OGH 2Ob115/05h

OGH2Ob115/05h3.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Harald Z*****, vertreten durch Dr. Dieter Zaponig, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Oliver P*****, vertreten durch Dr. Gert Ragossnig, Rechtsanwalt in Graz, wegen EUR 10.710 sA und Feststellung (Streitwert: EUR 1.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 14. März 2005, GZ 2 R 34/05w-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 24. Jänner 2005, GZ 18 Cg 38/04i-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 24. 8. 2003 ereignete sich auf der Ringstraße im Gelände des „S***** Freizeitzentrums" südlich von Graz ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger als Inlineskater zu Sturz kam und sich verletzte. Die Straßen des im Freilandgebiet gelegenen Freizeitzentrums, in welchem gegen Entgelt zahlreiche Freizeitaktivitäten angeboten werden, können mit Kraftfahrzeugen befahren werden. Es ist eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h angeordnet. Die Ringstraße wird als Einbahnstraße (gegen den Uhrzeigersinn) geführt. Die Fahrbahn ist im Unfallbereich 3,8 m breit und wird durch eine im Abstand von 1,8 m zum - in Fahrtrichtung betrachtet - rechten Fahrbahnrand verlaufende Leitlinie geteilt. Rechts von dieser Leitlinie sind auf der Fahrbahnoberfläche Fahrradsymbole markiert. Neben dem rechten Fahrbahnrand befindet sich ein 0,7 m breites, grasbewachsenes Bankett, das durch einen Maschendrahtzaun begrenzt wird. An den linken Fahrbahnrand schließt ein ca 0,4 m breites Schotterbankett an, das in das grasbewachsene Mountainbikegelände des Freizeitzentrums übergeht. In Annäherung an die Unfallstelle verläuft die Fahrbahn der Ringstraße gerade und übersichtlich. Sie weist zunächst ein Gefälle von 13 % auf, das rund 41 m vor der Sturzstelle in eine horizontale Fläche übergeht.

Der damals sechzehnjährige Beklagte war als Beifahrer eines Freundes auf einem von diesem gelenkten Motorfahrrad zur Unfallstelle gelangt. Während der Freund das Motorfahrrad neben dem linken Fahrbahnrand abstellte, ging der Beklagte einige Schritte auf die Fahrbahn, wo er einige Minuten stehen blieb. Unterdessen näherte sich der Kläger auf seinen Inlineskates aus östlicher Richtung der späteren Unfallstelle. Er hielt eine im Bereich zwischen der Leitlinie und 0,5 m links („südlich") davon gelegene Fahrlinie ein. Am Ende des Fahrbahngefälles erreichte er eine Geschwindigkeit von ca. 40 km/h. Als er den Beklagten in einer Entfernung von 29 bis 35 m vor sich auf der Fahrbahn stehen sah, stieß er einen Warnruf aus, auf den der Beklagte zunächst mit einem Schritt nach rückwärts reagierte, sodass er 0,4 m rechts („nördlich") von der Leitlinie zu stehen kam. Danach machte der Beklagte jedoch wieder einen Schritt nach vor. Der Kläger wich reflexartig nach rechts aus, geriet auf das Grasbankett und kam, ohne den Beklagten zu berühren, dort zu Sturz. Dabei zog er sich eine schwere Kopfverletzung zu.

Der Kläger begehrte den Zuspruch von EUR 10.710 sA sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche künftige Schäden aus dem Unfall vom 24. 8. 2003. Der Beklagte habe nach dem Zuruf des Klägers ausreichend Zeit gehabt, die Fahrbahn zu verlassen. Auf seine unerwartete Vorwärtsbewegung habe der Kläger sofort reagiert.

Der Beklagte wendete ein, der Kläger sei zum Befahren der Fahrbahn mit Inlineskates nicht berechtigt gewesen. Der Sturz sei auf die Einhaltung überhöhter Geschwindigkeit, eine Fehlreaktion sowie einen Fahrfehler des Klägers zurückzuführen.

Das Erstgericht gab, ausgehend von einer Verschuldensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des Klägers, dem Zahlungsbegehren mit EUR 2.677,50 sA statt und stellte fest, dass der Beklagte für sämtliche künftige, derzeit nicht bekannte oder vorhersehbare Schäden des Klägers aus dem Unfall vom 24. 8. 2003 im Ausmaß von einem Viertel hafte. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Das nur vom Kläger mit dem Antrag auf Zuspruch weiterer EUR 4.462,50 und den Ausspruch der Haftung des Beklagten im Ausmaß von insgesamt zwei Drittel angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand auch unter Berücksichtigung des nicht in einem Geldbetrag bestehenden Teiles EUR 20.000 nicht übersteige und ließ die ordentliche Revision zu. Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen sekundärer Verfahrensmängel und vertrat die Rechtsansicht, das in § 88a Abs 1 Z 1 StVO normierte Verbot des Befahrens eines außerhalb des Ortsgebietes befindlichen Radfahrstreifens mit Inlineskates komme im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, weil das Gelände der Freizeitanlage qualitativ nicht dem Freiland, sondern eher dem Ortsgebiet gleichzuhalten sei. Da der eine Radfahranlage befahrende Inlineskater den allgemeinen Fahrvorschriften für Radfahrer unterliege, hätte der Kläger auf dem markierten Radfahrstreifen eine rechts gelegene Fahrlinie einhalten müssen. Vor allem aber sei ihm die Überschreitung der verordneten Höchstgeschwindigkeit um ein Drittel anzulasten, die um so schwerer wiege, als einem Inlineskater wesentlich weniger Möglichkeiten offen stünden als einem Radfahrer, um auf eine Gefahr aufmerksam zu machen und durch Bremsen zu reagieren. Der Kläger hätte jedenfalls seine Geschwindigkeit vermindern müssen, weil damit zu rechnen gewesen sei, dass der Beklagte bei seiner Vorbeifahrt falsch reagieren und sich im letzten Augenblick nicht aus der Gefahr heraus, sondern in diese hinein bewegen werde. Dem Beklagten sei vorzuwerfen, dass er ohne jegliche Rücksichtnahme auf das sonstige Verkehrsgeschehen die Fahrbahn betreten und es verabsäumt habe, sich unverzüglich wieder von dieser zu entfernen. Das Höchstgericht habe auch schon mehrfach ausgesprochen, dass ein Fußgänger fahrlässig handle, wenn er auf der Fahrbahn plötzlich die Richtung ändere. Trotz der gravierenden Sorglosigkeit beider Streitteile rechtfertige die besondere Gefährlichkeit des Verhaltens des Klägers die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des Klägers. Die Revision sei zuzulassen, weil eine höchstgerichtliche Judikatur für Unfälle zwischen Inlineskatern und Fußgängern noch fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen das Berufungsurteil erhobene, eine Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu seinen Gunsten anstrebende Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Das Berufungsgericht zeigt in der Begründung seines Zulassungsausspruches keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Eine solche wird nicht schon dadurch begründet, dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht entschieden wurde (2 Ob 54/05p; RIS-Justiz RS0107773).

Aber auch in der Revision des Klägers werden keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:

Die klagende Partei lässt die Rechtsansicht unbekämpft, dass die im „S***** Freizeitzentrum" verlaufende Ringstraße als Straße mit öffentlichem Verkehr zu qualifizieren ist, für welche die Straßenverkehrsordnung gilt (§ 1 Abs 1 StVO). Ebenso wird die Beurteilung nicht in Frage gestellt, wonach der rechts von der Leitlinie gelegene Fahrbahnteil die Kriterien eines Radfahrstreifens iSd § 2 Abs 1 Z 7 StVO erfüllt. Es wird auch nicht bezweifelt, dass Inlineskates keine Fahrzeuge sondern Rollschuhe iSd § 88a StVO sind.

Gemäß § 88a Abs 1 StVO ist das Befahren der Fahrbahn mit Rollschuhen in Längsrichtung verboten. Ausgenommen von diesem Verbot sind nach Z 1 dieser Bestimmung Radfahranlagen, nicht jedoch Radfahrstreifen außerhalb des Ortsgebietes.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat der Kläger in Annäherung an die Unfallstelle nicht den Radfahrstreifen, sondern den dem Kraftfahrzeugverkehr vorbehaltenen Fahrbahnteil benützt. Auf eine das Befahren dieses Fahrbahnteiles mit Rollschuhen ausnahmsweise gestattende Verordnung der zuständigen Behörde iSd § 88 Abs 1 letzter Satz iVm § 88a Abs 1 Z 4 StVO hat sich der Kläger nicht berufen. Es ist ihm daher vorzuwerfen, dass er das Verbot des § 88 Abs 1 StVO missachtet und die Fahrbahn mit Rollschuhen in Längsrichtung befahren hat. Gemäß § 88a Abs 3 letzter Satz StVO haben Rollschuhfahrer außerhalb von Radfahranlagen die für Fußgänger geltenden Verhaltensvorschriften zu beachten. Diese sind in § 76 StVO festgelegt. Auf dem von ihm benützten Fahrbahnteil hätte sich der Kläger demnach nicht fahrend, sondern lediglich in Schritten vorwärts bewegen dürfen, sodass sich die Frage nach einer für ihn dort zulässigen Höchstgeschwindigkeit gar nicht stellt (vgl auch Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 88a Rz 21). Den ihm infolge der Verletzung einer Schutznorm obliegenden Beweis, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten (also etwa bei zulässiger Benützung des Radfahrstreifens) eingetreten wäre (RIS-Justiz RS0027364, insb T 22), hat der Kläger nicht einmal angetreten. Bei dieser Sachlage käme der Beantwortung der vom Berufungsgericht erörterten Rechtsfragen, ob der Kläger den Radfahrstreifen auf der Ringstraße aufgrund seiner besonderen Lage im Gelände des „S***** Freizeitzentrums" außerhalb des Ortsgebietes mit Rollschuhen befahren durfte und welche Verhaltensweisen er dabei beachten hätte müssen, nur theoretische Bedeutung zu. Insbesondere ist der in der Berufungsentscheidung angestellte Vergleich des in der Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit erblickten weiteren Fehlverhaltens des Klägers mit jenem eines zu schnell fahrenden Radfahrers für die Entscheidung ohne Relevanz, weil das Verhalten eines Verkehrsteilnehmers stets nur nach den konkreten Umständen zu beurteilen ist (vgl 2 Ob 54/05p) und die für Radfahrer geltenden Verhaltensvorschriften mangels Benützung einer Radfahranlage auf den Kläger nicht anzuwenden sind (§ 88a Abs 2 StVO). Die in der Revision als unzulässig erachtete „Differenzierung der Verschuldenstragung bei Überschreiten der erlaubten Höchstgeschwindigkeit zwischen Radfahrern und Inlineskatern" wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Nach dem allgemeinen Grundsatz des § 88a Abs 3 erster Halbsatz StVO haben sich Rollschuhfahrer so zu verhalten, dass andere Verkehrsteilnehmer weder gefährdet noch behindert werden. In der Auffassung des Berufungsgerichtes, das Verhalten des Klägers, der verbotswidrig die Fahrbahn mit Rollschuhen in Längsrichtung befuhr und dabei sogar die gemäß § 20 Abs 2 StVO für Kraftfahrzeuge (absolut) zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um ca. 10 km/h überschritt, sei als besonders gefährlich einzuschätzen, ist keine auffallende Fehlbeurteilung zu erblicken. Auch die Rechtsansicht, der an einem Fußgänger vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer müsse damit rechnen, dass sich der Fußgänger im letzten Augenblick falsch verhält und „in die Gefahr hineinbewegt", ist durch Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gedeckt (RIS-Justiz RS0073730).

Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalles, die - abgesehen von einer groben Fehlbeurteilung - keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu begründen vermag (RIS-Justiz RS0042828). Der Kläger hat zwar in erster Instanz vorgebracht, er habe auf den Beklagten „unverzüglich reagiert", in diesem Zusammenhang aber stets nur sein reflexartiges Ausweichmanöver ins Treffen geführt. Die Auslegung dieses Vorbringens dahin, dass es nicht auch, wie der Kläger in seinem Rechtsmittel vermeint, „evidentermaßen eine Geschwindigkeitsreduktion impliziert", hält sich im Rahmen des dem Berufungsgericht zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraumes. Fehlendes Parteivorbringen kann jedoch auch nicht durch den Verweis auf gutachtliche Ausführungen des Sachverständigen oder sonstige Ergebnisse des Beweisverfahrens ersetzt werden (9 Ob 101/04z; 1 Ob 140/05b; RIS-Justiz RS0017844, RS0038037). Die Revisionsausführungen des Klägers zu seinem angeblichen Bremsmanöver verstoßen demnach gegen das Neuerungsverbot und sind daher unbeachtlich.

Der Verstoß des Beklagten gegen § 76 StVO wurde ebenso wie dessen falsche Reaktion vom Berufungsgericht richtig erkannt und ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Einer zusätzlichen Feststellung, wonach der Beklagte nach dem Zuruf des Klägers den Gefahrenbereich noch rechtzeitig verlassen hätte können, bedarf es nicht, weil sich dies ohnehin aus dem feststehenden Ablauf des Geschehens ergibt. Die Verschuldensabwägung richtet sich aber stets nach den Umständen des Einzelfalles und betrifft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0087606, RS0042405). Die Beurteilung des Berufungsgerichtes, das Fehlverhalten des Kläger überwiege im Hinblick auf seine besondere Gefährlichkeit jenes des Beklagten deutlich, hält sich im Rahmen des im Einzelfall verbleibenden Ermessensspielraumes. Sie bedarf auch aus Gründen der Rechtssicherheit keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof zu Gunsten des Klägers.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision des Klägers daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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