OGH 1Ob584/78

OGH1Ob584/7812.4.1978

SZ 51/47

Normen

ABGB §364 Abs1
ABGB §364a Abs1
ABGB §364b
ABGB §364 Abs1
ABGB §364a Abs1
ABGB §364b

 

Spruch:

Auch der Bauherr, der baubewilligungsgemäß baut, haftet für Schäden an einem sich in bauordnungsgemäßen Zustand befindlichen Nachbargebäude, die durch das sogenannte Aufatmen des Bodens nach Beseitigung der Last des Altbaus, durch das Aufbringen der neuen Last oder durch Erschütterungen wegen Einsatzes einer Baumaschine entstanden sind

OGH 12. April 1978, 1 Ob 584/78 (OLG Linz 3 R 221/77; LG Linz 1 Cg 58/75)

Text

Das aus Keller, Erdgeschoß und zwei Obergeschoßen bestehende Haus des Klägers in W, J-Platz 55 (Liegenschaft EZ 294 KG W), schließt westseitig an das Haus der Beklagten W, J-Platz 53 (EZ 292 KG W), an. Schon vor dem Abbruch und der Neuerrichtung des Hauses der Beklagten bestanden im Haus des Klägers trotz einer Generalsanierung im Jahre 1971 verschiedene Rißbildungen, die im Keller ein stärkeres Ausmaß erreichten. Mit Bescheid des Magistrates W vom 28. März 1973 wurde den Beklagten die Bewilligung zur Demolierung ihres Hauses erteilt. Die Nebenintervenientin, eine Baufirma, führte den Abbruch in der Zeit vorn 9. April bis 21. Mai 1973 bis zur Erdoberfläche durch. Durch diese Arbeiten entstanden keine ins Gewicht fallenden Schäden am Haus des Klägers.

Mit Bescheid des Magistrates W vom 7. Juni 1973 wurde den Beklagten die Baubewilligung für ein viergeschoßiges Geschäftshaus erteilt.

Punkt 5 des Bescheides lautet: "Bei Durchführung von Unterfangungsarbeiten ist besonders auf den Bestand der Nachbarobjekte Bedacht zu nehmen. Die Unterfangungen müssen streifenweise und so erfolgen, daß möglichst keine Schäden an den Nachbarobjekten entstehen. Nach Erfordernis sind bei Durchführung der Unterfangungsarbeiten Schubpölze oder Sprengwerke einzubauen, um ein Nachgeben der Feuermauern auf den Nachbargrundstücken zu vermeiden. Außerdem sind erforderlichenfalls Verhängungen der Feuermauern auf den Nachbargrundstücken durchzuführen. Diesbezüglich ist das Einvernehmen mit den Eigentümern der Nachbarobjekte herzustellen." Punkt 7 des Bescheides lautet:"Bei Herstellung des Erdaushubes ist darauf Bedacht zu nehmen, daß möglichst nur geringfügige Erschütterungen auftreten. Im Bereich entlang der Nachbarfeuermauern ist erforderlichenfalls der Erdaushub händisch durchzuführen. "Im einzelnen ergingen hiezu genauere Anweisungen des Statistikers. Die mit der Bauausführung beauftragte Firma O wurde laufend überwacht. Die Überwacher konnten sich davon überzeugen, daß die Baufirma sämtliche Anweisungen befolgte und somit sach- und fachgerecht vorging. Dennoch kam es in den Nachbarobjekten, so auch im Hause des Klägers, zum Auftreten von Setzungen, die erstmals am 27. Juli 1973 gemeldet wurden. Die Baubehörde ordnete damals verschiedene Sofortmaßnahmen an, darunter die Erstellung eines Gutachtens des Statikers und eine verstärkte Überwachung des weiteren Baufortschrittes. Die Baubehörde billigte die Vorschläge des Statikers, die auch von der Baufirma ausgeführt wurden. In der Folge wurden dann keine weiteren Schäden mehr gemeldet.

Die Behebung der durch die Bauarbeiten der Beklagten am Haus des Klägers eingetretenen Schäden kostet bei Bedachtnahme darauf, daß für einzelne Gebäudeteile wegen der kombinierten Sanierung von alten Rissen und Zeitschäden nur 50% berücksichtigt werden, 77 880 S.

Der Kläger begehrte aus dem Titel des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches von den Beklagten zunächst die Bezahlung von 100 000 S samt Anhang.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Bezahlung von 42 834 S samt Anhang und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest: Auch die Pölzungen seien im allgemeinen sach- und fachgerecht durchgeführt worden. Diese hätten nicht zu stark angekeilt werden dürfen, weil sonst Gewölbe zum Einsturz gebracht hätten werden können. Würden sie jedoch nicht fest genug angekeilt, habe dies leichte Bewegungen des Gewölbefußes mit Ausbildung von Rissen zur Folge; diese könnten somit häufig trotz Einhaltung aller fachlicher Regeln nicht mit Sicherheit vermieden werden. Es gäbe zwar technische Verfahren, die Rißbildungen auf ein noch geringeres Maß einzuschränken, als sie am Hause des Klägers eingetreten seien; solche Verfahren würden jedoch in der Praxis nicht angewendet, weil sie so kostspielig seien, daß eine Sanierung der allenfalls auftretenden Schäden billiger komme. Ein weiterer Faktor der Rißbildung in Nachbarhäusern liege darin, daß das Abtragen eines Hauses ein der Stärke nach von der Bodenart abhängiges Aufatmen des Bodens durch Wegnahme der Last mit sich bringe. Auch das Aufbringen von Lasten durch den Neubau führe zu Setzungen. Eine Zusammenpressung könne nur durch eine Tiefgrundung mit Pfählen oder Schlitzwänden vermieden werden, doch stunden deren Kosten wiederum in keinem angemessenen Verhältnis zu den Schäden, weshalb die erwähnte Methode nur bei mangelnder Tragfähigkeit des Bodens angewendet zu werden pflege. Die Schäden am Hause des Klägers seien zu etwa 90% dem Bauabschnitt Kelleraushub zuzuschreiben, d. h. auf Setzungen des klägerischen Hauses, welche als Folge des Aufatmens des Bodens in der Baugrube der Beklagten aufgetreten seien, oder auf eine kleine Nachgiebigkeit der Pölzungen zurückzuführen. Diese beide Faktoren ließen sich gegeneinander nicht mehr weiter abgrenzen. Die restlichen 10% der Schäden - sie beträfen hauptsächlich eine Rißbildung entlang der Feuermauer im zweiten Obergeschoß mit Beschädigungen der Tapete, Holzkehle und Decke im Schlafzimmer, dessen ortsübliche Benützung dadurch wesentlich beeinträchtigt worden sei - seien auf Erschütterungen zurückzuführen, die vorwiegend durch den Einsatz von Rüttlern bei der Errichtung der Nachbarmauer aufgetreten seien. Zwar wäre es sinnvoll, neben sehr brüchigem Mauerwerk den Beton zu stochern, doch werde bei dieser Art der Verdichtung die erforderliche Festigkeit meist nicht erzielt, weshalb es in der Praxis üblich sei, dennoch zu rütteln und auftretende Schäden zu sanieren. Diese Erschütterungen überschritten zwar das ortsübliche Maß der normalerweise von einem Nachbargrundstück in einem eng verbauten Stadtgebiet ausgehenden Einwirkungen (z. B. durch Schwerverkehr), nicht aber das gewöhnliche Maß bei Bauführungen auf Nachbargrund.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß durch den Einsatz von Rüttlern das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß der Beeinträchtigung des Nachbarn überschritten werde. Die herrschende Rechtsprechung gewähre sowohl hiefür als auch für Schäden, die als Folge einer mangelhaften Befestigung von einer Grundstücksvertiefung ausgingen, einen vom Verschulden unabhängigen Ausgleichsanspruch. Es ginge jedoch zu weit, die Haftung des Nachbarn auch auf Schäden auszudehnen, die durch ein Aufatmen des Bodens nach Abtragung des Nachbarbaues oder auf die nach der Wiederbelastung entstandene Bodenpressung zurückzuführen seien. Dies würde dazu führen, daß man dem Nachbarn überhaupt jede Abtragung seines alten oder die Errichtung eines neuen Hauses verbieten könnte; eine derartige Rechtsfolge lasse sich aus § 364b ABGB nicht ableiten. Dem Kläger sei für Ersatz für die durch den Einsatz des Rüttlers entstandenen Schäden zur Gänze zuzusprechen, für die sonstigen Schäden jedoch nur zur Hälfte. Ihm gebührten daher 55% des Schadens von 77 880 S.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und änderte über Berufung des Klägers das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es die Beklagten zur Bezahlung der 77 880 S samt Anhang verurteilte. Nach eingehender Darlegung der Rechtsprechung und der Auffassung verschiedener Autoren legte das Berufungsgericht dar, die Beklagten hätten um baubehördliche Bewilligung der Maßnahmen angesucht und die Baubehörde habe die Bauführung unter den einzuhaltenden technischen Vorkehrungen genehmigt. Damit habe der Bauführer einen so hohen Anschein der Gefahrlosigkeit und somit der Rechtmäßigkeit seiner Maßnahmen dargetan, daß der Beklagte weder seinen Untersagungsanspruch nach § 364 Abs. 2 ABGB noch den im Sinne des § 364b ABGB, soweit er Vertiefungen betreffe, durchsetzen hätte können. Die baubehördliche Bewilligung habe in einem solchen Fall die gleiche tatsächliche Wirkung, der im § 364a ABGB einer behördlich genehmigten Anlage zuerkannt werde. Erweise sich in solchen Fällen erst nach baubehördlicher Bewilligung, daß eine Schädigung fremden Eigentums notwendig sein werde, oder werde dies, wie dies den Feststellungen des Erstgerichtes entnommen werden könne, sogar in Kauf genommen, so sei es nur recht und billig, dem Gedanken des Nachbarrechtes und einer Analogie zu § 364a ABGB entsprechend dem Geschädigten einen verschuldensunabhängigen Ausgleich zu gewähren. Es stehe fest, daß 90% der festgestellten Schäden auf den Bauabschnitt Kelleraushub, somit auf Vertiefungen im Sinne des § 364b ABGB, nämlich auf Setzungen, die als Folge des Aufatmens des Bodens oder einer kleinen Nachgiebigkeit der Pölzungen entstanden seien, zurückzuführen seien. Der Auffassung des Erstgerichtes, jene Schäden, die auf einem aufatmen des Bodens nach Abtragung des Nachbargebäudes oder auf der nach der Wiederbelastung entstandenen Bodenpressung beruhen, könnten nicht als auf einer Vertiefung des Nachbargrundes basierend angesehen werden, könne nicht gefolgt werden. Die gesamte Fundamentierung des Neubaues sei als Einheit zu betrachten. Es sei daher auch die durch die Wiederbelastung entstandene Bodenpressung, die ohne den vorherigen Kelleraushub nicht denkbar sei, letztlich als Vertiefung entstandenen Beeinträchtigungen das ortsübliche Maß überschritten, hätten die Beklagten sämtliche auf den Kelleraushub zurückzuführenden Schäden aus dem Gründe des § 364b ABGB zu ersetzen. Das Berufungsgericht anerkannte auch den Ausgleichsanspruch für die Schäden, die durch den Einsatz des Rüttlers entstanden, weil die Störung das ortsübliche Ausmaß überschritten habe, was sich schon aus den Folgen ergebe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Streitteile sind in einem eng verbauten Gebiet der Stadt W Grundnachbarn. Die Beklagten machten von dem grundsätzlichen Recht des Eigentümers, mit der Substanz nach Willkür zu schalten (§ 354 ABGB), insofern Gebrauch, als sie das auf ihrer Liegenschaft errichtet gewesene Gebäude abbrechen und durch einen Neubau ersetzen ließen. Die gesetzlichen Grenzen der Willkür ergeben sich aus den Bestimmungen der §§ 364 ff. ABGB. Nach § 364 Abs. 1 ABGB darf die Ausübung des Eigentums nur insofern stattfinden, als dadurch in die Rechte Dritter nicht eingegriffen wird. Die Beklagten verletzten diese Bestimmung dadurch, daß sie an Stelle des bisherigen nicht unterkellerten Baues einen solchen errichten ließen, der die Aushebung einer Baugrube erforderlich machte, und infolge des Aufatmens des Bodens in der Baugrube, aber auch durch Nachgiebigkeit der Pölzungsetzungen am Haus des Klägers eintraten. Darüber hinaus setzte das von ihnen beauftragte Unternehmen Rüttler ein, was weitere Schäden zu Folge hatte. Für solche Eingriffe in das Eigentum des Nachbarn gewährt die herrschende Rechtsprechung nachbarrechtliche Ersatzansprüche, die als Ausgleichsansprüche bezeichnet werden, kein Verschulden voraussetzen und am ehesten einem Entschädigungsanspruch aus Anlaß der Enteignung gleichzusetzen sind (SZ 45/7; SZ 44/140; SZ 43/139 u. v. a.; zuletzt 7 Ob 581/77). Der OGH hat auch anerkannt, daß der Eigentümer dabei ein schädigendes Verhalten des von ihm mit Baumaßnahmen beauftragten Unternehmers und seiner Leute zu vertreten hat (SZ 45/132 u.a.).

Daß Ausgleichsansprüche zustehen, wenn die Eingriffe in das Eigentumsrecht des Nachbarn von einer behördlich genehmigten Anlage ausgehen (§ 364a ABGB), ist unbestritten, wogegen die Anerkennung einer Erfolgshaftung bei nur aus den §§ 364, 364 b ABGB abgeleiteten Ansprüchen in der Literatur zum Teil sehr heftig bekämpft wird (vgl. die Angaben in EvBl. 1976/190; SZ 48/61 und SZ 47/140; ebenso Hoyer in JBl. 1977, 202; Koziol - Welser[3] II, 34; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II, 243). Der OGH hat in seiner jüngeren Rechtsprechung diesen Einwendungen weitgehend Rechnung getragen und sich in zunehmendem Maß zur Auffassung bekannt, daß eine differenziertere Beurteilung notwendig sei und ein vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch nur dann gerechtfertigt werden könne, wenn eine Analogie zu § 364a ABGB am Platze sei. Hiebei ist davon auszugehen, daß § 364a ABGB ein der Enteignung verwandter Tatbestand ist; der Geschädigte hat einen Ersatzanspruch, weil er im Interesse des Nachbarn Eingriffe in sein Eigentum hinnehmen muß, die über die normale Duldungspflicht, wie sie § 364 Abs. 2 ABGB vorschreibt, hinausgehen. Die Interessen des Nachbarn sind also von der Rechtsordnung, oft wegen dahinterstehender Gründe des öffentlichen Wohles, höher bewertet als das Eigentumsrecht des Betroffenen. Jede Analogie zu § 364a ABGB hat an diese Grundsituation anzuknüpfen: Dem Geschädigten muß ein Abwehrrecht genommen sein, das ihm nach dem Inhalt seines Eigentum "an sich" zugestanden wäre (Rummel in JBl. 1967, 122; Osterheimin JBl. 1973, 577). Rummel (a. a. O., 122 ff.) hatte allerdings Bedenken, daß diese Voraussetzungen grundsätzlich auch bei baubehördlich genehmigten Maßnahmen auf dem Nachbargrundstück zuträfen. Er anerkennt aber doch das Bedürfnis nach Einführung der Gefährdungshaftung des Bauherrn, der sich an die behördlichen Vorschriften gehalten hat und dessen Haftung für den Unternehmer nicht in Betracht kommt. Er befürwortet, soweit Verschulden nicht vorliegt, eine sorgfältig abgegrenzte Gefährdungshaftung bei Gefährlichkeit der Handlung, die eine bestimmte Schadensfolge für den Schädiger oder zumindest objektiv kalkulierbar mache, bei Nutznießung durch Eingriff in fremdes Eigentum, allenfalls aber auch noch bei durch die baubehördliche Genehmigung begrundeter faktischer Vermutung der Gefahrlosigkeit, die eine Abwehr erschwert, wenn auch nicht rechtlich ausschließe; das soll besonders gelten, wenn Nachbarn wegen ihres räumlichen Kontaktes gegenseitigen Beeinträchtigungen ausgesetzt sind, ohne ausweichen oder sich vorsehen zu können (a. a. O., 126). Auch Ostheim (a. a. O., 578) hält die analoge Anwendung des § 364a ABGB dann für gerechtfertigt, wenn das Verschuldenserfordernis durch andere besondere Haftungsgrunde, wie etwa besondere Gefährlichkeit der Eingriffshandlung oder die vermutete Gefahrlosigkeit der genehmigten Bauführung ersetzbar ist. Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze anerkannte der OGH einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch gegen den Grundnachbarn insbesondere dann, wenn der Schaden von einer Grundstücksvertiefung (§ 364b ABGB) anläßlich einer Bauführung ausging; er führte aus, daß die baubehördliche Bewilligung die gleiche tatsächliche Wirkung habe, die im § 364a ABGB einer behördlich genehmigten Anlage zuerkannt werde; der Grundnachbar müsse die scheinbar gefahrlose Vertiefung hinnehmen, bis sich die allenfalls doch unvermeidbare Schädigung zeige (SZ 48/61). Bydlinski (als Schriftleiter der Juristischen Blätter) hielt diese Entscheidung für richtig, bezeichnete er sie doch als sehr abgewogen (FN 1 in JBl. 1977, 201). Rummel (JBl. 1976, 314) hat dieser Entscheidung ebenfalls beigepflichtet und ausgeführt, daß in Sonderfällen erkennbarer Gefährlichkeit die baubehördliche Genehmigung zunächst den Anscheinsbeweis für die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt geschaffen habe. Werde die Gefährdung erkennbar, sei es in der Regel zu spät, auch noch Abwehrmaßnahmen zu treffen; hier liege der Gedanke eines Ausgleiches in Form einer Gefährdungshaftung nahe; wo nämlich der Anschein der Gefahrlosigkeit (oder die Zulässigkeit einer Handlung überhaupt) sich aus einem behördlichen Genehmigungsverfahren ergebe, enthielten § 364a ABGB ebenso wie die anderen gesetzlich geregelten Gefährdungshaftungen deutliche Anhaltspunkte für die generelle Entscheidung des Gesetzgebers, in solchen Fällen Ausgleich zu gewähren. Unter Beachtung der gleichen Grundsätze bejahte der OGH eine Gefährdungshaftung auch bei Grabungsarbeiten in nächster Nähe einer Wasserleitung (EvBl. 1976/190). Der OGH anerkannte die Haftung des Nachbarn darüber hinaus in einem Fall, als dadurch, daß der Beklagte Abbrucharbeiten knapp an der Liegenschaftsgrenze durchführen ließ, durch Herabstürzen des Mauerwerkes erhebliche Schäden an der Lagerhalle des Klägers und den darin befindlichen Gegenständen entstehen konnten und auch tatsächlich entstanden (1 Ob 716/77). Der OGH sprach dazu u. a. aus, daß die eingetretene Schadensfolge im Eigentum des Klägers zumindest objektiv kalkulierbar und eine Abwehr vor Beginn der Abbrucharbeiten praktisch nicht möglich gewesen sei; der Kläger habe daher die Möglichkeit nachteiliger Folgen des Verhaltens des Beklagten wie bei einer behördlich genehmigten Anlage im Sinne des § 364a ABGB hinnehmen müssen, so daß es auch gerechtfertigt sei, in analoger Anwendung des § 364a ABGB einen Ausgleich in Form einer Gefährdungshaftung anzuerkennen.

Mit Recht beurteilte das Berufungsgericht die Rechtslage im vorliegenden Fall nicht anders. Die Schäden am Haus des Klägers entstanden durch baubehördlich genehmigte Arbeiten. Die Aufträge der Baubehörde waren so gehalten, daß die Interessen des Klägers als Nachbarn weitgehend gesichert waren und er damit rechnen konnte, daß an seinem Haus keine bzw. keine ins Gewicht fallenden Schäden auftreten würden. Ein Untersagungsanspruch wäre, gleich wie im Fall des § 364a ABGB, nicht durchsetzbar gewesen, weil die Beklagten auf die baubehördlichen Genehmigungen und Vorschreibungen sowie ihr grundsätzliches Recht der Errichtung eines Neubaues verweisen hätten können. Den nunmehrigen Standpunkt der Revision, der Kläger hätte, weil Schäden an seinem Haus zu erwarten waren, die Bauführung der Beklagten nicht zulassen müssen, hätten die Beklagten im Bauverfahren oder im Fall der Erhebung einer Unterlassungsklage durch den Kläger gewiß nicht eingenommen. Nach Beginn der Arbeiten wäre aber auch eine Untersagung der Fortführung des Baues für alle Beteiligten höchst nachteilig und daher auch vom rechtlichen Gesichtspunkt nicht ratsam gewesen. Die Schäden sind für den Kläger wohl auch erst erkennbar geworden, als die Arbeiten am Nachbarhaus so fortgeschritten waren, daß Untersagungsmaßnahmen keinen Sinn gehabt hätten; ein längeres Offenlassen der Baugrube, wie es die Folge eines Unterlassungsanspruches wohl gewesen wäre, hätte wahrscheinlich sogar die Schäden am Haus des Klägers verstärkt und den Beklagten erheblichen finanziellen Verlust zugefügt. Es war daher richtig, im vorliegenden Fall einen Unterlassungsanspruch gar nicht erst zu erwägen.

Es liegt damit aber ein dem § 364a ABGB analoger Fall vor, konnten sich die Beklagten doch auch hier auf eine behördliche Genehmigung berufen und hatte der Kläger praktisch keine andere Möglichkeit, als die Maßnahmen der Beklagten hinzunehmen. Dem Kläger muß dann aber auch ebenso das Recht zuerkannt werden, den Ersatz des ihm zugefügten Schadens ohne Rücksicht auf ein Verschulden der Beklagten zu verlangen. Das hat entgegen der Auffassung der Revision für alle Folgen der durch den Kelleraushub entstandenen Vertiefung zu gelten, also auch für das sogenannte Aufatmen des Bodens. Bei diesem handelt es sich um ein natürliches Verhalten des Bodens, das bei Abbruch eines alten und Errichtung eines neuen Gebäudes bei erstmaligem Kelleraushub und damit erstmaliger Vertiefung zu erwarten war und dem § 364b ABGB zu unterstellen ist (vgl. SZ 11/233). Auch in der Bundesrepublik Deutschland wurde zum § 909 BGB, dem Vorbild des § 364b ABGB, grundsätzlich ausgesprochen, daß eine Vertiefung auch dann vorliegt, wenn das Bodenniveau - selbst ohne Entnahme von Bodenbestandteilen - infolge des Gewichtes eines Neubaues und der dadurch bedingten Pressung des Untergrundes sinkt und der Boden dadurch die erforderliche Stütze verloren hat, daß er infolge einer durch Druck ausgelösten Pressung vorn Nachbargrundstück her in Bewegung gerät und in sich seinen Halt verliert (BGHZ 44, 130; vgl. Soergel - Baur, BGB[10] 4, 197 Anm.4).

Die Anerkennung des Ausgleichsanspruches des Klägers ist im vorliegenden Fall um so eher notwendig, als es technische Verfahren gibt, die die Rißbildung auf ein geringeres Maß beschränken könnten und nur wegen ihrer Kostspieligkeit nicht angewendet werden, weil die Sanierung allenfalls auftretender Schäden billiger kommt. Wenn die Beklagten sich dadurch, daß sie Schäden am Haus des Klägers in Kauf nahmen, Kosten ersparten, ist es nur recht und billig, daß sie dann auch die Schäden ersetzen. Ersparnisse auf Kosten des Nachbarn anzuerkennen würde den allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit, die der Abs. 1 des Kundmachungspatentes des allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches im Auge hat und selbst die geschriebene Norm durchbrechen können (vgl. SZ 47/104), widersprechen. Die Argumentation der Revision, es sei nicht einzusehen, daß es bei zwei alten, in Nachbarschaft befindlichen Gebäuden nur dem Zufall überlassen sein solle, wer von den beiden Nachbarn zuerst sein Haus abtragen und dem anderen dessen Gebäude sanieren müßte oder wer sein Gebäude unter diesen Umständen kostenlos saniert bekommt, kann im vorliegenden Fall schon deswegen nicht zum Tragen kommen, weil die Untergerichte ohnehin Kosten für die Sanierung von alten Rissen und Zeitschäden am Haus des Klägers entsprechend kürzten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß sich das Haus des Klägers in einem bauordnungswidrigen Zustand befunden hätte und die Beklagten nunmehr etwa verhalten wären, dem Kläger Kosten zu ersetzen, die er längst selbst zu tragen gehabt hätte. Es muß daher auch die gewiß problematische Rechtsauffassung, daß die Schäden am Nachbarhaus ohne Rücksicht darauf zu ersetzen seien, in welchen Zustand es sich befindet, also auch wenn es schadhaft ist (SZ 41/42; Klang in seinem Komm.[2] II, 178; in diesem Sinne auch BGHZ 63, 176; vgl. dazu Bassenge in Palandt[37], 962), im vorliegenden Fall keiner Erörterung unterzogen werden. Auch die Ausführungen der Revision, was für den Fall eines bloßen Abbruchs des Gebäudes der Beklagten zu gelten gehabt hätte, können nicht zielführend sein, weil die den Klägern zuerkannten Ansprüche nicht auf den Abbruch, sondern auf die Grundstücksvertiefung infolge des Kelleraushubs zurückzuführen sind. Richtig ist nur der Hinweis der Revision, daß die Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland für den Fall des § 909 BGB eine Haftung des Nachbarn nur bei Verschulden, wenn auch unter Entlastungsbeweispflicht des Beklagten, anerkennt. Das mag auch einer der Gründe sein, warum zahlreiche Autoren immer wieder die Frage, ob und inwieweit ein vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch anzuerkennen sei, erörtern. Damit allein kann die Revision aber nicht erfolgreich argumentieren.

Auch der Anspruch auf Ersatz der Schäden, die durch Einsatz eines Rüttlers bei der Bauführung eingetreten sind, wurde den Beklagten zu Recht auferlegt. Der OGH hat bereits ausgesprochen, daß der Nachbar keineswegs Vermögensverluste als Folge einer Immission hinnehmen muß; sind vielmehr Dauerfolgen auf Grund einer Immission eingetreten, sind die Kosten der Beseitigung zu ersetzen (SZ 44/140). Zu solchen unzulässigen Immissionen gehören auch Dauerschäden durch Erschütterungen; die Herbeiführung solcher Schäden ist an sich unzulässig, eine Ortsüblichkeit kann es hier nicht geben. Wenn der Kläger schon die Bauführung durch die Beklagten an sich nicht hindern konnte, konnte er umsoweniger darauf Einfluß nehmen, welche Baumaschinen vom Bauführer der Beklagten eingesetzt wurden. Er konnte aber nach den Anordnungen der Baubehörde damit rechnen, daß nur solche Maschinen eingesetzt würden, die keinen Schaden an seinem Haus herbeiführen könnten. Auch hier lag für den Kläger eine Situation vor, die dem § 364a ABGB rechtsähnlich ist und demnach eine Gleichbehandlung rechtfertigt. Das muß umsomehr gelten, als auch in diesem Fall andere, für die Beklagten allerdings weniger zweckmäßige Baumaßnahmen möglich gewesen wären und daher der Einsatz von Rüttlern nach der Übung der Praxis zwar stattfindet, aber auftretende Schäden dann saniert werden. Nicht mehr verlangt der Kläger von den Beklagten. Nach wie vor hat also der Grundsatz zu gelten, daß zwar die Ausführung eines der Baubewilligung entsprechenden Baues nicht schuldhaft erfolgt, aber der Bauherr auf seine Gefahr baut, nicht auf die des Nachbarn; er haftet daher für Schäden, die durch seine Bauführung verursacht wurden (SZ 11/233).

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