OGH 20Ds14/20v

OGH20Ds14/20v13.4.2021

DerOberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 13. April 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Dr. Mitterlehner als Anwaltsrichter in Gegenwart von OKontr. Kolar als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich vom 22. Juni 2020, AZ D 52/19 (4 DV 4/20), TZ 31, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Kammeranwalts Mag. Kammler und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131611

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht Folge gegeben.

Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der Tat auch unter das Disziplinarvergehen der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes ersatzlos, demzufolge weiters im Strafausspruch aufgehoben und der Beschuldigte für die ihm weiterhin zur Last liegende Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 1. Fall DSt zu einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird er auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 22. Juni 2020 (TZ 31) wurde Rechtsanwalt *sowohl der Berufspflichtenverletzung als auch der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt.

[2] Danach hat er sich mit seinem Mandanten Jürgen Z* „zwischen 2014 und der mündlichen Verhandlung am 22. Juni 2020 weder über die von ihm erbrachten Leistungen noch über die von ihm sowohl von seinem Mandanten als auch dessen Rechtsschutzversicherung inkassierten Beträgen ordnungsgemäß verrechnet“.

[3] Er wurde dafür zu einer Geldbuße von 4.500 Euro verurteilt.

[4] Der Beschuldigte hatte seinen Mandanten Jürgen Z* seit 3. September 2014 in acht Verwaltungs‑(straf)- und einem Sachwalterschaftsverfahren vertreten, wobei er für sein Einschreiten in drei dieser Verfahren zusammen pauschal 1.200 Euro verrechnete und für ein weiteres Verfahren (es handelte sich dabei um den Entzug der Lenkerberechtigung [VerkR*466* der Bezirkshauptmannschaft L*]) einen Kostenvorschuss von 1.440 Euro verlangte. Sein Mandant hat diese Honorarnoten bezahlt. Für die Vertretung in den übrigen Verfahren gab es keine Kostenvereinbarung.

[5] Erst am 30. November 2015 erfuhr der Beschuldigte von seinem Mandanten, dass dieser über eine Rechtsschutzversicherung verfügte, die unter Umständen die Kosten der Verfahren tragen würde. Sein Mandant ersuchte ihn daher anlässlich dieser sowie einer weiteren, am 10. Mai 2016 abgehaltenen Besprechung, die Vertretungsakte mit der Rechtsschutzversicherung abzurechnen, soweit dies möglich sei, und ermächtigte ihn gleichzeitig, die beiden von ihm bereits getätigten Zahlungen von 1.200 Euro und 1.440 Euro (dabei handelt es sich um Bruttobeträge) auf jene Akten zu verrechnen, für die keine oder keine vollständige Rechtsschutzdeckung bestand. Daraufhin fakturierte der Beschuldigte die von ihm erbrachten Leistungen in jenen (drei) Verfahren, für die (dem Grunde nach) Versicherungsdeckung bestand, noch einmal, diesmal aber nach dem RATG und überreichte sie der Rechtsschutzversicherung. Wegen eines Berechnungsfehlers kam es mit Bezug auf die gegenüber der Rechtsschutzversicherung verrechneten und von dieser gedeckten Verfahren in der Folge zu einer Nachverrechnung seitens des Beschuldigten im Ausmaß von 1.109,02 Euro, die von der Versicherung ebenfalls anerkannt wurde. Sie leistete daher zwei Zahlungen an den Disziplinarbeschuldigten, und zwar 5.010,49 Euro am 7. April 2016 und 1.109,02 Euro am 24. Oktober 2016. Damit waren die Kosten für drei der vier Verfahren, für die der Mandant bereits Zahlung geleistet hatte, zur Gänze gedeckt.

[6] Das letzte Gespräch zwischen dem Beschuldigten und seinem Mandanten einerseits über dessen Kosten und andererseits über die (im April 2016) erfolgte Zahlung der Rechtsschutzversicherung gab es am 10. Mai 2016. Danach fanden keine Gespräche mehr statt, und erfolgte auch keine weitere Verrechnung, selbst nachdem Jürgen Z* am 12. September 2016 eine Kostenbeschwerde eingebracht hatte. Auf diese reagierte der Beschuldigte lediglich mit seiner Stellungnahme vom 30. September 2016 gegenüber der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich.

Rechtliche Beurteilung

 

[7] Gegen das Erkenntnis richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruches über Schuld (RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe. Der Kammeranwalt beantragte in seiner Gegenausführung, der Berufung nicht Folge zu geben.

[8] Vor der Auseinandersetzung mit den einzelnen Berufungsgründen ist voranzustellen, dass ein Rechtsanwalt die uneingeschränkte Verpflichtung hat, nach Abschluss seiner Tätigkeiten eine detaillierte Abrechnung zu erstellen und diese dem Klienten (vorzugshalber in Form einer Honorarnote) zukommen zu lassen. Diese Verpflichtung gilt – im Gegensatz zu den Rechtsmittelausführungen – unabhängig davon, ob der Abrechnung ein dahingehendes ausdrückliches Verlangen des Mandanten zugrunde liegt. Die dargestellte Verpflichtung ergibt sich nach herrschender Ansicht aus § 9 Abs 1 RAO, wonach die übernommene Vertretung dem Gesetz gemäß zu führen ist und die Rechte der Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten sind, sowie aus § 15 RL‑BA 2015, der den Honoraranspruch des Rechtsanwalts näher spezifiziert (Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 9 RAO Rz 13; Engelhart, aaO, §§ 15, 16 RL‑BA Rz 5; RIS‑Justiz RS0106285; RS0055118; jüngst 24 Ds 4/17y). Verstärkt ist diese allgemeine Verrechnungspflicht naturgemäß dann, wenn der Rechtsanwalt – unter anderem zur Deckung seiner Kosten – im Besitz von Geld oder anderen Vermögenswerten ist, die entweder von seinem Mandanten stammen oder aber für diesen bestimmt sind (§ 19 Abs 1 RAO bzw § 13 RL‑BA 2015). Demgemäß wurde von der Rechtsprechung die Verpflichtung zur (unverzüglichen und detaillierten) Verrechnung bei Vorliegen einer Akontozahlung (24 Ds 4/17y; RIS‑Justiz RS0055626) oder aber bei Vorhandensein einer Vereinbarung, das Honorar vom Treuhanderlag abzuziehen (RIS‑Justiz RS0055118 [T3]), betont. Es genügt daher – entgegen der offenbaren Meinung des Beschuldigten – nicht, dass der Rechtsanwalt tatsächlich Leistungen im Hinblick auf die erhaltenen Vorschüsse erbracht hat, die er dann anrechnet; er muss vielmehr zusätzlich einen konkreten Abrechnungsakt setzen (RIS‑Justiz RS0055629 [T3]). Sinn und Zweck dieser Verpflichtung liegen auf der Hand: der Mandant hat ein Recht darauf, so schnell und genau wie möglich zu erfahren, ob und in welchem Ausmaß seine Vorschüsse oder sonstigen Vermögenswerte in der Hand seines Rechtsanwaltes für Kosten und Aufwendungen verbraucht sind oder ob er sogar noch zusätzlich etwas zu bezahlen hat. Ersteres deckt sich mit dem Regelungsinhalt der § 13 RL‑BA bzw § 19 Abs 2 RAO.

[9] Die Mängelrüge (Z 5) kritisiert die Feststellung des Disziplinarrats, wonach der Beschuldigte „… gemäß dem Ersuchen bzw. der Anweisung des Jürgen Z* vom 30. 11. 2015 und vom 10. 5. 2016 … berechtigt war, die [richtig] Zahlungen des Mandanten auf jene Leistungen zu verrechnen, für die keine Rechtsschutzversicherung bestand“, als undeutlich und unvollständig. Der Disziplinarrat hätte aufgrund entsprechender Einlassung des Nichtigkeitswerbers im Verfahren vor diesem zusätzlich feststellen müssen, dass in der Besprechung am 10. Mai 2016 sämtliche Akten im Detail durchgegangen worden wären und dass sich der Mandant danach bewusst gewesen ist, dass die bereits bezahlten 1.200 Euro bzw 1.440 Euro auf alle anderen „… in der Kanzlei des Berufungswerbers bearbeiteten Akten sodann umgerechnet bzw. abgerechnet wurden.“. Sie nimmt damit – mit Blick auf die weiteren von ihr nicht beanstandeten Feststellungen – nicht Bezug auf eine entscheidende Tatsache, enthebt doch die Verrechnungsbefugnis des Rechtsanwalts gegen Akontoleistungen oder sonstige bei ihm erliegenden Beträge diesen nicht von der detaillierten und genauen (Gesamt‑)Abrechnung (vgl RIS‑Justiz RS0106285).

[10] Der Rüge zuwider hatte der Disziplinarrat ohnehin das ausdrückliche Einverständnis des Jürgen Z* festgestellt, die bereits erfolgten Zahlungen mit den nicht oder nicht vollständig durch die Rechtsschutzversicherung gedeckten Kosten zu verrechnen (vgl § 13 RL‑BA). Dass diese Verrechnung nicht schon in der Besprechung am 10. Mai 2016 abgeschlossen war, ergibt sich nicht nur daraus, dass die Leistungsaufstellungen des Beschuldigten erst sieben Tage danach (nämlich vom 17. Mai 2016) datieren (selbst im Aktenvermerk des Beschuldigten vom 10. Mai 2016, Beilage ./17, ist lediglich davon die Rede, dass er mit seinem Mandanten die Akten im Detail durchgegangen ist), sondern auch aus der Tatsache, dass der Beschuldigte über einen Teil seiner Verfahrenskosten erst am 7. November 2016 (es handelte sich dabei um die Abrechnung mit der Nr 16/495) eine Honorarnote ausstellte, ohne sie allerdings im Verfahren über die Kostenbeschwerde vorzulegen oder seinem Mandanten zu übermitteln (ES 14).

[11] Soweit der Berufungswerber im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet, sein Mandant habe in der Besprechung am 10. Mai 2016 alle die Leistungsaufstellungen erhalten, „aus welchen die korrekte Abrechnung für die Mandanten ersehen werden konnte“ (wobei er – in einem gewissen Gegensatz dazu – nur einen Absatz weiter behauptet, die Leistungsverzeichnisse, die eine Woche später datieren, übermittelt zu haben), geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus (vgl gerade eben).

[12] Dazu kommt, dass der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt noch der Meinung war, er müsse gegen die beiden Zahlungen seines Mandanten nicht nur Kosten aus den dem Grunde nach nicht gedeckten Akten, sondern auch noch offene Honorare aus den gedeckten Verfahren verrechnen, wie es sich im Übrigen auch aus der gegenüber der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich am 30. September 2016 erstatteten Abrechnung ergibt und wie der Disziplinarrat (ES 12) ausdrücklich festgestellt hat. Erst mit der weiteren Zahlung der Rechtsschutzversicherung am 24. Oktober 2016 wurden die 1.200 Euro bzw 1.440 Euro vollständig zur Verrechnung mit den Kosten aus den anderen Verfahren frei. Schon aus diesem Grund hätte sich der Beschuldigte auch über die Verwendung der zweiten Zahlung der Rechtsschutzversicherung und deren Auswirkungen auf die übrigen Kosten verrechnen müssen – dies getan zu haben, behauptet der Rechtsmittelwerber nicht einmal.

[13] Außerdem bestand – worauf der Disziplinarrat hinwies – bis zur Honorarnote Nr 16/459, die zwar das Datum 7. November 2016 trägt, aber erst in der Verhandlung vom 22. Juni 2020 vorgelegt wurde, jedenfalls rechnerisch ein Rückzahlungsanspruch des Mandanten von 103,51 Euro. Der Berufung zuwider blieb damit die Verantwortung des Beschuldigten, am 10. Mai 2016 im Detail sämtliche Akten durchgegangen zu sein, keineswegs unberücksichtigt (Z 5 zweiter Fall), war doch der Disziplinarrat ebenfalls von einem Gespräch über die Verrechnung der Kosten an diesem Tag ausgegangen. Er durfte aber aus den sonstigen Verfahrensergebnissen willkürfrei den Schluss ziehen, dass damit die notwendige Verrechnung sämtlicher Kosten noch nicht erfolgt, zumindest aber noch nicht endgültig abgeschlossen war.

[14] Der Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) verkennt, dass eine Anfechtungsmöglichkeit nur dann vorliegt, wenn der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage oder einer Urkunde in seinen wesentlichen Teilen im Text des Erkenntnisses selbst unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wird (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 466 ff); Feststellungen scheiden als Anfechtungsbasis aus (RIS‑Justiz RS0099547 [T6, T9]).

[15] Soweit der Beschuldigte in der rechtlichen Würdigung seines Verhaltens durch den Disziplinarrat eine Überschreitung der durch den Einleitungsbeschluss gezogenen Grenzen und einen Verstoß gegen das aus Art 6 MRK gewährleistete Überraschungsverbot (dazu etwa 20 Os 10/16w) releviert, ist zunächst darauf zu verweisen, dass die rechtliche Bedeutung des Einleitungsbeschlusses im Disziplinarverfahren, anders als die Anklage im gerichtlichen Strafverfahren, die bei sonstiger Nichtigkeit nicht überschritten werden darf (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO), allein darin liegt, den Sachverhalt so zu beschreiben, dass ein Disziplinarbeschuldigter zweifelsfrei erkennen kann, worüber im weiteren Verfahren abgesprochen werden wird. Anders als die Anklageschrift, die auch eine rechtliche Wertung des Anklagesachverhalts vorzunehmen hat, dient der Einleitungsbeschluss nur dazu, den Prozessgegenstand auf Sachverhaltsebene abzugrenzen (21 Ds 3/18f). Demnach ist es nicht erforderlich, dass der Einleitungsbeschluss jedes Detail der Tathandlung beschreibt (RIS‑Justiz RS0056014 [T9] = RS0056153 [T9]). Da der Einleitungsbeschluss darüber hinaus lediglich den Charakter einer prozessleitenden Verfügung hat, die keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die rechtliche Subsumtion der dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlungsweise als Disziplinarvergehen enthält (Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 28 DSt; Rz 4; RIS‑Justiz RS0056978), kann das Erkenntnis damit sogar über die im Einleitungsbeschluss bezeichneten Anschuldigungspunkte hinausgehen, ohne dass dadurch gegen Verfahrensprinzipien verstoßen würde (RIS‑Justiz RS0056014).

[16] Wurde über ein im Einleitungsbeschluss noch nicht explizit erwähntes Sachverhaltsdetail darüber hinaus mündlich verhandelt und war es dem Beschuldigten bewusst, dass hinter dem Gegenstand der Verhandlung ein disziplinarrechtlicher Verfolgungswille stand, kann ein derartiger Sachverhalt zulässiger Weise Gegenstand des Schuldspruches sein – immer vorausgesetzt, der Beschuldigte hatte die Möglichkeit zur ausreichenden Verteidigung und Beschaffung der erforderlich erscheinenden Beweismittel (20 Ds 13/17t; RIS‑Justiz RS0056978). Die Änderung oder Erweiterung des Verfahrensgegenstandes erfolgt dann im Rahmen der mündlichen Disziplinarverhandlung ohne weitere Formerfordernisse (RIS‑Justiz RS0056978 [T3]).

[17] Tatsächlich war Ausgangspunkt des später eingeleiteten Verfahrens die (undatierte) und am 12. September 2016 bei der OÖ Rechtsanwaltskammer eingebrachten Beschwerde des Mandanten des Beschuldigten, die die Kammer als Kostenbeschwerde bzw Kostenüberprüfungsantrag im Sinne der § 19 Abs 2 RAO und § 28 Abs 1 lit f RAO auffasste. Kern derartiger Beschwerden ist dabei eine von Seiten des Mandanten bemängelte Kostenverrechnung des Rechtsanwalts. Dahinter steht der – nicht unbedingt disziplinarrechtliche – Vorwurf, die Erfordernisse einer ordnungsgemäßen Abrechnung bzw das Gebot des peniblen Umgangs mit Kostenvorschüssen und Akontozahlungen missachtet zu haben. Die Tat- bzw Sachverhaltsebene umfasste den möglichen – unter Umständen auch disziplinarrechtlich relevanten – Vorwurf, der Beschuldigte habe seine Kosten, vor allem im Zusammenhang mit der vom Disziplinarrat konstatierten Widmung der bis dahin geleisteten Zahlung, nicht oder zumindest nicht so abgerechnet, dass sie für den Mandanten plausibel waren. Auch der Beschuldigte sieht den dahingehenden Zusammenhang, stellt er doch bei seinem Verjährungseinwand auf die „Kostenbeschwerde“ seines Mandanten als Zeitpunkt der Kenntnisnahme der OÖ Rechtsanwaltskammer vom Disziplinarvergehen ab.

[18] Vorliegend betraf der Einleitungsbeschluss (TZ 14) den Vorwurf, der Beschuldigte habe „im Zusammenhang mit der Vertretung des Jürgen Z* in den Verfahren VerkR*36071*, VerkR*31171*, VerkR*11047*, Sich*325*, BHMT*8009*, Führerscheinentzugsverfahren VerkR*466* und in einem Sachwalterverfahren“ „das Gebot der peniblen Geldgebarung und des korrekten Umgangs mit Klientengeldern und das Gebot des Erfordernisses einer ordnungsgemäßen Abrechnung verletzt“; dabei wurde von (a./) einer „eigenmächtige[n] Nachverrechnung gegenüber der Rechtsschutzversicherung des Anzeigers trotz zuvor vereinbartem und von Jürgen Z* geleistetem Pauschalhonorar in der Höhe von 1.200 €“ „für die Verfahren VerkR*36071*, VerkR*31171* [in der Folge berichtigt auf: VerkR*11047*] und vollständiger Kostenübernahme der Rechtsschutzversicherung für die Verfahren VerkR*36071*, VerkR*31171*“ und weiters (b./) von einer „widmungswidrige[n] Verwendung des ursprünglich für das Führerscheinentzugsverfahren VerkR*466* geforderten und erhaltenen Kostenvorschusses in Höhe von 1.440 €“ „für andere offene Honorarnoten nach vollständiger Kostenübernahme durch die Rechtschutzversicherung“ ausgegangen.

[19] Dass der Disziplinarrat in seinem Einleitungsbeschluss daraus (lediglich) die Nachverrechnung gegenüber der Rechtsschutzversicherung und eine widmungswidrige Verwendung von Kostenvorschüssen inkriminierte, stellt danach lediglich die von ihm vorgenommene rechtliche Subsumierung des Sachverhalts dar, die aber nicht verfahrensbegrenzend wirkt. Das Gleiche gilt für die vom Beschuldigten vorgenommene Unterscheidung des Vorwurfs nach Dauer- oder Zustandsdelikt.

[20] Zutreffend weist die Generalprokuratur darauf hin, dass der Disziplinarrat bereits eingangs der mündlichen Disziplinarverhandlung die Unübersichtlichkeit der Abrechnung relevierte und dabei ausdrücklich auf die „Thematik einer bis dahin nicht bzw. nur schweren Nachvollziehbarkeit der Abrechnung“ hinwies, womit unzweifelhaft erkennbar war, worauf sich der Verfolgungswille des Disziplinarrats (auch) richtete. Das Gleiche galt für die Fragen, wie der Beschuldigte die Kostenvorschüsse und die Leistungen des Rechtsschutzversicherers abgerechnet und dies seinem Mandanten erklärt habe.

[21] Selbst wenn man annehmen wollte, der Disziplinarrat habe mit der eingangs der Verhandlung in den Mittelpunkt gestellten Thematik der fehlenden bzw nicht ordnungsgemäßen Abrechnung das Verfahren über den Einleitungsbeschluss hinaus darauf ausgedehnt, ist für den Beschuldigten nichts gewonnen: Die vom Gesetz (§ 36 Abs 2 DSt) in einem solchen Fall geforderte Zustimmung des Disziplinarbeschuldigten kann nämlich – unter sinngemäßer Anwendung des § 263 Abs 2 StPO – nicht nur ausdrücklich, sondern auch durch schlüssiges Verhalten erteilt werden. Eine solche schlüssige Zustimmung ist diesfalls bereits dann anzunehmen, wenn sich der Disziplinarbeschuldigte in die Verhandlung zum ausgedehnten Faktum einlässt und der Ausdehnung nicht ausdrücklich widerspricht (RIS‑Justiz RS0108959; RS0118886). Das war insoweit der Fall, als gerade die Ordnungsgemäßheit und Vollständigkeit der Abrechnung den größten Teil der Verhandlung einnahm, ohne dass der Beschuldigte dagegen Widerspruch erhob. Auch an einer ordnungsgemäßen Verteidigung seiner Position war er nicht gehindert, lagen doch alle Unterlagen zur Abrechnung bereits aus dem Verfahren über die Kostenbeschwerde vor und wurden im Disziplinarverfahren verlesen. Außerdem hat der Beschuldigte ohnehin von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich hinsichtlich der Vollständigkeit seiner Abrechnung bzw dem Verbrauch der Kostenvorschüsse zu rechtfertigen, legte er doch eine – bis dahin noch nicht bekannte – weitere Honorarnote vor, um zu beweisen, dass sein Mandant keinen Rückzahlungsanspruch mehr besaß.

[22] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) § 16 RL‑BA 1977 und § 13 RL‑BA 2015 als „nicht anwendbar“ bezeichnet, zeigt sie ebenfalls keine unrichtige Rechtsanwendung auf. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Verurteilung war zwar der Verstoß gegen die in § 9 RAO fußende Verletzung der Abrechnungspflicht, doch hatte der Beschuldigte selbst sich darauf berufen, seine Kostenforderungen mit den ursprünglich für andere Verfahren bestimmte Zahlungen verrechnen zu dürfen (ES 7). Damit erhielten sie eine Zweckrichtung, deren Beachtung die genannten Bestimmungen der Richtlinien im Auge haben. Die Erfüllung des damit intendierten Verwendungszwecks ist aber nur dann gewährleistet, wenn die Abrechnung richtig, vollständig und nachvollziehbar erfolgt, was sie – vom Beschuldigten im Ergebnis zugestanden – bis zuletzt nicht war. Da die Zahlungen des Jürgen Z* unter anderem dazu dienten, mit jenen noch offenen Leistungen aus Verfahren, die an sich Versicherungsschutz genossen, verrechnet zu werden, lässt das Berufungsvorbringen allein mit dem Hinweis auf die Besprechung vom 10. Mai 2016 und ein vom Disziplinarrat letztlich errechnetes Guthaben zugunsten des Beschuldigten nicht erkennen, weshalb die bei diesem eingelangte Zahlung des Rechtsschutzversicherers am 24. Oktober 2016 zu keiner Abrechnungspflicht hätte führen sollen, um den Mandanten darüber zu informieren, dass durch die Zahlung der Rechtsschutzversicherung ein Teil der Vorschüsse für die sonstigen Kosten wieder „frei“ geworden war. Das ist eben die Aufgabe einer richtigen, vollständigen und nachvollziehbaren (detaillierten) Abrechnung (RIS‑Justiz RS0055041; RS0107049 [T4]; RS0055109; RS0112872)

[23] Der gegen die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts (auch) als Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 1. Fall DSt erhobene Einwand, ein Rechtsanwalt handle „bei Geltendmachung seines Honorars“ nicht als Parteienvertreter, sondern in eigener Sache (der Sache nach Z 10), geht fehl: Die aus § 9 RAO und § 50 RL‑BA 1977 bzw § 15 RL‑BA 2015 abgeleitete Pflicht zur Rechnungslegung und der ordnungsgemäßen Verrechnung stellt nämlich eine genuin auf das Verhältnis zum Mandanten hin ausgestaltete Verpflichtung dar (Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 9 RAO Rz 13; Engelhart, aaO, §§ 15, 16 RL‑BA Rz 5; 24 Ds 4/17y; RIS‑Justiz RS0124021; RS0106285; RS0055118; RS0055109 sowie die im vorigen Absatz zitierten Rechtssätze).

[24] Der Einwand der Verjährung (Z 9 lit b) leitet nicht aus dem Gesetz ab, weshalb die einjährige Frist des § 2 Abs 1 Z 1 DSt bereits mit der am 12. September 2016 bei der OÖ Rechtsanwaltskammer eingelangten und als Kostenbeschwerde beurteilten Bemängelung des Jürgen Z* und nicht mit Kenntnis des Kammeranwalts von einem daraus ableitbaren disziplinären Verhalten zu laufen begonnen habe. Dass entsprechend § 22 Abs 1 DSt, „alle [...] bei der Rechtsanwaltskammer einlangende Anzeigen wegen eines Disziplinarvergehens […] zunächst dem Kammeranwalt zuzuleiten sind“, steht dem klaren Wortlaut des Gesetzes, wonach die Verjährungsfrist erst mit Kenntnis des Kammeranwalts beginnt (ebenso Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 2 DSt Rz 4; Gartner in Coklich/Scheuber 3 116; Feil/Wenig, Anwaltsrecht8 § 2 DSt, 881) nicht entgegen. Dazu kommt noch, dass nach der Rechtsprechung (15 Bkd 2/09) vom Gesetz gerade intendiert ist, dass der Kammeranwalt seine Kenntnis vom Sachverhalt gerade und nur in der Funktion als Organ der Rechtsanwaltskammer erlangt haben muss, um die Verjährungsfrist auszulösen. Überdies ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die Rechtsanwaltskammer als auch der Beschuldigte die Beschwerde des Jürgen Z* vom September 2016 nicht als (Disziplinar‑)Anzeige, sondern vielmehr als reine Kostenbeschwerde aufgefasst haben. Auch für den Disziplinarbeschuldigten lag es also keineswegs nahe, es könnte durch Weiterleiten der Beschwerde an den Kammeranwalt (§ 22 Abs 2 DSt) ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet werden.

[25] Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass der inkriminierte Sachverhalt dem Kammeranwalt erst nach der Durchführung des Kostenprüfungsverfahrens vor dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer, in welchem * noch am 9. August 2018 Stellung nahm, zur Kenntnis gelangte (ES 2, 4 und 15; Akt K 54/18) und dieser am 26. Juli 2019 (ES 2; TZ 1) die Einleitung des Disziplinarverfahrens beantragte, weshalb am 30. Juli 2019 der Untersuchungskommissär bestellt wurde (TZ 2).

[26] Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld erschöpft sich im Wesentlichen im Verweis auf die Ausführungen zur Mängel- und Rechtsrüge, der Bestreitung einer noch offenen Forderung des Mandanten bis zur Vorlage der Honorarnote Nr 16/493 sowie in der Behauptung, der Disziplinarrat hätte bei richtiger Beweiswürdigung einen Freispruch fällen müssen. Damit gelingt es nicht, Bedenken an der Lösung der Schuldfrage durch den Disziplinarrat zu wecken, der sich eingehend mit den Verfahrensergebnissen auseinandersetzte und – vor dem Hintergrund der zutreffenden rechtlichen Beurteilung – auch schlüssig dargelegt hat, wie er zu seinen Feststellungen kam.

[27] Zutreffend weist die Generalprokuratur allerdings darauf hin, dass die Unterstellung der Tat auch unter § 1 Abs 1 2. Fall DSt rechtsfehlerhaft ist (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO): Eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes setzt nämlich voraus, dass das Fehlverhalten eine gewisse Publizitätswirkung entfaltet hat (Feil/Wenig, Anwaltsrecht8 § 1 DSt, 859; Engelhart et al, RAO10 § 1 DSt Rz 12). Nach der Rechtsprechung ist das der Fall, wenn entweder die Tat einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangte oder wenn das Fehlverhalten so schwerwiegend war, dass selbst mit einer auf wenige Personen beschränkten Kenntnis die Gefahr der Beeinträchtigung verbunden ist (RIS‑Justiz RS0054927; RS0054876). Hinweise darauf enthält das angefochtene Erkenntnis nicht. Vorliegend wurde der am 12. September 2016 bei der OÖ Rechtsanwaltskammer einlangenden Beschwerde (bzw der weiteren Beschwerde aus dem Jahr 2018) lediglich der zuständigen Abteilung des Ausschusses zur Prüfung und schließlich dem Kammeranwalt zur Kenntnis gebracht, der die Einleitung des Disziplinarverfahrens beantragte. Die Kenntnis eines disziplinaren Sachverhalts durch die Funktionäre einer Rechtsanwaltskammer scheidet von vornherein zur Deliktsverwirklichung aus (Engelhart et al, RAO10 § 1 DSt Rz 14), womit das (Mindest-)Erfordernis der Kenntnis mehrerer Personen vom disziplinären Verhalten nicht verwirklicht wurde.

[28] Dieser Teil des Schuldspruchs war daher ersatzlos zu kassieren.

[29] Bei der wegen daraus folgender Aufhebung des Strafausspruchs notwendigen Sanktionsneubemessung war zu bedenken:

[30] Dem formal gesehen langen Zeitraum der Deliktsverwirklichung kommt insoweit der typischerweise damit verbundene erschwerende Charakter nicht zu, als der Beschuldigte ursprünglich davon ausgehen musste, dass seine im Rahmen der Kostenbeschwerde am 30. September 2016 erstattete Abrechnung ausreichend war und akzeptiert wurde, ist er doch erst zwei Jahre später zu einer Ergänzung aufgefordert worden. Tatsächlich bestand – auch wenn die Abrechnung im Detail bis zuletzt fehlerhaft geblieben war – während der gesamten Zeit materiell kein Anspruch des Mandanten auf Rückzahlung der überwiesenen Beträge. Bei der Abrechnung zum 30. September 2016 hatte der Beschuldigte nämlich – zusätzlich zu der jetzt vorliegenden Endabrechnung – noch offene Forderungen aus den dem Grunde nach rechtsschutzversicherten Verfahren, die einer Rückzahlungspflicht entgegenstanden. Nach der Zahlung der Rechtsschutzversicherung, die der Beschuldigte zweifelsohne gegenüber seinem Mandanten offenlegen und verrechnen hätte müssen (hatte er doch einen allfälligen Rückzahlungsanspruch mit noch offenen Forderungen auch aus diesen Akten verneint), verblieb rechnerisch nur mehr ein relativ geringfügiger Betrag von etwas mehr als 100 Euro, dem aber tatsächlich weitere Kostenforderungen gegenüber standen. Letztlich ging es, nachdem der Beschuldigte ohne jeden Zweifel berechtigt war, die erlangten Zahlungen gegenüber den Kosten aus anderen Verfahren zu verrechnen, aus Sicht seines Mandanten nur darum, ob dieser noch eine Rückzahlung fordern konnte oder nicht. Schon aufgrund dieses (eingeschränkten) Tatunrechts war die Geldbuße entsprechend geringer anzusetzen. Was den Schuldgehalt anlangt, ist dem Beschuldigten zwar seine Ungenauigkeit und Nachlässigkeit im Umgang mit der Abrechnung der Verfahrensakten ebenso vorzuwerfen wie die teilweise Nichtoffenlegung der Zahlung der Rechtsschutzversicherung, doch konnte er – worauf schon einleitend hingewiesen wurde – erwarten, sein Mandant sei mit der am 30. September 2016 erstatteten Abrechnung einverstanden.

[31] Da die noch nicht getilgte Vorverurteilung aufgrund ihres Inhalts mit dem aktuellen Tatvorwurf nicht zu vergleichen ist, stellte sie keinen Erschwerungsgrund dar, hindert aber die Annahme des Milderungsgrundes des bisher ordentlichen Wandels.

[32] Besondere Milderungs‑ oder Erschwerungsumstände waren daher nicht festzumachen. Hält man sich vor Augen, dass der Beschuldigte sich durch seine Nachlässigkeit letztlich honorarmäßig selbst schädigte, war mit der aus dem Spruch ersichtlichen Sanktion das Auslangen zu finden.

[33] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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