OGH 1Ob111/19h

OGH1Ob111/19h29.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** F*****, vertreten durch Dr. Ralph Forcher, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei S*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Robert Wiesler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 83.030,50 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. Mai 2019, GZ 2 R 67/19v‑67, mit dem das Teil‑ und Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 26. Februar 2019, GZ 35 Cg 30/16f‑62, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00111.19H.0829.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Notwendigkeit der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen eine Frage der Beweiswürdigung (RIS‑Justiz RS0043320); das gilt auch für die Fragen, ob ein verwertetes Sachverständigengutachten getroffene Feststellungen stützt und dieses Gutachten erschöpfend ist (RS0043163) und ob nach § 362 Abs 2 ZPO vorzugehen ist (RS0113643). Die Beklagte übersieht diese Judikatur, wenn sie die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend macht, weil dieses die Entscheidung des Erstgerichts, von der Beiziehung eines weiteren, von ihr beantragten Sachverständigen Abstand zu nehmen, bestätigte.

2.1. Im Rahmen des zu beurteilenden ärztlichen Behandlungsvertrags schuldete die beklagte Krankenhausträgerin dem Kläger die Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durch ihr Fachpersonal. Dafür ist der aktuelle Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft maßgeblich (vgl RS0123136 [T2]). Ärzte haben nach § 1299 ABGB den Mangel der gewissenhaften Betreuung ihrer Patienten nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu vertreten, also jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird (RS0038202). Der vom Arzt einzuhaltende Sorgfaltsmaßstab wird demnach durch die typischen und objektiv bestimmten Fähigkeiten eines Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises vorgegeben. Entscheidend ist der Leistungsstandard der betreffenden Berufsgruppe (RS0026541). Bei § 1299 ABGB geht es somit um den durchschnittlichen Fachmann des jeweiligen Gebiets, der prinzipiell der maßgerechte im Sinn dieser Bestimmung ist (RS0026535). Ob dieser Sorgfaltsmaßstab bei einer konkreten ärztlichen Maßnahme eingehalten wurde, wirft grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl RS0026541 [T4]; RS0026535 [T8]).

2.2. Nach den Feststellungen besteht bei der beim Kläger im Krankenhaus der Beklagten durchgeführten Operation ein ernstzunehmendes Risiko (Wahrscheinlichkeit von bis zu 3,7 %), dass die verwendete Schraube so positioniert wird, dass sie einen Nerv (hier: den Ischiasnerv) irritiert. Anlässlich der durch die Beschwerden des Klägers veranlassten vorzeitigen Kontrolluntersuchung am 6. 3. 2013 wurde er weder von einem Neurologen behandelt noch wurden neurologische Untersuchungen, wie etwa die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, durchgeführt. Eine solche mechanische Irritation ist möglichst zeitnah durch die Entfernung der mechanischen Einwirkung zu behandeln, kann sich weder durch Medikamente oder physiotherapeutische Maßnahmen noch durch Abwarten bessern und führt (wie es hier der Fall war) rasch zu irreversiblen Schäden. Wäre in der orthopädischen Abteilung der Beklagten bereits frühzeitig ein Neurologe beigezogen worden, hätte dieser eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und/oder eine Neurosonographie durchgeführt, wobei die mechanische Irritation des Ischiasnervs diagnostiziert worden wäre.

2.3. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass ausgehend von der Wahrscheinlichkeit einer mechanischen Irritation von immerhin bis nahezu 4 % und dem damit verbundenen Risiko einer irreversiblen Nervenschädigung bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt in der orthopädischen Abteilung der Beklagten ein Neurologe beizuziehen gewesen wäre (, der nach entsprechender Messung eine mechanische Irritation als Ursache festgestellt hätte, was zu einer sofortigen Revisionsoperation geführt hätte) und, weil spätestens beim vorgezogenen Kontrolltermin am 6. 3. 2013, der aufgrund der massiven Beschwerden des Klägers vereinbart worden war, ausreichende Anhaltspunkte für eine solche neurologische Untersuchung vorgelegen seien, ist nicht zu beanstanden. Nach den Umständen des konkreten Falls lagen Anhaltspunkte und konkrete Verdachtsmomente für eine Irritation eines Nervs des Klägers vor, weil neurologische Schädigungen mit einer nicht zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit Komplikationen einer solchen Operation sind. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass ein pflichtgetreuer Arzt in der konkreten Situation in einem orthopädischen Krankenhaus eine solche neurologische Untersuchung veranlasst hätte, ist nicht korrekturbedürftig, zumal umso aufwändigere Maßnahmen geboten sind, je größer der drohende Gesundheitsschaden ist.

3. Wegen der besonderen Schwierigkeiten eines exakten Beweises sind im Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungsfehlern an den Kausalitätsbeweis geringere Anforderungen zu stellen, zumal ein festgestellter schuldhafter Behandlungsfehler in der Regel auf einen nachteiligen Kausalverlauf hinweist (vgl RS0038222). Hier ist der Beklagten ein schuldhafter Behandlungsfehler ihrer Spitalsärzte, für den sie als Krankenhausträgerin dem Patienten als Partner des abgeschlossenen Behandlungsvertrags zu haften hat (§ 1313a ABGB), anzulasten. Der auf Basis der dargestellten Rechtsprechung vorgenommenen Beurteilung der Vorinstanzen tritt die Beklagte nicht konkret entgegen und zeigt damit auch in diesem Zusammenhang keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Ihre (kursorischen) Revisionsausführungen zur vermeintlich fehlenden Kausalität des Fehlverhaltens beruhen auf der unrichtigen Prämisse, ein „maximales Zuwarten“ mit einer neurologischen Abklärung bis 19. 3. 2013 wäre fachlich vertretbar gewesen.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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