OGH 26Os3/14g

OGH26Os3/14g11.12.2014

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Morent sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Danzl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 19. Juni 2013, AZ D 188/12, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Mag. Knibbe, und des stellvertretenden Kammeranwalts Dr. Meyenburg zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0260OS00003.14G.1211.000

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Dr. ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt.

Demnach hat er im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts ***** den nicht geständigen M***** ab dem 15. Februar 2012 bis zur Urteilsfällung am 8. Mai 2012 als Verteidiger rechtsfreundlich weiter vertreten, obwohl er im Verfahren AZ ***** der Staatsanwaltschaft ***** zum identen Sachverhalt (Einbruchsdiebstahl am 10. Juni 2011) von Sommer 2011 bis 2. November 2011 den in diesem Verfahren geständigen und den M***** belastenden I***** verteidigt hat.

Der Beschuldigte bekämpft das Erkenntnis des Disziplinarrats mit Berufung wegen Schuld und Strafe (vgl dazu RIS‑Justiz RS0128656).

Der Disziplinarrat stellte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Beschuldigte übernahm im Sommer 2011 die Verteidigung des I*****, dem ein Diebstahl durch Einbruch in ein Juweliergeschäft am 10. Juni 2011 vorgeworfen wurde, verrichtete eine Haftverhandlung und besuchte ihn etwa zehn Mal in der Untersuchungshaft. Ab 2. November 2011 wurde der Genannte durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten. Der Beschuldigte setzte von da an keine weiteren Vertretungshandlungen für ihn.

Dem Beschuldigten war bekannt, dass dem damals noch nicht von ihm vertretenen M***** Beitragstäterschaft zu jenem Einbruchsdiebstahl vorgeworfen wurde. Ihn hat I***** damals noch nicht belastet. Im Jänner 2012 übernahm er die Vertretung des M*****, der sich in Untersuchungshaft befand und ihm mitteilte, dass ihn I***** nun zwar doch belastet hätte, jedoch zu Unrecht, und bereit wäre, dies vor Gericht zu bestätigen. Bei einer daraufhin beantragten Haftverhandlung am 2. Februar 2012 gab I***** an, entgegen seiner früheren Aussage sei M***** nicht am Einbruch beteiligt gewesen. Aufgrund dieser Aussage wurde Letzterer enthaftet.

Nachdem die Anklage gegen I***** daraufhin auf Verleumdung ausgedehnt wurde, belastete er in der ihn betreffenden Hauptverhandlung am 9. Februar 2012 M***** doch neuerlich. Da jenes Verfahren nur gegen Ersteren geführt wurde, war dem Beschuldigten diese Aussage zunächst nicht bekannt.

In der M***** betreffenden Hauptverhandlung am 14. Februar 2012, in welcher der Beschuldigte diesen verteidigte, wurde I***** als Zeuge vernommen. Er wiederholte seine den Genannten belastende Aussage. Das Gericht verhängte in der Verhandlung die Untersuchungshaft über M*****. Am 8. Mai 2012 wurde er anklagekonform verurteilt. Der Beschuldigte meldete zwar ein Rechtsmittel an, aufgrund eines Vollmachtswechsels setzte er aber keine weiteren Vertretungshandlungen.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung verfehlt ‑ auch nach Auffassung der Generalprokuratur ‑ ihr Ziel:

Der Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) zuwider wurden durch die ihrem Vorbringen entgegen sehr wohl erfolgte Abweisung des Antrags auf Beischaffung der die jeweiligen Strafverfahren gegen M***** und I***** betreffenden Strafakten des Landesgerichts ***** „zum Beweis, dass den Disziplinarbeschuldigten an dem gegenständlichen Vorwurf kein Verschulden treffe, er keine Doppelvertretung begangen habe und überdies von der Belastung des B***** nichts gewusst habe“ (S 3 f des Protokolls der Disziplinarverhandlung ON 13) Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Denn mangels konkreter Bezeichnung eines Beweisthemas und Darlegung, weswegen das begehrte Beweismittel zur Klärung desselben geeignet sein könnte, war der Beweisantrag auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis gerichtet (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO iVm § 77 Abs 3 DSt).

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) wurden, jeweils logisch und empirisch einwandfrei, die Feststellungen zum Wissen des Beschuldigten von der Belastung des M***** durch I***** ab der genannten Hauptverhandlung auf die Einlassung des Beschuldigten in der Disziplinarverhandlung (ON 13 S 3 und 5) und jene dazu, dass eine frühere Belastung durch I***** nach der Behauptung des M***** widerrufen werden sollte (ES 6), auf die (verlesene; ON 13 S 5) Anzeige der Staatsanwaltschaft ***** (ON 1 S 2) gestützt (ES 4).

Nach dem Protokoll der Disziplinarverhandlung (ON 13 S 3 und 5) wurde der zentrale Vorwurf einer Weitervertretung des Angeklagten M***** trotz Kenntnis von der Belastung durch I***** ab der Hauptverhandlung vom 14. Februar 2012 ausdrücklich erörtert und vom Beschuldigten zugestanden. Der in Richtung einer Aufklärungsrüge (Z 5a) vorgebrachte Berufungseinwand, der Beschuldigte sei zu diesem Themenbereich nicht befragt worden, ist schon deswegen unberechtigt.

Uneigentliche Doppelvertretung nach § 10 Abs 1 erster Satz RAO liegt vor, wenn ein Anwalt (ua) eine Partei vertritt oder berät, nachdem er die Gegenpartei in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten (oder beraten) hatte (RIS‑Justiz RS0054995). Der Begriff der „Gegenpartei“ iSd § 10 RAO ist nach der Rechtsprechung weit auszulegen, er ist demnach nicht nur auf die formal prozessbeteiligten Personen beschränkt, sondern es ist auch auf den Widerstreit der Interessenlagen abzustellen (24 Os 1/14y mwN). Nach den Feststellungen des Disziplinarrats schritt der Beschuldigte als Verteidiger eines Angeklagten ein, der von einem früheren Mandanten, dem Beteiligung an der selben Tat vorgeworfen worden war, entgegen seiner leugnenden Verantwortung belastet wurde (ES 2 ff, 6). Dies verwirklichte nach dem Gesagten Doppelvertretung nach § 10 Abs 1 erster Satz RAO. Indem der Einwand eines Verstoßes gegen das Überraschungsverbot (Z 8) daran vorbei geht, dass jene Bestimmung durch § 12a RL-BA bloß konkretisiert wurde (24 Os 1/14y), ist er nicht stichhältig. Soweit er sich auf die Tatsachenebene bezieht, ist hervorzuheben, dass der laut verurteilendem Erkenntnis maßgebliche Tatzeitraum von dem im Einleitungsbeschluss angeführten umfasst ist. Gerade der Umstand der Belastung des neuen Mandanten durch den früheren wurde in der Disziplinarverhandlung vom 19. Juni 2013 ausführlich erörtert und der Beschuldigte dazu vernommen.

Die insoweit nicht ausgeführte Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld iSd § 464 Z 2 erster Fall StPO (die vor der Rechtsrüge zu prüfen ist, 25 Os 10/14d mN), weckt keine Bedenken des Obersten Gerichtshofs an vom Disziplinarrat getroffenen Feststellungen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist zu erwidern, dass der Interessenkonflikt den Feststellungen zufolge durch die neuerliche belastende Aussage von I***** in der Hauptverhandlung vom 14. Februar 2012 manifest wurde. Dass eine solche belastende Aussage zu einem typischen Interessenkonflikt zwischen der alten und der neuen Partei führt, ist evident: Mit seiner neuerlichen belastenden Aussage setzt sich der frühere Mandant nicht nur dem strafrechtlichen Risiko einer Anklage wegen Verleumdung, sondern auch zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen des neuen Mandanten aus. Die belastende Aussage des früheren Mandanten kann zur Verurteilung des neuen Mandanten beitragen. Bei einer so grundsätzlich entgegengesetzten Interessenlage kommt es nicht darauf an, ob der Beschuldigte „Sonderwissen“ aus dem früheren Mandat (iSd § 12a Z 2 RL‑BA) zugunsten seines neuen Mandanten verwerten konnte, weshalb das darauf bezogene Berufungsvorbringen ins Leere geht. Ebenso wenig war von Relevanz, ob auch andere Beweisergebnisse zur Verurteilung des neuen Mandanten beitrugen.

Entgegen dem Vorbringen (Z 9 lit b), der vom Kammeranwalt-Stellvertreter in der Disziplinarverhandlung beantragte Freispruch sei als Rücktritt von der Anklage zu werten und eine Verurteilung des Beschuldigten sei daher unzulässig, kommt dem Kammeranwalt nicht die Funktion eines Anklägers zu. Ihm steht, nachdem er den Antrag auf Bestellung eines Untersuchungskommissärs gestellt hat, nicht mehr das Recht zu, die Einstellung des Verfahrens durchzusetzen (RIS‑Justiz

RS0056705, RS0114239; OBDK 4 Bkd 3/04, AnwBl 2005/7991).

Auch der Berufung wegen Strafe, mit welcher der Beschuldigte die Geldstrafe als unangemessen hoch kritisiert, kommt keine Berechtigung zu. Durch eine Doppelvertretung tritt eine erhebliche Beeinträchtigung des Vertrauens der rechtsuchenden Bevölkerung in die Tätigkeiten des Anwaltsstandes ein ( Feil/Wennig, Anwaltsrecht 8 RAO § 10 Rz 18; 24 Os 1/14y). Zu Recht hat der Disziplinarrat darauf hingewiesen, dass das Verhalten des Beschuldigten im Rahmen des Strafverfahrens den beteiligten Richtern und Staatsanwälten, aber auch der Öffentlichkeit zur Kenntnis gelangt ist. Das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen (§ 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) war daher bei der Strafbemessung zu berücksichtigen, des weiteren, dass sich die Doppelvertretung über mehrere Hauptverhandlungstermine erstreckt hat. Die vom Disziplinarrat verhängte Geldbuße von 2.500 Euro ist somit einer Herabsetzung nicht zugänglich.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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