European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00191.15T.1222.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Der Kläger ist Inhaber von Patentrechten und einer Marke, unter der er bestimmte Produkte verkauft, nämlich ein Autoscheiben‑Innenreiniger‑Handgerät mit vormontiertem Microfaser‑Pad, ein Eiskratzer‑Handgerät sowie Microfaser‑Ersatzpads. Die Beklagte, welche schon vor Beginn der Geschäftsbeziehung vom Kläger eine im Diskonthandel tätige Gesellschaft (N*****) mit Eiskratzern und Scheibenreinigern beliefert hatte, übernahm ‑ wirtschaftlich betrachtet ‑ mit 7. 11. 2008 für den Kläger den Vertrieb und das Marketing für dessen Produkte, die er vorher bereits an verschiedene Abnehmer veräußert hatte. Mit der (ersten) Vereinbarung erhielt die Beklagte 2008 die „exklusiven Vertriebsrechte“ für die Veräußerung der Produkte an insgesamt 62 namentlich genannte Kunden, darunter die im Diskonthandel tätigen Unternehmen A***** S***** und A***** N***** (im Folgenden: Exklusivkunden) sowie N*****; für diese Vereinbarung war eine Dauer von zumindest einem Jahr vereinbart. Im Rahmen eines Testverkaufs durch einen der beiden späteren Exklusivkunden wurde der Beklagten gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass es nicht gewünscht sei, dass das Produkt gleichzeitig von anderen Mitwerbern, insbesondere Diskontern vertrieben werde. Nachdem der Testkauf erfolgreich verlaufen war, schlossen die Streitteile am 29. 1. 2010 eine der aktuellen geschäftlichen Situation angepasste Vereinbarung, die auszugsweise nachfolgenden Inhalt hat:
„Vertragsgegenstand:
Auto-Scheiben-Innenreiniger ‑ ... Patent ...
einzeln oder als Set ‑ im Nachfolgenden kurz 'C*****' genannt
Lizenzgeber:
Herr A***** [Kläger] ist alleiniger Inhaber der Firma C***** und Eigentümer der Patentrechte des Produktes.
Herr A***** [Kläger] garantiert der Firma N***** [Beklagte] die Nutzung der Patentrechte unter folgenden Bedingungen:
a) Produktion unter Leitung und Beaufsichtigung des Lizenzgebers in Österreich mit
den bestehenden Werkzeugen und Maschinen zu einem 'ab Werk' Preis von EUR 2,85 bestehend aus:
1 x Handgerät Auto‑Scheiben‑Innenreiniger mit vormontiertem Microfaser Pad
1 x Handgerät Eisrubbler/Eiskratzer
2 x Microfaser Ersatzpads
[...]
Dieser Preis beinhaltet sämtliche Kosten ua auch Werkzeug- und Lizenzgebühr sowie Transportverpackung. An diesen Preis hält sich der Lizenzgeber zumindest 6 Monate gebunden.
b) Der Lizenznehmer ist berechtigt auf die Produktkosten inklusive Warenbezugskosten (Einkaufspreis + Transportkosten, Finanzierung, etc.) einen Aufschlag von ca. 20 % für seine Aufwände zu kalkulieren.
c) Der Lizenznehmer verpflichtet sich, sich intensiv für die Vermarktung von C***** einzusetzen. Sämtliche Marketingkosten müssen vom Lizenznehmer getragen werden.
d) Der Lizenzgeber gewährt dem Lizenznehmer das exklusive Vertriebsrecht für folgende Kunden:
A***** S***** und A***** N***** Gruppe; *****
[...]
e) Folgende Kunden dürfen von keinem der Vertragsparteien mit C***** beliefert werden:
N*****
L*****
[...]
f) [...]
g) Bei Verletzung dieser Vereinbarung verpflichtet sich der Lizenzgeber, dem Lizenznehmer den ihm entstandenen Schaden zu ersetzen. Der entstandene Schaden beträgt zumindest die entgangene Handelsspanne von 20 % der Umsätze, die nachweislich direkt zwischen dem Lizenzgeber und den unter Punkt 'D' genannten Kunden getätigt worden sind. ...“
Mit dieser Vereinbarung wurden dem Kläger abgesehen von den beiden „Exklusivkunden“ alle anderen potenziellen Kunden wieder zum eigenständigen Vertrieb überlassen, zumal nach etwa einjährigem Bemühen der Beklagten um Geschäftsanbahnungen lediglich diese beiden Kunden Interesse an den Produkten des Klägers gezeigt hatten. Die Beklagte hatte auch versucht, die Produkte des Klägers beim Diskonter N***** zu verkaufen, konnte dort allerdings keinen Erfolg erzielen, weil diese in verschiedenen Details nicht den Vorstellungen des zuständigen Einkäufers entsprachen. Dies brachte den Geschäftsführer der Beklagten auf die Idee, dass diese selbst einen diesen Anforderungen entsprechenden Autoscheiben‑Innenreiniger erzeugen und patentieren lassen könne. Er informierte den Kläger allerdings nicht über das beantragte Patent und den beabsichtigten Vertrieb. In der Folge stellte die Beklagte einen in verschiedenen Details abweichenden Scheibeninnenreiniger her, den sie erstmals 2011 ‑ nach der intensiven „Bearbeitung“ der Exklusivkunden bezüglich der Produkte des Klägers ‑ auf den Markt brachte und insbesondere an den Diskonter N***** verkaufte. Auch davon wusste der Kläger nichts.
Mit dem Datum 9. 2. 2011 entwarf die Beklagte eine neue „Liefervereinbarung“ zwischen den Parteien, die vom Kläger am 18. 2. 2011 unterschrieben wurde. Das darin erwähnte „exklusive Vertriebsrecht“ für die beiden Exklusivkunden war von diesen gefordert worden. Die Vereinbarung hat im Wesentlichen folgenden Inhalt:
„Verkäufer
Herr T***** A***** [Kläger] ist alleiniger Inhaber von C***** und Eigentümer der Schutzrechte. Der Verkäufer garantiert der Firma N*****gesellschaft mbH [Beklagte] die Lieferung von C***** zu folgenden Bedingungen:
a) Der Verkäufer produziert die Ware in Österreich und liefert das in Punkt b beschriebene Produkt zu einem ab Werk Preis von EUR 3,05/Set. Dieser Preis beinhaltet sämtliche Kosten incl. Verkaufs‑ und Transportverpackung und ist 21 Tage nach der Lieferung zur Zahlung fällig.
b) Produktbeschreibung:
1 x Handgerät Auto‑Scheiben‑Innenreiniger mit vormontiertem Microfaser Pad
1 x Handgerät Eisrubbler/Eiskratzer
5 x Microfaser Ersatzpads
[…]
c) Der Käufer ist berechtigt, auf die Produktkosten inklusive Warenbezugskosten (Einkaufspreis + Transportkosten, Finanzierung etc.) einen Aufschlag von ca. 20 % für seine Aufwände zu kalkulieren.
d) Der Käufer verpflichtet sich, sich intensiv für die Vermarktung von C***** einzusetzen. Sämtliche Marketingkosten, die dem (richtig) Käufer aus seiner Vertriebstätigkeit entstehen, sind von diesem zu tragen.
e) Der Verkäufer gewährt dem Käufer das exklusive Vertriebsrecht für folgende Kunden:
A***** S***** und A***** N***** Gruppe; *****
[...]
f) Folgende Kunden dürfen von keinem der Vertragsparteien mit C***** beliefert werden:
N*****
L***** GmbH & Co KG, *****
N***** AG & Co KG
E***** GmbH
Dieses Verbot erstreckt sich ebenfalls auf die in-und ausländischen Niederlassungen. Dieser Punkt wurde mit A***** vereinbart und ist Bedingung dafür, dass A***** C***** vertreibt.
g) [...]
h) Bei Verletzung der Punkte 'e' und 'f' dieser Vereinbarung verpflichtet sich der Verkäufer, dem Käufer den ihm entstandenen Schaden zu ersetzen. Der entstandene Schaden beträgt zumindest die entgangene Handelsspanne von 20 % der Umsätze, die nachweislich direkt zwischen dem Verkäufer und den unter Punkt 'e' und 'f' genannten Kunden getätigt worden sind. Zudem ist pro Verstoß vom Verkäufer eine Vertragsstrafe von EUR 20.000,-- zu entrichten.
i) Diese Vereinbarung gilt für die Dauer von 5 Jahren und kann weder vom Käufer noch vom Verkäufer vorzeitig gekündigt werden.
j) Sollte sich das Auftragsvolumen auf weniger als 100.000 Stück pro Kalenderjahr reduzieren ist der Verkäufer berechtigt, von der Vereinbarung zurückzutreten. Dies ist dem Käufer schriftlich mitzuteilen. ...“
Der Kläger rechnete nicht mit einer möglichen Konkurrenz durch die Beklagte in der Form, dass diese ein Produkt mit dem gleichen Zweck selbst vertreibt. In der Folge verhandelte die Beklagte mit einem der beiden Exklusivkunden über deren Wunsch, eine größere Menge von Produkten des Klägers zu kaufen, wobei allerdings nicht das gesamte „Set“ laut Vertragspunkt a) gewünscht war, sondern nur Teile davon. Das Geschäft kam schließlich nicht zustande, weil die Beklagte bei dem vom Kunden gebotenen Einkaufspreis von 2,05 EUR keinen Gewinn gemacht hätte und der Kläger nicht bereit war, diese Teile des Sets um einen niedrigeren Preis als 2,10 EUR an die Beklagte zu verkaufen. Daraufhin nahm der Kläger selbst mit der Einkaufsabteilung dieses Exklusivkunden Kontakt auf und veräußerte schließlich die gewünschten Produkte zu einem Preis von 2,05 EUR, wovon die Beklagte spätestens im September 2011 erfuhr. Sie begehrte daraufhin Schadenersatz von (letztlich) 64.983,36 EUR, eine Vertragsstrafe von 20.000 EUR unter Berufung auf Vertragspunkt h) der letztgültigen Vereinbarung sowie Ersatz ihrer Anwaltskosten von 1.166 EUR und erklärte die Aufrechnung mit diesen Forderungen gegen eine (unstrittige) Kaufpreisforderung des Klägers.
Der Kläger begehrte nun die seiner Auffassung nach noch offene Kaufpreisforderung in Höhe von 86.149,36 EUR samt Zinsen und bestritt das Bestehen der behaupteten Gegenforderung. Dazu brachte er ‑ soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist ‑ vor, die Beklagte habe den Abschluss der letzten Vereinbarung durch listige Irreführung veranlasst. Sie habe ihn pflichtwidrig nicht darüber aufgeklärt, dass sie Inhaber eines Patents für ein zweckgleichwertiges Konkurrenzprodukt gewesen sei und dieses gewerbsmäßig vertrieben habe, unter anderem an ein Unternehmen, das vertraglich von der Belieferung mit seinen eigenen Produkten ausgenommen worden war. Die Beklagte habe daher schon bei Vertragsschluss gewusst, dass sie gegen vertragliche Bestimmungen, und das Konkurrenzverbot verstoßen werde, habe darüber aber gegenüber dem Kläger geschwiegen. Sie habe den Kläger im Glauben lassen wollen, sich für den Vertrieb seiner Produkte bestmöglich einzusetzen. Wäre der Kläger pflichtgemäß aufgeklärt worden, hätte er den letzten Vertrag nicht abgeschlossen und es wäre bei der Beendigung der vorangegangenen Vereinbarung geblieben. Aus Bestimmungen des letzten Vertrags könne der Beklagte keine Forderungen ableiten, weil der Kläger berechtigt sei, diesen wegen listiger Irreführung anzufechten. Die vorgenommene Anfechtung sei unzulässig.
Keinesfalls habe die Beklagte das Recht, die Konventionalstrafe und den konkret berechneten Schaden kumulativ zu verlangen.
Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, sie habe den Kläger nicht listig in Irrtum geführt und auch einen Verstoß gegen vertragliche Bestimmungen nicht beabsichtigt. Die von ihr an einen Kunden gelieferten Scheibenreiniger und Eiskratzer seien völlig andere Produkte als jene des Klägers. Da der letzte Vertrag mangels Anfechtbarkeit wirksam geblieben sei, habe sie berechtigterweise mit den ihr zukommenden vertragsgemäßen Ansprüchen auf Schadenersatz und Konventionalstrafe aufgerechnet. Hilfsweise wandte die Beklagte eine weitere Gegenforderung bis zur Höhe der Klageforderung aufrechnungsweise ein, weil der Kläger später weitere Direktlieferungen an die Exklusivkunden im Umfang von zumindest 2 Millionen EUR vorgenommen habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Anfechtungsrecht wegen List verjähre in dreißig Jahren ab Vertragsabschluss. Für eine listige Irreführung sei rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung erforderlich. Der Vertragschließende werde durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt. Täuschung durch Verschweigen erfordere zudem, dass eine Aufklärungspflicht verletzt wurde, was nach den Anschauungen des redlichen Verkehrs zu beurteilen sei. Dabei komme es maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls an. Aus den festgestellten Tatsachen ergebe sich nicht, dass ihr Geschäftsführer den Kläger vorsätzlich über den Inhalt des abzuschließenden Geschäfts getäuscht hätte. Insbesondere sei keine Täuschung darüber erfolgt, dass die als Kunden zuletzt verbliebenen Unternehmen das vertraglich vorgesehene Exklusivrecht verlangt haben. Über diesen Sachverhalt sei ein Irrtum des Klägers ausgeschlossen, da er darüber spätestens bei Unterfertigung der Vereinbarung Bescheid habe wissen müssen. Er habe daher insgesamt den ihm obliegenden Beweis nicht erbringen können, dass es zum Vertragsabschluss nur auf der Grundlage fälschlicher Behauptungen von Seiten der Beklagten gekommen sei. Wegen des vertragswidrigen Direktgeschäfts des Klägers stünden ihr die von ihr geltend gemachten Gegenforderungen nach der einschlägigen vertraglichen Regelung zu. Ein Aufrechnungshindernis liege nicht vor.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Umfang einer Klageabweisung von 64.983,36 EUR sA als Teilurteil und erklärte die Revision für nicht zulässig; die im Übrigen aufhebende Entscheidung des Berufungsgerichts ist nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof. Der Kläger habe seinen Anspruch allein auf eine (nicht näher konkretisierte) Lieferantenforderung gestützt. Da deren (vormaliges) Bestehen von der Beklagten allerdings zugestanden worden sei, sei lediglich zu prüfen, ob der Beklagten die Gegenforderungen zugestanden seien, die durch Aufrechnungserklärung zu einem Erlöschen der Klageforderung geführt haben sollten; Schadenersatzansprüche habe der Kläger entgegen der Auffassung des Erstgerichts nicht erhoben. Der von ihm behauptete Willensmangel liege jedoch nicht vor; ihm sei der Nachweis einer listigen Irreführung nicht gelungen. Ein Irrtum über tatsächlich geäußerte Wünsche der Exklusivkunden sei nicht vorgelegen, weil diese die in der Vereinbarung vorgesehene Exklusivität tatsächlich ausdrücklich gefordert hätten. Ein (allfälliges) arglistiges Vorgehen der Beklagten durch Verschweigen der Tatsache des von ihr zwischenzeitig erlangten Patents und des Vertriebs eines zweckgleichwertigen Konkurrenzprodukts beim Diskonthändler N***** sei schon deshalb nicht maßgeblich, weil es sich bei der Klausel mit dem Verbot, diesen Diskonter zu beliefern, nicht um eine gesonderte oder neu abgeschlossene Vereinbarung gehandelt habe. Bereits die vorangehende Vereinbarung habe vorgesehen, dass keiner der Streitteile genau benannte und mit dem Exklusivkunden konkurrierende Diskonter, wie auch N*****, beliefern darf. Insoweit habe es sich bei der letzten Vereinbarung um eine reine Vertragsanpassung gehandelt, bei der aber die Exklusivitätsklausel nur insoweit verändert worden sei, als zusätzlich weitere Konkurrenten vom Ausschluss eines Vertriebs durch die Streitteile erfasst worden seien. Bei Abschluss der vorangegangenen Vereinbarung vom 29. 1. 2010 habe die Beklagte aber noch über kein eigenes Patent verfügt und auch nicht eigene Produkte an den Diskonter N***** vertrieben. Dass die Beklagte schon damals arglistig etwas verschwiegen hätte, habe der Kläger auch nicht behauptet. Eine allgemeine Rechtspflicht, den Geschäftspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seine Entscheidung Einfluss haben könnte, bestehe nicht. Sie sei nur dann zu bejahen, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs Aufklärung erwarten dürfe. Der Vorwurf, die Beklagte habe ein Patent für ein zweckgleichwertiges Konkurrenzprodukt erworben, dieses gewerbsmäßig beim Diskonter N***** vertrieben oder zu vertreiben beabsichtigt und sich deshalb nicht mehr mit der erforderlichen Intensität für die Vermarktung der Produkte des Klägers eingesetzt bzw einsetzen wollen, sei nicht berechtigt. Die vom Kläger erwähnten Vertragspflichten habe die Beklagte schon mit der Vereinbarung vom 29. 1. 2010 übernommen. Sie habe erst später beabsichtigt, „dieses Patent“ über die Diskonterfirma N***** selbst zu vertreiben. Eine Aufklärungsverpflichtung eines Geschäftspartners darüber, dass er beabsichtigt, einzelne Vertragspflichten nicht mehr oder nicht mehr in vollem Umfang erfüllen zu wollen, sei nicht anzunehmen. Im Übrigen hätte selbst eine Kenntnis des Klägers über den (späteren) Vertrieb eines ähnlichen Produkts durch die Beklagte wohl nur dazu geführt, dass er die letzte Liefervereinbarung, sohin die Vertragsanpassung, nicht mehr abgeschlossen hätte. Die maßgeblichen Rechte und Pflichten aus der Vereinbarung vom 29. 1. 2010 wären aber bestehen geblieben. Die von der Beklagten erhobene Schadenersatzforderung von 64.983,36 EUR entspreche der Handelsspanne von 20 %, die der Beklagten entgangen sei, weil sie das vom Kläger direkt abgeschlossene Geschäft nicht durchführen habe können. Da sie darüber hinaus nicht die Vertragsstrafe als pauschalierten Schadenersatz fordern könne und auch eine Aufrechnung mit einer Schadenersatzforderung wegen entstandener Anwaltskosten von 1.166 EUR nicht berechtigt sei, könne derzeit die Klageforderung nur im Umfang von 64.983,36 EUR sA als unberechtigt erkannt werden, wogegen im Übrigen eine Auseinandersetzung mit der weiters eingewendeten Gegenforderung erforderlich sei. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil sich das Berufungsgericht bei den zu klärenden Rechtsfragen bezüglich des behaupteten Willensmangels an einer gefestigten höchstgerichtlichen Judikatur habe orientieren können und der Entscheidung darüber hinaus eine über den Einzelfall hinauskommende Bedeutung nicht zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig, weil sich das Berufungsgericht mit der behaupteten listigen Irreführung nicht ausreichend auseinandergesetzt hat. Sie ist im Sinne einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung auch berechtigt.
Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass entgegen der Auffassung des Revisionswerbers das Rechtsinstitut der außerordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses wegen (nachträglich eingetretenem Vertrauensverlust) nicht mit jenem der Anfechtung einer Vereinbarung wegen listiger Herbeiführung eines (Motiv‑)Irrtums gleichgesetzt werden kann, weshalb auch die zu Fällen außerordentlicher Kündigungen zitierten Judikate nicht einschlägig sind. Hier ist lediglich der Vorwurf des Klägers auf seine irrtumsrechtliche Relevanz zu prüfen, die Beklagte habe bei Abschluss des letzten Vertrags ihre Interessenkollision arglistig verschwiegen, die darin lag, dass sie zu diesem Zeitpunkt zumindest bereits beabsichtigte, ein ähnliches Produkt im räumlichen Tätigkeitsbereich der beiden Exklusivkunden selbst zu vertreiben.
Wie die Vorinstanzen grundsätzlich zutreffend dargelegt haben, besteht List in der rechtswidrigen und vorsätzlichen Täuschung des (präsumtiven) Vertragspartners mit dem Ziel, diesen durch Herbeiführung eines Irrtums (falsche oder fehlende Vorstellung von tatsächlichen Umständen) oder dessen Ausnutzung zum Abschluss eines bestimmten Vertrags zu bewegen (RIS‑Justiz RS0014827 [T5]). Eine listige Irreführung durch Unterlassung liegt vor, wenn ein Umstand bewusst verschwiegen und hiedurch eine Aufklärungspflicht verletzt wird (RIS‑Justiz RS0014817). Ob insoweit eine Informationspflicht bestand, ist bei Fehlen ausdrücklicher Bestimmungen nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs zu beurteilen, wobei als Kriterien hiefür insbesondere der Aufklärungsbedarf des Vertragspartners und dessen Möglichkeit der selbstständigen Informations-gewinnung heranzuziehen sind (vgl dazu nur die Judikatur-und Literaturnachweise bei Bollenberger in KBB 4 § 870 ABGB Rz 1).
Entscheidend ist daher, ob die Beklagte die den Abschluss eines neuen (in verschiedenen Punkten vom bisherigen abweichenden) Vertrags unter gleichzeitiger Aufhebung der bisherigen Vereinbarung beabsichtigte und dafür auch einen von ihr ausformulierten Vertragstext vorlegte, verpflichtet gewesen wäre, den Kläger darüber aufzuklären, dass sich die tatsächlichen Umstände gegenüber dem früheren Vertragsabschluss nun insoweit geändert hatten, als sie beabsichtigte, ein ähnliches, von ihr selbst hergestelltes Produkt zu vertreiben und (zumindest) einen jener Kunden zu beliefern, der mit den Produkten des Klägers aufgrund des Wunsches der beiden Exklusivkunden nicht beliefert werden durfte. Auch wenn etwa bei reinen Umsatzgeschäften grundsätzlich jeder Vertragspartner die Vorteilhaftigkeit des beabsichtigten Vertragsschlusses selbst zu beurteilen hat (vgl nur 1 Ob 183/00v = SZ 73/160), bestehen bei anderen Vertragstypen häufig erheblich intensivere Treue‑ und Rücksichtnahmepflichten, insbesondere wenn eine Vereinbarung auf längere Dauer ‑ hier auf fünf Jahre ‑ angelegt ist und einer der beiden Vertragspartner durch sie in erheblich stärkerer Weise in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist als der andere. Auch wenn der Rechtsauffassung des Revisionswerbers, die Beklagte habe gegen ein Konkurrenzverbot verstoßen, angesichts der Vertragslage wohl nicht zu folgen ist, bestand nach Auffassung des erkennenden Senats nach den maßgeblichen Anschauungen des redlichen Verkehrs (RIS‑Justiz RS0111165; RS0014811; RS0087139) jedenfalls eine Aufklärungspflicht der Beklagten über ihre beabsichtigten Aktivitäten auf dem betreffenden regionalen Markt, die sich kurz vorher konkretisiert hatten. Dass die Kenntnis dieses Umstands für den Kläger eine nicht unerhebliche Bedeutung haben konnte, musste für die Beklagte nahe liegen war doch die Platzierung eines sehr ähnlichen, für den selben Verwendungszweck geeigneten Artikels, somit eines „Konkurrenzprodukts“, durchaus geeignet, die Absatzchancen des Klägers bei den bestehenden Kunden zu verringern, musste doch damit gerechnet werden, dass Endkunden, die das Produkt des Klägers bei seinen Exklusivabnehmern erworben hätten, seinen Gesamtumsatz dadurch schmälern, dass sie ihren Bedarf durch den Erwerb des Produkts der Beklagten beim Diskonter N***** decken. Damit, dass ihm sein Vertragspartner auf diese Weise auf demselben regionalen Markt im Vertragszeitraum Konkurrenz machen würde, musste der Kläger zweifellos nicht rechnen, auch wenn eine entsprechende Konkurrenzierung durch Dritte keineswegs ausgeschlossen war. Da die Beklagte angesichts der konkreten Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses auch zu einer gewissen Wahrung der Interessen des Klägers verpflichtet war, wäre sie durchaus gehalten gewesen ihn über ihre Absicht, ähnliche Produkte an einen anderen Diskonter zu verkaufen, zu informieren.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der vorangehende Vertrag zwischen den Streitteilen weiter in Geltung geblieben wäre, wenn der Kläger nach ausreichender Information vom Abschluss des nunmehr angefochtenen Vertrags Abstand genommen hätte und mit der Aussicht konfrontiert gewesen wäre, in Hinkunft der „indirekten“ Konkurrenz durch die Beklagte ausgesetzt zu sein. Zweck jeder Irrtumsanfechtung ist die Herstellung der irrtumsfreien Lage, also jenes rechtlichen Zustands, der bestanden hätte, wenn die Irreführung unterblieben wäre. Im vorliegenden Fall wurde der frühere Vertrag, der keine Befristung und einen nur für sechs Monate verbindlichen Preis enthalten hatte, zumindest konkludent einvernehmlich aufgehoben und durch einen neuen Vertrag ersetzt. Dafür, dass der Kläger das frühere Vertragsverhältnis unverändert fortgesetzt hätte, wenn er den neuen Vertrag bei pflichtgemäßer Information über die beabsichtigte künftige Verkaufstätigkeit der Beklagten nicht abgeschlossen hätte, bestehen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keinerlei Anhaltspunkte.
Ausgehend davon, dass eine listige Irreführung des Klägers durch das Schweigen der Beklagten über die erwähnten Umstände für den Abschluss der letzten Vereinbarung durchaus kausal sein könnte, erweisen sich die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen als unvollständig. Das Erstgericht wird sie nach entsprechender Erörterung mit den Parteien zu ergänzen haben. Die Verfahrensergänzung wird sich insbesondere auf die subjektive Tatseite der List beim Geschäftsführer der Beklagten (dazu jüngst Exner , Wie böse muss der Listige sein?, RZ 2015, 255 f mwN), den Einfluss der fehlenden Information auf die Willensbildung des Klägers und letztlich auf das hypothetische Ergebnis in den Vertragsbeziehungen zwischen den Streitteilen zu erstrecken haben. Sollte sich ergeben, dass die Aufklärungspflicht der Beklagten zumindest mit dem bedingten Vorsatz verletzt wurde, den Kläger über den beabsichtigten Absatz eigener „Konkurrenzprodukte“ im Unklaren zu lassen und ihn zur Annahme des neuen Vertragsanbots zu bewegen, und dass die Parteien bei ausreichender Aufklärung sowohl vom Abschluss des neuen Vertrags als auch einer Aufrechterhaltung des früheren Abstand genommen hätten, erwiese sich die Vertragsanfechtung als berechtigt und könnte die Beklagte keine Ansprüche unter Berufung auf Bestimmungen dieses Vertrags erheben.
Sollte sich hingegen ergeben, dass die letzte Vereinbarung auch bei ausreichender Aufklärung mit demselben Inhalt zustande gekommen wäre, wäre die den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildende Klageforderung im Sinne der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts durch Aufrechnung getilgt. Der Revisionswerber zieht weder im Zweifel, dass er mit dem Direktgeschäft gegen das „exklusive Vertriebsrecht“ der Beklagten verstoßen hat, noch dass dieser nach dem Vertragspunkt) Schadenersatz in Höhe von 64.983,36 EUR zustünde.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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