OGH 15Os27/18m

OGH15Os27/18m12.4.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. April 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen Waldemar O***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Waldemar O***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten Monika Z***** gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Geschworenengericht vom 30. November 2017, GZ 20 Hv 2/17h‑148, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00027.18M.0412.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten O***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch der Mitangeklagten Monika Z***** enthält, wurde Waldemar O***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (I./1./), der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach „§§ 83 Abs 1, 84 Abs 4“ (richtig: § 84 Abs 4, vgl 13 Os 136/16y, 12 Os 82/17a) StGB (I./2./) und des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (I./3./) schuldig erkannt.

Demnach hat er in O*****

I./

1./ am 11. Februar 2017 (den am 29. Oktober 2016 geborenen) Maximilian O***** getötet, indem er ihn an den Armen, am rechten Fuß und im Gesichtsbereich erfasste, ihn intensiv schüttelte und zumindest zweimal heftig mit Hinterkopf und Scheitelregion gegen eine flächenhafte Unterlage stieß, wodurch der Genannte ein Schädel-Hirn-Trauma mit Atem- und Hirnlähmung erlitt und daran am 12. Februar 2017 verstarb;

2./ von 23. Dezember 2016 bis 10. Februar 2017 Maximilian O***** in einer nicht mehr festzustellenden Anzahl von Übergriffen am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, „eine“ schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1) des Genannten herbeigeführt, indem er ihn intensiv schüttelte und heftig im Brust- und Beinbereich erfasste, wodurch der Genannte mehrfache Rippenbrüche, knöcherne Verletzungen am rechten Ober- und Unterschenkel sowie Blutungen an den harten und weichen Hirnhäuten sowie im Augenbereich, sohin an sich schwere Verletzungen, erlitt;

3./ im Zuge der zu I./1./ und 2./ geschilderten Taten einem anderen, der seiner Fürsorge unterstand und der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, körperliche Qualen zugefügt.

Die Geschworenen bejahten die anklagekonform gestellten Hauptfragen nach Mord (I./), schwerer Körperverletzung (II./) und Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen (III./) und ließen demzufolge die zur Hauptfrage I./ in Richtung absichtliche schwere Körperverletzung und Körperverletzung mit tödlichem Ausgang gestellten Eventualfragen unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil vom Angeklagten O***** aus § 345 Abs 1 Z 4, 6, 8 und 13 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Die Verfahrensrüge (Z 4) behauptet eine nichtigkeitsbegründende Verletzung des § 126 Abs 4 StPO, weil die in der Hauptverhandlung beigezogenen Sachverständigen Dr. D*****, Univ.‑Prof. Dr. B***** und DI Dr. Br***** schon im Ermittlungsverfahren im Auftrag der Staatsanwaltschaft tätig waren. Die Nichtigkeitssanktion des § 126 Abs 4 zweiter Satz StPO ist allerdings auf die in § 47 Abs 1 Z 1 und 2 StPO angeführten Gründe beschränkt. Dagegen spricht die von der Beschwerde ins Treffen geführte (angebliche) Befangenheit der genannten Sachverständigen als „Zeugen der Anklage“ inhaltlich bloß den Grund des § 47 Abs 1 Z 3 (iVm § 126 Abs 4 erster Satz) StPO an, der dem Nichtigkeitsregime des § 345 Abs 1 Z 4 StPO gerade nicht untersteht (RIS-Justiz RS0129955).

In diesem Zusammenhang behauptet der Beschwerdeführer auch nicht einmal, im Ermittlungsverfahren an der Stellung eines Antrags iSd § 126 Abs 5 erster Satz letzter Fall StPO gehindert gewesen zu sein. Schon deshalb kann er die der Sache nach monierte „strukturelle“ Befangenheit der Sachverständigen im Hauptverfahren nicht mehr geltend machen (RIS-Justiz RS0131744).

Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragen und jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, somit fallbezogen eines die begehrte Eventualfrage indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0119417).

Der von der Beschwerde (Z 6) zu I./1./ auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen DI Dr. Br***** und auf zwischen den Angeklagten O***** und Z***** am 11. Februar 2017 ausgetauschte Nachrichten gestützte Vorwurf der Unterlassung der Stellung (auch) einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB) lässt die gebotene Ausrichtung am Verfahrensrecht vermissen. Denn weder mit dem Verweis auf die vom Sachverständigen näher beschriebene kombinierte Persönlichkeitsstörung des – nicht nur einen Tötungsvorsatz, sondern auch jede körperliche Misshandlung des Säuglings im relevanten Tatzeitraum bestreitenden (ON 144 S 9, 39, 52 , 56 ff, 64, 96; ON 146 S 4, 36, 38) – Angeklagten O***** noch mit dem angesprochenen „SMS/WhatsApp-Verkehr“ zwischen den Angeklagten spricht die Beschwerde ein ernst zu nehmendes Indiz (vgl Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 23) in Richtung eines allgemein begreiflichen tiefgreifenden Affekts zur Tatzeit an (RIS-Justiz RS0092271, RS0092087, RS0092259).

Im Übrigen muss die Ursache der Gemütsbewegung nicht in einem psychisch abnormen Persönlichkeitsbild, sondern lediglich in äußeren Umständen zu suchen sein (RIS-Justiz RS0092353 [T2, T5]) und zwischen dem Affekt und der getöteten Person ein psychologisch und sittlich allgemein begreiflicher persönlicher Zusammenhang bestehen (Moos in WK2 StGB § 76 Rz 50). Ein solcher ist bei der behaupteten Beziehungsproblematik mit der Lebensgefährtin und dem getöteten gemeinsamen Kind von vornherein nicht auszumachen (vgl RIS-Justiz RS0099233 [T2]).

Die das Fehlen einer Belehrung der Geschworenen zur „Frage des Totschlags gemäß § 76 StGB“ kritisierende Instruktionsrüge (Z 8) vernachlässigt, dass die Rechtsbelehrung nur insofern angefochten werden kann, als sie Fragen betrifft, die den Geschworenen auch tatsächlich gestellt wurden (RIS-Justiz RS0101085, RS0101091).

Indem die Sanktionsrüge (Z 13) davon ausgeht, im Urteil sei zu I./2./ „(zumindest in dubio)“ nur von „einem Übergriff“ und nur von einer einzigen im Zeitraum von 23. Dezember 2016 bis 10. Februar 2017 zugefügten schweren Verletzung des Maximilian O***** die Rede, weshalb die „mehrmalige Begehung“ des Verbrechens der schweren Körperverletzung (US 5) neben dem Zusammentreffen „zweier Verbrechen mit einem Vergehen“ innerhalb eines „langen Deliktszeitraums“ nicht als erschwerend hätte gewertet werden dürfen, geht sie nicht von den hinreichend deutlich eine Tatwiederholung feststellenden Passagen des Wahrspruchs (… in einer nicht mehr festzustellenden Anzahl von Übergriffen am Körper verletzt …, wodurch Maximilian O***** … an sich schwere Verletzungen erlitt“, US 2) aus.

Im Übrigen verstößt die Wertung sowohl des Zusammentreffens strafbarer Handlungen verschiedener Art als auch der Wiederholung gleichartiger strafbarer Handlungen als erschwerend nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (RIS-Justiz RS0091187 [T6]). Ebenso wenig wird dieses verletzt, wenn zusätzlich ein langer Deliktszeitraum aggravierend in Rechnung gestellt wird (RIS‑Justiz RS0091200).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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