OGH 2Ob117/24f

OGH2Ob117/24f10.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2021 verstorbenen J*, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. M*, vertreten durch Mag. Markus Kobler, LLB.oec., Rechtsanwalt in Salzburg, und 2. J*, vertreten durch Dr. Roland Mühlschuster, Rechtsanwalt in Wels, über den Revisionsrekurs des Zweitantragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 30. April 2024, GZ 21 R 352/23w-46, womit infolge Rekurses des Zweitantragstellers der Beschluss des Bezirksgerichts Tamsweg vom 31. Oktober 2023, GZ 1 A 213/21d-40, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00117.24F.0910.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Zweitantragsteller ist schuldig, der Erstantragstellerin die mit 2.896,08 EUR (darin enthalten 482,68 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Ende des Jahres 2021 verstorbene Erblasser hinterließ zwei Töchter (darunter die Erstantragstellerin) und einen Sohn (den Zweitantragsteller). Der Erblasser verfasste im Juli 1989 ein eigenhändiges Testament, in dem er die Erstantragstellerin zur Alleinerbin einsetzte.

[2] Die Erstantragstellerin verzichtete mit Notariatsakt vom 7. Mai 2021 „auf all[e] ihr[e] zustehenden Ansprüche aus dem Titel des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrecht[s] einschließlich des Rechts auf Hinzu- und Anrechnung sowie Herausgabe [und] Schenkungen“ gegen Zahlung von 50.000 EUR.

[3] Die Erstantragstellerin gab eine unbedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass aufgrund des Testaments vom Juli 1989 ab. Im Verfahren über das Erbrecht brachte sie – soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Interesse – vor, dass ihr Erb- und Pflichtteilsverzicht schon nach dem Wortlaut ausschließlich Ansprüche aus dem Titel des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts, nicht jedoch testamentarische Erbansprüche umfasse.

[4] Der Zweitantragsteller gab aufgrund des Gesetzes eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab. Im Verfahren über das Erbrecht brachte er – soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Interesse – vor, dass sich die Erstantragstellerin sämtlicher Erb- und Pflichtteilsrechte begeben habe, wovon auch das frühere Testament umfasst sei.

[5] Die Vorinstanzen stellten das Erbrecht der Erstantragstellerin fest und wiesen die Erbantrittserklärung des Zweitantragstellers ab.

[6] Das Rekursgericht führte aus, dass sich ein Erbverzicht – wie im vorliegenden Fall – auf einzelne Berufungsgründe beschränken könne. Dass jeder Erbverzicht frühere letztwillige Verfügungen aufhebe, sei nicht zutreffend.

[7] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil sich der Rekurssenat nur auf die schon länger zurückliegende Leitentscheidung 2 Ob 588/84 berufen habe können und aus der Entscheidung 9 Ob 54/12z zu entnehmen sein könnte, dass bei einem Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht eine frühere letztwillige Verfügung kein tauglicher Berufungsgrund sein könne.

[8] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Zweitantragstellers mit dem Antrag auf Abweisung der Erbantrittserklärung der Erstantragstellerin und Feststellung des Erbrechts des Zweitantragstellers. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Erstantragstellerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben, macht aber auch nähere Ausführungen zum Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 71 Abs 1 AußStrG), nicht zulässig.

[11] 1. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels besteht nach ständiger Rechtsprechung für weitere Rechtsmittelschriften, Nachträge oder Ergänzungen dann, wenn diese am selben Tag wie der erste Rechtsmittelschriftsatz bei Gericht einlangen, weil die Rechtsmittelschriften in einem solchen Fall als Einheit anzusehen sind (RS0041666 [T53, T54]).

[12] 2. Einziger Streitpunkt im Revisionsrekursverfahren ist die Frage, ob der von der Erstantragstellerin erklärte Erbverzicht auch den Verzicht auf ein testamentarisches Erbrecht umfasste.

[13] 3. Ein Erbverzicht ist ein Vertrag zwischen dem künftigen Erblasser und einer Person, die als dessen künftiger Erbe oder sonst erbrechtlich Berechtigter angesehen wird und auf diese künftigen Ansprüche verzichtet (10 Ob 35/14s Punkt 1.2.). Der Erbverzicht berührt nur das Anwartschaftsrecht des Erben auf die Erbschaft, nicht aber seine Erbfähigkeit (RS0012321). Der Erbverzicht nach § 551 ABGB kann sich als Ausfluss der Gestaltungsfreiheit der Parteien nur auf bestimmte oder auf alle Berufungsgründe erstrecken (RS0012325). Hat der Betreffende nur auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet, kann er dennoch testamentarischer oder erbvertraglicher Erbe werden (10 Ob 35/14s Punkt 1.2.).

[14] Auf dieser Grundlage hat der Oberste Gerichtshof bereits entschieden, dass ein bloß das „gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht“ bzw die „gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsansprüche“ umfassender Erbverzicht nicht das testamentarische Erbrecht aus einer vor der Verzichtserklärung errichteten letztwilligen Verfügung beseitigt (2 Ob 588/84; 9 Ob 156/02k).

[15] 4. Die Auslegung eines Erbverzichtsvertrags richtet sich nach §§ 914 ff ABGB (RS0013023). Dabei ist nicht nur der objektive Erklärungswert des schriftlich Beurkundeten maßgebend, sondern auch die etwa mündlich erklärte Absicht der Parteien zu berücksichtigen (RS0012328).

[16] Der Auslegung von Erbverzichtserklärungen kommt regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Bedeutung zu. Diese Frage kann daher nur bei groben Auslegungsfehlern oder sonstigen krassen Fehlbeurteilungen an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (2 Ob 11/24t Rz 9 mwN).

[17] Die Auslegung der Vorinstanzen, wonach der von der Erstantragstellerin abgegebene Erbverzicht keinen Verzicht auf erbrechtliche Ansprüche der Erstantragstellerin aufgrund des Testaments 1989 umfasste, ist ausgehend vom Wortlaut der Verzichtserklärung nicht korrekturbedürftig. Das Vorliegen eines vom Wortlaut abweichenden übereinstimmenden Parteiwillens hat der Zweitantragsteller im erstinstanzlichen Verfahren nicht hinreichend konkret behauptet, sodass die in diesem Zusammenhang relevierten sekundären Feststellungsmängel nicht vorliegen.

[18] 5. Weder der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 9 Ob 54/12z noch der im Revisionsrekurs angeführten Entscheidung 2 Ob 81/09i lässt sich entnehmen, dass bei einem nur das gesetzliche Erbrecht umfassenden Erbverzicht der Verzichtende ausschließlich in einer nach der Verzichtserklärung errichteten letztwilligen Verfügung bedacht werden könnte. Aus der vom Rekursgericht ins Treffen geführten Ansicht Nemeths (in Schwimann/Kodek 5 § 551 ABGB Rz 1), wonach bei Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht eine spätere testamentarische Bedenkung möglich sei, lässt sich ebenfalls nicht der Schluss ziehen, dass eine vor dem Verzicht erfolgte testamentarische Bedenkung als Ausfluss eines beschränkten, das testamentarische Erbrecht gar nicht umfassenden Erbverzichts wirkungslos wäre.

[19] 6. Die kostenrechtlichen Ausführungen im Revisionsrekurs sind einer sachbezogenen Erwiderung durch den Obersten Gerichtshof nicht zugänglich (vgl § 62 Abs 2 Z 1 AußStrG).

[20] 7. Der Revisionsrekurs war damit insgesamt zurückzuweisen.

[21] 8. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 78 Abs 2 iVm § 185 AußStrG. Ein Einigungsversuch vor dem Gerichtskommissär (§ 160 AußStrG) fand im vorliegenden Fall nicht statt, sodass eine Auseinandersetzung mit der Kritik an den in der Entscheidung 2 Ob 239/22v enthaltenen kostenrechtlichen Ausführungen (Metzler, Vom „richtigen“ Beginn des Verfahrens über das Erbrecht, iFamZ 2023, 289; Mondel, Der Beginn des Verfahrens über das Erbrecht, NZ 2023/119) unterbleiben kann. Die Erstantragstellerin hat in der ersten Parteienprozesshandlung nach Vorliegen widerstreitender Erbantrittserklärungen, nämlich im unmittelbar nach der Ausschreibung einer Verhandlung durch das Erstgericht eingebrachten Schriftsatz vom 14. Juli 2022, das „Streitwertinteresse“ mit 131.392,29 EUR beziffert, wogegen sich der Zweitantragsteller nicht ausgesprochen hat. Dies stellt nach Ansicht des Senats eine rechtzeitige Bewertung iSd § 4 RATG dar, sodass Kosten auf einer Bemessungsgrundlage von 131.392,29 EUR zuzusprechen sind. Die Forderung Obermaiers (in AußStrG I² § 185 Rz 8) nach Vornahme einer Bewertung bereits bei Abgabe der Erbantrittserklärung (ebenso nun LGZ Wien 45 R 505/23g NZ 2024/45) überzeugt schon deswegen nicht, weil allein durch die Abgabe einer Erbantrittserklärung noch nicht vom Vorliegen eines Widerstreits ausgegangen werden kann.

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