OGH 14Os18/05m

OGH14Os18/05m9.8.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. August 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wagner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Kenan T***** wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB aF und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 17. September 2004, GZ 41 Hv 8/04y-68, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Knibbe, und des Verteidigers Mag. Krauskopf zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass (§ 290 Abs 1 StPO) wird das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung der zum Schuldspruch 2 festgestellten Tatsachen als das Verbrechen der versuchten Schändung nach §§ 15, 205 Abs 1 StGB aF, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung zu Recht erkannt:

Kenan T***** hat zu 2 des Schuldspruchs das Verbrechen des versuchten sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach §§ 15, 205 Abs 1 StGB idF des Strafrechtsänderungsgesetzes 2004 (BGBl I 2004/15) begangen. Er wird hiefür sowie für das unberührt gebliebene Verbrechen der versuchten Vergewaltigung (1) nach § 201 Abs 2 StGB aF unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren verurteilt, von der gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von sechzehn Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Seiner Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis wird nicht Folge gegeben.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Kenan T***** der Verbrechen der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB aF (1) und der versuchten Schändung nach §§ 15, 205 Abs 1 StGB aF (2) schuldig erkannt.

Demnach hat er am 28. Juni 2003 in Lustenau

1) Gönül Ö***** außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGb aF mit Gewalt, nämlich dadurch, dass er sie packte und zu sich zog, mit einer Hand ihren Kopf nach unten drückte und sie aufforderte, seinen Penis anzugreifen, in der Folge sie rückwärts an sich drückte und ihr mit der anderen Hand über die Brüste streichelte, ihr unter den Rock und unter die Unterhose griff, sie sowohl im Anal- als auch im Vaginalbereich mit der Hand berührte, ihr die Unterhose zur Seite schob und versuchte, mit seinem Penis von hinten in sie einzudringen, zur Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht;

2) Gönül Ö*****, welche an einer psychischen Behinderung mit einer ausgeprägten Intelligenzminderung leidet, mithin eine Person weiblichen Geschlechts, die wegen einer Geisteskrankheit unfähig ist, die Bedeutung des Vorganges einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, in Tateinheit mit den zu 1) beschriebenen Tathandlungen zum außerehelichen Beischlaf zu missbrauchen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Angeklagten dagegen aus § 281 Abs 1 Z 1a, 5, 5a und 10 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund (Z 1a) rügt der Beschwerdeführer, dass der kontradiktorischen Vernehmung (§ 162a StPO) der Zeugin Gönül Ö***** (ON 14) „der notwendige Verteidiger" des (auf freiem Fuß befindlichen, zu diesem Zeitpunkt unvertretenen) Angeklagten nicht beigezogen wurde, die kontradiktorische Einvernahme aber eine „Vorziehung eines Teils der Hauptverhandlung in das untersuchungsrichterliche Verfahren darstelle" und solcherart der Angeklagte „in funktionaler Hinsicht" nicht während der gesamten Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten war. Der Beschwerdeeinwand versagt, weil der Nichtigkeitswerber den gesetzlich determinierten Umfang des - von Z 1a ausschließlich erfassten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 149, 159, 164) - Verfahrensabschnittes der mit dem Aufruf der Sache beginnenden Hauptverhandlung (§ 239 StPO) ebenso verkennt wie weiters den Umstand, dass das Gesetz eine notwendige Verteidigung anlässlich der kontradiktorischen Vernehmung gemäß § 162a StPO (bei welcher im Übrigen der Angeklagte die Möglichkeit zur Fragestellung an die Belastungszeugin hatte; S 167 f, 333) nicht vorsieht (12 Os 13/03 ua).

Die Mängelrüge (Z 5) verfehlt ihr Ziel. Dem auf die Behauptung einer Unmöglichkeit des nach den Urteilskonstatierungen vermeintlich zeitgleich erfolgten Tatablaufs gestützten Beschwerdeeinwand zuwider sind die Feststellungen zum Tatgeschehen weder undeutlich noch in sich widersprüchlich. Den Urteilsannahmen in ihrer Gesamtheit ist nämlich eindeutig zu entnehmen, dass der Angeklagte Gönül Ö***** zunächst in einen Würgegriff nahm, sie sodann rückwärts an sich drückte, indem er eine Hand um sie legte, mit der anderen Hand die Unterhose zur Seite schob und mit seinem Penis von hinten in sie einzudringen versuchte (US 6 f). Weshalb eine Penetration auf diese Weise in stehender Position denkunmöglich sein soll, legt die Beschwerde nicht dar. Entgegen dem weiteren Vorwurf einer mangels Beweisergebnissen offenbar unzureichenden Begründung findet die Urteilskonstatierung zum versuchten Eindringen in den vom Schöffengericht herangezogenen Angaben der Zeugin Gönül Ö***** vor dem Untersuchungsrichter (ON 10), denen zufolge der Angeklagte sie mit seinem Penis berührt und versucht habe, von hinten in sie einzudringen, und sie starke Schmerzen verspürt habe (S 167), hinreichend Deckung.

Nach Prüfung des insbesondere die Glaubwürdigkeit des Tatopfers in Zweifel setzenden Beschwerdevorbringens anhand der Akten ergeben sich, zumal sich die Tatrichter mit dessen Angaben eingehend auseinandergesetzt und auch Aussagedivergenzen gewürdigt haben (US 9 bis 16), keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen (Z 5a).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) wendet sich gegen die Annahme einer echten Idealkonkurrenz der Tatbestände nach § 201 Abs 2 StGB aF und § 205 Abs 1 StGB. Sei dafür nämlich nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes „in ähnlich gelagerten Fällen" von entscheidender Bedeutung, ob der Tätervorsatz schon im Zeitpunkt der Gewaltanwendung auf die Nötigung zur Duldung des Beischlafs gerichtet war, was nach den erstgerichtlichen Feststellungen zutreffe, so werde § 205 Abs 1 StGB von § 201 Abs 2 StGB aF konsumiert, weil die mit der Verwirklichung des Verbrechens nach § 201 StGB an einer in geschlechtlicher Hinsicht zurechnungsunfähigen Frau notwendig verbundene Schändung eine „typische Begleittat" darstelle. Der Beschwerdeführer ist damit nicht im Recht.

§ 205 Abs 1 StGB (aF und nF) erfasst zwei unterschiedliche Schutzobjekte, nämlich zum einen widerstandsunfähige (nach § 205 Abs 1 StGB nF - synonym [14 Os 138/04] - wehrlose) Personen und zum anderen solche, die wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig sind, die Bedeutung des (sexuellen) Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Im Falle einer vom Täter herbeigeführten Widerstandsunfähigkeit scheidet echte Idealkonkurrenz der Tatbestände der §§ 201 und 205 Abs 1 StGB aus: War der Vorsatz des Täters schon bei Einsatz der Tatmittel des § 201 StGB auf die Nötigung zur Duldung des Beischlafs gerichtet, so haftet er für den Missbrauch der solcherart widerstandsunfähig gemachten Person nur nach § 201 Abs 1 StGB, andernfalls nur nach § 205 Abs 1 StGB (vgl 9 Os 192/82, 11 Os 36/86, 12 Os 167/86; Fegerl, Sexualstrafrecht, 211).

Die hier relevante zweite Deliktsvariante des § 205 Abs 1 StGB schützt dagegen vor missbräuchlichen Angriffen gegen die sexuelle Integrität von Personen, die zwar nicht widerstandsunfähig, aber - vergleichbar Unmündigen (§§ 206, 207 StGB), deren mangelnde Reife zu einer freien Willensbildung in Bezug auf sexuelle Handlungen vom Gesetz generell präsumiert wird (vgl 15 Os 112/94; Leukauf/Steininger Komm3 § 205 RN 26; Schick in WK2 § 205 Rz 11) - zustandsbedingt mangels entsprechender Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit zu einer freien Selbstbestimmung nicht im Stande sind. Dabei kommt es (wie auch in den Fällen der nach gefestigter Rechtsprechung mit den §§ 201 bzw 202 StGB in echter Idealkonkurrenz zusammentreffenden §§ 206 f StGB [vgl Fabrizy StGB8 § 201 Rz 9, § 202 Rz 6; zuletzt 15 Os 133/03]) auf eine allfällige (solcherart unwirksame) Einwilligung des Tatopfers oder auf die Herbeiführung der geschlechtlichen Handlung mit den Mitteln der Gewalt oder der gefährlichen Drohung nicht an. § 201 StGB dagegen bezweckt den Schutz der sexuellen Integrität vor durch besondere Nötigungsmittel bewirkten Angriffen auf die Willensbildungs- und -betätigungsfreiheit (Fegerl aaO, 19; Kienapfel/Schmoller BT III §§ 201 bis 203 Rz 5), nicht aber unter dem von § 205 Abs 1 zweite Deliktsvariante StGB spezifisch erfassten Schutzaspekt psychisch bedingt fehlender Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung (Kienapfel/Schmoller aaO § 205 Rz 8, 10). Nützt daher der Täter - wie vorliegend den Urteilsfeststellungen zu entnehmen ist (US 9) - zur intendierten Effektuierung des sexuellen Angriffs zusätzlich zur Gewaltanwendung den in § 205 Abs 1 zweite Deliktsvariante StGB beschriebenen Zustand des Tatopfers aus, so ist echte Idealkonkurrenz der Tatbestände des § 201 Abs 2 StGB aF und des § 205 Abs 1 zweite Deliktsvariante StGB anzunehmen, weil nur dadurch der gesamte Unrechtsgehalt der gegen die sexuelle Integrität durch kumulierende Verletzung verschiedenartiger Schutzaspekte der sexuellen Selbstbestimmung gerichteten Tat erfasst werden kann (im Sinne eines Vorrangs der §§ 201 f StGB gegenüber dem § 205 StGB, teils ohne Differenzierung nach den beiden Deliktsvarianten des § 205 Abs 1 StGB, Kienapfel/Schmoller aaO § 205 Rz 26; Schick aaO § 205 Rz 30; Hinterhofer BT II3 90). Von einer Konsumtion des § 205 Abs 1 StGB durch § 201 Abs 2 StGB aF unter dem Gesichtspunkt einer „typischen Begleittat" (vgl dazu Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 58 f) kann im Übrigen schon deshalb nicht die Rede sein, weil Tatopfer einer Vergewaltigung keinesfalls regelmäßig dem von § 205 Abs 1 zweite Deliktsvariante StGB geschützten Personenkreis angehören. Nicht nachvollziehbar ist der Rechtsmittelantrag, „nach § 288a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten"; denn der Nichtigkeitsgrund des § 281a StPO, auf den § 288a StPO abstellt, wurde im vorliegenden Verfahren deshalb nicht verwirklicht, weil das Oberlandesgericht Innsbruck zur Entscheidung über den Anklageeinspruch des Angeklagten zuständig war und in der Nichtigkeitsbeschwerde keine Umstände dargetan wurden, weshalb dieser Gerichtshof zweiter Instanz unzuständig gewesen sein soll.

Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Aus deren Anlass überzeugte sich jedoch der Oberste Gerichtshof, dass der Schuldspruch 2 zum Nachteil des Angeklagten mit einer von keiner der Prozessparteien geltend gemachten, daher von Amts wegen wahrzunehmenden materiellen Nichtigkeit iSd § 281 Abs 1 Z 10 StPO behaftet ist. Die Beurteilung des dem Schuldspruch 2 zugrundeliegenden Sachverhalts als das Verbrechen der versuchten Schändung nach §§ 15, 205 Abs 1 StGB aF anstatt als das Verbrechen des versuchten sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach §§ 15, 205 Abs 1 StGB idF des Strafrechtsänderungsgesetzes 2004 (BGBl I 2004/15) ist rechtlich verfehlt, weil die zuletzt genannte Strafnorm keine Untergrenze der Strafdrohung vorsieht, daher für den Angeklagten in ihrer Gesamtauswirkung günstiger ist als die zur Tatzeit in Geltung gestandene. In amtswegiger Wahrnehmung war daher der erstgerichtliche Schuldspruch insoweit zu korrigieren.

Bei der durch die Aufhebung des Strafausspruchs notwendigen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof das Zusammentreffen zweier Verbrechen als erschwerend; als mildernd hingegen die Alkoholisierung zur Tatzeit und den bis dahin geführten ordentlichen Lebenswandel sowie die Tatsache, dass beide Verbrechen beim Versuch geblieben sind.

Unter Abwägung der Zahl und des Gewichtes der aufgezählten Strafzumessungsgründe entspricht die mit zwei Jahren bemessene Freiheitsstrafe sowohl der personalen Täterschuld des Angeklagten wie auch dem verwirklichten Unrecht. Angesichts der dem Berufungswerber attestierten bloß mittelstarken Berauschung (S 527 iVm US 5 dritter Absatz) kann von einer Nähe zu einem Schuldausschließungsgrund keine Rede sein. Berücksichtigt man das im Urteil festgestellte sexualbezogene Verhalten des Angeklagten vor Verübung der beiden Verbrechen (US 5), bestand auch keine verlockende Gelegenheit. Vor allem die massiven, mit Schmerzen verbundenen Tathandlungen an einem erst 16-jährigen, schwer behinderten Mädchen, die nur dadurch nicht weiter verschlimmert wurden, dass andere Personen dazwischen traten, hindern die Gewährung der gänzlich bedingten Strafnachsicht. Demnach war der Angeklagte mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe auf diese Entscheidung zu verweisen. Die vom Tatopfer aufgrund des Penetrationsversuchs erlittenen starken Schmerzen (US 7) rechtfertigen im Zusammenhalt mit der aus dem Weinen und Schreien des Mädchens erhellenden psychischen Beeinträchtigung (US 8) - der gegen den Privatbeteiligtenzuspruch gerichteten Berufung zuwider - jedenfalls die vom Erstgericht vorgenommene Zuerkennung eines Teilschmerzengeldbetrages von 100 Euro.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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