OGH 9Ob201/02b

OGH9Ob201/02b4.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Mirko, geboren 8. Dezember 1988, und Dario L*****, geboren 4. September 1996, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Svetlana L*****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. Juli 2002, GZ 42 R 335/02d-76, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 508a und § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Gegen den Beschluss des Rekursgerichtes ist der Revisionsrekurs nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 14 Abs 1 AußStrG). Eine solche Rechtsfrage wird von der Revisionsrekurswerberin nicht aufgezeigt:

Rechtliche Beurteilung

Lebt ein Elternteil mit dem minderjährigen Kind nicht im gemeinsamen Haushalt, so haben das Kind und dieser Elternteil das Recht, miteinander persönlich zu verkehren. Die Ausübung dieses Rechtes sollen das Kind und die Eltern einvernehmlich regeln (Prinzip der Familienautonomie; Hopf/Weitzenböck, Schwerpunkte des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001, ÖJZ 2001, 485 [487 f mwN]). Soweit ein solches Einvernehmen allerdings nicht erzielt wird, hat das Gericht auf Antrag des Kindes oder eines Elternteils die Ausübung dieses Rechtes unter Bedachtnahme auf die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes in einer dem Wohl des Kindes gemäßen Weise zu regeln (§ 148 Abs 1 ABGB idF KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135).

Oberster Grundsatz für jegliche Regelung des persönlichen Verkehrs (Besuchsrechtes) ist stets das Wohl des Kindes (Schwimann/Schwimann, ABGB² I § 148 Rz 6 mwN; RIS-Justiz RS0047754, RS0047958, RS0048068 ua); ein Prinzip, das man überhaupt als die oberste Maxime für die Gestaltung der Rechtsverhältnisse Minderjähriger bezeichnen kann (Hopf/Weitzenböck aaO 487 mwN). Dabei entspricht es der allgemein anerkannten psychologischen und soziologischen Erkenntnis, dass die Aufrechterhaltung ausreichender persönlicher Kontakte zwischen dem Kind und dem Elternteil, bei dem es nicht lebt, für die weitere Entwicklung des Kindes von besonderer Bedeutung ist (RV 296 BlgNR XXI. GP 34, 90 f; Schwimann/Schwimann aaO § 148 Rz 4 mwN; RIS-Justiz RS0047754, RS0048013, RS0048072, RS0048343); dies gilt im wohlverstandenen Interesse des Kindeswohls grundsätzlich auch für die Wiederherstellung des persönlichen Kontaktes. Dabei liegt es in der gemeinsamen Verantwortung aller Beteiligten, den Kontakt zu fördern (RV 296 BlgNR XXI. GP 34), wie es überhaupt ein Hauptanliegen des KindRÄG 2001 ist, die elterliche Verantwortung gesetzlich stärker zu betonen (RV 296 BlgNR XXI. GP 23, 33 ff; Hopf/Weitzenböck aaO 492). Bei Ausübung der Rechte und Erfüllung der Pflichten zwischen Eltern und Kindern ist nach der durch das KindRÄG 2001 in (die Neufassung des) § 145b ABGB eingeführten allgemeinen "Wohlverhaltensklausel" zur Wahrung des Kindeswohls alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Minderjährigen zu anderen Personen, denen nach diesem Hauptstück das Kind betreffende Rechte und Pflichten zukommen, beeinträchtigt oder die Wahrnehmung von deren Aufgaben erschwert. Das Unterlassungsgebot erfasst ein breites Spektrum an denkbaren Verhaltensweisen, wie etwa herabwürdigende oder beleidigende Äußerungen oder gar Gewalttätigkeiten gegenüber dem anderen Elternteil, aber auch Vereinnahmungen, Aufwiegelungen oder gar Aufhetzungen des Kindes und Ähnliches (RV 296 BlgNR XXI. GP 53, 57). Das Gericht hat nötigenfalls, insbesondere wenn der berechtigte Elternteil seine Verpflichtung aus § 145b ABGB nicht erfüllt, die Ausübung des Rechtes auf persönlichen Verkehr einzuschränken oder zu untersagen (§ 148 Abs 2 ABGB).

Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil unter Bedachtnahme auf Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände das Besuchsrecht wieder eingeräumt werden soll, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig; es kann ihr deshalb in der Regel keine Bedeutung im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden, sofern nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (9 Ob 71/01h; RIS-Justiz RS0097114 ua). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Loyalitätskonflikte bei Kindern sind eine fast unausweichliche Folge der Trennung der Eltern (RV 296 BlgNR XXI. GP 57). Befürchtet die Mutter von der Ausübung des Besuchsrechtes des Vaters ausgehende Irritationen der Kinder, die allein auf Spannungen zurückzuführen sind, wie sie häufig nach dem Scheitern einer Ehe zu beobachten sind, dann ist es Pflicht und Aufgabe der Eltern, die Liebe und Zuneigung der Kinder zu beiden Elternteilen in gleicher Weise zu fördern (RIS-Justiz RS0048036). Beruft sich die Mutter auf den Widerstand eines der Kinder gegen ein Besuchsrecht des Vaters, dann versagt dieses Argument, wenn es an der Mutter liegt, die von ihr bzw ihr nahestehenden Personen ausgehende negative Beeinflussung des Kindes gegenüber dem Vater abzubauen oder zumindest den Vater dem Kind neutral darzustellen (4 Ob 260/98h; RIS-Justiz RS0047942, RS0047996). Das Recht auf persönlichen Verkehr hätte nur dann zurückzustehen, wenn hiedurch das Kindeswohl gefährdet wäre. Ein solcher, insbesondere mit dem Verhalten des Vaters oder dessen Person zusammenhängender Umstand, der der Ausübung des Besuchsrechtes im so genannten Besuchscafe des Amtes für Jugend und Familie (AJF) entgegenstünde, konnte aber nicht festgestellt werden. Einrichtungen wie Besuchscafes erscheinen durchaus geeignet, gerade in konfliktbeladenen Situationen Vorbehalte des mit der Obsorge betrauten Elternteils zu überwinden (vgl RV 296 BlgNR XXI. GP 35), wie sie sich insbesondere bei einer erstmaligen Kontaktanbahnung oder bei einer Wiederanbahnung des persönlichen Kontakts ergeben können (Hopf, Die Rechtsstellung des Elternteils, bei dem sich das Kind nicht hauptsächlich aufhält, nach dem KindRÄG 2001, in Ferrari/Hopf, Reform des Kindschaftsrechts 69 [81]; vgl auch EFSlg 86.881, 86.931). Es liegt auch kein - nach Ansicht der Revisionsrekurswerberin - das Besuchsrecht hindernder Zweifelsfall vor, weil für den Vaters wie für jeden anderen die Unschuldsvermutung spricht, ihm also sexuelle Übergriffe, sonstige Misshandlungen und Drohungen nicht unterstellt werden können (9 Ob 289/00s). Das darauf gerichtete Revisionsrekursvorbringen stellt vielmehr den Versuch einer unzulässigen Beweisrüge dar.

Ausdrücklich regelt § 185b AußStrG idF KindRÄG 2001 nunmehr die Frage, wie das Gericht vorzugehen hat, wenn das mündige Kind den Kontakt aus eigenen Überlegungen ausdrücklich ablehnt. In diesem Fall ist, wenn Belehrungen, Erörterungen oder der Versuch einer gütlichen Einigung nichts fruchten, der Besuchsrechtsantrag ohne weitere inhaltliche Prüfung abzuweisen bzw ein Verfahren zur Durchsetzung des Besuchsrechts abzubrechen. Nur die Ablehnung von Besuchen durch das bereits 14-jährige Kind hat diese verfahrensrechtliche Konsequenz, jüngere Kinder können hingegen auch gegen ihren Willen zu einem Besuchsrecht verhalten werden (Hopf in Ferrari/Hopf aaO 81 f mwN). Die Mündigkeit ist jedoch keine starre Grenze für die Beachtlichkeit der Verweigerung des persönlichen Verkehrs durch Minderjährige. Ob die Weigerung eines noch nicht 14-jährigen Kindes zu beachten ist, hängt unter grundsätzlicher Berücksichtigung, ob die Ablehnung (wie beim bereits 14-jährigen Kind) aus eigener Überzeugung erfolgt (§ 185b Abs 1 AußStrG), von seiner Einsicht und Urteilsfähigkeit ab (vgl RV 296 BlgNR XXI. GP 90; 7 Ob 1547/94; 6 Ob 2398/96g ua); dies kann aber stets nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beantwortet werden (3 Ob 273/00v), die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage nach § 14 Abs 1 AußStrG begründen.

Das Rekursgericht hat alle sich stellenden Fragen sorgfältig geprüft; eine Gefährdung des Kindeswohls ist bei der von ihm beschlossenen Besuchsrechtsregelung nicht erkennbar.

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