gefühlt, als „Retter“ einzuschreiten und diesen auf das allgemeine Fahrverbot hinzuweisen. Auch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag sei eine Ersatzpflicht der Beklagtenseite aber zu verneinen. Ein Notfall iSd § 1036 ABGB sei nicht vorgelegen. Das Fahrverbot, gegen das der Erstbeklagte verstoßen habe, bezwecke nicht, den Kläger als Vorarbeiter davor zu schützen, dass sich dieser an eine extrem gefährliche Stelle im Schwenkbereich des Baggers begebe und dort durch Anhalten eines Fahrzeugs jenes Hindernis selbst schaffe, dessen es bedurft habe, um zur Verletzung des Klägers zu führen.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil es zur Rechtsfrage des Schutzzwecks des Fahrverbots in beide Richtungen in Bezug auf dort tätige Arbeiter keine Rechtsprechung gäbe.

Die Revision des Klägers strebt die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung an. Das allgemeine Fahrverbot diene dazu, die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Von seinem Schutzzweck umfasst seien alle möglichen Gefahren, die durch das Befahren der betroffenen Verkehrsfläche verursacht oder erhöht würden. Der Begriff „alle Verkehrsteilnehmer“ umfasse auch Fußgänger, egal ob sie sich im Rahmen von Bauarbeiten dort aufhielten oder nicht. Auch der Kläger sei dem vom Schutzzweck des absoluten Fahrverbots umfassten Personenkreis zuzuzählen, weil er sich berechtigterweise im Baustellenbereich befunden habe.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben. Es bestehe eine gesicherte Rechtsprechung zum Schutzzweck von Fahrverboten. Die Anwendung auf den konkreten Sachverhalt sei eine Frage des Einzelfalls und die Revision unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Schutzzweck des Vorschriftszeichens nach § 52 lit a Z 1 StVO fehlt; sie ist auch berechtigt.

1. Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote (RIS‑Justiz RS0027710; Reischauer in Rummel 3 § 1311 ABGB Rz 4a; Harrer in Schwimann 3 § 1311 ABGB Rz 9 mwN). Die Übertretung einer solchen Schutznorm macht insofern für den durch die Übertretung verursachten Schaden haftbar, als durch die Schutznorm gerade dieser Schaden verhindert werden sollte (RIS‑Justiz RS0027553; RS0031143). Der Schutzzweck der Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten sollte (RIS‑Justiz RS0008775; RS0027553 [T7]; RS0031143 [T3]). Es genügt dabei, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist (RIS‑Justiz RS0027553 [T6]).

2. Nach der bestehenden Judikatur sind die Fahrverbote nach § 52 lit a Z 6a und 6c StVO Schutznormen iSd § 1311 ABGB. Ihr Zweck ist darauf gerichtet, den Verkehr auf den von ihnen betroffenen Straßen auf ein möglichst geringes Ausmaß einzuschränken (RIS‑Justiz RS0075278; 2 Ob 165/05m; 2 Ob 10/83). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof auch ausgesprochen, dass dann, wenn durch die Missachtung solcher Fahrverbote keine Gefahren verwirklicht wurden, die das beschränkte Fahrverbot verhindern sollte, der Beklagte nicht allein wegen des Verstoßes gegen diese Anordnung für den Schaden haftbar gemacht werden kann (RIS‑Justiz RS0027750).

Diese Judikatur betrifft aber wie gesagt beschränkte Fahrverbote, somit Verkehrsflächen, die Verkehrsteilnehmer ‑ wenn auch im eingeschränkten Umfang ‑ grundsätzlich berechtigt benutzen können.

Im konkreten Fall dagegen war ein allgemeines Fahrverbot ausgesprochen und daher die Benutzung der betroffenen Verkehrsfläche durch alle Verkehrsteilnehmer verboten. Dass sich hier ein Unfall mit einem berechtigten Benützer ‑ im Sinne der von der Judikatur vorgenommenen Einschränkung des Schutzzwecks der Verbotsnorm bei beschränkten Fahrverboten (vgl 2 Ob 7/07d; 2 Ob 165/05m jeweils mwN) - in gleicher Weise ereignen hätte können, ist bereits begrifflich nicht möglich.

3. Ist der Verkehr ausnahmslos verboten, kann das Verbot den Zweck haben, vor allen Gefahren zu schützen, die durch das verbotene Befahren verursacht oder erhöht werden (Reischauer in Rummel 3 § 1311 Rz 11 S 809).

Der Sinn des Fahrverbots nach § 52 lit a Z 1 StVO liegt darin, jede Gefahr, die durch unbefugt Fahrende im entsprechenden Bereich hervorgerufen werden könnte, hintanzuhalten. Ziel ist es, den allgemeinen KFZ‑Verkehr zu unterbinden, um im betroffenen Straßenabschnitt zB Bauarbeiten zu ermöglichen. Ist daher in einem Straßenabschnitt ein allgemeines Fahrverbot nach § 52 lit a Z 1 StVO ausgesprochen, weil dort Bauarbeiten durchgeführt werden sollen, ist es als vom Schutzzweck der Norm mitumfasst anzusehen, Schäden zu verhindern, die sich aus der sonst notwendigen Beobachtung von Verkehrsteilnehmern ergeben könnten, und daher auch Bauarbeiter (die nach der Judikatur nicht als Fußgänger iSd § 76 StVO anzusehen sind, vgl 2 Ob 157/09s; RIS‑Justiz RS0075503) vor den Gefahren zu schützen, die von Fahrzeugen verursacht wurden, welche mit den Tätigkeiten auf der Baustelle nicht im Zusammenhang stehen. Bauarbeiter und Baufahrzeuge sollen sich im Baustellenbereich den durchzuführenden Bauarbeiten und dem Baufortschritt entsprechend frei bewegen können, ohne auf weitere, die Verkehrsfläche befahrende Verkehrsteilnehmer achten zu müssen.

Diese Gefahr hat sich aber hier verwirklicht. Es ist daher davon auszugehen, dass der Schutzzweck des vom Erstbeklagten übertretenen Fahrverbots auch die hier eingetretene Verletzung des Klägers mitumfasst und die Beklagtenseite dafür zu haften hat, zumal auch die von den Beklagten bestrittene Adäquanz gegeben ist.

4. Der Kläger hat sich allerdings, als er den Erstbeklagten auf das Fahrverbot ansprach, gerade in jene Bereiche begeben, in dem der Bagger ‑ nach den Fotos als einziges Baustellenfahrzeug an der Unfallstelle - eingesetzt war. Das ist ihm als Mitverschulden anzulasten. Dieses hat das Erstgericht mit einem Drittel festgesetzt, was dem Standpunkt des Klägers entspricht. Da diese Verschuldensabwägung durchaus angemessen erscheint, war insgesamt die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

5. Die Kostenentscheidung ist in § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO begründet.

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