OGH 16Ok10/14b

OGH16Ok10/14b28.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Manfred Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Univ.‑Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragsteller 1. Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 2, Praterstraße 31, und 2. Bundeskartellanwalt, Wien 1, Schmerlingplatz 11, gegen die Antragsgegnerin P***** GmbH (vormals E***** GmbH) *****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, über die Anträge der Einschreiter 1. Verein *****, vertreten durch huber ebmer partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, sowie 2. H***** AG, *****, vertreten durch BMA Brandstätter Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Gewährung von Akteneinsicht, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 25. Juni 2014, GZ 27 Kt 20, 24, 27/06‑67, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst :

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0160OK00010.14B.1128.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

B e g r ü n d u n g :

I. Bisheriger Verfahrensgang

Eine Mitbewerberin der Antragsgegnerin begehrte mit Antrag gemäß § 8a KartG 1988 vom 2. 7. 2002 zu 27 Kt 243, 244/02 des Erstgerichts die Feststellung, dass ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und ein Vereinbarungs‑ bzw Verhaltenskartell vorliege. Das beanstandete Verhalten stehe in Zusammenhang mit der Einhebung einer „ domestic interchange fee “ in unangemessener Höhe im bargeldlosen Zahlungsverkehr unter Verwendung von POS‑(point of sale‑)Zahlungssystemen nach Punkt 15a des Bankomatvertrags zwischen der Antragsgegnerin und ihren Vertragspartnern. Am Verfahren hat sich auch die Bundeswettbewerbsbehörde beteiligt.

Mit Beschluss vom 17. 12. 2003, 27 Kt 243, 244/02‑61, stellte das Kartellgericht fest:

„1. Zwischen der Antragsgegnerin und ihren Vertragspartnern besteht in Bezug auf die Vereinbarung des Punkt 15a des Bankomatvertrags (Beil ./B) ein Absichtskartell (§ 10 KartG 1988);

2. die Antragsgegnerin hat ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für unbare POS‑Zahlungssysteme dadurch missbraucht, dass sie

a) im Rahmen des Bankomatvertrags mit ihren Gesellschafterinnen vereinbart hat, dass diese sich lediglich mit Zustimmung der Antragsgegnerin an anderen Unternehmen, die Systeme für die unbare Zahlungsabwicklung betreiben und damit Wettbewerber der Antragsgegnerin sind, beteiligen dürfen, und

b) weiters im Rahmen des Bankomatvertrags für nicht von ihr verwendete Systeme der Abwicklung des unbaren Zahlungsverkehrs Transaktionsgebühren vereinbart hat, die im Verhältnis zu der dafür erbrachten Leistung bzw der von der Antragsgegnerin für die ihr gegenüber erbrachte Leistung zu bezahlenden Transaktionsgebühr sachlich unangemessen sind.“

In der Folge änderte die Antragsgegnerin noch während des Rechtsmittelverfahrens den Bankomatvertrag dahin, dass es den Gesellschafterinnen/Kreditinstituten ausdrücklich freigestellt wird, sich an Konkurrenten der Antragsgegnerin zu beteiligen. Außerdem wurden die Bestimmungen über die Transaktionsgebühr geändert. Im Hinblick auf diese geänderte Vertragslage zog die Antragstellerin ihren Antrag zurück.

Die Bundeswettbewerbsbehörde hielt zunächst die Anträge der früheren Antragstellerin aufrecht, verfolgte das Verfahren jedoch später nicht weiter, sondern stellte im vorliegenden Verfahren einen Antrag auf Verhängung einer Geldbuße in angemessener Höhe über die Antragsgegnerin wegen der Durchführung eines Kartells und des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung für die Dauer von mindestens fünf Jahren und vier Monaten durch den Abschluss des Bankomatvertrags Punkt 15a in der Fassung Herbst 1998. Weiters stellte sie einen Antrag auf Feststellung gemäß § 28 Abs 1 KartG 2005, der inhaltlich dem im Verfahren 27 Kt 243, 244/02 gestellten Antrag entsprach.

Der Bundeskartellanwalt schloss sich diesen Ausführungen an und beantragte ebenfalls die Verhängung einer Geldbuße.

Die Antragsgegnerin beantragte, die Anträge der Antragsteller abzuweisen.

Das Erstgericht fasste folgenden Beschluss:

I. Festgestellt wird, dass

1. zwischen der Antragsgegnerin und ihren Gesellschaftern in Bezug auf die Vereinbarung des Punktes 15a des Bankomatvertrags ein Absichtskartell (§ 10 KartG 1988) bestand und

2. die Antragsgegnerin ihre marktbeherrschende Stellung dadurch missbraucht hat, dass sie im Rahmen des Bankomatvertrags mit ihren Gesellschaftern (Kreditinstituten) vereinbart hat, dass diese sich lediglich mit Zustimmung der Antragsgegnerin an anderen Unternehmen, die Systeme für die unbare Zahlungsabwicklung betreiben, und damit Wettbewerber der Antragsgegnerin sind, beteiligen dürfen und weiters im Rahmen des Bankomatvertrags für nicht von ihr verwendete Systeme der Abwicklung des unbaren Zahlungsverkehrs Transaktionsgebühren vereinbart hat, die im Verhältnis der dafür erbrachten Leistung bzw den von der Antragsgegnerin für die ihr gegenüber erbrachte Leistung zu bezahlenden Transaktionsgebühr sachlich unangemessen waren;

II. Über die Antragsgegnerin wird gemäß „§ 142 Z 1 lit a und b KartG 1988 für die in Punkt I. 1. und 2. bezeichneten Handlungsweisen im Zeitraum 1. 7. 2002 bis Februar 2004 eine Geldbuße von fünf Millionen EUR verhängt.

Der dagegen erhobene Rekurs der Antragsgegnerin blieb erfolglos; aufgrund der Rekurse der Antragsteller erhöhte der Oberste Gerichtshof jedoch die Geldbuße auf sieben Millionen EUR (16 Ok 4/07).

Mit Antrag vom 2. 9. 2013 beantragte der Ersteinschreiter Einsicht in den Akt 27 Kt 20, 24, 27/06. Er mache als klagende Partei im Verfahren 19 Cg 223/10f des Handelsgerichts Wien zedierte Ansprüche von Händlern geltend, die Bankomatkassen für ihre Kunden nutzten. Deren Höhe betrage 8.421.514,78 EUR. Über die Antragsgegnerin sei rechtskräftig eine Geldbuße von sieben Millionen EUR verhängt worden. Durch die vertikale Beziehung der marktbeherrschenden Antragsgegnerin zu den vertragschließenden Gesellschafterinnen sei eine hohe marktabschottende Wirkung entstanden, die zu mit der Bereicherung korrespondierenden Schäden der die Bankomatkassen nutzenden Händler geführt habe. Zur Durchsetzung entsprechender Schadenersatzansprüche sei für die Klägerin die Einsichtnahme in den Akt unerlässlich. In der Folge schränkte der Antragsteller sein Einsichtsbegehren auf einzelne angeführte Ordnungsnummern sowie sämtliche Beilagen ein.

Die Zweiteinschreiterin begehrte mit Schriftsatz vom 2. 12. 2013 ebenfalls Akteneinsicht. Sie sei Klägerin im Verfahren 11 Cg 168/08f des Handelsgerichts Wien. Dort begehre sie Schadenersatz in Höhe von 8.498.174,92 EUR von der B***** AG, der E***** AG und der U***** AG als Teilnehmer eines Kartells. Die Klage stütze sich auf die Verletzung österreichischen und europäischen Kartellrechts. Die beklagten Banken bestritten in diesem Verfahren unter anderem ihre Kartellteilnahme und den daraus resultierenden Schaden. Da die Zweiteinschreiterin primär beweispflichtig sei, müsse sie eine Kartellteilnahme der Beklagten und die Höhe der angemessenen Interchange Fee beweisen. Aus der Differenz zwischen der tatsächlich verlangten und der angemessenen Interchange Fee ergebe sich der ihr erwachsene Schaden.

Gegen eine Einsicht der Zweiteinschreiterin in einzelne Aktenstücke erhoben die Parteien des kartellgerichtlichen Verfahrens keine Einwände. Die Bundeswettbewerbsbehörde sprach sich für eine Akteneinsicht in das Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen sowie die gerichtlichen Entscheidungen erster und zweiter Instanz für beide Einschreiter aus.

Der Bundeskartellanwalt erhob keine Einwände gegen eine Akteneinsicht in die von ihm erstatteten Schriftsätze. Allein schon aufgrund des Zeitablaufs und der damit verbundenen mangelnden Aktualität der im Akt befindlichen Informationen sei möglicherweise kein schutzwürdiges Interesse mehr gegeben.

Die Antragsgegnerin erklärte sich zuletzt mit einer Einsichtnahme beider Einschreiter in die Entscheidung des Kartellgerichts und des Kartellobergerichts einverstanden, sprach sich jedoch gegen die Gewährung von Akteneinsicht in weitergehendem Umfang aus.

Mit Beschluss des Kartellgerichts vom 25. 11. 2013 wurde an die Antragsgegnerin und mit Beschluss vom 16. 4. 2014 an die Antragstellerin eine Aktenkopie mit dem Auftrag übermittelt, darin sämtliche Passagen rot zu bezeichnen, die sie im Sinne des § 39 Abs 2 KartG als Betriebs‑ oder Geschäftsgeheimnis von der Akteneinsicht ausnehmen wollten, und in einem Schriftsatz jeweils die Gründe hiefür anzugeben. Bestimmte Beilagen wurden ihr im Original mit dem Auftrag übermittelt, im Schriftsatz mitzuteilen, sofern diese von der Akteneinsicht ausgenommen werden sollten, und sie wieder vorzulegen.

Die Antragsgegnerin übermittelte dem Erstgericht die Aktenkopie ohne Streichungen sowie die Urkunden und brachte dazu vor, ein „Screening“ des gesamten Aktes auf Geschäfts‑ und Betriebsgeheimnisse wäre nur mit einem extrem hohen und für die Antragsgegnerin unverhältnismäßigen Aufwand möglich. Dies würde sie einseitig und in einem ungebührlich hohem Ausmaß belasten. Sie könne sich allenfalls vorstellen, dass ein unabhängiger und gegenüber den Einschreitern zur Verschwiegenheit verpflichteter Sachverständiger ausschließlich jene Dokumente identifiziere, die konkret für die Durchsetzung der Rechtsposition der Einschreiter relevant seien.

II. Entscheidung des Erstgerichts

Das Erstgericht gab den Anträgen der Einschreiter auf Akteneinsicht mit Ausnahme jener Aktenteile statt, in die Einsicht zu nehmen der Zweiteinschreiterin bereits gestattet worden war. Ein Interesse der Einschreiter an der Akteneinsicht sei zu bejahen, weil für beide Einschreiter keine ausreichenden sonstigen zivilprozessualen Möglichkeiten für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus Kartellrechtsverstößen zur Verfügung stünden. Darüber hinaus liege auch kein öffentliches Interesse an der Verweigerung der Akteneinsicht vor. Das Kartellgericht habe zu prüfen, ob durch die Akteneinsicht Geschäfts‑ oder Betriebsgeheimnisse der Antragsgegnerin offen gelegt würden. Da der verfahrenseinleitende Antrag bereits aus dem Jahr 2006 und der relevante Vertrag aus dem Jahr 1998 stammten, sei davon auszugehen, dass der Akt aufgrund des Zeitablaufs keine für die Antragsgegnerin heute noch relevanten Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalte; solche seien von ihr nicht konkret bezeichnet worden und dem Akt auch nicht zu entnehmen. Aus den im Verfahren vorgelegten Urkunden ließen sich keine konkreten Tatsachen entnehmen, auf die § 38 BWG anwendbar wäre.

III. Rekurs

Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Antragsgegnerin aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im antragsabweisenden Sinn abzuändern.

Die Antragsgegnerin steht auf dem Standpunkt, § 39 Abs 2 KartG sei weiterhin anwendbar, weil der Ersteinschreiter seine zivilrechtlichen Forderungen auf die Verletzung österreichischen Kartellrechts stütze und nicht auf Verletzung von Unionsrecht. Auch nach den unionsrechtlichen Vorgaben sei dem Antrag auf Akteneinsicht nicht stattzugeben, da kein rechtliches Interesse in Bezug auf jedes einzelne Aktenstück dargelegt worden sei und es im Übrigen auch am rechtlichen Interesse mangle.

IV. Rechtliche Beurteilung

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Akteneinsicht

1.1. Die Akteneinsicht ist die Informationsaufnahme aus dem Gerichtsakt (vgl Danzl, Geo5 § 170 Anm 7). Dabei handelt es sich schon begrifflich um einen einmaligen Vorgang und um kein unbefristetes Recht, welches ‑ einmal bewilligt ‑ nach Belieben des (einmal) Einsichtsberechtigten immer wiederholt werden könnte. Vielmehr müsste eine neuerliche Akteneinsicht erneut beantragt und darüber neuerlich entschieden werden, können sich doch zwischenzeitig die Bewilligungsvoraussetzungen geändert haben (RIS‑Justiz RS0079198 [T8]).

1.2. Die Akteneinsicht im Kartellverfahren richtet sich nach § 22 AußStrG iVm § 38 KartG und § 219 Abs 2 ZPO (Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 22 Rz 28 ff).

2. Akteneinsicht Dritter

2.1. Dritten Personen steht das Recht auf Akteneinsicht grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 22 AußStrG iVm § 219 Abs 2 ZPO zu (vgl RIS‑Justiz RS0128538). Im Bereich des Außerstreitverfahrens erfährt das Recht des am Verfahren nicht Beteiligten auf Akteneinsicht insoweit eine Modifikation, als auf Wesen und Zweck des Verfahrens Bedacht zu nehmen ist. Die Eigenart der in diesem Verfahren abzuwickelnden Angelegenheiten liegt nämlich darin, dass vielfach Familien- oder Vermögensverhältnisse offengelegt werden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und daher schützenswert sind (RIS‑Justiz RS0008863).

2.2. Einem Dritten kann Einsichtnahme und Abschriftnahme von Prozessakten gestattet werden, wenn er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, wobei ein allgemeines öffentliches Interesse an Information und ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtbegehrenden selbst nicht ausreichen. Das rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht (RIS‑Justiz RS0079198).

3. Interessenabwägung

3.1. Liegt die Zustimmung der Parteien - wie hier ‑ nicht vor, ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein rechtliches Interesse des Dritten, der Einsicht begehrt, besteht. Erst wenn dieses bejaht wird, ist die Abwägung vorzunehmen, ob das Recht des Dritten dasjenige der Verfahrensparteien überwiegt (RIS‑Justiz RS0079198 [T6]; vgl auch VfGH VfSlg 13.531; Schragel in Fasching/Konecny2 § 219 ZPO Rz 3; Simotta, Einige Probleme des Datenschutzes im Zivilverfahrensrecht ‑ Teil 1, ÖJZ 1993, 793, 800).

3.2. Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht muss konkret gegeben sein. Die Einsichtnahme und Abschriftnahme muss Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben und die Kenntnis des betreffenden Akteninhaltes muss sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich - rechtlichen Verhältnisse ‑ des Dritten günstig auswirken, sei es auch nur dadurch, dass er instandgesetzt wird, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten.

3.3. Das rechtliche Interesse kann unter den angeführten Voraussetzungen allerdings nur dann anerkannt werden, wenn der Dritte aus dem Akt etwas erfahren will, was er nicht weiß, aber zur Wahrung seiner Interessen wissen muss (RIS‑Justiz RS0037263). Dabei genügt es, wenn der Akteninhalt den Rechtskreis des Antragstellers auch nur mittelbar berührt; angezeigt ist insoweit eine weitherzige Handhabung (RIS‑Justiz RS0037263 [T5]). Das rechtliche Interesse wird eher bejaht, wenn die Akteneinsicht zur Durchsetzung oder Abwehr eines Rechtsanspruchs auch gegenüber einer der Parteien erforderlich ist (Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ § 219 Rz 3).

3.4. Zu den nach § 219 Abs 2 ZPO zu berücksichtigenden Interessen anderer Personen gehören grundsätzlich auch Geschäftsgeheimnisse (vgl Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 211; Simotta, Einige Probleme des Datenschutzes im Zivilverfahrensrecht ‑ Teil 1, ÖJZ 1993, 793, 800; vgl 10 Ob 89/07x; zum Begriff des Geschäfts- bzw Betriebsgeheimnisses siehe Schumacher, Zeugnisverweigerung wegen eines Geschäftsgeheimnisses, ÖJZ 1987, 673 mwN in FN 17).

3.5. Von der die Akteneinsicht beantragenden Person kann nicht mit einem Hinweis auf das Verbot des Ausforschungsbeweises verlangt werden, die Kenntnis der Tatsachen genau anzugeben, die sie sich aus der Akteineinsicht erwartet, liegt doch dem Antrag auf Akteneinsicht notwendigerweise ein Ausforschungsinteresse zugrunde. Erst durch die Akteneinsicht kann der Antragsteller Kenntnis von den relevanten Umständen erlangen. Ist die Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses erforderlich, um Akteneinsicht gewährt zu bekommen, kann daher vom Antragssteller nicht verlangt werden, dass er dieses auf den (ihm unbekannten) konkreten Inhalt des Akts stützt (8 Ob 4/03a; Rassi, Geheimnisschutz bei der Akteineinsicht und Aktenübersendung im Zivilprozess, ZAK 2014, 303, 304). Die abweichende Auffassung von Gitschthaler (in Rechberger, ZPO4 § 219 Rz 3) und Simotta (Einige Probleme des Datenschutzes im Zivilverfahrensrecht ‑ Teil 1, ÖJZ 1993, 793, 800), wonach das Recht der Parteien auf Datenschutz jenem Dritter auf Akteneinsicht im Zweifel vorgeht, hat sich in dieser Allgemeinheit nicht durchgesetzt (vgl Rassi aaO; 8 Ob 4/03a).

4. Rechtsprechung des EuGH

4.1. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Donau Chemie kann in Bezug auf Dokumente, die in den Akten eines die Anwendung von Art 101 AEUV betreffenden nationalen Verfahrens enthalten sind, die Einsichtnahme unter bestimmten Voraussetzungen gewährt werden (EuGH, C‑536/11, Rn 39, sowie die Formulierung der Vorlagefrage Rn 13). Eine nationale Regelung wie § 39 Abs 2 KartG, die den Aktenzugang Dritter generell von der Zustimmung der Parteien abhängig mache, ist mit Unionsrecht, insbesondere dem Effektivitätsgrundsatz, nicht vereinbar. Das nationale Gericht muss die Möglichkeit haben, die Interessen, die die Übermittlung von Informationen und den Schutz dieser Informationen rechtfertigen, im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Interessen abzuwägen (EuGH, C‑36/11, Rn 29, 34).

4.2. In Bezug auf die vom Kartellgericht durchzuführende Interessenabwägung hielt der EuGH fest, dass das nationale Gericht den Aktenzugang nicht systematisch für den gesamten Akt verweigern darf, sondern die Gewährung der Akteneinsicht für jedes einzelne Dokument zu prüfen ist (EuGH, C‑536/11, Rn 43, 47, 48). Es muss mit Blick auf jedes einzelne Dokument die in der Rechtssache Pfleiderer vorgegebene Einzelfallabwägung zwischen Privatinteresse am Schadenersatz und öffentlichem Interesse (etwa an der Funktionsfähigkeit von Kronzeugenprogrammen) vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang sind anderweitige Möglichkeiten für den Antragsteller, an Beweismittel für die Schadenersatzklage zu kommen, zu berücksichtigen (EuGH, C‑536/11, Rn 32, 47).

4.3. In der nachfolgenden Entscheidung EnBW befasste sich der EuGH mit der harmonisierten Auslegung der TransparenzVO mit den kartellrechtsspezifischen Bestimmungen der VO 1/2003 und der DurchfürungsVO. Es handelte sich um ein Akteneinsichtsersuchen nach der TransparenzVO in die Kartellakten der Kommission. Der EuGH sprach aus, dass die Kommission auch ohne konkrete und individuelle Prüfung jedes einzelnen Dokuments der Akte zu der Annahme berechtigt war, dass die Verbreitung der hier relevanten Dokumente grundsätzlich den Schutz der geschäftlichen Interessen der an einem solchen Verfahren beteiligten Unternehmen und den Schutz des Zwecks der Untersuchungstätigkeit im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren beeinträchtige (EuGH, C‑365/12, Rn 93). Der EuGH ging daher von einer allgemeinen Vermutung des Vorliegens der Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen Dritter aus, dies auch nach Abschluss des Kommissionsverfahrens (kritisch dazu Hempel, Einsicht in Kartellverfahrensakten nach der Tranparenzverordnung ‑ Neues aus Luxemburg, EuZW 2014, 297, 298).

4.4. Allerdings kann diese allgemeine Vermutung auch widerlegt werden, wobei die bloße Tatsache, eine Schadenersatzklage erheben zu wollen, nicht ausreichend ist. Um einem Antragssteller einen wirksamen Schutz des Rechts auf Schadenersatz zu gewährleisten, muss nämlich nicht jedes einzelne Dokument des Kartellakts übermittelt werden. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Schadenersatzklage auf sämtliche Bestandteile des Kartellakts gestützt werden muss. Es obliegt dem Schadenersatzkläger nachzuweisen, dass für ihn die Notwendigkeit des Zugangs zu dem einen oder anderen Dokument der Kommissionsakte besteht (EuGH, C‑365/12, Rn 106f).

4.5. Damit erlegt der EuGH den Schadenersatzklägern die Beweislast für den Nachweis auf, dass der Zugang zu einzelnen Dokumenten der Kommissionsakte („Zugang zu dem einen oder anderen Dokument“) für sie erforderlich ist. Allgemein formulierte Akteineinsichtsanträge sind daher nicht ausreichend (EuGH, C-365/12 , Rn 107; vgl dazu auch Ondrejka, EuGH zum Zugang zu Kartellakten ‑ neue Chance für Kronzeugenprogramme, RdW 2014, 387, 390).

4.6. Zusammenfassend bekräftigte der EuGH in der Rechtssache EnBW, dass bei Vorliegen eines begründeten notwendigen Akteneinsichtsantrags eine konkrete Interessenabwägung vorzunehmen ist (EuGH, C‑365/12, Rn 107; vgl dazu auch Hummer/Cywinski, Akteneinsicht: Keine grundlegenden Änderungen von Donau Chemie durch EnBW, ÖZK 2014, 113, 115).

4.7. Vor dem Hintergrund der dargelegten Judikatur des EuGH ist die Entscheidung der EuG in der Rechtssache Niederlande/Kommission, in der das EuG in einem anderen Zusammenhang die Akteineinsicht mit der Begründung verneinte, dass der Schadenersatzkläger nur jene Informationen benötige, die in der von der Kommission veröffentlichten Entscheidung enthalten sind (EuG, T‑380/08, Rn 55), zumindest im Zusammenhang mit auf Verstöße gegen Kartellrecht gestützten Schadenersatzklagen überholt.

5. Literatur

5.1. Polster/Hammerschmid sehen die Unanwendbarkeit des § 39 Abs 2 KartG auf Aktenzugangsfälle in Kartellverfahren mit unionsrechtlichem Bezug beschränkt (vgl Polster/Hammerschmid , Aktenzugang im österreichischen Kartellverfahren nach der Entscheidung Donau Chemie, ÖZK 2013, 140).

5.2. Auch nach Thalhammer/Wartinger verstößt § 39 Abs 2 KartG gegen Unionsrecht und habe daher künftig ‑ sofern materiell ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV (und nicht nur gegen § 1 KartG) vorliege ‑ unberücksichtigt zu bleiben ( Thalhammer/Wartinger , Die Möglichkeit zur Akteineinsicht in kartellgerichtliche Verfahrensakten im Spannungsverhältnis zwischen Public und Private Enforcement, ÖZK 2013, 143, 146). Diese Autoren zweifeln allerdings an, dass § 219 Abs 2 ZPO als Entscheidungsgrundlage über Anträge auf Akteneinsicht im Kartellverfahren ausreichend ist, da diese Bestimmung zwar Raum für eine Interessensabwägung gebe, allerdings würde selbst unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums die Gewährleistung der Effektivität des Kronzeugenprogramms zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs nicht in den öffentlichen Interessen im Sinne des § 26 Abs 2 DSG 2000 Deckung finden.

5.3. Teilweise wird dafür plädiert, die in der Entscheidung EnBW enthaltenen Erwägungen zur Akteneinsicht auch auf nationale Wettbewerbsbehörden zu übertragen (vgl Hummer/Cywinski, Akteneinsicht: Keine grundlegenden Änderungen von Donau Chemie durch EnBW, ÖZK 2014, 113, 115).

5.4. Mehrfach wird in der Literatur erörtert, wie Akteneinsichtsanträge in diesem Zusammenhang ausgestaltet sein müssen. Antragsteller können ja in der Regel nicht vorab angeben, welche konkreten Dokumente sie für die Begründung ihrer kartellrechtlichen Schadenersatzklage benötigen (Ondrejka, EuGH zum Zugang zu Kartellakten ‑ neue Chance für Kronzeugenprogramme, RdW 2014, 387, 390; Hempel, Einsicht in Kartellverfahrensakten nach der Tranparenzverordnung ‑ Neues aus Luxemburg, EuZW 2014, 297, 299). Hempel schlägt vor, den Antrag zunächst konkret auf das Inhaltsverzeichnis der Kartellverfahrensakte der Kommission zu beziehen. Aus dem Inhaltsverzeichnis ließen sich dann womöglich weitere Dokumente konkret bezeichnen, worüber die Kommission konkret befinden müsste (Hempel, EuZW 2014, 297, 300).

6. Rechtslage in Deutschland

6.1. In Deutschland ergibt sich ein Recht auf Akteneinsicht zwar nicht aus dem GWB (anders § 72 im Beschwerdeverfahren), wohl aber aus § 29 VwVfG. Die Kartellbehörde hat den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gewähren, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer Interessen erforderlich ist (§ 29 Abs 1 S 1 VwVfG). Anders als bei § 29 Abs 1 VwVfG kommt es im Rahmen eines Kartellverfahrens nicht auf die rechtlichen Interessen, sondern auf die wirtschaftlichen Interessen an. Im Einzelfall soll die Akteneinsicht aber auf Teile des Aktes begrenzt werden können. Die Kartellbehörde ist zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet, soweit durch sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde beeinträchtigt würde, das Bekanntwerden des Akteninhalts dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder soweit die Vorgänge nach dem Gesetz oder ihrem Wesen nach, namentlich wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen, geheimgehalten werden müssen (§ 29 Abs 2 VwVfG). Nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens soll eine Akteneinsicht nicht mehr möglich sein, was mit dem unmittelbaren Bezug der Akteneinsicht zum Recht auf Stellungnahme begründet wird ( Bach/Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker II GWB § 56 Rn 10; Becker in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff GWB 56 Rn 9‑12).

6.2. Dem Akteneinsichtsrecht steht der notwendige Geheimnisschutz gegenüber. Die Beteiligten haben Anspruch darauf, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht unbefugt offenbart werden (vgl § 30 VwVfG). Diese Geheimnisse genießen zwar im Kartellverwaltungsverfahren keinen absoluten Schutz, aber § 72 Abs 2 Satz 2 GWB gibt einen Maßstab für diesen Schutz vor. Keine schützenswerten Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse sind Tatsachen, die zwar noch nicht nach außen gedrungen sind, deren Offenbarung aber dem betroffenen Unternehmen keinen rechtserheblichen Nachteil zufügt. Einen Nachteil fügt die Offenbarung dann nicht zu, wenn es sich um hoch aggregierte Zahlen handelt. Eine Tatsache ist auch nicht schon deshalb ein Geschäfts‑ oder Betriebsgeheimnis, weil sich daraus ein Verstoß gegen Vorschriften des GWB ergibt. Umgekehrt heißt das aber nicht, dass ein Geheimhaltungsinteresse immer dann entfällt, wenn es um Tatsachen geht, die einen Verstoß gegen Vorschriften des Kartellrechts begründen. Bevor die Akte mitsamt den darin enthaltenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen Dritten bekannt gemacht werden, sind die Betroffenen anzuhören. Ein begründeter Beschluss ist aber nicht erforderlich. Gegen die Gewährung von Akteneinsicht können die Beteiligten, deren Geschäftsgeheimnisse offengelegt zu werden drohen, mit vorbeugender Unterlassungsbeschwerde vorgehen ( Bach/Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker II GWB § 56 Rn 11).

7. Stellungnahme

7.1. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht seine Entscheidung darauf gestützt, dass das Kartellverfahren auch unionsrechtliche Bezüge hatte, weshalb § 39 Abs 2 KartG unanwendbar sei.

7.2. Dieser Einschätzung des von ihm seinerzeit geführten Verfahrens seitens des Erstgerichts kommt besondere Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass der Verfassungsgerichtshof gerade im Zusammenhang mit der Akteneinsicht die Bedeutung des Umstands betont hat, dass die Entscheidung über die Akteneinsicht von einem mit dem Verfahren vertrauten Organ getroffen wird (VfSlg 13.531). Aus diesem Grund hat der Verfassungsgerichtshof die Regelung des § 219 Abs 2 ZPO aF, wonach über die Akteneinsicht vom „Vorsteher des Gerichtes“ zu entscheiden sei, als unsachlich aufgehoben.

7.3. Im vorliegenden Fall bedarf es jedoch keines Eingehens auf die Frage, inwieweit eine derartige Beurteilung des Verfahrensgegenstandes durch das Erstgericht im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Akteneinsicht der Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof unterliegt.

7.4. Auch im Anwendungsbereich nationalen Rechts gelten nämlich keine anderen Maßstäbe. Hier ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Novellierung des KartG durch das KaWeRÄG 2012 gezielt die private Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen fördern wollte (16 Ok 14/13; Kühnert , Kartellrechts‑Novelle stärkt Bundeswettbewerbsbehörde, ZFO Aktuell 2013, 101, 103; Polster/Hammerschmid , Aktenzugang im österreichischen Kartellverfahren nach der Entscheidung Donau‑Chemie, ÖZK 2013, 140, 142; Wollmann/Urlesberger , Das Kartell‑ und Wettbewerbsrechts‑Änderungsgesetz 2012, ecolex 2013, 252, 253).

7.5 Aus diesem Grund ist der vom EuGH hervorgehobene Gesichtspunkt, dass nationale Rechtsvorschriften die Erlangung von Schadenersatz für Wettbewerbsverstöße nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (EuGH, C‑536/11, Rn 10; EuGH, C‑360/09, Rn 30), verallgemeinerungsfähig und auch auf Verstöße gegen das nationale österreichische Kartellrecht übertragbar.

7.6. Hingegen ist aus der Handhabung von Verfahrensregeln vor der Europäischen Kommission für den innerstaatlichen Bereich nichts abzuleiten. Diese Frage fällt nämlich nicht nur im Bereich der Vollziehung nationalen Kartellrechts, sondern auch im Bereich der Vollziehung von Unionsrecht in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (Kodek, Absprachen im Kartellverfahren, ÖJZ 2014/69, 445).

7.7. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass das Unterbleiben der (ausreichenden) Veröffentlichung der Entscheidung für Geschädigte eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des durch Art 6 EMRK und Art 47 Grundrechtscharta garantierten Rechts auf Zugang zu einem Gericht bedeuten würde, wenn ‑ wie nach dem Wortlaut des § 39 Abs 2 KartG ‑ nur mit Zustimmung der Parteien Akteneinsicht in die Akten des Kartellverfahrens zusteht (16 Ok 14/13; vgl dazu die Schlussanträge des Generalanwalts im Verfahren Donau‑Chemie AG, C‑536/11 Rz 65).

7.8. In der zitierten Entscheidung 16 Ok 14/13 hat der Oberste Gerichtshof auch darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen der §§ 37, 37a KartG weitgehend leerliefen, wenn eine entsprechende Information der Öffentlichkeit über derartige bindende Entscheidungen nicht in ausreichendem Maße erfolgte. Wenngleich das Geldbußenverfahren nicht primär den Zweck verfolgt, die Grundlagen für die Führung von Schadenersatzprozessen zu schaffen, ist bei Auslegung des § 37 KartG doch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Verfolgung privater Schadenersatzansprüche wegen Kartellverstößen erleichtern wollte. Diese Überlegung lässt sich aber auf den vorliegenden Zusammenhang übertragen.

7.9. Die vom Kartellgericht vorgenommene Interessenabwägung ist nicht zu beanstanden. Auch im Rekurs legt die Antragsgegnerin nicht dar, welche konkreten Informationen als Geschäftsgeheimnisse betroffen sein könnten. Bei einem Wettbewerbsverstoß kann es sich niemals um ein Geschäfts‑ oder Betriebsgeheimnis handeln (16 Ok 14/13). Dies entspricht auch der Rechtslage in Deutschland.

7.10. Die Aufrechterhaltung der Effektivität des Kronzeugenprogramms ist hier schon deshalb nicht gefährdet, weil im Anlassfall kein Kronzeugenantrag gestellt worden ist. Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass das betreffende Kartellverfahren bereits seit längerer Zeit abgeschlossen ist, sodass die aus der Akteneinsicht gewonnenen Informationen ohnehin nicht mehr aktuell sind; besondere Gründe, weshalb trotz dieses Umstands schutzwürdige Geschäftsgeheimnisse berührt sein könnten, wurden nicht geltend gemacht. Zudem können - ohne dass diesem Umstand ausschlaggebende Bedeutung zukäme - weitere Schadenersatzklagen nicht drohen, weil solche Ansprüche mittlerweile verjährt sind (vgl 5 Ob 123/12t, 4 Ob 46/12m).

7.11. Das Vorbringen unter Punkt 22 des Rekurses (betreffend die Abspaltung von Geschäftsbereichen der Antragsgegnerin zur Erfüllung von Entflechtungsvorgaben der FMA in ein drittes Unternehmen) ist eine Neuerung, ohne dass dargelegt worden wäre, dass es sich bei der Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung gehandelt hat (vgl RIS‑Justiz RS0120290).

7.12. An die Formulierung von Anträgen auf Akteneinsicht sind keine allzu strengen Anforderungen zu stellen, weil es in der Natur der Sache liegt, dass derartige Anträge erst der Ausforschung von Informationen dienen. Die nach dem Gesagten auch als Leitlinie im nationalen Bereich heranzuziehende Judikatur des EuGH zur Akteneinsicht in Kartellverfahren zielt ja gerade darauf ab, die Rechtsdurchsetzung im Wege von Schadenersatzprozessen nicht unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (EuGH, C‑536/11, Rn 10; EuGH, C‑360/09, Rn 30).

7.13. Die vom Erstgericht eingehaltene konkrete Vorgangsweise wird vom Senat gebilligt; sie entspricht auch der herrschenden Auffassung. Demnach hat das Erstgericht, wenn die Parteien des Verfahrens die Zustimmung zur Akteneinsicht verweigern, ihnen zur Vornahme der erforderlichen Interessenabwägung die Angabe von Gründen dafür aufzutragen (Schragel in Fasching/Konecny² § 219 ZPO Rz 3; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 22 Rz 43). Diese Möglichkeit hat die Antragsgegnerin jedoch nicht genützt, sondern behauptet, ein derartiges „Screening“ sei mit unzumutbarem Aufwand verbunden. Damit ist aber nicht zu beanstanden, wenn das Erstgericht im Rahmen seiner Entscheidung nur aktenkundige Interessen berücksichtigt hat.

7.14. Die Vorgangsweise des Erstgerichts entspricht im Übrigen auch derjenigen, die die Gesetzesmaterialien des KaWeRÄG 2012 für die Veröffentlichung einer Entscheidung nach § 37 KartG vorschlagen. Demnach hat das Kartellgericht den Parteien zunächst Gelegenheit zu geben, die Passagen der Entscheidung zu bezeichnen, die ihrer Meinung nach Geschäftsgeheimnisse wiedergeben. Daraufhin entscheidet das Kartellgericht mit Beschluss über die zur Veröffentlichung bestimmte Fassung, wobei es eine Interessenabwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen vorzunehmen hat (1804 BlgNR 24. GP 10).

7.15. Zusammenfassend erweist sich somit die Entscheidung des Erstgerichts als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

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