European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0170OB00012.25A.1007.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Insolvenzrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.776,02 EUR (darin 462,67 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Schuldnerin war im Baugewerbe tätig und zur Beitragsleistung an die Beklagte verpflichtet.
[2] In dem am 20. 2. 2020 eröffneten ersten Konkursverfahren wurde am 24. 6. 2020 ein Sanierungsplan mit einer Quote von 30 % angenommen und bestätigt.
[3] Mit Beschluss vom 29. 12. 2022 wurde über Antrag der nunmehrigen Beklagten ein zweites Konkursverfahren eröffnet. Der nunmehrige Kläger, der in allen Verfahren zum Masseverwalter bestellt wurde, erklärte mit Schreiben vom 23. 2. 2023 Zahlungen gemäß § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall IO anzufechten, die die Schuldnerin im Zeitraum von 16. 12. bis 22. 12. 2022 nach Einbringung des Konkursantrags, aber noch vor Konkurseröffnung an die Beklagte geleistet hatte. Die Beklagte überwies daraufhin 69.493,40 EUR zurück und meldete diesen Betrag als Insolvenzforderung an. Auch dieses Verfahren endete mit einem Sanierungsplan, sodass der Konkurs mit Beschluss vom 17. 4. 2023 aufgehoben wurde.
[4] Bereits am 17. 8. 2023 wurde ein drittes Konkursverfahren eröffnet.
[5] Am 6. 6. 2024 brachte der Kläger schließlich die nunmehr gegenständliche Anfechtungsklage ein, die Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagte im Zeitraum von 9. 9. bis 14. 12. 2022 von gesamt 86.934,41 EUR betrifft, konkret für laufende Beiträge und Sanierungsplanquoten aus dem ersten Konkursverfahren.
[6] Die Zahlungen seien von der Schuldnerin nach Eintritt der materiellen Insolvenz (Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit) in der Absicht erfolgt, die Beklagte zu begünstigen und ihre anderen Gläubiger zu benachteiligen, wobei die Beklagte diese Umstände gekannt habe, jedenfalls aber kennen hätte müssen. Ob die Anfechtung bereits im Rahmen des zweiten Konkursverfahrens erfolgen hätte können, sei irrelevant. Maßgeblich seien nur die Fristen der Anfechtungstatbestände der §§ 28 ff IO. Die Jahresfrist gemäß § 43 Abs 2 IO habe mit Eröffnung des dritten Konkursverfahrens neu zu laufen begonnen.
[7] Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und stützt sich – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – darauf, dass die Anfechtung bereits im Rahmen des zweiten Konkursverfahrens erfolgen hätte müssen. Nunmehr sei dieser Anspruch einerseits wegen der Annahme und Bestätigung des (zweiten) Sanierungsplans bereinigt und verglichen und andererseits gemäß § 43 Abs 2 IO präkludiert.
[8] Das Erstgericht gab der Klage statt, dies gemäß § 30 Abs 1 Z 3 IO wegen bekannter Begünstigungsabsicht.
[9] Gestützt auf König/Trenker (Die Anfechtung nach der IO6 [2020] Rz 6.1, 17.63) verneinte es eine Präklusion. Das Anfechtungsrecht der IO unterscheide zwischen den „kritischen“ (Anfechtungs‑)Fristen und der Klagsfrist des § 43 Abs 2 IO. Erste seien materiell‑rechtliche Tatbestandselemente der jeweiligen Anfechtungstatbestände, ihre Wahrung sei somit Voraussetzung für das Entstehen des Anfechtungsanspruchs. Ihr Zweck liege in der zeitlichen Limitierung der Anfechtbarkeit im Interesse der Verkehrssicherheit. Demgemäß sei auch ihre Dauer der „Schwere“ des jeweiligen Anfechtungstatbestands angepasst. Im Gegensatz dazu, freilich ebenfalls im Interesse der Verkehrssicherheit, lege die (für alle Tatbestände gleich lange) Klagsfrist des § 43 Abs 2 IO den Zeitraum fest, der dem Insolvenzverwalter zur (angriffsweisen) Ausübung eines bestehenden Anfechtungsanspruchs der Insolvenzmasse zur Verfügung stehe. § 43 Abs 2 IO statuiere eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, deren Ablauf von Amts wegen zu berücksichtigen sei; eine verspätete Klagserhebung führe daher ex officio zur Klagsabweisung. Die Wirkung dieser Klagsabweisung habe aber nur für das gegenständliche Insolvenzverfahren Bedeutung und führe nicht zu einem gänzlichen Erlöschen der Anfechtbarkeit des Vorgangs. Werde später neuerlich ein Insolvenzverfahren eröffnet, könne dort dieselbe Rechtshandlung bzw Unterlassung angefochten werden, sofern die kritischen Fristen noch offen seien.
[10] Es sei daher nur zu prüfen, ob die Fristen für das aktuelle Konkursverfahren noch offen seien, was sowohl für jene nach § 30 Abs 2 IO als auch für jene nach § 43 Abs 2 IO zu bejahen sei.
[11] Schließlich komme auch dem im zweiten Konkursverfahren angenommenen Sanierungsplan keine „generalbereinigende“ Wirkung hinsichtlich allfälliger Anfechtungsansprüche zu.
[12] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
[13] Entgegen der Argumentation der Beklagten führe die Rechtsansicht des Erstgerichts nicht zu einem „Wiederaufleben“ eines bereits präkludierten Anspruchs. Vielmehr entstehe mit jeder Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein eigener Anfechtungsanspruch, dessen Klagbarkeit jeweils wieder neu mit einem Jahr befristet sei, zumal keine Anspruchsidentität bestehe. Davon zu unterscheiden sei der – hier nicht vorliegende – Fall der Wiederaufnahme eines Insolvenzverfahrens nach § 160 Abs 2 IO. Weder im Gesetz, noch in der Literatur oder Judikatur fänden sich Anhaltspunkte für die Rechtsmeinung der Beklagten, dass ein Anfechtungsanspruch nur im Rahmen jenes Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden könne, das den Zahlungen unmittelbar nachfolge, und binnen eines Jahres nach dessen Eröffnung (endgültig) erlösche.
[14] Auch der BGH habe zu IX ZR 268/12 judiziert, dass die Verfristung (nach § 41 Abs 1 dKO) oder Verjährung (nach § 146 Abs 1 dInsO) des Anfechtungsrechts in einem ersten Konkurs‑, Gesamtvollstreckungs‑ oder Insolvenzverfahren nicht den Anfechtungsanspruch in einem zweiten Verfahren betreffe. Ungeachtet der unterschiedlichen Rechtslage träfen die vom BGH angestellten Erwägungen auch auf die Ausschlussfrist nach § 43 Abs 2 IO zu, weil das Argument der nicht identen Insolvenzmassen und der unterschiedlichen Insolvenzgläubiger unabhängig von der Konzeption als Ausschluss‑ oder Verjährungsfrist verfange.
[15] Die von der Beklagten vermisste Rechtssicherheit für potentielle Anfechtungsgegner werde durch die Fristen der jeweiligen Anfechtungstatbestände erreicht. Dem Einwand der Beklagten, ein Gläubiger müsse darauf vertrauen können, dass mit der Annahme des Sanierungsplans die gegenseitigen Ansprüche bereinigt seien und keine Anfechtung drohe, hielt das Berufungsgericht entgegen, dass der Beklagten die Begünstigungsabsicht der Schuldnerin bekannt gewesen sei und sie deren Zahlungen trotz Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit angenommen habe, sodass ihr auch kein Vertrauensschutz zugute komme.
[16] Das Berufungsvorbringen, der Kläger habe auf sein Anfechtungsrecht konkludent verzichtet, weil er nicht alle Zahlungen aus 2022 im zweiten Konkursverfahren angefochten habe, qualifizierte das Berufungsgericht als unzulässige Neuerung iSd § 482 ZPO.
[17] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob für die Frist des § 43 Abs 2 IO allenfalls schon auf frühere Insolvenzeröffnungen abzustellen sei.
[18] Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision die Abänderung der Entscheidung im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[19] Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[20] Die Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
[21] 1. Die Revision wendet sich nicht gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Voraussetzungen der Anfechtung gemäß § 30 Abs 1 Z 3 IO erfüllt sind, und auch die Frist nach § 30 Abs 2 IO gewahrt wurde. Demnach ist die Anfechtung „ausgeschlossen, wenn die Begünstigung früher als ein Jahr vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden hat“.
[22] 2. § 43 IO regelt demgegenüber die „Geltendmachung des Anfechtungsrechts“ nach Insolvenzeröffnung. Gemäß § 43 Abs 1 IO kann die Anfechtung durch Klage oder Einrede geltend gemacht werden. § 43 Abs 2 IO normiert (schon seit der Fassung der Kaiserlichen Verordnung über die Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung vom 10. 12. 1914, RGBl 337/1914), „die Anfechtung durch Klage muss bei sonstigem Erlöschen des Anspruches“ binnen einer Einjahresfrist nach der Eröffnung des (nunmehr:) Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden.
[23] Während die Fristen der Anfechtungstatbestände als materielle Anspruchsvoraussetzungen verstanden werden (vgl RS0064615, RS0064198), handelt es sich bei der Anfechtungsfrist nach § 43 Abs 2 IO um eine Präklusivfrist materiellen Rechts, deren Ablauf von Amts wegen zu beachten ist (vgl RS0064658, RS0064691).
[24] § 43 Abs 2 IO befristet (nur) die Anfechtung des Insolvenzverwalters nach den Bestimmungen der IO, sodass ein Eintritt in einen vor Insolvenzeröffnung anhängig gemachten Einzelanfechtungsprozess nach § 37 IO auch noch nach Ablauf der Einjahresfrist erfolgen kann (vgl 17 Ob 5/23v = RS0134427). Die Frist kommt zur Anwendung, wenn es sich um eine „angriffsweise“ Rechtswahrung des Insolvenzverwalters handelt, nicht aber beim Gebrauch eines Einrederechts am Prozessgegenstand selbst (vgl RS0064680 [insb T2], RS0064661).
[25] Ausgangspunkt für diese Befristung ist das Sicherungsbedürfnis des Rechtsverkehrs; wer vom Schuldner etwas erworben hat, soll sich darauf verlassen können, dass er später als ein Jahr nach Konkurseröffnung keiner Anfechtungsklage mehr ausgesetzt ist (vgl 3 Ob 14/17f).
[26] 3. Auch die Revision argumentiert mit dem Bedürfnis des Verkehrs nach Rechtssicherheit sowie der Bedeutung des Wortes „Erlöschen“ im allgemeinen Sprachgebrauch (laut Duden), und will davon ausgehend sämtliche Anfechtungsansprüche nach den §§ 28 ff IO präkludiert wissen, die nicht binnen eines Jahres nach einer (ersten) Insolvenzeröffnung erhoben werden.
[27] 4.1. Dafür ist zunächst die Bestimmung des § 43 Abs 2 IO nach den §§ 6, 7 ABGB auszulegen.
[28] Schon aus dem Wortlaut und der Systematik folgt aber, dass die §§ 28 ff IO die materiellen Voraussetzungen eines Anfechtungsanspruchs regeln, während sich § 43 IO auf die Geltendmachung eines solchen Anspruchs nach Eröffnung „des Insolvenzverfahrens“ bezieht.
[29] Der Rechtsansicht der Beklagten, bei Versäumung der Frist des § 43 Abs 2 IO höre ein Anfechtungsanspruch gleichsam auf zu existieren, kann schon deswegen nicht gefolgt werden, weil ein solcher nach dieser Bestimmung – wie in Punkt 2. ausgeführt – stets noch mit Einrede geltend gemacht werden kann (und zwar grundsätzlich unbefristet und unabhängig von einer außergerichtlichen Anzeige, vgl König/Trenker, Die Anfechtung nach der IO6 [2020] Rz 17.86 mwN).
[30] Weil § 43 Abs 2 IO als Präklusion eines Klagerechts zu verstehen ist, stellt sich hier die Frage, ob sich daraus auch eine „Sperrwirkung“ für eine angriffsweise Geltendmachung in nachfolgenden Insolvenzverfahren ergibt.
[31] 4.2. Ein Anfechtungsanspruch nach der IO steht nach herrschender Ansicht der Masse selbst zu und wird vom Masseverwalter für diese ausgeübt (vgl § 37 IO; RS0064547, 17 Ob 5/23v [Rz 19]; König/Trenker, Die Anfechtung nach der IO6 [2020] Rz 17.1; Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze [2021] § 27 IO Rz 18; § 37 IO Rz 43; Bollenberger/Spitzer in KLS2 [2022] § 37 IO Rz 1).
[32] Ungeachtet der strittigen Frage, ob der Anfechtungsanspruch erst mit der Insolvenzeröffnung entsteht oder durch diese aufschiebend bedingt ist (zum Meinungsstand s etwa König/Trenker, Die Anfechtung nach der IO6 [2020] Rz 15.4 mwN), kann sich die Frist des § 43 Abs 2 IO damit aber nur auf die jeweilige Masse und die jeweilige Insolvenzeröffnung sowie das vom jeweiligen Insolvenzverwalter gemäß § 37 Abs 1 IO geltend zu machende Anfechtungsrecht beziehen. § 43 Abs 2 IO ist daher (nur) dahin zu verstehen, dass er das Recht der jeweiligen Masse, einen Anfechtungsanspruch angriffsweise geltend zu machen, ein Jahr nach der Insolvenzeröffnung „erlöschen“ lässt.
[33] Somit ist den Vorinstanzen und König/Trenker (Die Anfechtung nach der IO6 [2020] Rz 17.63; vgl auch Rz 6.1, 17.97 mwN) beizupflichten, dass der Ablauf der Frist des § 43 Abs 2 IO nur für das konkrete Insolvenzverfahren Bedeutung hat und nicht zu einem endgültigen Erlöschen der Anfechtbarkeit eines zuvor verwirklichten Tatbestands führt. Wird später neuerlich ein Insolvenzverfahren eröffnet, können dort sohin auch Rechtshandlungen oder Unterlassungen angefochten werden, die bereits im Rahmen eines vorangegangen Insolvenzverfahrens hätten angefochten werden können, aber nicht angefochten wurden; dies freilich unter der Voraussetzung, dass die Frist des geltend gemachten Anfechtungstatbestands noch offen ist und die neue Frist gemäß § 43 Abs 2 IO gewahrt wird.
[34] Davon zu unterscheiden ist die Wiederaufnahme eines Insolvenzverfahrens bei Nichtigkeit des Sanierungsplans gemäß § 160 IO. Da diesfalls gerade kein neues Insolvenzverfahren eröffnet wird, gehen die Revisionsausführungen dazu ins Leere.
[35] 4.3. Der Vertrauensschutz wird bei dieser Auslegung durch die Fristen der Anfechtungstatbestände gesichert, die – entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsansicht – auch nicht durch eine „willkürlich mehrmalige“ Insolvenzeröffnung prolongiert werden können. Eine spätere (angriffsweise) Geltendmachung eines Anfechtungsanspruchs gemäß §§ 28 ff IO kommt nur in Betracht, wenn innerhalb dieser Anfechtungsfristen neuerlich die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegen. Damit ist diese Möglichkeit aber vorrangig für „schwerere“ Anfechtungstatbestände von Bedeutung, bei denen der Vertrauensschutz des Anfechtungsgegners zurücktritt. Schließlich können auch Einzelanfechtungsansprüche, die vom Insolvenzverwalter nicht geltend gemacht wurden, ein Insolvenzverfahren überdauern (s etwa Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze [2021] § 37 Rz 37), sodass für den Anfechtungsgegner schon deswegen keine absolute Rechtssicherheit besteht.
[36] Soweit die Revision damit argumentiert, dass die Gläubiger des zweiten Konkurses dadurch besser gestellt würden als jene des ersten, ist ihr entgegenzuhalten, dass eine Erweiterung der Präklusion des § 43 Abs 2 IO auf ein nachfolgendes Insolvenzverfahren nicht die vormaligen Gläubiger, sondern den Anfechtungsgegner begünstigen würde, dies zu Lasten der neuen Masse und der neuen Gläubiger. Dafür gibt es aber weder eine gesetzliche Grundlage noch eine sachliche Rechtfertigung.
[37] 5. Eine nähere Auseinandersetzung mit Rechtsfragen zum Verzicht auf einen Anfechtungsanspruch und dem Neuerungsverbot des § 482 ZPO kann unterbleiben. Allein aus dem Umstand, dass der Kläger im (zweiten) Konkursverfahren nur solche Zahlungen anfocht, die nach Einbringung des Konkursantrags durch die Beklagte an sie geleistet wurden, kann entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsansicht nämlich nicht auf einen konkludenten Verzicht auf weitergehende Anfechtungsansprüche geschlossen werden.
[38] Bei der Beurteilung, ob ein stillschweigender Verzicht auf ein Recht vorliegt, ist nach der ständigen Rechtsprechung besondere Vorsicht geboten. Er darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist. Die bloße Untätigkeit des Berechtigten ist für sich allein noch kein Grund, einen Verzicht anzunehmen (vgl RS0014190, RS0014420). Zumal Verzichte dem Insolvenzgericht mitzuteilende Geschäfte iSd § 116 Abs 1 Z 1 IO sind (G. Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 IV [2006] § 116 Rz 8; Riel in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [2001] § 116 KO Rz 10; Jelinek in KLS2 [2023] § 116 Rz 21), ist für die Annahme eines schlüssigen Verzichts eines Insolvenzverwalters umso mehr Vorsicht geboten.
[39] Hier steht nicht einmal fest, dass der Kläger im (kurzen) Zeitraum bis zur Aufhebung des (zweiten) Konkurses Kenntnis von einem noch früheren Eintritt der materiellen Insolvenz und weiteren Zahlungen an die Beklagte hatte und ihm das Bestehen (allfälliger) weiterer Anfechtungsansprüche überhaupt bewusst war, sodass die Beklagte aus einer Nichterwähnung keinesfalls auf einen Verzichtswillen schließen durfte, noch dazu hinsichtlich anderer Anfechtungstatbestände.
[40] 6. Schließlich ist den Vorinstanzen beizupflichten, dass sich auch die Bereinigungswirkung des im zweiten Konkursverfahren rechtskräftig bestätigten Sanierungsplans nicht auf die nunmehrigen Anfechtungsansprüche erstreckt.
[41] Gemäß § 156 Abs 1 IO wird der Schuldner durch den rechtskräftig bestätigten Sanierungsplan von der Verbindlichkeit befreit, seinen Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu ersetzen oder für die sonst gewährte Begünstigung nachträglich aufzukommen. Der Sanierungsplan soll daher grundsätzlich nur das Verhältnis zwischen dem Schuldner und den Insolvenzgläubigern regeln (vgl Nunner‑Krautgasser/Anzenberger in KLS2 [2022] § 156 IO Rz 1). Daraus folgt, dass von den Rechtswirkungen des § 156 Abs 1 IO nur Forderungen betroffen sind, die der Anmeldung unterliegen (vgl Lovrek in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [2008] § 156 KO Rz 3). Insolvenzanfechtungsansprüche der Masse nach den §§ 28 ff IO können daher schon begrifflich nicht von § 156 Abs 1 IO umfasst sein.
[42] Da sich die nunmehrigen Anfechtungsansprüche auch nicht auf eine von der Beklagten angemeldete und vom Kläger geprüfte Forderung beziehen, muss schließlich nicht hinterfragt werden, inwieweit die Anerkennung einer Forderung in der Prüfungstagsatzung deren spätere Anfechtung ausschließt, oder ob darin allenfalls ein Verzicht auf einen Anfechtungsanspruch liegen kann (s dazu weiterführend König/Trenker, Die Anfechtung nach der IO6 [2020] Rz 17.68 f mwN).
[43] 7. Letztlich führt die Beklagte ins Treffen, dass ihre Rechtsstellung besser gewesen wäre, wenn sämtliche Zahlungen bereits im ersten Insolvenzverfahren angefochten worden wären. Sie legt jedoch nicht dar, was sie gehindert hätte, auch diese Beträge – die sie unstrittig nach Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit und in Kenntnis der Begünstigungsabsicht erhalten hat – freiwillig zurückzuzahlen und als Insolvenzforderungen anzumelden. Eine (allfällige) Benachteiligung gegenüber Gläubigern, die keine anfechtbaren Zahlungen angenommen und ihre Forderungen ordnungsgemäß angemeldet haben, resultiert damit aus ihrer eigenen Sphäre.
[44] 8. Im Ergebnis stehen der Geltendmachung des Anfechtungsanspruchs (erst) im dritten Konkursverfahren hier weder eine Präklusion nach § 43 Abs 2 IO noch ein Verzicht oder der im zweiten Konkursverfahren rechtskräftig bestätigte Sanierungsplan entgegen, sodass der Revision nicht Folge zu geben ist.
[45] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO.
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