Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit S 6.499,20 (darin enthalten S 1.083,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger kündigte der Beklagten die in seinem Wohnungseigentum stehende Wohnung zum 30.4.1995 auf. Als Kündigungsgrund machte er Eigenbedarf gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG geltend, wozu er ausführte, die Wohnung für sich selbst zu benötigen, weil er seinen Ruhestand in W***** verbringen möchte (AS 1).
Die Beklagte wendete ein, daß der Eigenbedarf des Klägers nicht gegeben sei, weil er seit Jahren „unangefochten“ in einem Haus in L*****, das zu 2/3 im Eigentum seiner Ehegattin und zu 1/3 im Eigentum seines Schwiegervaters stehe, wohne.
Der Kläger replizierte darauf, zwischen ihm und seinem Schwiegervater sei es mehrfach zu Streitigkeiten gekommen; das sei mit ein Grund, weshalb er dringend nach W***** übersiedeln wolle.
Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung vom 12.9.1994 für rechtswirksam und erkannte die Beklagte schuldig, das Bestandobjekt zum 30.4.1995 zu räumen und dem Kläger geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben. Der Kläger sei seit 1970 Wohnungseigentümer der 60 m2 großen Wohnung. Bis zum Jahre 1975 habe er diese selbst bewohnt. 1975 sei er nach V***** übersiedelt, weil die dort lebende Gattin des Klägers ein Kind erwartet und er in diesem Bundesland einen Arbeitsplatz gefunden habe. Seither habe er gemeinsam mit seiner Ehegattin, seinem Sohn und den Schwiegereltern in einem Haus, das seit dem Tod der Schwiegermutter des Klägers im Jahre 1990 zu 2/3 im Eigentum dessen Ehegattin und zu 1/3 im Eigentum dessen Schwiegervaters stehe. Das Haus weise eine Wohnfläche von etwa 120 m2 auf, es seien nur ein WC, eine Küche und ein Bad vorhanden. Diese Räumlichkeiten müßten vom Kläger, dessen Ehegattin und auch vom Schwiegervater gemeinsam benützt werden. Lediglich das Schlafzimmer stünde dem Kläger und dessen Ehegattin zur alleinigen Verfügung. Zwischen dem Kläger und seinem Schwiegervater gebe es ständig Streit und Spannungen, die sich zuletzt immer mehr verstärkt hätten. Der Schwiegervater des Klägers beschimpfe diesen häufig völlig grundlos. Die aufgekündigte Wohnung sei ab 1975 eine Zeit hindurch leer gestanden; am 1.1.1983 habe sie der Kläger an die Beklagte vermietet. Der mit fünf Jahren befristete Mietvertrag hätte am 31.12.1988 enden sollen. Der Vertragsablauf sei nicht beachtet worden. Der Kläger habe die Beklagte etwa einmal jährlich aufgesucht, wobei er darauf hingewiesen habe, daß sie die Wohnung verlassen müsse, wenn er diese selbst nach seiner Pensionierung benötigen werde. 1992 sei der Kläger in den Ruhestand getreten und habe die Beklagte ersucht, die Wohnung zu verlassen, damit er nach W***** übersiedeln könne. Die Beklagte habe dies abgelehnt. Die 87jährigen Eltern des Klägers lebten ebenso wie drei seiner Geschwister in W***** bzw in unmittelbarer Umgebung der Stadt. Der Kläger wolle als gebürtiger W*****er in seine Heimatstadt ziehen und mit seinen Familienangehörigen verstärkten Kontakt pflegen.
Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht dahin, daß ein „echter Notstand“ im Sinne der zu § 30 Abs 2 Z 8 MRG ergangenen Judikatur vorliege. Der Kläger, der nur aus beruflichen Gründen viele Jahre lang in einem weit entfernten Bundesland gelebt habe, verfüge in seinem Heimatort W***** bzw in der näheren Umgebung über keine wie immer geartete Wohnmöglichkeit.
Das Berufungsgericht hob das Urteil der ersten Instanz auf und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Es billigte die Rechtsansicht der ersten Instanz insoweit, als es die unbedingte Notwendigkeit des Wohnsitzwechsels des Klägers und damit dessen Eigenbedarf an der aufgekündigten Wohnung bejahte. Dennoch gelangte es zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung, weil das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung vom Fehlen jeglicher Wohnmöglichkeit des Klägers in W***** ausgegangen sei, dieser Annahme aber keine entsprechenden Feststellungen bzw Beweisergebnisse zugrundelägen. Hiefür sei der Kläger behauptungs- und beweispflichtig, es bedürfe aber dessen entsprechenden Anleitung, weil er im erstinstanzlichen Verfahren unvertreten gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Beklagten gegen diesen Aufhebungsbeschluß ist berechtigt, führt aber entgegen den Intentionen der Rechtsmittelwerberin zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Der erkennende Senat billigt ebenso wie das Gericht zweiter Instanz die Rechtsansicht des Erstgerichts, daß Eigenbedarf des Klägers an seiner Eigentumswohnung vorliege. Gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG ist es als wichtiger Grund anzusehen, der den Vermieter zur Kündigung des Wohnungsmietvertrags berechtigt, wenn der Vermieter die gemieteten Wohnräume unter anderem für sich selbst dringend benötigt, wobei zufolge lit b leg cit bei einer vom Wohnungseigentümer nach Wohnungseigentumsbegründung vermieteten Eigentumswohnung - wie hier - die sonst vorzunehmende Interessenabwägung entfällt. Der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 8 MRG entspricht dem des § 19 Abs 2 Z 5 MG. Unterschiedlich ist nur der jeweils vorgesehene Entfall der Interessenabwägung. Unter dringendem Eigenbedarf ist nach bisheriger Rechtsprechung eine zumindest notstandsähnliche Situation zu verstehen, die nur dann zu bejahen sei, wenn der Wohnbedarf des Vermieters oder seiner begünstigten Verwandten jedenfalls nur so unzulänglich gedeckt sei, daß eine unabweisliche Notwendigkeit vorliege, diesen Mangel so bald als möglich zu beseitigen. Die wörtliche Übernahme des Kündigungstatbestands des § 19 Abs 2 Z 5 MG in die neue Regelung spreche für die Annahme, daß die jahrzehntelange Auslegung der alten Bestimmung - die sich an den tristen Verhältnissen der Kriegs- und Nachkriegszeit orientierte - weiter aufrecht zu erhalten sei, wäre es doch dem Gesetzgeber freigestanden, gegen diese Auslegung eines unbestimmten Gesetzesbegriffs etwas zu unternehmen, weshalb keine Anhaltspunkte für ein neues, den geänderten Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt entsprechendes Verständnis der Eigenbedarfsbestimmung vorliege. Der für das Erfordernis des dringenden Eigenbedarfs angelegte Maßstab dürfe daher trotz leichter Entspannung auf dem Wohnungsmarkt nicht gelockert werden, wenngleich recht unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden (1 Ob 507/95; WoBl 1994, 29; WoBl 1993, 15; WoBl 1991, 17; MietSlg 41.355/19 uva). Auf die gegen diese Rechtsauffassung erhobenen erheblichen Bedenken der Lehre (Würth in Rummel, ABGB2 Rz 36 zu § 30 MRG; Call in WoBl 1993, 17; Gimpel-Hinteregger, „Notstand“ und „Existenzgefährdung“ - Die Rechtsprechung des OGH zum Kündigungsgrund des dringenden Eigenbedarfes nach § 30 Abs 2 Z 8 und Z 9 MRG in JBl 1988, 16 ff ua) muß im vorliegenden Fall aber nicht weiter eingegangen werden, weil auch nach der zitierten ständigen Judikatur von einem Eigenbedarf des Klägers auszugehen ist:
Nach wie vor gilt der im bürgerlichen Recht im § 354 ABGB verankerte Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum, der nur dort nicht zum Tragen kommt, wo entgegenstehende Bestimmungen, wie etwa die Kündigungsbeschränkungen des MRG, eine Ausnahme verfügen. Auch wenn diese Bestimmungen die Eigenbedarfskündigung auf den Fall der unbedingten Notwendigkeit einschränken, kann daraus doch nicht abgeleitet werden, daß der Vermieter zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses grundsätzlich auf eine nicht in seinem Eigentum stehende Wohnmöglichkeit verwiesen werden müsse. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Eigentümer einer Wohnung in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen wolle und dürfe. Gerade § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG läßt erkennen, daß auch der Gesetzgeber die Absicht einer Person, den Wohnbedarf in einer Eigentumswohnung zu befriedigen, dadurch privilegiert, daß er in solchen Fällen von einer Interessenabwägung absieht. Daraus folgt, daß der Vermieter, der über keine ausreichende Wohnmöglichkeit verfügt, im allgemeinen mit seiner Eigenbedarfskündigung nicht schon deshalb auf die Möglichkeit einer anderweitigen Wohnungsnahme verwiesen werden darf, weil eine solche Wohnmöglichkeit an sich gegeben wäre (1 Ob 507/95; WoBl 1995, 27; Miet XLI/19).
Zu prüfen ist also, ob der Kläger über eine „ausreichende Wohnmöglichkeit“ verfügt, die einen Wohnsitzwechsel - und damit verbunden die Kündigung - nicht als unabweislich notwendig erscheinen ließe. Bei dieser Beurteilung muß jede Art der Benötigung des Bestandgegenstandes berücksichtigt werden, die sich für den Vermieter aus einem wichtigen persönlichen oder wirtschaftlichen Bedürfnis ergibt, das nur durch Benützung der gekündigten Wohnung befriedigt werden kann (WoBl 1988, 92 mwN). Nun hegt der Kläger im vorliegenden Fall die Absicht, in seine Heimatstadt zu übersiedeln, weil er verstärkten Kontakt zu seinen nächsten Angehörigen (87jährige Eltern, drei Geschwister, die allesamt in W***** bzw in der näheren Umgebung dieser Stadt wohnen) unterhalten möchte. Daß ihm ein derartiger Kontakt von L***** aus nicht möglich ist, bedarf keiner näheren Erörterung. Derzeit bewohnt der Kläger Räumlichkeiten in einem Haus, das teils im Eigentum seiner Ehegattin, teils aber im Eigentum seines Schwiegervaters steht. WC, Küche und Bad werden von diesen drei Personen gemeinsam benutzt. Lediglich das Schlafzimmer steht dem Kläger und dessen Ehegattin zur alleinigen Nutzung zur Verfügung. Zwischen dem Kläger und seinem Schwiegervater gibt es ständig Streit, der sich zuletzt immer mehr verstärkte und in Beschimpfungen seitens des Schwiegervaters des Klägers ausartete. Der Kläger leitet also sein Wohnrecht im bisher von ihm bewohnten Haus lediglich aus familienrechtlichen Ansprüchen gegenüber seiner Ehegattin ab, sodaß diese Wohnmöglichkeit jedenfalls mit der von ihm angestrebten (in seiner Eigentumswohnung) nicht gleichgesetzt werden kann. Angesichts der Auseinandersetzungen mit dem Schwiegervater liegt auch die Gefahr einer gesundheitlichen (psychischen) Schädigung des Klägers nahe; bei einer solchen Gefahr ist aber der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 8 MRG gerade erfüllt (3 Ob 1505/94; 5 Ob 1106/94; MietSlg 33/350). Mangels gleichwertiger Unterkunft (MietSlg 31/414), infolge der Gefahr gesundheitlicher (psychischer) Schädigung und der oben angeführten wichtigen persönlichen Bedürfnisse des Klägers ist eine zumindest notstandsähnliche Situation zu bejahen, sodaß das Tatbestandsmerkmal des „dringenden Eigenbedarfs“ erfüllt ist.
Das Berufungsgericht hat die Entscheidung der ersten Instanz aufgehoben, weil der Kläger zum Fehlen jeglicher Wohnmöglichkeit in W***** kein Vorbringen erstattet und das Erstgericht keine dementsprechende Feststellungen getroffen habe. Dem ist einerseits entgegenzuhalten, daß der Kläger als Kündigungsgrund den Eigenbedarf geltend gemacht hat und hiezu ausführte, die Wohnung für sich selbst zu benötigen, weil er seinen Ruhestand in W***** verbringen möchte. Dieses Vorbringen schließt ein, daß dem Kläger in W***** eine andere Wohnmöglichkeit nicht zur Verfügung stünde. Darüber hinaus hat das Erstgericht - wenngleich in der rechtlichen Beurteilung - ausdrücklich festgestellt, daß der Kläger in W***** bzw in der näheren Umgebung über keine wie immer geartete Wohnmöglichkeit verfüge (S 5 des Ersturteils = AS 39). Diese Feststellung wurde von der Beklagten nicht bekämpft, sie ist daher der rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen. Eine Aufhebung des Ersturteils, um den Kläger zu Behauptungen über das Fehlen einer sonstigen Wohnmöglichkeit anzuleiten und das Erstgericht in die Lage zu versetzen, entsprechende Feststellungen zu treffen, erübrigt sich demnach, sodaß die Rechtssache spruchreif ist.
Wenn auch nur die Beklagte den Aufhebungsbeschluß mit Rekurs bekämpft hat, so ist, weil die Sache tatsächlich entscheidungsreif und daher die Sachentscheidungsbefugnis auf den Obersten Gerichtshof übergegangen ist, über den Berufungsantrag der Beklagten zu entscheiden. Dies führt zum Ergebnis, daß der Rekurs der Beklagten zwar berechtigt ist, dies aber zum Nachteil des Beklagten, weil die Sache selbst entgegen dem Berufungsantrag der Beklagten durch Abweisung des Klagebegehrens zu entscheiden ist (WBl 1992, 166 ua; Kodek in Rechberger, Kommentar zur ZPO, Rz 5 zu § 519).
Dem Rekurs ist Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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