European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00011.24T.0123.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Erstantragstellerin ist schuldig, dem Zweitantragsteller die mit 2.725,80 EUR (darin enthalten 454,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Erstantragstellerin ist die Adoptivtochter der 2021 verstorbenen Erblasserin. Der Zweitantragsteller ist ihr leiblicher Sohn.
[2] Mit Testament vom 19. 10. 2012 setzte die Erblasserin die Erstantragstellerin zur Alleinerbin ein und verfügte, der Zweitantragsteller solle nichts erhalten, weil er bereits zu Lebzeiten hinreichend entfertigt worden sei. Sollte er den Pflichtteil geltend machen, seien sämtliche Vorempfänge einzurechnen.
[3] Am 14. 1. 2020 schlossen die Erblasserin und die Erstantragstellerin einen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag, der auszugsweise lautet:
„Zweitens:
Frau V* erklärt hiemit, auf den Erb- und Pflichtteilsanspruch sowie auf jeden Legats-, Hinauszahlungs- oder Schenkungsanrechnungsanspruch beziehungsweise auf den Schenkungspflichtteil nach ihrer Mutter E* für sich und ihre Nachkommen und Rechtsnachfolger unbedingt und vorbehaltlos zu verzichten. Der gegenständliche Verzicht bezieht sich ausdrücklich auf das gesamte derzeitige und zukünftige Vermögen von Frau E*.
…
Fünftens: Rechtsbelehrung:
Alle Vertragsparteien nehmen zur Kenntnis und vereinbaren ausdrücklich
• dass unbeschadet dieses Erb- und Pflichtteilverzichtes letztwillige Verfügungen zugunsten der Verzichtenden wirksam getroffen werden können,
• dass dieser Erb- und Pflichtteilsverzicht einseitig unwiderruflich ist und auch im Falle geänderter Verhältnisse, insbesondere geänderter Vermögensverhältnisse, aufrecht und in Kraft bleibt.“
[4] Die Erblasserin wollte bei Abschluss des Vertrags, dass die Erstantragstellerin nichts von ihr erbt. Die Vertragserrichterin erklärte zum Vertragspunkt Zweitens, dass die Erstantragstellerin damit auf sämtliche Ansprüche gegenüber der Erblasserin verzichte. Das Testament 2012 wurde bei Vertragserrichtung nicht (explizit) angesprochen.
[5] Im Verlassenschaftsverfahren gaben die Erstantragstellerin gestützt auf das Testament und der Zweitantragsteller aufgrund des Gesetzes jeweils bedingte Erbantrittserklärungen zum gesamten Nachlass ab.
[6] Im Verfahren über das Erbrecht wies das Erstgericht die Erbantrittserklärung der Erstantragstellerin ab und stellte das Erbrecht des Zweitantragstellers aufgrund des Gesetzes zum gesamten Nachlass fest, weil die Erstantragstellerin auf ihr Erbrecht verzichtet und die Erblasserin sie auch später nicht mehr bedacht habe.
[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung zur Auslegung eines Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrags bei bestehendem Testament ohne ausdrückliche Erwähnung desselben nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der dagegen gerichtete Revisionsrekurs der Erstantragstellerin mit dem Abänderungsantrag, ihr Erbrecht aufgrund des Testaments festzustellen, ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (RS0107859) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[9] 1. Die Auslegung eines Erbverzichtsvertrags richtet sich nach §§ 914 ff ABGB (RS0013023). Dabei ist nicht nur der objektive Erklärungswert des schriftlich Beurkundeten maßgebend, sondern auch die etwa mündlich erklärte Absicht der Parteien zu berücksichtigen (RS0012328). Wie auch der Auslegung von anderen Verträgen (RS0044358) kommt jener von Erbverzichtserklärungen regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Bedeutung zu (2 Ob 154/19i Pkt 1.1) und kann daher nur bei groben Auslegungsfehlern oder sonstigen krassen Fehlbeurteilungen an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RS0044358 [T31]).
[10] 2. Dass dem Rekursgericht eine grobe Fehlbeurteilung oder eine Verkennung von Auslegungsgrundsätzen unterlaufen wäre, behauptet der Revisionsrekurs nicht. Vielmehr ist das von den Vorinstanzen erzielte Auslegungsergebnis, der Erbverzichtsvertrag erfasse auch erbrechtliche Ansprüche der Erstantragstellerin aufgrund des Testaments 2012 schon aufgrund der festgestellten, der Vertragsunterfertigung vorangehenden Belehrung der Vertragserrichterin, dass die Erstantragstellerin damit auf sämtliche Ansprüche gegenüber der Erblasserin verzichte, jedenfalls vertretbar. Der Hinweis des Revisionsrekurses, die Erblasserin hätte das Testament auch einseitig widerrufen und trotz des Verzichts letztwillige Verfügungen zu Gunsten der Erstantragstellerin treffen können, vermag schon angesichts der festgestellten Umstände bei Vertragsabschluss keine aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen aufzuzeigen.
[11] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 Abs 2 iVm § 185 AußStrG. Der Zweitantragsteller hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.
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