OGH 20Ds9/21k

OGH20Ds9/21k2.11.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 2. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Dr. Hofer als Anwaltsrichter in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich vom 1. März 2021, AZ D 5/20, D 6/20 (15 DV 33/20, 16 DV 34/20), TZ 36, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Kammeranwalts Mag. Kammler und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133051

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, hinsichtlich des Schuldspruchs 1. und im Strafausspruch aufgehoben und zu Recht erkannt:

* wird vom Vorwurf, er habe es als rechtsfreundlicher Vertreter von H* und K* anlässlich der Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung nach dem verstorbenen J* trotz einer dahingehenden Verpflichtung verabsäumt, nach der Erstbesprechung am 8. Oktober 2019 und vor seinem Tätigwerden eine Deckungsanfrage bei den bekanntgegebenen Rechtsschutzversicherungen einzuholen, gemäß §§ 38 Abs 1, 54 Abs 3 DSt

freigesprochen.

Mit seiner diesbezüglichen Berufung – der zu Schuldspruch 2. nicht Folge gegeben wird – wird der Rechtsmittelwerber auf die Aufhebung verwiesen.

Für die verbleibenden Disziplinarvergehen laut Schuldspruch 2. wird eine Geldbuße von 2.500 Euro festgesetzt.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschuldigte wegen des Verstoßes gegen §§ 9 und 10 RAO sowie § 10 RL‑BA je der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und hierfür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 3.500 Euro verurteilt.

[2] Danach hat er

1.) es als rechtsfreundlicher Vertreter von H* und K* im Zusammenhang mit der Verlassenschaftsabhandlung nach dem verstorbenen J* verabsäumt, nach der Erstbesprechung am 8. Oktober 2019 und vor seinem Tätigwerden sowie im Widerspruch zu einer dahingehenden Verpflichtung, eine Deckungsanfrage bei den bekanntgegebenen Rechtsschutzversicherungen einzuholen; und

2.) R* und F* G* jun im Jahr 2017 im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Umbau eines V* (Projekt *) beraten und vertreten und danach als Rechtsvertreter von Ing. C* Gr*, die bei diesem Projekt mit der Erstellung der Einreichplanung, des Bauansuchens, der Baubeschreibung und des Energieausweises beauftragt war, am 3. April 2019 Klage beim Bezirksgericht T* wegen eines angeblich bereits fällig aushaftenden Werkentgelts in Höhe von 3.000 Euro gegen R* und F* G* jun eingebracht, diese bis zur Rechtskraft des beim Bezirksgericht T* bedingt abgeschlossenen Vergleichs am 31. Juli 2019 vertreten sowie gleichzeitig auch die Interessen der Prozessgegner R* und F* G* jun bei der Bauverhandlung am 17. Juli 2019 vertreten.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen der Aussprüche über Schuld und Strafe. Der Kammeranwalt der OÖ Rechtsanwaltskammer erstattete dazu eine Gegenausführung, in der er beantragte, der Berufung nicht Folge zu geben.

[4] Zum Schuldspruch 1.) war aus Anlass der Berufung eine materiell‑rechtliche Nichtigkeit des angefochtenen Erkenntnisses (§ 281 Abs 1 Z 9a StPO) von Amts wegen aufzugreifen.

[5] Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung sah es der Disziplinarrat als einen Verstoß gegen § 9 RAO an, dass der Beschuldigte „nicht jedenfalls“ eine Rechtsschutzdeckung für seine Mandantinnen eingeholt habe. Auch wenn der Disziplinarrat in diesem Zusammenhang vermeint, dass der Rechtsanwalt bei der gewissenhaften Verfolgung der Interessen eines Mandanten entsprechende Absicherungen (jedenfalls) einholen müsse, geht er davon aus, dass dem Beschuldigten anlässlich der Erstbesprechung zwar die Versicherungspolizzen-Nummern genannt worden wären, es könne aber „nicht festgestellt werden, ob die Mandantinnen K* und H* dem DB bei der Erstbesprechung mitgeteilt haben, dass für die gegenständliche Causa eine Rechtsschutzdeckung vorliegt“ (ES 11). Diese ambivalente Feststellung vermag den Disziplinarvorwurf mangelnder Diligenz in diesem Zusammenhang nicht zu tragen. Im Ergebnis käme die Ansicht des Disziplinarrats einer Beweislast zum Nachteil des Beschuldigten gleich, die es im Straf‑ und Disziplinarverfahren aber nicht gibt.

[6] Es mag zwar zutreffen, dass die forensische Erfahrung zeigt, dass rechtsunkundige Personen zwischen den Begriffen Rechtsschutzdeckung und Rechtsschutzversicherung nicht unterscheiden können (ES 19) und die anwaltliche Vorsicht auch bei Vorliegen einer derartigen Erklärung die Einholung der Deckungszusage geboten hätte. Im Gegenstand erreicht die Unterlassung des Beschuldigten aber noch nicht die Qualität eines Disziplinarvergehens, insbesondere wenn man bedenkt, dass – unterstellt, die Mandanten hätten vom Vorliegen einer Deckungszusage berichtet – sie vom Versicherungsmakler kamen, der sie an den Beschuldigten verwiesen hatte. Nicht jeder Fehler eines Rechtsanwalts stellt nämlich per se ein Disziplinarvergehen dar. Die aus dem Spruch ersichtliche Kassation samt Verweisung und der Freispruch folgen daraus.

[7] Schuldspruch 2.) beruht auf dem Vorwurf, gegen das „Doppelvertretungsverbot“ verstoßen zu haben (zur Terminologie angesichts der Neufassung des § 10 RL‑BA 1977 durch § 12a idF des Beschlusses der Vertreterversammlung des ÖRAK vom 6. Mai 2011 Engelhart und Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 10 RL‑BA Rz 11 bzw § 1 DSt Rz 37). Das in § 10 RAO und § 10 RL‑BA kodifizierte Verbot der Verletzung der Treuepflicht wegen Interessenkollision ist Ausfluss der in § 9 Abs 1 RAO normierten allgemeinen Pflicht des Rechtsanwalts zur Interessenwahrung und Rechtsbetreuung gegenüber seinem Klienten. Die damit festgelegte Treue stellt eine der Säulen des Rechtsanwaltsberufs dar und verlangt, die übernommene Vertretung dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten (Rohregger in Engelhart et al, RAO10 § 10 RAO Rz 5 ff; Csoklich/Scheuba, Standesrecht³, 63).

[8] Das heißt aber auch, dass sich der Rechtsanwalt nach dem Selbstverständnis der Anwaltschaft von jeglicher Kollision weitestgehend fernzuhalten hat. Ob bzw wann eine Kollision vorliegt, ist sowohl begrifflich als auch aus Sicht der rechtspolitisch dahinterstehenden Zielsetzung weit zu interpretieren (Rohregger in Engelhart et al, RAO10 § 10 RAO Rz 11; Csoklich/Scheuba, Standesrecht³, 66; RIS‑Justiz RS0054995 [T13], RS0117715). Das gilt sowohl für die in § 10 RAO bei der unechten (materiellen) Doppelvertretung (zu den Begriffen Rohregger in Engelhart et al, RAO10 § 10 RAO Rz 9 ff; RIS‑Justiz RS0054995) genannten „zusammenhängenden Sache“ als auch bei der Frage der Gegenpartei: Sachen hängen im Sinn des § 10 RAO schon dann zusammen, wenn ein Interessenkonflikt zweier Parteien vorliegt oder wenn er sich (objektiv betrachtet) abzeichnet. Dabei genügt schon die bloße Gefahr eines Interessenkonflikts, um von einer materiellen Doppelvertretung zu sprechen (RIS‑Justiz RS0054995 [T29], RS0117715 [T3]; 20 Os 9/16y; 20 Ds 1/17b). Auch die „Gegenpartei“ iSd § 10 RAO ist nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur auf die formal (prozess‑)beteiligten Parteien beschränkt, abzustellen ist vielmehr darauf, ob zwischen Personen widerstreitende Interessen bestehen oder ob die Gefahr droht, dass derartige widerstreitende Interessen bestehen könnten. Ist das der Fall, handelt es sich um eine Gegenpartei im Sinn des Gesetzes (RIS‑Justiz RS0054995 [T26]; 24 Os 1/14y; 26 Os 3/14g; 28 Os 2/15a).

[9] Vor diesem Hintergrund erweist sich die Berufung als unberechtigt. Dass der Planungsauftrag gegenüber Ing. Gr* und der Aufgabenbereich des Beschuldigten beim Umbau des Gebäudes eine „zusammenhängende Sache“ betraf, liegt angesichts der weiten Begriffsdefinition auf der Hand. Dasselbe gilt für die betroffenen Parteien. Abgesehen davon, dass es nicht auf den formellen Parteibegriff (in concreto: im Bauverfahren), sondern auf die Interessensverfolgung ankommt, ergibt sich aus den Beweisergebnissen (ES 12) zusätzlich, dass F* jun und R* G* zumindest neben ihren Eltern (Mit‑)Auftraggeber gewesen sind. Das erhellt schon daraus, dass der Beschuldigte seine Honorarnote für die Vertretung der Eltern in der Bauverhandlung vom 17. Juli 2019 an F* jun und R* G* richtete.

[10] Wenn der Beschuldigte aus dem Ersuchen der Familie G* zur weiteren Vertretung anlässlich des Vergleichsabschlusses beim Bezirksgericht T* gleichsam eine (rechtfertigende) Zustimmung ableiten will, ist er darauf hinzuweisen, dass selbst die ausdrückliche Zustimmung einer Partei den Rechtsanwalt nicht vom Vorwurf der Interessenkollision entschuldigen kann (RIS‑Justiz RS0109463); abgesehen davon, dass damit der „Frontwechsel“ im Zusammenhang mit den Vertretungshandlungen im Jahr 2017 nicht saniert war. Wenn sich der Beschuldigte damit rechtfertigt, seine ursprüngliche Vertretungstätigkeit für F* jun und R* G* im Jahr 2017 habe ohnehin bereits im Jahr 2017 geendet, während die Klage gegen sie aus dem Jahr 2019 stammt, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Verbot der Doppelvertretung gemäß § 10 Abs 1 RAO nach der ständigen Rechtsprechung nicht durch den Ablauf einer bestimmten Zeitspanne beseitigt wird (RIS‑Justiz RS0054972).

[11] Diesbezüglich war der Berufung der Erfolg zu versagen.

[12] Bei der Straf‑(neu‑)bemessung war mildernd die bisherige disziplinäre Unbescholtenheit, erschwerend das Zusammentreffen der beiden Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 DSt.

[13] Die Verletzung der Treuepflicht stellt – vor allem, wenn es in Form der materiellen Doppelvertretung erfolgt (RIS‑Justiz RS0054995 [T5]) – ein schweres Disziplinarvergehen dar (RIS‑Justiz RS0054993). Unter Berücksichtigung des dargelegten Einkommens des Rechtsanwalts und seiner Unterhaltspflichten war die Geldbuße mit 2.500 Euro festzusetzen. Das vom Beschuldigten ventilierte Vorgehen nach § 39 DSt kam nicht in Betracht, setzt dieses doch ein ganz geringes disziplinäres Vergehen und auch ein vernachlässigbares Verschulden voraus; beides war nicht der Fall.

[14] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 38 Abs 2 DSt.

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