European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00180.20G.1020.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 1440 Satz 2 ABGB sind eigenmächtig oder listig entzogene, entlehnte, in Verwahrung oder in Bestand genommene Stücke (für den Herausgabepflichtigen) kein Gegenstand der Zurückbehaltung oder der Kompensation. § 1440 Satz 2 ABGB gliedert sich in zwei Fallgruppen, nämlich in die der vorwerfbaren Handlung durch eigenmächtiges oder listiges Entziehen der Sache sowie jene der Übergabe der Sache aufgrund bestimmter Rechtsverhältnisse wie Leihe, Verwahrung oder Bestandvertrag (A. Heidinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1440 ABGB Rz 5). Hinsichtlich der letztgenannten Fallgruppe besteht der Normzweck des Aufrechnungs‑ und Zurückbehaltungsverbots darin, die Aufrechnung sowie das Zurückbehaltungsrecht zu versagen, wenn der Gläubiger typischerweise nicht mit Gegenansprüchen rechnet (RIS‑Justiz RS0033918 [T4]; vgl auch RS0033960 [T9]), zumal das Vertrauen des Herausgabeberechtigten auf die Rückgabe besonderen Schutz verdient. Dementsprechend gilt das Aufrechnungsverbot nicht für Fälle, in denen der Rückforderungsberechtigte wegen offenkundig zu erwartender Gegenansprüche keine uneingeschränkte Rückgabeerwartung haben darf (1 Ob 65/19v = RS0111269 [T7] = RS0116433 [T8]). Bei Übergabe einer Sache zu einem bestimmten Verwendungszweck, der sich auch durch Vertragsauslegung ergeben kann, oder bei Leistung eines Geldbetrags mit einer bestimmten Widmung, wird in der Rechtsprechung auch im Auftragsverhältnis die (analoge) Anwendung des Aufrechnungsverbots im Sinn des § 1440 Satz 2 ABGB bejaht (8 Ob 94/10x mwN = SZ 2010/114 = EvBl 2011/45, 317 [Dullinger]; vgl RS0033932).
2. Die Beklagte bot sich an und wurde beauftragt, die von der Zweitklägerin erhaltene Zahlung von 90.000 EUR an eine Aktiengesellschaft weiterzuleiten. Das ist nicht geschehen. Statt den Betrag zurückzuzahlen, hat sie nach Scheitern der Weiterleitung dem Rückzahlungsanspruch der Zweitklägerin im Weg der Aufrechnung behauptete eigene Forderungen entgegengehalten. Die Beklagte hatte zu keinem Zeitpunkt vor der Überweisung des weiterzuleitenden Betrags von 90.000 EUR Forderungen gegen die Zweitklägerin, die über die vereinbarten und monatlich gezahlten Pauschalen von 5.000 EUR hinausgingen, erhoben. Für die Zweitklägerin bestand kein Anhaltspunkt, dass der Beklagten aus der vertraglichen Beziehung offene Forderungen zustehen oder dass sie solche geltend machen würde.
3. Die Vorinstanzen bejahten den Rückzahlungsanspruch der Zweitklägerin. Sie wendeten das Aufrechnungsverbot des § 1440 Satz 2 ABGB analog an, weil die Zweitklägerin mit der widmungsgemäßen Verwendung des Geldes oder – falls diese scheitern sollte – mit dessen Rückzahlung rechnen habe können. Die Beklagte habe durch ihr Angebot, den Zahlungsfluss über sie laufen zu lassen, einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen. Das Vertrauen der Zweitklägerin auf das Nichtbestehen von Gegenforderungen sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bei objektiver Betrachtung berechtigt gewesen. Weder sei eine von der Beklagten behauptete Jahrespauschale für ihre Beratungsleistungen noch der Ersatz bestimmter Reisespesen vereinbart gewesen. Für zwei weitere, nicht mit der Weiterleitung im Zusammenhang stehende Projekte sei zwar ein Erfolgshonorar der Beklagten für den Fall des Geschäftsabschlusses vereinbart gewesen, jedoch sei ein solcher nicht erfolgt und damit ihr Provisionsanspruch nicht entstanden. Diese Beurteilung ist nicht korrekturbedürftig.
Die Beklagte vermag nicht aufzuzeigen, warum ihr die Aufrechnung zustehen sollte, wenn sie den Geldbetrag, der ihr von der Zweitklägerin mit einem bestimmten Verwendungszweck übergeben wurde, nicht weitergeleitet hat. Die Auffassung, die Zweitklägerin habe nach dem festgestellten Sachverhalt nicht mit Gegenansprüchen der Beklagten rechnen, vielmehr eine (versuchte) Aufrechnung mit behaupteten Forderungen aus anderen Geschäftskontakten als Vertrauensbruch werten müssen, hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Judikatur. Aus dem konkreten Auftragsverhältnis ergeben sich keine Gegenansprüche der Beklagten; sie erhielt für die letztlich nicht durchgeführte Weiterleitung von der Zweitklägerin sogar ein Honorar. Scheiterte die Weiterleitung des überwiesenen Betrags an die Aktiengesellschaft, ist die Beurteilung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden, dass analog § 1440 Satz 2 ABGB eine Aufrechnung der Beklagten mit nachträglich behaupteten Forderungen gegen den Rückforderungsanspruch nicht zulässig sei.
4. Das Berufungsgericht hat eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens verneint, was grundsätzlich die neuerliche Geltendmachung des behaupteten Verfahrensmangels in dritter Instanz unzulässig macht (RS0042963). Dieser Grundsatz ist zwar dann unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge einer unrichtigen Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften Mängel des Verfahrens erster Instanz mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verneinte (RS0043086 [T4, T5]). Derartiges wird jedoch in der Revision – hinsichtlich der vermissten Beweisaufnahmen – nicht aufgezeigt. Welchen Nachteil (Beschwer) sie durch den (formal) unterlassenen Abspruch über eine Aufrechnungseinrede erlitten haben könnte, legt die Beklagte nicht dar.
5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)