Spruch:
Hielt die Baubehörde durch Erteilung der Baubewilligung eine vom Bauführer anläßlich einer geplanten Grundstücksvertiefung angebotene Befestigung des Gebäudes des Nachbarn zu Unrecht technisch für ausreichend, stehen dem geschädigten Nachbarn wegen der für behördlich genehmigte Anlagen im Sinne des § 364a ABGB ähnlichen Rechtslage gleichermaßen vom Verschulden unabhängige Ausgleichsansprüche zu
OGH 21. Mai 1975, 1 Ob 72/75 (OLG Wien 4 R 5/75; LGZ Wien 37 d Cg 293/72
Text
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Ansprüche der Klägerinnen als Eigentümerinnen der Liegenschaft Wien, A-Straße 43, aus der Beschädigung des dort befindlichen Wohnhauses durch eine Bauführung auf dem Nachbargrund der Beklagten.
Das Erstgericht gab der Klage in dem noch strittigen Umfang statt, das Berufungsgericht bestätigte.
Nach den Feststellungen der Untergerichte ist das zweigeschoßige Wohnhaus der Klägerinnen in dem an die Liegenschaft der Beklagten grenzenden Teil nicht unterkellert. Die Beklagte ließ unmittelbar anschließend an die Feuermauer des Hauses der Klägerinnen von einer Baufirma ein dreigeschossiges und unterkellertes Bürogebäude errichten. Beim Aushub der Baugrube wurden zur Feuermauer hin zwei bis dreieinhalb Meter Erdreich belassen und die eigentlichen Unterfangungsarbeiten sodann händisch in Abschnitten von einem Meter ohne Pölzung durchgeführt, weil das Erdreich aus eigener Festigkeit standhielt. Die Unterfangung der nur etwa 30 bis 50 cm unter das Bodenniveau reichenden Fundamente des Hauses der Klägerinnen bestand aus einem 40 cm starken Betonfundament, auf dem eine 45 cm starke Ziegelmauer mit Zementmörtel errichtet wurde. Nach dem Erhärten des Mörtels wurden zwischen der Fundamentunterfangung und der bestehenden Mauer Eisenkeile eingeschlagen. Den Bestimmungen der Ö-Norm wurde insofern nicht voll entsprochen, als eine Abstützung des gefährdeten Bauwerkes fehlte. Während der Unterfangungsarbeiten waren jedoch keine Senkungen durch Unterlassung der Pölzung feststellbar. Andererseits ist nicht auszuschließen, daß die Senkung im Falle einer Pölzung beim Aushub geringer gewesen wären. Das Bauvorhaben war einschließlich der in einem Auswechslungsplan dargestellten Fundamentunterfangung baubehördlich genehmigt.
Schon während der Unterfangungsarbeiten kam es zu Senkungen des Hauses der Klägerinnen, teilweise durch die Setzung des unterfangenen Mauerwerkes und teils durch die Vibration einer an sich ortsüblich eingesetzten, etwa neun Tonnen schweren Raupe, die unvermeidlich waren. In der Folge verursachte der wesentlich schwerere Neubau durch sein Gewicht und die damit verbundene Setzung auch eine weitere Setzung des leichteren Altgebäudes, mit der schon vor Baubeginn zu rechnen war. Da sich diese Setzungen längere Zeit hindurch ereigneten, traten Risse in den Mauern des Hauses der Klägerinnen nicht nur bei den Unterfangungsarbeiten, sondern auch während der Errichtung und Herstellung des Neubaues im Herbst 1971 bis in das Jahr 1972 auf. Die als typische Setzungsrisse im Gefüge des Mauerwerks erkennbaren Schäden am Hause der Klägerinnen konnten in der Anschlußzone zur gefährdeten Feuermauer in den drei parallel zueinander liegenden Außenmauern und in der Mittelmauer festgestellt werden. Als Folge dieser Bewegung kam es im Innenputz der Feuermauer, an der Decke und an den Trennwänden zu Sekundärrissen, deren Abgrenzung wegen der reichlich vorhandenen altersbedingten Haarrisse im Gebäudeinneren nicht eindeutig möglich ist; doch ist der weitaus überwiegende Teil der festgestellten Risse auf die Bauführung zurückzuführen. Zur Behebung der letztgenannten Schäden sind Aufwendungen in der Höhe des Revisionsstreitwertes erforderlich.
Nach der Rechtsansicht der Untergerichte haftet die Beklagte als bauführende Grundnachbarin nach § 364b ABGB unabhängig vom Verschulden für den Ausgleich der unmittelbar und mittelbar durch die Vertiefung ihres Grundstückes am Nachbarhaus der Klägerinnen entstandenen Schäden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 364b A8GB darf der Eigentümer eines Grundstückes dieses nicht so vertiefen, daß der Boden des Nachbarn die erforderliche Stütze verliert. Im vorliegenden Fall entstand durch die Vertiefung des eigenen Gründes trotz der Unterfangung des Nachbarhauses der Klägerinnen wenigstens ein Teil der Setzungsschäden an diesem Haus. Damit wurden die aus der oben genannten Bestimmung sich ergebenden Pflichten objektiv verletzt. Für solcherart entstandene Schäden gewährt die herrschende Rechtsprechung ebenso wie nach § 364a und § 364b Abs. 2 ABGB nachbarrechtliche Ersatzansprüche, die nicht als Schadenersatzansprüche nach den §§ 1293 ff. ABGB bezeichnet werden, sondern als Ausgleichsansprüche besonderer Art, die kein Verschulden voraussetzen und am ehesten einem Entschädigungsanspruch aus Anlaß einer Enteignung gleichzusetzen seien (SZ 11/233; SZ 41/42; SZ 41/51 u. v. a., in Übereinstimmung mit Klang in Klang[2] II, 173, 178 sowie Lachout in ÖJZ 1953, 590). Daß solche Ansprüche zustehen, wenn die Eingriffe in das Eigentumsrecht des Nachbarn von einer behördlich genehmigten Anlage im Sinne des § 364a ABGB ausgehen, deren Betrieb nicht untersagt werden kann, ist auch sonst unbestritten, wogegen die neuere Lehre die Auffassung, daß ein Verschulden nicht erforderlich sei, bei den aus den § 364b Abs. 2 ABGB abgeleiteten Ansprüchen zum Teil heftig bekämpft und hinsichtlich der Ansprüche nach § 364b ABGB bezweifelt (Steininger, JBl. 1965, 418; Rummel, JBl. 1967, 120; Herz, ÖJZ 1967, 6; Ostheim, JBl. 1973, 576). Nur der Fall des § 364b ABGB soll hier neuerlich überprüft werden.
Die Neuregelung des Nachbarrechtes der §§ 364 ff. ABGB durch die III. Teilnovelle bezweckte, die schon vorher strittige Kollision gleicher Rechte zu regeln, nämlich zwischen zwei Gründeigentümern, von denen jeder zwar nach § 362 ABGB berechtigt ist, frei über sein Eigentum zu verfügen und in der Regel seine Sache nach Willkür zu benützen, andererseits nach § 364 Abs. 1 ABGB bei der Ausübung des Eigentumsrechtes in die Rechte eines Dritten nicht eingreifen darf. Die erklärte Absicht des Novellengesetzgebers, die Lücke durch ein richtiges Mittelmaß zwischen der Abwehr gegenseitiger Schädigungen und Belästigungen der Gründeigentümer einerseits und der Gewähr der volkswirtschaftlich notwendigen Bewegungsfreiheit vor allem industrieller Unternehmen andererseits in klarer Weise zu schließen (vgl. 78 Blg. HH, 21. Session, 162), wurde jedoch nicht befriedigend verwirklicht (Rummel, Ersatzansprüche bei summierten Immissionen, 13; Herz in ÖJZ 1967, 7). Im besonderen läßt der dem § 909 dBGB nachgebildete § 364b ABGB, der den Fall des Eingriffs durch Vertiefung des eigenen Gründes regelt, infolge der Nennung eines bloßen Verbotes ohne Bestimmung klarer Rechtsfolgen im Gesetzeswortlaut offen, ob es sich um einen Fall gleich der anerkannten Eingriffshaftung des § 364a ABGB oder der sonst grundsätzlichen Verschuldenshaftung handelt.
Bei der neuerlichen Prüfung dieser Frage kann einerseits davon ausgegangen werden, daß dem Nachbarrecht der III. Teilnovelle der Grundgedanke eines billigen Ausgleiches dort innewohnt, wo der eine Gründeigentümer im eigenen Interesse aktiv handelt, der passive Nachbar aber diese für ihn gefährliche oder schädigende Tätigkeit über sich ergehen lassen muß (Fall des § 364a ABGB; SZ 11/233; Herz, 8), sowie andererseits davon, daß der zweite Halbsatz des § 364b ABGB dem bauführenden Eigentümer ausdrücklich das Recht einräumt, dem Boden oder Gebäude des Nachbarn die vorhandene Stütze zu entziehen, wenn er für eine genügende anderweitige Befestigung Vorsorge trifft. Regelmäßig bedürfen nun (wie auch hier) Vertiefungen des eigenen Grundstückes im Bereiche der Gefährdung eines Nachbarhauses einer baubehördlichen Bewilligung. Diese regelt allerdings nicht die privatrechtlichen Beziehungen der Grundnachbarn. Erbietet sich aber, wie es im vorliegenden Fall festgestellt ist, der Bauführer vor der Baubehörde dazu, im Sinne des zweiten Halbsatzes des § 364b ABGB für eine genügende anderweitige Befestigung des Gebäudes des Nachbarn zu sorgen, und hält die Baubehörde die vorgeschlagenen Vorkehrungen technisch für ausreichend, so daß sie die Bauführung bewilligt, dann hat der Bauführer einen so hohen Anschein der Gefahrlosigkeit und damit Rechtmäßigkeit der Vertiefung seines Grundstückes geschaffen, daß der Nachbar seinen Anspruch, eine ihn gefährdende Vertiefung zu untersagen (vgl. Rummel, Ersatzansprüche, 13, und SZ 35/28), in aller Regel nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg geltend machen kann. Wird nun trotz der scheinbar verläßlichen Vorsorge für eine genügende anderweitige Befestigung des Nachbargrundes erst während des Baues dessen dennoch vorhandene Gefährlichkeit erkennbar, dann hat der Eingriff in das Eigentumsrecht des Nachbarn bereits stattgefunden und es wäre diesem selbst mit der Wiederaufschüttung der Vertiefung nicht mehr zu helfen. Selbst wenn dahingestellt wird, ob und für welche Zeit die bloß baubehördliche Bewilligung den Eingriff rechtmäßig machte, zeigt sich, daß die gesetzliche Ermächtigung des § 364b zweiter Halbsatz ABGB, von Sonderfällen dennoch erkennbarer Gefährlichkeit abgesehen, den Grundnachbarn zwingt, die Vertiefung des Grundstückes des Bauführers vorläufig hinzunehmen. Die, wenn auch bloß baubehördliche, Bewilligung hat in solchen Fällen die gleiche tatsächliche Wirkung, die im § 364a ABGB, einer behördlich genehmigten Anlage zuerkannt wird, daß nämlich der Grundnachbar die scheinbar gefahrlose Vertiefung hinnehmen muß, bis sich die allenfalls doch unvermeidbare Schädigung zeigt. Da sich erst in diesem späten Zeitpunkt erweist, ob die Vertiefung des Nachbargrundes einen Eingriff in fremdes Eigentum bewirkt, und Abhilfe anders als durch Entschädigung jetzt zu spät kommt, läßt der Grundgedanke des Nachbarrechtes (siehe oben) den Schluß zu, daß hier der Bauführer ebenso wie im klar geregelten Fall des § 364a ABGB wenigstens nicht auf Gefahr und Kosten des scheinbar ohnehin geschützten und daher zur Duldung verhaltenen Nachbarn tätig werden und in dessen Eigentum eingreifen darf.
Selbst jener Teil der Lehre, der der Rechtsprechung über den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch außerhalb des § 364a ABGB ablehnend gegenübersteht, ist geneigt, in der ausnahmsweise eine Haftung ohne Verschulden wegen Nutznießung durch Eingriff in fremdes Eigentum in Betracht kommt (vgl. besonders Rummel, Ersatzanspruche, 87 und JBl. 1967, 126). Der OGH hält daher an seiner Rechtsansicht fest, daß in den hier allein zu prüfenden Fällen der Grundstücksvertiefung im Sinne des § 364b ABGB der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ebenso wie nach § 364a ABGB vom Verschulden des Schädigers unabhängig ist. Im vorliegenden Fall ist dieses Ergebnis umso berechtigter, als die Beklagte bei der Unterfangung des Hauses der Klägerinnen das fremde Eigentum, nämlich das Erdreich des Nachbargrundes, unmittelbar in Anspruch genommen hat; diese Duldung der Revisionsgegnerinnen kann offensichtlich nur mit dem Vorbehalt der Unversehrtheit ihres Eigentums verstanden werden.
Der in der Lehre bestrittene Haftungsumfang ist wegen der hier unbestrittenen Klagshöhe nicht zu untersuchen.
Entgegen der Meinung der Revisionswerberin liegen auch die behaupteten Feststellungsmängel nicht vor. Wenngleich die Bauschäden am Haus der Klägerinnen nicht ausschließlich durch die Vertiefung und die Unterfangung der Feuermauer, sondern auch durch die Vibration eines Baufahrzeuges und schließlich durch die Senkung des Fundamentes des Neubaues nach der Errichtung der Stockwerke entstanden sind, stehen doch auch die letztgenannten Ursachen in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Vertiefung des vorher das Haus der Klägerin stützenden Bodens des Grundstückes der Beklagten, zumal die Raupe bereits zum Aushub der Baugrube eingesetzt wurde. Die Untergerichte haben mit Recht auch Druckverschiebungen, die durch die Senkung des Baugrundes infolge des Gewichtes des neu errichteten Bauwerkes auf das Nachbargrundstück wirken, dem § 364b ABGB unterstellt (SZ 11/233; Klang, 177 f.).
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