OGH 14Os8/11z

OGH14Os8/11z5.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kirnbauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Tomislav A***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. Dezember 2010, GZ 063 Hv 117/10a-105, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Tomislav A***** Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (B) schuldig erkannt.

Danach hat er vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, und zwar 3.481 g Heroin, darin enthalten 399 +/- 29 g Heroin Base und 22 +/- 2,7 g Monoacetymorphin Base Reinsubstanz

(A) vom 28. März 2010 bis zum 2. April 2010 aus den Niederlanden aus-, nach Deutschland ein-, aus Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt, indem er das in einem Rucksacktrolley verborgene Suchtgift in einem angemieteten PKW von Rotterdam nach Wien transportierte;

(B) am 2. April 2010 in W***** dem abgesondert verfolgten Mamadi K***** gegen ein Entgelt von 6.000 Euro überlassen, indem er ihm den Rucksacktrolley samt Suchtgift übergab.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 3, 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Mit dem Einwand, der Zeuge Mamadi K*****, der in der Hauptverhandlung vom 11. August 2010 (vor Ablegung eines umfassenden Geständnisses und Urteilsfällung in dem gegen ihn geführten Verfahren; ON 93) nach Belehrung gemäß § 157 Abs 1 Z 1 StPO „rechtsgültig“ von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, hätte (in der am 1. Dezember 2010 gemäß § 276a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung) nicht nochmals - diesmal nach der Belehrung, aussagen zu müssen - vernommen werden dürfen, wird keine Verletzung oder Missachtung einer Bestimmung in der Hauptverhandlung bezeichnet, deren Einhaltung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet. Gleiches gilt für die daran anschließende Behauptung, „das Entschlagungsrecht“ wäre „außerdem … noch aufrecht gewesen“. Denn das Zeugnisverweigerungsrecht bei Selbstbezichtigungsgefahr (§ 157 Abs 1 Z 1 StPO) ist im Gegensatz zur Rechtslage vor dem Strafprozessreformgesetz BGBl I 2004/19 (§ 152 Abs 1 Z 2 StPO aF) mit Blick auf den Schutzzweck gezielt nicht unter die Nichtigkeitsfolge des § 159 Abs 3 StPO gestellt (§ 159 Abs 3 zweiter Satz StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 226; Kirchbacher, WK-StPO § 159 Rz 24; RIS-Justiz RS0124907).

Im Übrigen ging das Erstgericht zu Recht davon aus, dass nach rechtskräftiger Verurteilung des im eigenen Verfahren geständigen Zeugen das Aussageverweigerungsrecht bei Gefahr der „Selbstbelastung“ nicht mehr bestand (Kirchbacher, WK-StPO § 157 Rz 3 mwN; zur Rechtslage vor BGBl I 2004/19 vgl: RIS-Justiz RS0114130).

Soweit die Verfahrensrüge (nominell Z 3 und Z 4) mit dem Vorwurf eines „Verstoßes gegen Art 6 EMRK“ - zudem weitgehend ohne Nennung der konkreten Fundstelle in den (umfangreichen) Akten (vgl dazu RIS-Justiz RS0124172) - überhaupt den notwendigen Bezug zu (angeblich) in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen oder erhobenen Widersprüchen herstellt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302), beruft sie sich ausschließlich auf Verfahrenshandlungen in der Hauptverhandlung vom 11. August 2010 und scheitert damit schon am Erfordernis der Antragstellung in der - wie dargelegt - wegen geänderter Zusammensetzung des Gerichts und Zeitablaufs gemäß § 276a StPO wiederholten Hauptverhandlung vom 1. Dezember 2010 (nach dem unbestrittenen Inhalt des Protokolls über diese Hauptverhandlung [ON 104] wurden die Anträge und der Widerspruch nicht wiederholt). Denn als Hauptverhandlung gilt nur diejenige, die der Urteilsfällung unmittelbar vorangeht, mag sie auch an mehreren Tagen durchgeführt worden sein (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310; RIS-Justiz RS0117403; RS0098869).

Mit der bloßen Behauptung, insoweit werde auch Nichtigkeit aus Z 3 „erblickt“, wird erneut keine in der Hauptverhandlung verletzte oder missachtete Bestimmung, deren Einhaltung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet, genannt.

Soweit sich dieser Einwand auf einen - ebenfalls in der Hauptverhandlung vom 11. August 2010 gestellten - „Antrag des Angeklagten“, dass - nicht näher bezeichnete - „Tonbandprotokolle nicht verlesen und verwertet werden dürfen, da Beschlüsse nicht vorliegen und daher eine Verlesung rechtswidrig ist“, bezieht, wird weder der angeblich mit Nichtigkeit bedrohte Vorgang „in der Hauptverhandlung“ (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 192) noch dessen behauptete Rechtswidrigkeit (vgl im Übrigen Anordnungs- und Bewilligungsbogen ON 1 S 1-39 sowie ON 3, 7, 10, 12 und 14; zu allfälligen Grundrechtseingriffen ausländischer Behörden vgl RIS-Justiz RS0119110) deutlich und bestimmt bezeichnet (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Gleiches gilt für den eingangs der Mängelrüge pauschal erhobenen Vorwurf, der „Ausspruch des Gerichtshofs über entscheidende Tatsachen“ sei undeutlich (erster Fall), unvollständig (zweiter Fall), mit sich selbst im Widerspruch (dritter Fall), es seien für diesen Ausspruch keine oder offenbar unzureichende Gründe angegeben (vierter Fall) und bestünden „erhebliche Widersprüche“ (gemeint offenbar: fünfter Fall), weil die notwendige Anführung konkreter entscheidender Tatsachen, die nach Ansicht des Beschwerdeführers mangelhaft begründet sein sollen, zur Gänze unterlassen wurde.

Mit dem auf eigenständige Beweiswerterwägungen (etwa dass die Aussage des Zeugen Markus S***** „mit der allgemeinen Lebenserfahrung“ und „logischen Denkgesetzen“ nicht in Einklang zu bringen und deshalb widersprüchlich und nicht überzeugend sei) gestützten Einwand gegen die im Rahmen der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen des Erstgerichts zur Unglaubwürdigkeit der ursprünglichen Verantwortung des (schließlich teilweise geständigen) Beschwerdeführers, es handle sich bei seinem holländischen Auftraggeber Djibril B***** um einen „agent provocateur“ der Bundespolizeidirektion Wien (US 9), macht die Mängelrüge einerseits einen Begründungsmangel in der Bedeutung der - nominell in Anspruch genommenen - Z 5 zweiter und vierter Fall gar nicht geltend und spricht andererseits keinen für die Feststellung entscheidender (also für Schuld- und Subsumtionsfrage relevanter) Tatsachen erheblichen Umstand an. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (auch zur Rechtslage nach dem Strafprozessreformgesetz BGBl I 2004/19) ist selbst ein in unzulässiger, dem Staat zuzurechnender Tatprovokation gelegener Konventionsverstoß (Art 6 Abs 1 MRK) zwar ausdrücklich im Urteil festzustellen, führt aber nicht zur Straffreiheit des Täters. Die Verletzung ist vielmehr mit Blick auf Art 34 MRK durch eine ausdrückliche und messbare Strafmilderung auszugleichen (RIS-Justiz RS0119618, RS0116456). Trifft das Gericht insoweit eine rechtsfehlerhafte Entscheidung oder lässt es Umstände unberücksichtigt, die einen Verstoß gegen die MRK darstellen, kann Nichtigkeit aus Z 11 zweiter oder dritter Fall vorliegen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 86, 724 jeweils mwN). Weil eine Bekämpfung mit Verfahrens- oder Mängelrüge jedoch nur hinsichtlich der für die - hier nicht in Rede stehende - Strafbefugnis (Z 11 erster Fall) entscheidenden Tatsachen in Frage kommt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 669; RIS-Justiz RS0118581), können das Vorliegen einer solchen Tatprovokation - wie hier - verneinende Urteilsannahmen bloß mit Berufung bekämpft werden.

Vom Angeklagten überreichte eigene Aufsätze sind schließlich auch dann unbeachtlich, wenn der Verteidiger in der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde seinem Mandanten notwendig erscheinendes Vorbringen gegen dessen Willen unterlassen hat oder die Schriftsätze - wie hier - seiner Rechtsmittelschrift anschließt, weil sie gegen die von § 285 Abs 1 erster Satz StPO verlangte Einmaligkeit der Ausführung der Beschwerdegründe verstoßen und bei mehreren Beschwerdeschriften jener des Verteidigers der Vorzug zu geben ist (Ratz, WK-StPO § 285 Rz 6 f; RIS-Justiz RS0100175 [insbesonders T6, T10 und T13]). Ausnahmen sieht das Gesetz nicht vor.

Amtswegiges Vorgehen bei anderen als materiellrechtlichen Nichtigkeitsgründen kennt das Gesetz zwar nur nach Maßgabe - hier nicht in Rede stehender - erfolgreicher Geltendmachung durch einen Mitangeklagten (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO; vgl aber § 23 StPO); bei erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen kann der Oberste Gerichtshof aber im Rahmen des § 362 StPO von Amts wegen auf außerordentlichem Weg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens verfügen und solcherart Abhilfe auch gegen allfällige - den Tatsachenbereich betreffende - grobe Versäumnisse des Pflichtverteidigers bei Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde schaffen (vgl dazu das Erkenntnis des EGMR vom 10. Oktober 2002, Czekalla gegen Portugal, Nr 38830/97, NL 2002, 209; 13 Os 107/08x), wofür vorliegend kein Anlass bestand.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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