OGH 1Ob516/93

OGH1Ob516/9323.2.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Peter S*****, vertreten durch Dr. Christa A. Heller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ing. Willy K. S*****, vertreten durch Dr. Paul Appiano, Dr. Paul Georg Appiano, Dr. Bernhard Kramer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Herausgabe (Streitwert S 150.000,- -), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 16. September 1992, GZ 12 R 182/92-6, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 11.Mai 1992, GZ 23 Cg 74/92-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 35.298,-- (darin S 2.283,-- Umsatzsteuer und S 21.600,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger brachte vor, er habe auf der vom Beklagten verwalteten Liegenschaft in *****, mit Zustimmung der Liegenschaftseigentümer einen PKW Marke VW 11 Baujahr 1959 mit Stoffdach gelb mit roten Streifen lackiert abgestellt. Der PKW habe keine Nummerntafeln aufgewiesen, da er nicht polizeilich angemeldet gewesen sei. Das Grundstück sei eingefriedet und für fremde Personen nicht betretbar. Der Beklagte sei über die Tatsache des Abstellens sowie das Vorliegen der Zustimmung der Liegenschaftseigentümer dazu informiert gewesen. Er habe ohne Zustimmung des Klägers oder der Liegenschaftseigentümer nunmehr den PKW, der als Sammlerstück einen Wiederbeschaffungswert von S 150.000,-- aufweise, von der Liegenschaft entfernen lassen. Der Beklagte verweigere die Herausgabe des PKWs. Für den Fall, daß diese nicht mehr möglich sein sollte, stütze der Kläger sein Begehren auf Schadenersatz und begehre den Ersatz des Wiederbeschaffungswertes. Der Beklagte sei daher zur Herausgabe des PKWs schuldig zu erkennen; er könne sich in eventu von dieser Verpflichtung durch Zahlung eines Betrages von S 150.000,-- samt 4 % Zinsen seit Klagstag an den Kläger befreien.

Über Antrag des Klägers erließ das Erstgericht ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil gemäß § 398 Abs. 1 ZPO.

Der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten gab das Oberlandesgericht Wien nicht Folge. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die vom Berufungswerber behauptete Unschlüssigkeit der Klage liege nicht vor. Die Klage erfülle zumindest die Voraussetzungen, um sie als publizianische Klage gemäß § 372 ABGB zu qualifizieren. Es lasse sich der Klagserzählung entnehmen, daß der Kläger zumindest den besseren Besitz im Sinne dieser Gesetzesstelle behaupte, wobei er nicht verpflichtet sei, mögliche Einwendungen des Anspruchgegners vorwegzunehmen. In dem Vorbringen, der Beklagte habe den PKW entfernen lassen, liege zumindest die Behauptung von dessen Verfügungsgewalt und Innehabung.

Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig, da das Berufungsgericht bei Beurteilung der Schlüssigkeit der Klage von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 226 Abs. 1 ZPO abgewichen ist (§ 502 Abs. 1 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Sie ist auch berechtigt.

Gemäß § 226 Abs. 1 ZPO hat die mittels vorbereitenden Schriftsatzes einzubringende Klage - abgesehen von einem bestimmten Begehren unter Anführung von Beweismitteln - die rechtserzeugenden Tatsachen im einzelnen kurz und vollständig anzugeben. Sie muß also so viel an rechtserzeugenden Tatsachen enthalten, daß der geltend gemachte Anspruch aufgrund dieser Tatsachen hinreichend substantiiert erscheint; das Klagevorbringen muß somit schlüssig sein (Fasching III 36; JBl. 1974, 46; MietSlg. 40.722/32; 1 Ob 9/92). Ob alle für eine Stattgebung des Klagebegehrens erforderlichen rechtserzeugenden Tatsachen behauptet worden sind, hat das Gericht, wenn der Kläger die Fällung eines Versäumungsurteils beantragt, nach amtswegiger Prüfung der Rechtslage zu beurteilen und das Klagebegehren abzuweisen, wenn der vorgebrachte Sachverhalt den geltend gemachten Anspruch nicht rechtfertigt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 396 ZPO oder des § 398 Abs. 1 ZPO kann daher ein Versäumungsurteil im Sinne des Klagebegehrens nur dann gefällt werden, wenn durch das für wahr zu haltende Vorbringen in seiner Gesamtheit und seinem inneren Zusammenhang nach, soweit es sich auf das Tatsächliche bezieht, der Klageanspruch begründet ist (Fasching III 621 f; EvBl. 1952/326; EvBl. 1958/169; SZ 47/93; 5 Ob 36/72; 3 Ob 238/74; 6 Ob 567/77; 6 Ob 653/78; 1 Ob 611/90). Undeutliches und unvollständiges Vorbringen in der Klage geht zu Lasten des Klägers und führt in dem Falle, daß er die Fällung eines Versäumungsurteiles beantragt, zur Abweisung des Klagebegehrens (1 Ob 564/78).

Schon das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß eine Eigentumsklage gemäß § 366 ABGB deshalb nicht vorliegen kann, weil der Kläger der ihn treffenden Behauptungspflicht, Eigentümer zu sein (Spielbüchler in Rummel, ABGB2 § 366 Rdz 1; Pimmer in Schwimann, ABGB § 366 Rdz 1) nicht nachgekommen ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kann der Klagserzählung aber auch kein Vorbringen entnommen werden, welches einen Anspruch gemäß § 372 ABGB begründen könnte. Die publizianische Klage (Klage aus dem rechtlich vermuteten Eigentum) unterscheidet sich von der eigentlichen Eigentumsklage nach § 366 ABGB nur dadurch, daß der Nachweis des Ersitzungsbesitzes genügt und der Nachweis des Eigentums nicht erforderlich ist. Sie hat die Bedeutung eines ergänzenden Rechtsbehelfs, der demjenigen eingeräumt ist, der zwar seinen Titel, nicht aber den Eigentumserwerb nachweisen kann, und wenigstens gegenüber dem Dritten durchdringen soll, der nichts für sich hat als die Tatsache des gegenwärtigen Besitzes oder dessen Anspruch auf den Besitz schwächer begründet ist als derjenige des Klägers (Pimmer in Schwimann, ABGB § 372 Rdz 1 mwH). Der Kläger hat nicht nur einen gültigen und tauglichen Rechtsgrund für den Erwerb des Eigentums, sondern auch seinen ihm entzogenen oder doch beeinträchtigten Naturalbesitz und dessen Echtheit zu behaupten und zu beweisen (Apathy, Die publizianische Klage, 45; Pimmer in Schwimann, ABGB § 372 Rdz 5). Die Klage nach § 372 ABGB steht nämlich nur demjenigen zu, der im rechtmäßigen, redlichen und echten Besitz einer Sache war und ihn verloren hat (6 Ob 649/89). Neben dem Ersitzungsbesitz des Klägers bildet Klagegrund die vom Kläger zu beweisende Innehabung des Beklagten (Klang in Klang 2 II 234 f).

Gemäß § 309 ABGB heißt, wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat, ihr Inhaber. Hat der Inhaber einer Sache den Willen, sie als die seinige zu behalten, so ist er ihr Besitzer. Unter „Macht“ ist die für jedermann zu erkennende äußere Erscheinung einer Rechtslage, unter „Gewahrsame“ die Tatsache zu verstehen, daß Gegenstände, die sich in einem bestimmten Bereiche einer Person befinden, von anderen erfahrungsgemäß als fremdes Gut geachtet werden (Schey in Klang 2 II 59). Liegen Macht oder Gewahrsame (corpus possessionis) vor, bedarf es nicht mehr des Beweises eines Willens des Inhabers als selbständiger rechtserzeugender Tatsache (Schey in Klang 2 aaO 60 und 105; Ehrenzweig, System I/2, 94).

Der Kläger stellt aber in der Klage keine zweifelsfreie Behauptung auf, aus welcher er als Inhaber des strittigen PKWs erkannt werden könnte. Sein Vorbringen kann auch dahin verstanden werden, daß er sich eines einmal vorhanden gewesenen corpus possessionis dadurch begeben hat, daß er den PKW auf fremdem Grund abstellte, ohne daß das Fahrzeug durch äußere Zeichen als ihm zugehörig erkennbar und ihm die jederzeitige Zugriffsmacht erhalten geblieben wäre. Die Zustimmung der Liegenschaftseigentümer bezog sich nach dem Vorbringen lediglich auf die Tatsache des Abstellens und hätte etwa auch dann erteilt werden können, wenn der Kläger die Sache in die (ausschließliche) Gewahrsame der Liegenschaftseigentümer übertragen wollte. Ein Hinweis, daß die Liegenschaftseigentümer etwa nur „Besitzmittler“ (vgl. Spielbüchler in Rummel, ABGB2 § 309 Rdz 2) sein sollten, kann der Klage nicht entnommen werden.

Der Vollständigkeit halber ist noch darauf zu verweisen, daß sich der Klage auch nicht die Behauptung der Innehabung des Streitgegenstandes durch den Beklagten entnehmen läßt, vielmehr ist aus der Wendung, der Beklagte habe den PKW „von der Liegenschaft entfernen lassen“, geradezu gegenteilig zu entnehmen, daß Dritte - wenngleich im Auftrag des Beklagten - sich das Fahrzeug angeeignet haben müssen.

Allerdings hat der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, daß aus der Verletzung vertraglicher Rückstellungspflichten oder einer widerrechtlichen Entziehung des Streitgegenstandes ein vom Eigentum unabhängiger obligatorischer Herausgabeanspruch folge, von dem sich der Beklagte nicht schon durch die Einwendung befreien könne, er wisse nicht, wo sich die Sachen befinden, sondern nur dadurch, daß er behaupte und beweise, daß die Streitgegenstände nicht mehr existieren oder nicht mehr beschafft werden könnten (SZ 25/98; SZ 51/56; HS 4279/39; 5 Ob 22/72; 8 Ob 276/75; 1 Ob 204/75; 3 Ob 547/82). Auf diese Rechtsprechung ist jedoch in diesem Falle nicht näher einzugehen, da - wie bereits dargelegt - der Klagserzählung nicht einmal die Innehabung des Klägers am PKW zu entnehmen ist. Das Tatsachenvorbringen ließe vielmehr auch den nicht ferneliegenden Schluß zu, der Kläger habe sich zugunsten der Liegenschaftseigentümer allenfalls vorhanden gewesener Rechte am PKW begeben und diesen damit letztlich auch der Verfügungsgewalt des Verwalters der Liegenschaft, des Beklagten, ausgeliefert.

Es war daher der Revision Folge zu geben und in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen das Klagebegehren abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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