OGH 15Os34/21w

OGH15Os34/21w26.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Mai 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen E* K* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 130 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 22. Jänner 2021, GZ 51 Hv 69/20m‑297, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019)zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131810

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch B./ in der rechtlichen Unterstellung der Taten auch unter § 130 Abs 2 erster Fall iVm Abs 1 erster Fall StGB, demgemäß auch in der zu B./ gebildeten Subsumtionseinheit sowie im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde E* K* des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 StGB (A./), des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, „130 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB“ (B./) und des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (C./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – zusammengefasst –

A./ ab Herbst 2018 in L* und anderen Orten sich an einer zumindest L* S*, T* H*, I* M*, Z* T* und E* K* umfassenden kriminellen Vereinigung beteiligt, die darauf ausgerichtet war, dass von einem oder mehreren Mitgliedern der Vereinigung Sattelauflegerdiebstähle begangen werden, indem er mit anderen Mitgliedern der Vereinigung solche Diebstähle in unterschiedlichen Beteiligungsformen beging, Absprachen mit anderen Mitgliedern der Vereinigung traf, Auskundschaftungen und Vorbereitungen an möglichen Tatorten für weitere Diebstähle durchführte und Wissen aus dem Transportgewerbe zur Verfügung stellte;

B./ in wiederholten Angriffen fremde bewegliche Sachen Nachgenannten mit dem Vorsatz, „sich oder einen Dritten“ durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (A./) unter Mitwirkung (§ 12 StGB) eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung im arbeitsteiligen Zusammenwirken weggenommen, und zwar

1./ am 20. November 2018 im I*

a) Gewahrsamsträgern der C*-HandelsGesmbH einen auf dem Anhänger der L* GmbH befindlichen Container samt 712 Stück Kugelgriller im Gesamtwert von 29.014 Euro,

b) Gewahrsamsträgern der L* GmbH einen Sattelanhänger im Wert von 5.000 Euro, indem er den Sattelanhänger samt Container mit einer Zugmaschine abtransportieren ließ,

2./ am 13. November 2018 in G*Gewahrsamsträgern der H* GmbH einen Sattelanhänger samt darauf befindlicher Ladung (Kleidung) im Wert von insgesamt 60.716,16 Euro, indem er den Aufleger mit einer Zugmaschine abtransportieren ließ,

3./ am 19. Jänner 2019 in G*Gewahrsamsträgern der H* GmbH einen Sattelaufleger samt acht Tonnen Blech im Gesamtwert von 7.500 Euro, indem er den Aufleger mit einer Zugmaschine abtransportieren ließ,

4./ am 3. Oktober 2019 auf dem Gelände des W* in W*Gewahrsamsträgern der G* KG einen Sattelaufleger im Wert von 25.000 Euro, indem er ihn mit einer Zugmaschine abtransportieren ließ,

5./ am 19. Dezember 2019 in T*Gewahrsamsträgern der N* GmbH einen Sattelaufleger samt 33 Paletten Schwedenbomben im Gesamtwert von 70.788 Euro, indem er ihn mit einer Zugmaschine vom Gelände verbringen ließ,

6./ am 18. oder 19. Juni 2019 in T*Gewahrsamsträgern der Kl* GmbH einen Sattelaufleger samt Ladung im Gesamtwert von 50.000 Euro, indem er den auf der öffentlichen Straße abgestellten Sattelaufleger samt Ladung von Österreich in die Slowakei verbringen ließ,

wobei „er den Diebstahl an einer Sache, deren Wert 5.000 Euro übersteigt sowie im Rahmen einer kriminellen Vereinigung sowie gewerbsmäßig beging“;

C./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit zumindest L* S*, Z* T* und I* M* am 3. Oktober 2019 in B* mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte der WL* GmbH durch Vorspiegelung, eine Ladeberechtigung zu haben, zur Beladung des zuvor auf dem Gelände des W* gestohlenen Sattelauflegers der G* KG (B./4./) mit 42 Paletten Schokolade im Gesamtwert von 50.000 Euro verleitet, wodurch das Unternehmen in dieser Höhe am Vermögen geschädigt wurde.

[3] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Z 3, 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt zum Teil ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

[4] Als Verfahrensmangel (Z 3) macht die Beschwerde eine Verletzung des § 221 StPO geltend, weil dem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten – nach seinen Angaben (ON 300) – zwar die Anklageschrift in ungarischer und rumänischer Übersetzung, nicht aber auch eine übersetzte „Rechtsmittelbelehrung“ zugestellt worden wäre. Dadurch sei die Anklage nicht rechtswirksam geworden und die Vorbereitungsfrist des § 221 Abs 2 erster Satz StPO habe nicht zu laufen begonnen (vgl RIS-Justiz RS0097979).

[5] Dem ist zu erwidern, dass eine nach § 152 Abs 3 Geo zu erteilende, (allenfalls) mangelhafte oder fehlende Belehrung über den Fristenlauf die Wirksamkeit der Zustellung der Anklageschrift nicht hindert (RIS‑Justiz RS0096136; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 6 Rz 5; Roitner, Zum Einfluss der Übersetzungshilfe auf Rechtsmittelfristen, ÖJZ 2021/46, 324). Bereits die – zeitgleich gemäß § 213 Abs 3 StPO an den Verteidiger vorgenommene – Zustellung der in deutscher Sprache abgefassten Anklage am 11. Dezember 2020 an den Angeklagten setzte die dann ungenützt verstrichene Frist zur Erhebung eines Einspruchs in Gang (ON 1 S 93).

[6] Der in eventu gestellte „Antrag“ (vgl aber RIS‑Justiz RS0058452 [T16]) „auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zum Beweis dafür, dass die Rechtsmittelbelehrung als Teil der Anklageschrift nach der RL‑Dolmetsch … in eine für den Beschuldigten verständliche Sprache zu übersetzen wäre“, geht daher von vornherein ins Leere.

[7] Die Feststellungen zu B./ blieben der Kritik der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider nicht unzureichend begründet, sondern wurden von den Tatrichtern – logisch und empirisch mängelfrei – auf die Aussagen der bereits verurteilten geständigen Mittäter S* und M* und die Angaben der Zeugen M* K*, T* und N*sowie auf die Ergebnisse der Observations- und Überwachungsmaßnahmen (Telefonüberwachungen, Auswertung der Mautdaten und der Videoüberwachungen) gegründet (US 13 f). Dass diese Ableitung dem Beschwerdeführer nicht schlüssig erscheint und er die Beweisergebnisse für nicht ausreichend hält, begründet keine Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099455).

[8] Sofern der Beschwerdeführer meint, sein Vorbringen erfülle auch „die Z 5a“, vernachlässigt er, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind (RIS‑Justiz RS0115902).

[9] Entgegen der Kritik der Rüge (Z 5 zweiter Fall) war die in der Hauptverhandlung am 22. Jänner 2021 in einem Konvolut (ON 296 S 31) vorgelegte „Krankenunterlage vom 3. Oktober 2020“ nicht erörterungsbedürftig. Denn das in slowakischer Sprache verfasste Schriftstück, auf das sich der Angeklagte im Übrigen selbst nicht berufen hat (ON 296 S 32 ff), wurde in der Hauptverhandlung weder übersetzt noch verlesen oder sonst vorgetragen (ON 296 S 31 und 37 f; § 258 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0118316 [T10, T11]). Im Übrigen haben sich die Tatrichter sehr wohl mit der Verantwortung des Angeklagten, eine Tatbegehung sei aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen, auseinandergesetzt (US 14).

[10] Zu A./ bestreitet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung, weil das Erstgericht nicht festgestellt habe, „aus welchen Personen bzw aus wie vielen Personen“ diese bestand. Sie übergeht dabei aber – entgegen den Anforderungen für die Geltendmachung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (vgl RIS-Justiz RS0099810) – die Konstatierungen zum spätestens im Herbst 2018 gefassten Entschluss des Angeklagten, sich mit vier namentlich genannten Mittätern an einer dann gegründeten kriminellen Vereinigung zu beteiligen (US 5), womit jedenfalls ein Zusammenschluss von mehr als zwei Personen (§ 278 Abs 2 StGB) konstatiert wurde.

[11] Die weitere Rüge lässt offen, weshalb es der Feststellung einer „auf längere Zeit“ (US 5) angelegten Verbindung angesichts der Gründung spätestens ab Herbst 2018 und der Begehung von Diebstählen im Rahmen der Vereinigung von November 2018 bis Dezember 2019 an einem Sachverhaltsbezug fehlen sollte.

[12] Die Kritik am Fehlen von Feststellungen zur Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB) in Bezug auf die Beteiligung durch Förderaktivitäten (§ 278 Abs 3 zweiter und dritter Fall StGB) übergeht die Konstatierung, wonach sich der Angeklagte wissentlich und willentlich durch Begehung strafbarer Handlungen (US 5, 7, 10 f, 14 ff) an der kriminellen Vereinigung beteiligte (§ 278 Abs 3 erster Fall StGB; US 5).

[13] Nichts anderes gilt für das im Wesentlichen gleichgerichtete aus Z 10 erstattete Vorbringen, soweit es sich zu B./ gegen die Unterstellung der Taten unter § 130 Abs 2 iVm Abs 1 zweiter Fall StGB wendet.

[14] Zutreffend zeigt die Subsumtionsrüge (Z 10) zu B./ aber auf, dass die Feststellung, wonach es dem Angeklagten darauf ankam, „... sich oder anderen Mitgliedern dieser Vereinigung fortlaufende Einnahmen [...] zu verschaffen“ (US 12), einen Ausspruch nach § 130 Abs 2 erster Fall iVm Abs 1 erster Fall StGB nicht zu tragen vermag. Denn nur derjenige begeht eine strafbare Handlung gewerbsmäßig, der sie in der Absicht vornimmt, sich selbst durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Fremdnützigkeit, also das Abzielen auf die fortlaufende Einnahme eines anderen, sei es eines Beteiligten (§ 12 StGB), sei es eines unbeteiligten Dritten, genügt nicht (vgl RIS-Justiz RS0089670; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 14; zum Vorliegen eines kumulativen Mischtatbestands und zur Anfechtbarkeit der verschiedenen Qualifikationsvarianten aus Z 10 vgl Stricker in WK2 StGB § 130 Rz 23).

[15] Dieser Rechtsfehler führte zur Aufhebung des Urteils in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang und zur Anordnung der Verfahrenserneuerung.

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen war bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[17] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.

[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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