European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00196.14A.1022.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der Kläger begehrt von der beklagten Rechtsanwältin Schadenersatz wegen eines Vertretungsfehlers in einem Zivilprozess. Obwohl der Prozessvertreter des damals Beklagten nach erhobenem Einspruch zu der für 26. 5. 2011, 15:00 Uhr, anberaumten Tagsatzung nicht pünktlich erschienen sei, habe es die Beklagte unterlassen, die Erlassung eines Versäumungsurteils zu beantragen. Vielmehr habe sie es zugelassen, dass die Verhandlungsrichterin mit dem damaligen Beklagtenvertreter telefonisch Kontakt aufgenommen und erst nach dessen Eintreffen mit der Verhandlung begonnen habe. In der Folge sei die Klage rechtskräftig abgewiesen worden. Bei rechtmäßigem Verhalten der Beklagten hätte der Kläger ein nicht mit Erfolg bekämpfbares Versäumungsurteil erhalten. Er beantragte unter anderem die Vernehmung der damals zuständigen Verhandlungsrichterin. Da im Schadenersatzprozess im Rahmen ihrer Zeugenaussage ihre Glaubwürdigkeit zu beurteilen sein werde, lasse der Umstand der Kollegenschaft und das dadurch bedingte Naheverhältnis zur Zeugin die Unbefangenheit aller Richter des Prozessgerichts in Zweifel ziehen, weshalb er sämtliche Richter des Prozessgerichts ablehne.
Nachdem sich zahlreiche Richter des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz für befangen erklärt hatten, sprach das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss die Befangenheit dieser Richter ‑ und mit einem weiteren Beschluss die Befangenheit eines weiteren Richters ‑ aus und wies den Ablehnungsantrag im Hinblick auf insgesamt sieben Richter ab. Diese hätten alle erklärt, sich nicht befangen zu fühlen. Ein Richter habe angegeben, die beantragte Zeugin während seiner Zeit als Richteramtsanwärter im Rahmen von Seminaren kennengelernt zu haben; er pflege mit ihr seit längerer Zeit das „Du‑Wort“, doch bestehe eine nähere freundschaftliche Verbindung nicht; der objektive Eindruck einer Befangenheit werde aber nicht zu vermeiden sein. Bei diesen Richterinnen und Richtern liege ein Befangenheitsgrund nicht vor. Das Beweisthema für die vom Kläger geführte Zeugin betreffe die Vorgänge im Gerichtssaal in einem bestimmten Zeitraum von 25 Minuten. Insbesondere bei größeren Gerichten reiche der Umstand, dass eine nicht demselben Senat angehörige Kollegin durch ein anhängiges Verfahren (als Zeugin) involviert sein könnte, für sich allein nicht aus, die Befangenheit aller anderen Mitglieder dieses Gerichts anzunehmen, wenn diese darlegten, mangels weiterer als beruflicher Kontakte mit dieser Kollegin nicht befangen zu sein. Auch wenn im Interesse des Ansehens der Justiz bei der Beurteilung, ob Befangenheit vorliegt, grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen sei, liege kein Grund zur Befürchtung der Befangenheit dieser Richterinnen und Richter vor, zumal die Vermutung für die Unparteilichkeit der Richter spreche, solange nicht das Gegenteil erwiesen sei. Ob der bloß objektive Anschein der Befangenheit gegeben ist, der ebenfalls der Tätigkeit eines Richters entgegenstünde, habe der zuständige Befangenheitssenat zu beurteilen. Auf die diesbezügliche Einschätzung des jeweiligen Richters komme es nicht an.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den abweisenden Teil dieses Beschlusses erhobene Rekurs des Klägers ist nicht berechtigt.
Gemäß § 19 Z 2 JN kann ein Richter in bürgerlichen Rechtssachen (erfolgreich) abgelehnt werden, wenn ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Diese Voraussetzung ist schon dadurch erfüllt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss oder das bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte (vgl dazu nur Mayr in Rechberger 4 § 19 JN Rz 4 mwN; RIS‑Justiz RS0046052).
Der bloße Umstand, dass im Schadenersatzprozess ein Richter die Glaubwürdigkeit einer Berufskollegin als Zeugin zu beurteilen hat, kann selbstverständlich einen objektiven Anschein einer Befangenheit nicht begründen, könnte doch sonst ein derartiges Verfahren überhaupt nicht geführt werden. Befangenheit bzw ein objektiver Anschein einer Voreingenommenheit liegt nach zutreffender Auffassung des Erstgerichts nur dann vor, wenn eine besondere Nahebeziehung zwischen dem Prozessrichter und jener in das Verfahren involvierten Person besteht, die weit über die bloße Angehörigkeit zur gleichen Berufsgruppe oder ein übliches kollegiales Verhältnis (RIS‑Justiz RS0108696) hinausgeht, wodurch für die Prozessbeteiligten oder die Öffentlichkeit der Eindruck entstehen könnte, der betreffende Richter sei nicht in der Lage, das Verfahren objektiv zu führen bzw die Verfahrensergebnisse neutral zu beurteilen. Bei größeren Gerichten reicht daher allein die Tatsache, dass ein Gerichtskollege in ein anhängiges Verfahren „involviert“ ist, für sich allein nicht aus, die Befangenheit aller anderen Mitglieder dieses Gerichts auch dann anzunehmen, wenn keine weiteren als bloße berufliche Kontakte bestehen und sich der Richter auch nicht selbst befangen fühlt (vgl nur RIS‑Justiz RS0046129). Die Anlegung eines besonders „strengen Maßstabs“ ist vor allem dort nicht am Platz, wo ein Richter lediglich als Zeuge über Vorgänge in einem von ihm geführten Verfahren, somit über dienstliche Wahrnehmungen, zu vernehmen ist, selbst aber weder Partei des Verfahrens ist noch einer der Prozessparteien besonders nahesteht (vgl nur RIS‑Justiz RS0108430; 4 Ob 328/00i; 4 Ob 108/01p ua).
Soweit der Kläger im Rekurs erstmals darauf Bezug nimmt, dass aus dem Verhalten der damaligen Verhandlungsrichterin und nunmehrigen Zeugin Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden, verstößt er gegen das Neuerungsverbot; zusätzliche tatsächliche Umstände, die nicht Gegenstand des ursprünglich erhobenen Ablehnungsantrags waren, können im Rekursverfahren nicht nachgeschoben werden (vgl nur RIS‑Justiz RS0006000 [T13]). Der Rekurswerber vermag im Übrigen auch nicht darzulegen, inwiefern sich aus dem nunmehr behaupteten Umstand eine Befangenheit anderer Richter ergeben könnte bzw inwiefern diese dadurch veranlasst sein könnten, die Zeugenaussage einer unrichtigen Würdigung zu unterziehen. Wenn von einem Richter sogar erwartet werden kann, dass er regelmäßig auch dann unbefangen entscheidet, wenn eine Prozesspartei gegen ihn Klagen oder Aufsichtsbeschwerden erhoben bzw Strafanzeigen und Disziplinaranzeigen erstattet hat (RIS‑Justiz RS0045970), besteht kein Grund zur typisierenden Annahme, ein demselben Gericht angehöriger Kollege wäre nicht in der Lage, in einem Schadenersatzprozess die Zeugenaussage der damaligen Verhandlungsrichterin neutral zu würdigen, wenn der Schadenersatzkläger zugleich dieser Richterin amtshaftungsbegründendes Fehlverhalten vorwirft (vgl nur RIS‑Justiz RS0045970 [T4a]).
Dass im Amtshaftungsprozess selbst andere Grundsätze gelten (§ 9 Abs 4 AHG), ist für die Prüfung einer allfälligen Befangenheit im Schadenersatzprozess einer Prozesspartei gegen ihren früheren Prozessvertreter nicht von Bedeutung, geht es dort doch nicht um die Beurteilung eines (allenfalls fehlerhaften) Organverhaltens. Zutreffend hat das Erstgericht schließlich auch dargelegt, dass die Frage, ob bei objektiver Betrachtungsweise der Anschein einer Voreingenommenheit eines Richters entstehen könnte, ausschließlich von jenem Senat zu beurteilen ist, der zur Entscheidung über einen Ablehnungsantrag oder eine Befangenheitsanzeige berufen ist. Der Einschätzung des betroffenen Richters selbst kommt insbesondere dort Bedeutung zu, wo er selbst Zweifel daran äußert, eine durch unsachliche psychologische Motive unbeeinflusste Entscheidung treffen zu können. Verneint er dies jedoch und äußert er lediglich Bedenken in Richtung eines möglichen Anscheins einer Voreingenommenheit, wird dadurch die eigenständige Beurteilung des zuständigen Entscheidungsorgans nicht präjudiziert. Der abweichenden Aussage der Entscheidung zu 9 Nc 36/12m (= RIS‑Justiz RS0046053 [T6]) vermag der erkennende Senat nicht beizutreten.
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