OGH 1Ob187/23s

OGH1Ob187/23s20.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der L*, geboren am *, vertreten durch die Prutsch‑Lang & Damitner Rechtsanwälte OG in Graz, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 2. Oktober 2023, GZ 2 R 171/23s‑97, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00187.23S.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Revisionsrekurswerberin wurde nach dem UbG in ein Krankenhaus eingewiesen, weil sie sich zu Hause nicht mehr selbst versorgen könne. Dort wurde ein „Delir mit wahnhafter Symptomatik“ diagnostiziert. Nach dem Clearingbericht des Erwachsenenschutzvereins ist sie nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Der vom Erstgericht beauftragte Sachverständige attestierte ihr ein demenzielles Krankheitsbild mit Verhaltensauffälligkeiten, Defiziten im Bereich der Orientierungs- und Gedächtnisleistung sowie einer Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsleistung und des Kurzzeitgedächtnisses. Aufgrunddessen zeige sich eine „wahnhafte Stimmung“, die sich etwa in der Überzeugung äußere, man wolle ihr „etwas Böses antun“, sie „neuerlich verhaften“.

[2] Mit dem angefochtenen Beschlussbestellte das Erstgericht die bisherige einstweilige Erwachsenenvertreterin zur Erwachsenenvertreterin für die Betroffene.

[3] Das Rekursgericht wies den dagegen von der Betroffenen erhobenen und durch einen frei gewählten Rechtsanwalt eingebrachten Rekurs zurück und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

[4] Voraussetzung für eine wirksame Bevollmächtigung des einschreitenden Rechtsanwalts wäre gewesen, dass die Betroffene bei Vollmachtserteilung fähig war, deren Zweck zu erkennen. Dies sei nach den Verfahrensergebnissen nicht anzunehmen. Dem im Rekursverfahren einschreitenden Rechtsanwalt fehle es daher an einer wirksam erteilten Vollmacht.

[5] Auch bei Annahme einer wirksamen Bevollmächtigung des gewählten Rechtsanwalts durch die Betroffene und einem daher wirksam erhobenen Rekurs käme diesem aber keine inhaltliche Berechtigung zu. Weder liege – aus vom Rekursgericht ausführlich dargelegten Gründen – der behauptete erstinstanzliche Verfahrensmangel vor, noch komme der Beweisrüge Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der anwaltlich vertretenen Betroffenen ist mangels Darlegung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig:

[7] 1. Die schutzberechtigte Person kann sich bei Erhebung ihres Rekurses von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten lassen, sofern (nach der Aktenlage) nicht offenkundig ist, dass ihr bei Vollmachtserteilung die Vernunft völlig gefehlt hätte und sie nicht fähig gewesen wäre, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen (RS0008539 [insb T11]). Nur bei offenkundig gänzlich fehlender Fähigkeit zu einer solchen Einsicht wäre die Bevollmächtigung eines gewählten Vertreters unwirksam (1 Ob 233/22d mwN).

[8] Dass davon bei der Betroffenen nicht ausgegangen werden könne, legte der Senat bereits in seinen – im vorliegenden Verfahren ergangenen – Entscheidungen zu 1 Ob 105/23g und 1 Ob 143/23w dar. Auch wenn der in erster Instanz beigezogene Sachverständige die allgemeine Vollmachtsfähigkeit der Betroffenen verneinte, bestehen keine Anzeichen dafür, dass sie des Gebrauchs der Vernunft gänzlich beraubt und daher offensichtlich nicht in der Lage wäre, den Zweck und das Wesen der Verfahrensvollmacht zumindest in Grundzügen zu erfassen. Ihr Rekurs wurde daher zu Unrecht zurückgewiesen.

[9] 2. Das Rekursgericht beurteilte das Rechtsmittel der Betroffenen aber ohnehin – wenngleich nur hilfsweise – auch meritorisch. Es setzte sich mit dem behaupteten erstinstanzlichen Verfahrensmangel auseinander und verneinte diesen ebenso wie eine behauptete unrichtige Beweiswürdigung durch das Erstgericht. Nimmt das zweitinstanzliches Gericht eine solche inhaltliche Prüfung vor, obwohl es seine Entscheidungsbefugnis aus formalen Gründen verneint, ist sein Beschluss nach ständiger Rechtsprechung als Sachentscheidung anzusehen (RS0044232; 2 Ob 157/22k zum AußStrG). Der Oberste Gerichtshof ist dann befugt, das dagegen erhobene Rechtsmittel in der Sache zu prüfen (2 Ob 157/22k mwN; RS0007037 [T10]), auch wenn die meritorische Beurteilung durch die zweite Instanz – wie hier – nur hilfsweise erfolgte (RS0044232 [T16, T17]).

[10] 3. Die Revisionsrekurswerberin bekämpft die inhaltliche Beurteilung ihres Rechtsmittels durch das Rekursgericht nur insoweit, als sie ihre in zweiter Instanz vorgetragenen Argumente zur angeblichen Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens und zur unrichtigen Beweiswürdigung durch das Erstgericht in dritter Instanz wiederholt. Damit zeigt sie aber keine erhebliche Rechtsfrage auf. Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens können auch im Außerstreitverfahren (ausgenommen im hier nicht vorliegenden Fall des § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG) im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (RS0030748 [insb T15]). Auch die Beweiswürdigung kann in dritter Instanz nicht mehr bekämpft werden (RS0007236 [T2]). Das Rechtsmittel ist daher mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte