OGH 1Ob136/17g

OGH1Ob136/17g30.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden, sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj L*****, geboren am ***** 2006, über die außerordentlichen Revisionsrekurse des Vaters Dr. M*****, vertreten durch Dr. Christine Kolbitsch und andere Rechtsanwälte in Wien, und der Mutter Dr. S*****, vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 13. April 2017, GZ 20 R 68/17s‑862, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hollabrunn vom 24. Jänner 2017, GZ 1 Ps 124/14k‑853, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00136.17G.0830.000

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Der Antrag der Mutter auf Zuspruch von Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

 

Begründung:

Der Vater bekämpft mit seinem Rechtsmittel die vom Rekursgericht, das den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hatte, bestätigte Übertragung der Obsorge für das Kind alleine an die Mutter. Die Mutter wendet sich dagegen, dass das Rekursgericht – anders als das Erstgericht, das das Kontaktrecht des Vaters (für einen bestimmten Zeitraum) ausgesetzt hatte – diesem vorläufig ein begleitetes Kontaktrecht in vierzehntägigen Abständen jeweils am Samstag von 10 bis 12:00 Uhr einräumte. Es war zum Ergebnis gekommen, dass das Kind den Kontakt zum Vater nur formal äußerlich, jedoch nicht emotional ablehne und die wenigen tatsächlich stattgefundenen Kontakte, die bisher unter denkbar schlechten Bedingungen und unter fortwährender Einmischung und Intervention durch die Mutter stattgefunden hätten, zu einem – wenn auch anfangs nur zögerlichen – Zugehen des Kindes und des Vaters aufeinander geführt hätten. Dem offensichtlich beeinflussten Willen des Kindes sei der das Kindeswohl beeinträchtigende Nachteil gegenüber zu stellen, der dadurch entstünde, dass es den Kontakt zum Vater verliere und die Vaterfigur aus seinem sozialen Leben weiter entfremdet werde. Nach Erinnerung der Mutter an ihre in § 137 Abs 2 ABGB verankerte Wohlverhaltenspflicht, die es auch beinhalte, ihrer Tochter zu vermitteln, dass sie keinen Einwand gegen den Kontakt zum Vater habe und es für das Kind wichtig und gut sei, ihn regelmäßig zu sehen, trug es dem Erstgericht an Hand der weiterhin laufend einzuholenden Berichte des Besuchsbegleiters und nach Abschluss der (von beiden Elternteilen unbeanstandet) aufgetragenen Eltern‑ und Erziehungsberatung auf, zu beurteilen, ob eine vom Vater begehrte Ausweitung des Kontaktrechts sowohl in Bezug auf die Dauer der einzelnen Kontakte als auch für deren unbegleitete Durchführung erfolgen könne.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionsrekurse sind nicht zulässig.

1. Zum Revisionsrekurs der Mutter:

Die Mutter strebt die Abänderung des Beschlusses dahin, dass der Beschluss des Erstgerichts „hinsichtlich der Aussetzung des Kontaktrechts zum Vater für die Dauer eines Jahres bestätigt“ werden solle, also die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses an, in eventu die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht zur ergänzenden Beweisaufnahme zur Frage der Kindeswohlgefährdung bei Aufrechterhaltung bzw Wiederaufnahme zwangsweiser Kontaktrechte.

Das in § 187 Abs 1 Satz 1 ABGB idF KindNamRÄG 2013 normierte Kontaktrecht des Kindes und jeden Elternteils auf regelmäßige und den Bedürfnissen des Kindes entsprechende persönliche Kontakte ist ein allgemein anzuerkennendes, unter dem Schutz des Art 8 EMRK stehendes Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung (RIS‑Justiz RS0047754 [besonders T3, T19, T21]). Erst wenn ein Kind das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat, räumt das Gesetz seiner ausdrücklichen Ablehnung gegenüber der Ausübung der persönlichen Kontakte auch nach Belehrung über die Rechtslage und darüber, dass die Anbahnung oder Aufrechterhaltung des Kontakts mit beiden Elternteilen grundsätzlich seinem Wohl entspricht, und auch der Versuch einer gütlichen Einigung erfolglos bleibt, die Wirkung ein, dass ein Antrag auf Regelung der persönlichen Kontakte ohne weitere inhaltliche Prüfung abzuweisen und von der Fortsetzung der Durchsetzung abzusehen ist (§ 108 AußStrG). Dass solche Konsequenzen an die Weigerung unmündiger Minderjähriger nicht geknüpft werden können, hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung zu 5 Ob 94/16h bereits ausgesprochen. Mit der Nennung einer in einem anderen Fall ergangenen erstinstanzlichen und vom übergeordneten Rekursgericht angeblich bestätigten Entscheidung, in der behauptetermaßen die Rechtsansicht vertreten worden sein soll, es stelle § 108 AußStrG keine starre Altersgrenze dar, weswegen auch jüngeren Kindern ein Kontaktverweigerungsrecht zustehen solle, vermag die Rechtsmittelwerberin angesichts des klaren Gesetzeswortlauts des § 108 AußStrG und der dazu bereits ergangenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung somit keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zur Auslegung des § 108 AußStrG aufzuzeigen.

In aller Regel wünscht der Gesetzgeber die Ausübung des Besuchsrechts durch den nicht pflegeberechtigten und erziehungsberechtigten Elternteil aufrecht zu halten, um den persönlichen Kontakt zwischen diesem und dem Kind nicht abreißen zu lassen (RIS Justiz RS0047955). Die Aufrechterhaltung dieses Kontakts zu beiden Elternteilen ist grundsätzlich für eine gedeihliche Entwicklung des Kindes erforderlich und liegt daher im wohlverstandenen Interesse des Kindes (RIS‑Justiz RS0048072), weswegen dazu auch der andere Elternteil, hier die Mutter, beizutragen hat (vgl nur 9 Ob 201/02b = EFSlg 100.241 mwN). Bereits mehrmals erläuterte der Oberste Gerichtshof, dass, soweit sich ein Elternteil auf den Widerstand eines Kindes gegen ein Besuchsrecht des anderen beruft, dieses Argument versagt, wenn es an derjenigen Person liegt, die von ihr bzw ihr nahestehenden Personen ausgehende negative Beeinflussung des Kindes gegenüber dem anderen Elternteil abzubauen oder zumindest dem Kind neutral darzustellen (3 Ob 264/03z mwN; RIS‑Justiz RS0047996 [T2]).

Eine Unterbindung der persönlichen Kontakte ist daher nur in Ausnahmefällen und nur aus besonders schwerwiegenden Gründen zulässig, etwa dann, wenn die Ausübung des Rechts das Wohl des Kindes gefährdet (RIS‑Justiz RS0047950 [besonders T3]; RS0047754). Jüngere Kinder können auch gegen ihren Willen zu einem Besuchsrecht verhalten werden (RIS‑Justiz RS0047981 [T7]; zuletzt 5 Ob 94/16h). Auch reicht die bloße Befürchtung einer Irritation des Kindes oder eine „angstbetonte Beziehung“ (damals zum Vater) nicht aus (RIS‑Justiz RS0047950 [auch T2]; vgl auch 5 Ob 59/08z = RS0048068 [T8]). Es muss vielmehr jede sich ohne Gefährdung des Kindeswohls bietende Möglichkeit einer Kontaktaufnahme genutzt werden (RIS‑Justiz RS0047955 [T1, T5]; RS0047754 [T15]). Nur wenn die tatsächliche Ausübung des Besuchsrechts beim Kind merkbare und nicht bloß vorübergehende, seinem Wohl daher abträgliche Auswirkungen zeitigen sollte, sind die persönlichen Kontakte vorübergehend zu untersagen (RIS‑Justiz RS0047950 [T7]). Die Ausübung des Kontaktrechts ist gemäß § 107 Abs 2 AußStrG nach Maßgabe des Kindeswohls, insbesondere zur Aufrechterhaltung der verlässlichen Kontakte und zur Schaffung von Rechtsklarheit, auch vorläufig einzuräumen (oder zu entziehen).

Im Revisionsrekursverfahren gemäß § 66 Abs 2 AußStrG herrscht Neuerungsverbot (RIS‑Justiz RS0119918). Dessen ausnahmsweise Durchbrechung aus Gründen des Kindeswohls (RIS‑Justiz RS0119918 [T4]) ist, nachdem hier bereits eine äußerst umfangreiche Beweisaufnahme und Begutachtung zur Frage des Kontaktrechts zum Vater stattgefunden hat (der Akt umfasst bereits zwölf Bände) nicht geboten. Schon das Erstgericht stellte fest, dass das Verhalten der Mutter anlässlich der Besuchskontakte ambivalent ist, sie dem Kind einerseits nonverbal die Ablehnung der Kontakte signalisiere, andererseits aber jede Woche zu Kontakt zum Vater motiviere und diese Doppelbotschaft für das Kind schwer zu verkraften sei. Die Mutter – über die in der Vergangenheit Beugestrafen zur Einhaltung des Kontaktrechts verhängt werden mussten – versucht in ihrem Revisionsrekurs in unzulässiger Weise (vgl RIS-Justiz RS0007236 [T1 bis T4, T6, T7]) die vom Rekursgericht seiner Entscheidung zugrundegelegte Tatsache, dass der Wille des Kindes von ihr beeinflusst ist, anzugreifen und vermengt außerdem den formal geäußerten Willen des Kindes mit dessen Wohl. Dabei muss aber auch die (langfristige) Persönlichkeitsentwicklung des Kindes bedacht werden. Der Kontakt zum Vater soll der Entwicklung des Kindes unter Einbeziehung einer Vaterfigur dienen und einer weiteren Entfremdung entgegenwirken (vgl dazu 7 Ob 68/14x). Es gelingt der Mutter damit nicht, darzustellen, dass das Rekursgericht anlässlich der grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängigen und nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Entscheidung, inwieweit einem Elternteil ein Recht auf persönliche Kontakte eingeräumt werden soll, leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt haben sollte (RIS‑Justiz RS0097114 [T14]).

2. Auch der Revisionsrekurs des Vaters ist – wie jener der Mutter in Ansehung des vorläufigen Kontaktrechts – mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen, weil wie bei der Entscheidung über die Obsorge iSd § 180 ABGB keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu lösen ist und ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RIS-Justiz RS0115719; RS0007101 [T8]).

Grundsätzlich soll zwar im Gegensatz zur Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 nunmehr die Obsorge beider Elternteile (eher) die Regel sein. Besteht also eine „normale“ familiäre Situation zwischen den Eltern und auch zwischen den Eltern und dem Kind, so gelangt dieser Grundsatz zur Anwendung (RIS-Justiz RS0128811 [T1, T2]). Nach ständiger Judikatur setzt aber die sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus (RIS-Justiz RS0128812).

Dass zwischen den Eltern eine solche Kommunikationsbasis tatsächlich vorhanden oder auch nur absehbar wäre, behauptet nämlich nicht einmal der die gemeinsame Obsorge anstrebende Vater. Wenn er die Verantwortung für die fehlende Kommunikationsbasis zwischen den Eltern alleine bei der Mutter sieht, übergeht auch er den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt. Danach kommunizieren „die Kindeseltern“ nicht miteinander. Es sind für sie schon seit langer Zeit nicht einmal gemeinsame Gespräche über das Kind möglich. Der Vater blieb auch während der Zeit der selbständigen Besuchskontakte „stereotyp“ bei seiner gegen die Mutter gerichteten Vorwurfshaltung und konnte „von sich aus kein Konzept der Toleranz einleiten“. Zuletzt sei erwähnt, dass beide Elternteile (– wenn auch disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung festgestellt –) von einer neutralen Haltung zueinander „derzeit sehr weit entfernt“ sind. Ebenso scheitern seine Ausführungen zu einer bloß behauptetermaßen fehlenden bzw massiv eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Mutter an den Feststellungen zur grundsätzlichen Erziehungsfähigkeit beider Eltern. Erziehungsdefizite der Mutter betreffen ausschließlich das negative Vaterbild, das sie ihrem Kind vermittelt. Diese beeinträchtigen das Vater-Kind-Verhältnis, haben jedoch (bislang) keine darüber hinausgehenden negativen Auswirkungen auf die soziale und emotionale Entwicklung des Kindes. Die Mutter hat im vorliegenden Fall das Kontaktrecht auch – anders als der Vater es darstellt – nicht völlig vereitelt.

3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

4. Ein Kostenersatz findet im Verfahren über die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr nicht statt (§ 107 Abs 5 AußStrG), sodass der darauf gerichtete Antrag der Mutter in ihrer ohne Freistellung durch den Obersten Gerichtshof erstatteten Revisions‑(rekurs‑)beantwortung schon deshalb abzuweisen ist.

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