OGH 1Ob129/12w

OGH1Ob129/12w15.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Ziegelbauer und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. G***** S*****, 2. Dr. C***** M*****, beide vertreten durch Dr. Andrea Wukovits Rechtsanwältin GmbH in Wien, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Parteien Dr. S***** S*****, vertreten durch Mag. Gernot Strobl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, Rathaus, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, sowie die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. H***** F*****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, 2. T***** H*****, vertreten durch Dr. Michael Mohn, Rechtsanwalt in Wien, wegen 185.474,88 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. März 2012, GZ 14 R 24/12w-181, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. November 2011, GZ 30 Cg 1/04v-171, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Am 13. 11. 2000 kam es in einem von der Erstklägerin gemieteten und von ihr mit dem Zweitkläger bewohnten Haus zu einem Brand, der seinen Ausgang bei einem offenen Kamin (Chemine) im Wohnzimmer des Obergeschosses nahm. Brandursache war, dass zwischen der Rückseite des als Metallteil ausgeführten Feuerraums des Chemines und der in Holzbauweise errichteten Außenwand des Hauses ein Abstand von lediglich 16 cm bestand. Der Rauchfang war direkt auf das Chemine aufgesetzt („amerikanisches Prinzip“) und daher ohne Rauchfangsohle und Putzöffnung ausgeführt. Für diesen Rauchfang gab es weder eine Baubewilligung noch einen Rauchfangkehrerbefund. Dennoch erteilte die Baubehörde für das Haus mit Bescheid vom 22. 9. 1980 die Benützungsbewilligung, ohne dass Auflagen in Ansehung des Chemines oder des Rauchabzugs erteilt worden wären.

Bei einem Abstand der Rückseite des Feuerraums von der Außenwand von 25 cm wäre ein Brand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unterblieben.

Die Kläger begehren den Ersatz des ihnen aufgrund des Brandes entstandenen Schadens und beriefen sich dazu auf eine bauordnungswidrige Ausführung des Chemines. Dies hätte den Organen der Beklagten auffallen müssen, sodass sich die Erteilung der Benützungsbewilligung als rechtswidrig und schuldhaft erweise.

Das Berufungsgericht änderte das dem Klagebegehren teilweise stattgebende Ersturteil über Berufung beider Streitteile dahin ab, dass es die Haftung der Beklagten für den den Klägern durch den Brand entstandenen Schaden dem Grunde nach aussprach. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten spricht keine Rechtsfragen von der nach § 502 Abs 1 ZPO erforderlichen Qualität an:

1.1 Wird Amtshaftung wegen Rechtswidrigkeit eines Bescheids geltend gemacht, darf das Amtshaftungsgericht dessen Rechtswidrigkeit nur annehmen, wenn dies der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat (RIS-Justiz RS0050218; zuletzt 1 Ob 204/05i = EvBl 2006/72, 411; Schragel, AHG3 Rz 264). Vor der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs nach § 11 Abs 1 AHG hat das Amtshaftungsgericht jedoch zu prüfen, ob ein Schaden eingetreten und der gebotene Kausalzusammenhang gegeben ist bzw dem Organ (dem ersten Anschein nach) ein Verschulden zur Last fallen kann (RIS-Justiz RS0050237).

1.2 Der vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang angerufene Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 15. 6. 2010, Zl 2009/05/0094, die Rechtswidrigkeit des Spruchpunkts II. des Bescheids der Beklagten vom 22. 9. 1980, mit dem die Benützungsbewilligung für das hier in Rede stehende Haus erteilt worden war, festgestellt, weil sich diese auch auf den auf das Chemine aufgesetzten Rauchfang bezog, obwohl für diesen keine Baubewilligung erteilt worden war. Die Bindung des Amtshaftungsgerichts erstreckt sich auf den Spruch dieses Erkenntnisses und die diesen Ausspruch näher deutenden Entscheidungsgründe (vgl RIS-Justiz RS0082345 [T3]). Soweit der Verwaltungsgerichtshof über die Rechtmäßigkeit eines Organverhaltens nicht abgesprochen hat, hat das Amtshaftungsgericht diese aber selbst zu beurteilen (Schragel aaO Rz 265).

1.3 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 15. 6. 2010 ausdrücklich im Rahmen seiner Rechtswidrigkeitsbeurteilung die Frage, ob die Baubehörde im Rahmen des Bewilligungsverfahrens allenfalls weitergehende Prüfpflichten verletzt hat, dahinstehen lassen. Damit besteht aber auch keine Bindung der Amtshaftungsgerichte in der von der Revisionswerberin angenommenen Weise, dass nämlich ausschließlich der vom Verwaltungsgerichtshof bei dessen Prüfung berücksichtigte Umstand der fehlenden Baubewilligung für den Rauchfang zur Begründung der Rechtswidrigkeit des Organverhaltens herangezogen werden dürfte. Das führt aber dazu, dass - wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten - die vom Obersten Gerichtshof in seinem Aufhebungsbeschluss vom 16. 12. 2008, 1 Ob 200/07d, geäußerte Rechtsansicht zu dem bei gegebener Sachlage pflichtgemäßen Organverhalten grundsätzlich bindend (§ 511 ZPO) und keineswegs bloß hypothetischer Natur ist, wie die Beklagte meint.

2. Der Oberste Gerichtshof hat im Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang ausgesprochen, dass mit dem Einbau bzw der Verkleidung des Chemines unabhängig davon, ob für den darauf aufgesetzten Rauchfang eine Baugenehmigung erforderlich gewesen sein sollte, eine bauliche Situation geschaffen worden sei, in der die von der Baubehörde unter Einhaltung der feuerpolizeilichen Vorschrift des § 112 der Bauordnung für Wien (WrBauO) grundsätzlich zu prüfende Brandgefahr durch bloßen Augenschein nicht beurteilt werden habe können, sodass Umstände für geeignete weiterführende Ermittlungen durch diese, allenfalls auch für ein Vorgehen nach § 129 Abs 10 WrBauO vorgelegen sei. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs wurde die auf die feuerpolizeiliche Gefahrenabwehr gerichtete Überprüfungspflicht der Baubehörde bejaht und ausgeführt, dass gerade diese Funktion nicht wahrgenommen worden sei, sondern statt dessen - ohne auch nur einen Versuch zur Ermittlung des Abstands des Chemines zur Wand bzw deren baulichen Ausführung und damit zur Einschätzung einer konkreten Brandgefahr zu unternehmen - die Benützungsbewilligung erteilt worden sei. Bestand aber eine Pflicht der Baubehörde zur Schaffung der für die Beurteilung des Vorliegens einer Brandgefahr notwendigen Sachverhaltsgrundlage, war das Unterlassen der entsprechenden Ermittlungsschritte rechtswidrig. Der zweite Rechtsgang hat insoweit keine Änderung der Tatsachengrundlagen hervorgebracht (vgl RIS-Justiz RS0007010 [T10 und T12]).

3. Beim Vorwurf der Unterlassung des gebotenen Handelns wird die Ersatzpflicht des Rechtsträgers dann begründet, wenn das pflichtgemäße Handeln den Schaden abgewendet hätte und die Handlung von den Organen schuldhaft nicht gesetzt wurde (RIS-Justiz RS0081378 [T3]; Schragel, AHG³ Rz 141 mwN). Dazu bedurfte es wegen der Vermutung der Kausalität der Pflichtwidrigkeit von Seiten der Kläger keines strikten Nachweises des Kausalzusammenhangs (RIS-Justiz RS0022469 [T1]; 1 Ob 14/03w). Hier steht fest, dass der offene Kamin nicht der Bauordnung entsprach und weiterführende Ermittlungen der Organe der Beklagten den zu geringen Sicherheitsabstand und die fehlende Hinterlüftung und damit die konkrete Brandgefahr zu Tage gebracht hätten. Bei dieser Sachlage wäre es daher am beklagten Rechtsträger gelegen gewesen, dass er zu seiner Haftungsbefreiung die Kausalität der Pflichtwidrigkeit ernstlich zweifelhaft macht (vgl dazu Schragel aaO Rz 141 mwN). Das verkennt die Beklagte, wenn sie, indem sie das Fehlen von Feststellungen bemängelt, von den Klägern den positiven Nachweis dafür verlangt, dass bei Ergreifen von Maßnahmen zur Feststellung des Abstands durch ihre Organe der Brand und damit der Schaden der Kläger auch tatsächlich unterblieben wäre.

4. Bereits das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dem von der Beklagten erhobenen Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nur dann Erfolg beschieden sein könnte, wenn das Alternativverhalten nicht bloß vertretbar, sondern richtig wäre (RIS-Justiz RS0022889). Soweit die Beklagte hier isoliert auf den Rauchfang abzielt und meint, dass die Benützungsbewilligung bei Vorliegen der Baubewilligung und eines Befundes über den dem Chemine aufgesetzten Abzug erteilt werden hätte müssen, lässt sie außer Acht, dass das pflichtgemäße Tun in der Ermittlung des Abstands des offenen Kamins zur Außenwand bzw dessen baulicher Ausführung und damit der Einschätzung der daraus resultierenden Brandgefahr und nicht bloß in der Beurteilung des Abzugs, der für sich allein auch keinen Bestand haben hätte können, bestanden hätte. Darauf, dass die Benützungsbewilligung für das Haus auch bei positiver Kenntnis des tatsächlichen Abstands des Feuerraums von der Außenwand und der feststehenden Bauordnungswidrigkeit des Chemines uneingeschränkt zu erteilen gewesen wäre, beruft sich die Beklagte in ihrem Rechtsmittel zu Recht erst gar nicht. Mit ihren Ausführungen, dass im Fall einer konventionellen Konstruktion des Rauchfangs die an einen solchen angeschlossene Feuerstätte baubehördlich nicht zu überprüfen gewesen wäre, entfernt sich die Beklagte vom festgestellten Sachverhalt.

5. Steht die Rechtswidrigkeit des Organhandelns fest, trifft die Behauptungs- und Beweislast für mangelndes Verschulden stets den beklagten Rechtsträger (Schragel aaO Rz 141, 161). Der Einwand mangelnden Verschuldens ist zu konkretisieren (1 Ob 38/87 = SZ 60/217). Diesem Erfordernis entspricht die Beklagte aber nicht schon mit ihrem Hinweis auf die vom Obersten Gerichtshof nicht geteilte Rechtsansicht der Vorinstanzen im ersten Rechtsgang. Auch ihr Verweis darauf, dass relativ wenig aufwendige Maßnahmen ausreichend gewesen wären, die konkrete Brandgefahr zu vermeiden, kann nichts daran ändern, dass die Baubehörde solche nicht vorgeschrieben hat.

6. Nach den Tatsachenfeststellungen des Ersturteils kann kein Zweifel daran bestehen, dass der offene Kamin und der direkt darauf aufgesetzte Rauchfang eine bauliche Einheit darstellten. Damit begründet es aber auch keine relevante Aktenwidrigkeit, wenn das Berufungsgericht als Schlussfolgerung festhielt, dass „das Feuer unmittelbar unterhalb des Rauchabzugs und folglich innerhalb des Mauerwerks entfacht wurde, sodass das Chemine fester Bestandteil der Gebäudesubstanz“ gewesen sei. Dass die Baubehörde bei gegebener Sachlage zu einer auf die feuerpolizeiliche Gefahrenabwehr gerichteten Überprüfung verpflichtet gewesen wäre und daher auch die Einhaltung der feuerpolizeilichen Vorschriften des § 112 der WrBauO zu prüfen gehabt hätte, hat der Oberste Gerichtshof bereits in seinem Aufhebungsbeschluss bindend ausgesprochen (vgl dazu RIS-Justiz RS0007010). Auf die dem Rechtsmittel der Beklagten zugrunde gelegte Qualifikation des Blecheinsatzes im Inneren des offenen Kamins als Feuerstätte kommt es damit nicht mehr an.

7. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass bereits die Klage die Unterbrechung der Verjährungsfrist gemäß § 6 Abs 1 AHG bewirkte, weil bereits darin der zu geringe Sicherheitsabstand und der fehlende Baukonsens geltend gemacht wurde, was die Beklagte ignoriert, wenn sie sich auch noch im Revisonsverfahren zur Begründung ihres Verjährungseinwands auf eine Änderung des anspruchsbegründenden Sachverhalts mit Schriftsatz (des Nebenintervenienten auf Seiten der Kläger) vom 18. 6. 2004 beruft. Auch für den Beginn der Zehnjahresfrist des § 6 Abs 1 zweiter Satz AHG ist anerkannt, dass diese nicht schon mit dem schädigenden Ereignis, sondern erst zu jenem Zeitpunkt, in welchem der Schaden „wirksam“ geworden ist, beginnt (RIS-Justiz RS0050338; Schragel aaO Rz 221). Der Verweis auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung durch die Beklagte geht daher ins Leere.

8. Damit zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten insgesamt keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf, sodass sie zurückzuweisen ist.

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